Die Welt - 04.04.2020

(Barry) #1

A


ls Krieg der Kriege ist schon
Zeitgenossen der Dreißig-
jährige Krieg erschienen. In
manchen Regionen des
Heiligen Römischen Rei-
ches hatte die Kriegsfurie, deren Todes-
zone sich wie eine Diagonale von Pom-
mern und Mecklenburg bis an den
Oberrhein zog, mehr als die Hälfte der
Bewohner dahingerafft. In Mecklenburg
war 1651 nur noch jede achte Bauernstel-
le besetzt. Hatten 1618 noch 15 bis 17 Mil-
lionen Menschen im Reich gelebt, wa-
ren es 1648 vielleicht zehn bis 13 Millio-
nen. Hinzu kommen die Millionen, die
gar nicht geboren wurden.

VON BERTHOLD SEEWALD

Aber auch die Heere hatten fürchter-
liche Verluste zu verzeichnen. Man hat
errechnet, dass nur jeder zehnte Schwe-
de, der seit 1630 in Deutschland ge-
kämpft hatte, seine Heimat wiedersah.
Nicht umsonst klagte der Dichter An-
dreas Gryphius 1634 in seinem Sonett
„Tränen des Vaterlandes“: „Dreimal
sind schon sechs Jahr, als unser Ströme
Flut/ Von Leichen fast verstopft, sich
langsam fort gedrungen./ Doch schweig
ich noch von dem, was ärger als der
Tod,/ Was grimmer denn die Pest, und
Glut und Hungersnot,/ dass auch der
Seelen Schatz so vielen abgezwungen.“
„Der Krieg der Kriege war ein mate-
rieller, humaner und moralischer Kul-
turbruch von nie gekannten Ausma-
ßen“, resümiert der Historiker Johan-
nes Burkhardt. Der Augsburger Emeri-
tus ist einer der besten Kenner des

Dreißigjährigen Krieges. Umso erstaun-
licher ist es, dass über alle Verluste hin-
weg das Heilige Römische Reich Deut-
scher Nation dieser Gewaltorgie ent-
kam.
Wie es diesem viel gescholtenen
Staatswesen, dessen Kleinstaaterei und
Machtlosigkeit es doch zu einem idea-
len Opfer machten, gelang, den Krieg zu
überleben, hat Burkhardt unlängst in ei-
ner Studie zu erklären versucht (in: Ire-
ne Dingel u. a. (Hgg): „Theatrum Belli –
Theatrum Pacis. Konflikte und Konfliktre-

gelungen im frühzeitlichen Europa“. Van-
denhoeck & Ruprecht, 320 S., 70 Euro).
Einer der Gründe war zugleich die
Ursache seiner Zersplitterung. Denn
das Reich gründete auf zwei Fundamen-
ten. Das eine war die gesamtstaatliche
Monarchie des Kaisers, das andere die
vielen Landesherrschaften der Fürsten,
Bischöfe und freien Städte. Während
die Armeen marodierend durch das
Land zogen, mühten sich deren Kanzlei-
en und Beamte nach Kräften, einen Rest
Ordnung aufrechtzuerhalten.

Mithilfe einer hochentwickelten
Schriftlichkeit lagerten erfahrene Ver-
walter Notvorräte und Saatgetreide ein,
kümmerten sich um Hungernde und die
Sicherung der Infrastruktur. Durch die
gesteigerten Anforderungen im Zuge
des Krieges wuchs den Territorialstaa-
ten schließlich eine „zunehmende Orga-
nisations- und Administrationskompe-
tenz“ zu, die sie am Ende sogar gestärkt
aus der Katastrophe hervorgehen ließ.
Als Beispiel mag Ernst I. der Fromme,
Herzog des Kleinstaates Sachsen-Go-
tha-Altenburg, dienen. Der begann 1643,
mitten in der zerstörerischen Endphase
des Krieges, in Gotha mit dem Bau des
Schlosses Friedenstein. Dieses trug
nicht nur einen programmatischen Na-
men, sondern sollte Festung, Verwal-
tungs-, Wirtschafts- und Kulturzen-
trum sowie Residenz in einem sein. Von
hier aus betrieb der Fürst die Behebung
der Kriegsschäden, reformierte Justiz
und Gesundheitswesen und setzte eine
Bildungsreform in Gang, die die Schul-
pflicht nicht nur für Jungen, sondern
auch für Mädchen vorsah.
Da, wo die landesherrschaftlichen
Verwaltungen scheiterten, sprangen oft
genug die untergeordneten Landstände
in die Bresche. Sie übernahmen – wie et-
wa in Kleve und Mark am Niederrhein –
landesobrigkeitliche Funktionen, gaben
sie aber auch wieder ab, wenn es nicht
mehr nötig war. Daneben sorgten auch
wichtige Reichsinstitutionen für Konti-
nuität. Sowohl der am Kaiserhof ange-
siedelte Reichshofrat als auch das
Reichskammergericht in Speyer arbei-
teten weiter. Zwar wurden sie oft genug

