14 ZÜRICH UNDREGION Freitag, 3. April 2020
Getestet werden sollen nurPersonen
mit mehreren Erkältungssymptomen,
Risikopatienten sowie das Gesund-
heitspersonal.Das BAG begründete
dies damit, dass schlicht nicht genügend
Testkapazitäten vorhanden seien. «Im
Moment gelten noch immer die aktu-
ellenTest-Kriterien. Sie werden, wie
alle Empfehlungen und Massnahmen,
immer wieder überprüft», schreibt das
BAGauf Anfrage.
Kantonetesten nach Belieben
Daranhielten sich die kantonalen Ge-
sundheitsbehörden, Spitäler, Test-
zentren und Hausärzte – bisjetzt.Doch
nun ist der Kanton Zürich vorgeprescht.
In einer Mitteilung schreibt die Gesund-
heitsdirektion, man empfehle den Spitä-
lern jetzt, alle neu eintretendenPatien-
ten auf das Coronavirus zu testen, auch
wenn diesekeine entsprechendenSym-
ptome zeigten. Es gebe nun genügend
Tests. Der Kanton will sogar noch wei-
tergehen. Seien die Kapazitäten ausrei-
chend, werde man dieTestkriterien spä-
ter auch auf die Ärzteschaft, die Alters-
und Pflegeheime sowie die Spitex aus-
dehnen, heisst es in der Mitteilung.
Gleichentags ist auch im Kanton
Bern ein Pilotprojekt gestartet wor-
den: In dem Drive-in-Testzentrum auf
dem BEA-Expo-Geländekönnen sich
alle testen lassen, welche denVerdacht
hegen, angesteckt worden zu sein. Eine
Zuweisung durch einen Arzt ist nicht
mehr nötig. EinzigeVoraussetzung ist,
dassPatienten imVorfeld einen On-
line-Fragebogen ausfüllen. Zeigt dieser
an, dass einTest sinnvoll ist, erhält der
Patient einTicket für das Zentrum auf
dem Messegelände.
Wie steht es also tatsächlich um die
Kapazitäten? Klar ist, dass inzwischen
in der ganzen Schweiz markant mehr ge-
testet wird als zu Beginn der Krise. Das
BAGselbst spricht von 70 00 Tests pro
Tag.Doch welcher Kanton wie oft tes-
tet, bleibt unklar. Die Zürcher Behör-
den etwa verfügen überkeine Zahlen.
Uneinheitlich sind auch dieVorgehens-
weisen.DieWaadt ist zurzeit mit 3639
bestätigtenFällen der Kanton mit den
meisten Infizierten. Getestet wird hier,
wer vom Arzt überwiesen wird. Nach
eigenen Angaben führt der Kanton 20 00
Tests proTag durch.Spezielle Corona-
Test-Zentren gibt es jedoch nicht.Ver-
dachtsfälle werden –räumlich abge-
trennt – weiterhin auf den Notfallstatio-
nen der Spitäler und in spezialisierten
Arztpraxen behandelt.
Der Kanton Genf hingegen hat vier
Testzentren eingerichtet und ein mobi-
lesTeam aufgebaut, dasTests im Notfall
auch beiPatienten zu Hause durchfüh-
ren kann.Auf Anfrage schreibt Gesund-
heitsdirektor MauroPoggia, dass meh-
reretausendTests proTag durchgeführt
werden. «AllePatienten, ob mit schwa-
chen oder starkenSymptomen, wer-
dengetestet.»Patientenkönnten ohne
Voranmeldung beidenZentren vorbei-
gehen. Ein Mediziner vor Ort entschei-
det dann, ob einTest durchgeführt wird.
In den letztenWochen kamen laufend
neue Angebote hinzu. Eines davon am
Zentrum fürReisemedizin in Zürich, wo
normalerweise Globetrotter aufkreuzen,
um sich impfen zu lassen.Seit Anfang
Woche werden dort jedoch nicht mehr
Reisende, sondern vor allem Corona-
Verdachtsfälle unter die Lupe genom-
men. Derzeitkönnten dort bis zu 60Per-
sonen amTag getestet werden. Es sollen
in erster Linie Hausarztpraxen, die nicht
selbsttestenkönnen oder wollen, ent-
lastet werden.Das Angebot richtet sich
aber auch an dasPersonal der Universi-
tät Zürich und derETH, welchesKon-
takt mitPatientinnen undPatienten hat,
sowie anPersonenausdem Gesundheits-
wesen.Dabei will man sich an dieVor-
gaben desBAGhalten.
«Wie einWolf im Schafspelz»
DochJanFehr, Leiter des Zentrums
und Infektionsspezialist, hofft, dass die
Laborkapazitäten bald höher sind und
auch sein Zentrum breiter testen kann.
DennFehr sagt:«Wollen wir die Be-
schränkungen bald lockern und dieWirt-
schaft wieder hochfahren, müssen wir
dringend mehr testen und auch Leute
ohneSymptome überprüfen.» Entspre-
chend müssten die Gesundheitsbehör-
denauch die Kriterien ausweiten.«Diese
Krankheit ist wie einWolf im Schafspelz,
weil viele derPatienten kaum oder nur
leichteSymptomeverspüren, aber trotz-
dem hochansteckend sind.»