vom Habsburger Hof politisch instru-
mentalisiert. „Aber die Höchstgerichts-
barkeit war nicht verschwunden und
blieb mit anderen Gremien und Reichs-
ämtern vernetzt und wahrnehmbar“,
schreibt Burkhardt.
Das Gleiche galt für die Reichspost,
deren kompetente Führung in den Hän-
den der Familie Taxis lag. Der Krieg be-
scherte ihr sogar eine Konjunktur, wa-
ren schnelle und glaubhafte Nachrich-
ten doch oft genug eine Frage des Über-
lebens, nicht nur für potenzielle Opfer,
sondern auch für die Heere selbst, de-
ren Aufklärung und Kommunikation
höchst dürftig waren.
Zwar trat der Reichstag wegen seiner
strukturellen katholischen Mehrheit bis
1640 nicht mehr zusammen. Aber in der
Zwischenzeit fungierte der Kurverein
der Kurfürsten als eine Art „Rumpfpar-
lament“, das sich wiederholt den Wün-
schen des Kaisers widersetzte, obwohl
auch in diesem Gremium die Katholi-
ken die Mehrheit hatten und ihm mit
Maximilian I. von Bayern einer der
wichtigsten Partner des Kaisers ange-
hörte. Die großen Reichsfürsten ließen
sich eben nicht nur von ihrer Konfessi-
on, sondern auch von höchst irdischen
Interessen leiten, die sich maßgeblich
am Wohl ihrer Länder orientierte.
Nicht einmal die Kriegskaiser aus
dem Hause Habsburg, Ferdinand II. und
Ferdinand III., konnten sich auf die
Dauer der Verantwortung als Herrscher
des Gesamtstaats entziehen. Zwar folg-
ten sie lange, wohl zu lange ihren dynas-
tischen und konfessionellen Interessen.
Aber nur als Oberhaupt eines föderalen

und multikonfessionell befriedeten
Deutschlands konnten sie ihren verfas-
sungsmäßigen Wahlkaisertitel legiti-
mieren, der zugleich eine wichtige
Klammer ihrer disparaten Hausmacht
darstellte.
Neben Landesherrschaft und Zen-
tralinstitutionen findet Burkhardt eine
dritte Korsettstange des wankenden
Reichs in seinen zehn Reichskreisen.
Diese Selbstverwaltungskörperschaften
entfalteten – wie der Schwäbische,
Fränkische, Bayerische oder die beiden
sächsischen Kreise – eine überaus rege
Tätigkeit, indem sie auch kleineren
Herrschaften unter die Arme griffen
oder für das Steueraufkommen sorgten,
das zum Funktionieren der Reichsinsti-
tutionen nötig war.
Alle diese Einrichtungen, konstatiert
Burkhardt, haben den großen Krieg
überlebt und als „Ordnungsrest und
letzte Orientierungsmöglichkeiten eher
noch an Bedeutung gewonnen“. So ge-
wannen sie auch die Autorität, den um
Steuern für seine parteiischen Feldzüge
ringenden Kaiserhof in die Schranken
zu weisen, indem sie sich seinen Forde-
rungen verweigerten, etwa mit dem
schlagenden Argument, man solle den
Krieg beenden, bevor bald alle ruiniert
seien.
Mit diesem Gerippe an Einrichtun-
gen kam das Heilige Römische Reich
schließlich durch den Krieg der Kriege,
ausgeblutet zwar, aber immerhin noch
lebensfähig. Damit aber gewann das fö-
deral organisierte Reichssystem weitere
Legitimation. Von dort führt eine Linie
zum Föderalismus des Grundgesetzes.

Bettler und Versehrte zeugten allenthalben von den entsetzlichen Verwüstungen, die der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) hinterlassen hatte – Grafik von Jacques Callot

PICTURE ALLIANCE/ PHOTO12/ ARCHI

V

WWWarum dasarum das


Heiligeeilige


RRRömische Reichömische Reich


nicht unterging


Am Ende des Dreißigjährigen Krieges war


Deutschland ruiniert, seine Bevölkerung um


4 0 Prozent gesunken. Dennoch überlebte dieser


wankende, zerklüftete Staat die Katastrophe


21


04.04.20 Samstag, 4. April 2020DWBE-HP


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DWBE-HP

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DIE WELT SAMSTAG,4.APRIL2020 GESCHICHTE 21


B


esondere Zeiten erfordern be-
sondere Maßnahmen. Die SPD-
Vorsitzende Saskia Esken hat
jetzt eine „einmalige Vermögensabga-
be“ ins Spiel gebracht; das sei „eine der
Möglichkeiten, die Staatsfinanzen nach
der Krise wieder in Ordnung zu brin-
gen“. Zuvor schon hatte der renom-
mierte Historiker Heinrich August
Winkleran ein Instrument erinnert, das
zumindest den älteren Westdeutschen
noch wohlbekannt ist: Lastenausgleich.