Fehr warnt davor, dass jeder Kanton
nun für sich agiert.«Wir brauchenkei-
nen Flickenteppich, wir müssen orches-
triertvorgehen.» Es brauche vor allem
verlässliche Zahlen darüber, wer und
wie viel getestet werde. Dies gelte ge-
rade auch für die nun anlaufenden Anti-
körper-Bluttests, dieAufschluss über die
Ausbreitung desVirus gebenkönnten.
Fehr hat deshalb eine Initiative mitiniti-
iert, mit der schweizweit vergleichbare
Daten erhoben werden sollen.
Die Covid-19-Station beimWinter-
thurer Hauptbahnhof hat Martin Spill-
mann insFreie auf dasParkdeck ver-
legt, um die Infektionsgefahr für andere
Patienten und die Mitarbeiter zu mini-
mieren.Das ärztliche Zentrum macht
jedoch nicht nur Schnelltests, sondern
klärt auch ab, wie es um die Gesundheit
derPatienten steht.Wie bei dem Herrn,
der im benachbarten Zelt auf seine
Untersuchung wartet.
Spillmann bittet ihn ins Unter-
suchungszelt und setzt sich vor den Com-
puter. «Wie kann ich Ihnen helfen?» Der
junge Mann beklagt sich über ein Druck-
gefühl auf der Brust. Spillmann fragt:
«Haben SieFieber oder Schnupfen?»
Beides verneint derPatient. Und Medi-
kamente nehme er nur wegen seines
hohen Cholesterinspiegels. Dann fügt er
an, erhabe Angst vor einer Infektion.
Er wasche sich sicher «hundert Mal am
Tag» die Hände. Spillmann misst noch
Fieber und hört die Brust desPatien-
ten ab. Dann sagter:«Das sieht gut aus.
Sie habenkeinFieber, es gibtkeine Hin-
weise auf eine Infektion. Ich darf sie also
in erster Linie beruhigen.»
Für den Arzt ist der Mann ein typi-
scherFall in diesenTagen. Verunsicherte
Patienten wie ihn wird er in der Corona-
Krise noch viele zu Gesicht bekommen.
*Name geändert
Die Kantone
nehmen
das Zepter
in die Hand
Das Testan gebot gege n das Coronavirus wird markant
ausgebau t. Doch wer lässt sich eigentlich testen?
SASCHA BRITSKO, FABIAN BAUMGARTNER
(TEXT), KARINHOFER (BILDER)
Verdachtsfall Nummer 6 desTages sitzt
auf dem Beifahrersitz einesrotenAutos.
Im Schritttempo lenkt derFahrer sei-
nenWagen zum Zelt des Corona-Dri-
ve-through auf demParkdeck desWin-
terthurer Hauptbahnhofs, vorbei am
Zivilschützer in seiner grün-orangen
Uniform, der die Zutrittskontrolle ver-
antwortet.
Eine junge Medizinerin in Schutzklei-
dung,Maskeund Schutzbrille eilt aus
dem Zelt und wirft einen Blick auf die
ärztliche Überweisung in seiner Hand.
«GutenTag, Herr Antonioli.* Siekom-
men wegen desTests?», fragt sie den
Mann. «Siekönnen sich nach hinten leh-
nen. Ganz normal, und dann zu mir se-
hen», weist sie ihn an.Dannholt sie das
Teststäbchen aus der Schutzhülle her-
vor. «So, das kitzelt jetzt ein wenig, wir
müssenrelativ tief in die Nase hinein»–
«Aber nicht, dass es oben wieder heraus-
kommt», scherzt der alte Mann. Wenige
Sekunden später ist der Spuk vorbei.
«Perfekt, Herr Antonioli», sagt die Ärz-
tin.«Wir sindschon durch. Ihr Hausarzt
wird ihnen dasResultat mitteilen.»
Der seit Anfang dieserWoche geöff-
nete Corona-Drive-through ist der erste
im Kanton Zürich, bei dem man sich im
Auto testen lassen kann. Martin Spill-
mann, der diePermanence inWinterthur
leitet,sagt, das Bedürfnis nachTests sei
gross, dieVerunsicherung ebenso. «Ein
Grossteil meiner Arbeit besteht darin,
die Leute über dasVirus und dieTest-
kriterien aufzuklären.» 100Testskönnte
diePermanence proTag durchführen,
doch momentan werden die Kapazitä-
ten noch nicht ausgeschöpft.
«Testen, testen, testen» – das ist die
Losung der Stunde in der Corona-Krise.
DieForderung, die immer lauter nicht
nur von Epidemiologen wie demLau-
sannerETH-Professor Marcel Salathé,
sondern auch von Ökonomen undPoli-
tikern zu hören ist.Jeder, der auch nur
leichteSymptome habe, solle einenTest
machenkönnen, bevor er wieder arbei-
ten gehe, fordern sie.
Doch lässt sich das überhaupt umset-
zen? DieVorgaben des Bundesamts für
Gesundheit (BAG) waren bisher strikt:
Auf demParkdeck desWinterthurer Hauptbahnhofs kannman sich seit Anfang dieserWoche von Ärzten derPermanence imeigenenAuto aufdas Coronavirus testen lassen.
«Das Bedürfnis nach
Tests ist gross, die
Ve runsicherung ebenso.»
Martin Spillmann
Leiter PermanenceWinterthur