VON SVEN FELIX KELLERHOFF

Winkler hält „eine Umverteilung gro-
ßen Stils“ für notwendig, „um die wirt-
schaftlichen Folgen der Corona-Krise
zu mildern“. Zu vergleichen sei das „nur
mit dem Lastenausgleich zugunsten der
Vertriebenen und Ausgebombten nach
dem Zweiten Weltkrieg“, sagte der Ber-
liner Emeritus und forderte: „Es muss
zu steuerlichen Belastungen derer kom-
men, die von der Krise wirtschaftlich
weniger stark betroffen sind oder gar
von ihr profitieren.“
Nun kommt in Deutschland wenig so
gut an wie die Forderung, andere, ver-
meintlich oder tatsächlich Wohlhaben-
dere zu belasten – dies ist ein grund-
sätzlicher Unterschied zu anderen Län-
dern, in denen Erfolg mehr zählt als
Neid. Aber unabhängig von solchen psy-
chologischen Dispositionen muss man

sich natürlich fragen: Was genau war
denn der Lastenausgleich in der Bun-
desrepublik nach dem Zweiten Welt-
krieg? Wie funktionierte er, und waren
die Erfahrungen damit besser als mit
der Finanzierung der Wiedervereini-
gung ab 1990 aus Steuermitteln und So-
zialkassen?
Die Vermögensschäden durch den
Krieg und seine Folgen waren in der
jungen Bundesrepublik enorm. Die
meisten Innenstädte lagen in Trüm-
mern, ebenso Hunderte Dörfer, wäh-
rend andere nahezu unbeschädigt ge-
blieben waren. Außerdem lebten im
westdeutschen Teilstaat Millionen
Flüchtlinge und Vertriebene, deren Hab
und Gut in einen Koffer passte.
Zu ersten Soforthilfen war es schon
vor dem Inkrafttreten des Grundgeset-
zes gekommen, etwa durch die Renten-
anpassung von Dezember 1948. Schon
nach Entstehung der Bundesrepublik,
aber vor der Bildung der ersten Bundes-
regierung hatte der Frankfurter Wirt-
schaftsrat, die Übergangsregierung der
amerikanischen und britischen Besat-
zungszone, eine „Soforthilfe“ beschlos-
sen; es handelte sich um eine Substanz-
steuer von drei Prozent auf das vorhan-
dene Eigentum und wurde sofort fällig.
Doch während die Forderung nach ei-
nem weitergehenden Lastenausgleich
leicht erhoben werden konnte, war es
Anfang der 50er-Jahre sehr kompliziert

festzulegen, wie genau diese Entschädi-
gung erfolgen sollte. Denn es mussten
verschiedene Interessen ausgeglichen
werden: Einerseits brauchte der Lasten-
ausgleich angesichts der enormen Schä-
den möglichst viel Umfang, also Geld;
andererseits sollte er die gerade ganz
bescheiden sprießende Konjunktur
(vom Wirtschaftswunder war die Bun-
desrepublik noch einige Jahre entfernt)
nicht gleich wieder abwürgen.
Einfach machte es sich die in Bonn
oppositionelle SPD: Sie forderte Ent-
eignungen realen Vermögens und des-
sen Umverteilung auf Kriegsgeschädig-
te. Die SPD-Ministerpräsidenten in Bre-
men, Hamburg und Niedersachsen wa-
ren da schon viel vorsichtiger; sie ahn-
ten, dass sozialistische Maßnahmen
mehr schaden als nützen würden.
Doch auch in der Union, die noch aus
regionalen christdemokratischen Grup-
pierungen bestand und sich 1950 gerade
erst zu einer Bundespartei formierte,
gab es widerstreitende Interessen. So
wollte Finanzminister Fritz Schäffer
von der bayerischen Regionalpartei
CSU das Thema Lastenausgleich mög-
lichst kleinhalten – im agrarisch gepräg-
ten Bayern waren die Schäden trotz der
bombengeschädigten großen Städte
vergleichsweise gering. Dagegen forder-
te Linus Kather, CDU-Bundestagsabge-
ordneter und Vorsitzender des 1,7 Mil-
lionen Mitglieder starken Bundes ver-

triebener Deutscher, eine weitgehende
Umverteilung von den Wenig- oder
Nichtgeschädigten zu seiner Klientel.
In dieser politischen Gemengelage
setzte Bundeskanzler Konrad Adenauer,
ganz Machttaktiker, einen Kompromiss
in seiner Koalition aus Union, FDP und
Deutscher Partei (DP) durch. Industrie-
experten in der Politik hatten eine Sub-

samt sollten die Eigentümer die Hälfte
ihres Vermögens abtreten – allerdings
nicht auf einmal, sondern gestreckt auf
bis zu 120 vierteljährliche Tranchen von
jeweils 0,4166 Prozent. Diese Formel
befriedigte einerseits die Enteignungs-
fantasien; andererseits würde die Ver-
mögensabgabe von 1,67 Prozent pro
Jahr absehbar in den meisten Fällen aus
den Erträgen gezahlt werden können,
ohne die Substanz angreifen zu müssen.
Erforderlich war allerdings der Auf-
bau einer umfangreichen Bürokratie,
die den Geldeingang von den lokalen Fi-
nanzämtern bündeln und die Auszah-
lung an berechtigte Antragsteller orga-
nisieren musste. Das Bundes- und die
Landesausgleichsämter brauchten für
die Vorbereitung der zeitlich gestaffel-
ten Hauptauszahlung fünf Jahre; erst
1957/58 begann der Geldfluss an Vertrie-
bene und Geschädigte. Härtefallrege-
lungen und andere Zahlungen gingen al-
lerdings deutlich schneller.
Der Lastenausgleich bot nämlich ver-
schiedene Unterstützungsformen an.
So wurden stark zinsbegünstigte Ein-
gliederungsdarlehen zum Aufbau einer
neuen Existenz gewährt. Außerdem gab
es die Hausratsentschädigung für zu-
rückgelassene Werte; sie reichte für ei-
ne erste einfache Ausstattung mit Mö-
beln, Wäsche und Geschirr.
Der Zeithistoriker Hans-Peter
Schwarz urteilte, die „politisch-psycho-

logische Bedeutung“ der Lastenaus-
gleichsgesetzgebung sei „vorerst größer
gewesen als die praktische“. Ähnlich
sieht es sein Kollege Rudolf Morsey:
„Der Lastenausgleich minderte ein be-
drohliches soziales Spannungspotenzi-
al, auch wenn dessen Leistungen für die
Existenzbildung der Geschädigten in
den 1950er-Jahren nicht ausschlagge-
bend waren.“
Zwar kamen durch die Substanzbe-
steuerung hohe Summen in die Staats-
kasse (bis Ende 1971 waren es 82,8 Milli-
arden DM, bis Ende 1982 insgesamt 115
Milliarden und bis 1989 summiert 143
Milliarden). Verglichen mit den jährlich
stark steigenden Bundeshaushalten
(1950 beispielsweise 16,3 Milliarden DM;
1960 dann schon 41,9 Milliarden DM;
1970 mit 91,4 Milliarden DM mehr als
doppelt so viel und 1980 fast genau 240
Milliarden DM) waren diese Gelder je-
doch eher zu vernachlässigen.
Ohnehin reduzierte die zeitweise
recht hohe Inflation der DM (im Schnitt
etwa drei Prozent) die Belastung. All
das zeigt: Mit dem konkreten Lasten-
ausgleich nach 1945 hat das, was
Deutschland nach der Corona-Krise an
Lösungsansätzen vermutlich braucht,
wenig bis nichts gemein.

TNeue Geschichten aus der
Geschichte lesen Sie täglich auf:
http://www.welt.de/geschichte

Der „Lastenausgleich“ war vor allem psychologisch wichtig


In der Debatte um die Folgen der Corona-Krise fallen Begriffe wie „Vermögensabgabe“ und „Lastenausgleich“. So etwas gab es nach 1945 schon einmal


DIE LEISTUNGEN


WAREN IN DEN


50ER-JAHREN NICHT


AUSSCHLAGGEBEND


RUDOLF MORSEY, Historiker

,,


stanzsteuer von zwei bis drei Prozent
pro Jahr für machbar gehalten, die Ver-
treter der Landwirtschaft einen Anteil
von einem Prozent für zu hoch erklärt.
Am 14. August 1952 beschloss der Bun-
destag ein hochkomplexes Gesetz (375
Paragrafen auf 87 Seiten des „Bundes-
gesetzblattes“). Es sah eine Substanz-
besteuerung des vorhandenen Vermö-
gens nach dem Stand 1949 vor. Insge-

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