Neue Zürcher Zeitung - 03.04.2020

(Tina Meador) #1

Freitag, 3. April 2020 FINANZEN 21


Aktien verkaufen oder halten?


Wie Anleger dem Panik stiftenden Coronavirus widerstehen


ALEXANDERSAHEB


Wenn die Corona-Schlange ihr Haupt
hebt,fallen den Anlegern die Aktien aus
den Händen. Angst um die Zukunft be-
herrscht das Handeln.All das tunnelt die
Wahrnehmung. Doch dieWelt besteht
weiter. Die Aktienkurse sind zwar stark
gesunken,aber sie liegen noch immer auf
Niveaus, die vor nichtallzu langer Zeit
als sehr erfreulich betrachtet wurden.
DasSchweizerStandardwerte-Barometer
Swiss-Market-Index(SMI)beispielsweise
liegt mit seinen zurzeit 9270 Punkten auf
dem Niveau vonFebruar 2019. Der US-
Standardwerte-Index S&P 500 kam am
Donnerstagnachmittag auf über 2500
Punkte, das Niveau von Anfang 2019.
Zuvor waren dieVerluste grösser,
aber nichtalle Aktien haben gleich viel
ve rloren. Schaut man unter die Oberflä-
che der Indizes, findet man durchaus gute
Entwicklungen – beispielsweiseAmazon.
Auch dieserTitel hat zwar in der Corona-
Krise immerwiedernachgegeben, aber
das ist die Optik vonTradern.Wer die
Aktien hingegen seit einemJahr hält, ist
über 5% im Plus. Wer 20 17 einstieg, hat
seine Einlage mehrals verdoppelt.


Jemandkauft immer


Zweifellos müssen derzeit viele An-
leger mit markantenVerlusten zurecht-
kommen.Allerdings ist weder ein«Total-
ausverkauf»noch eine Börsenpanik in
Sicht. Vielleicht noch nicht. Dazu kommt
die Überlegung, dass irgendjemand auch
heute all die aus den Depots geworfe-
nen Aktien kauft – sonst wären die tiefen
Kurse nur Briefkurse undkeine ri chtigen
Handelsabschlüsse.
Allerdings sindauch das nur fragmen-
tarische Betrachtungen. Die Corona-
Krisekönnte für einige Zeit deutlich tie-


fere Aktienkurse und nurgeringesAuf-
wärtspotenzial zurFolge haben. Doch
man darf, blickt man in derAktienmarkt-
geschichte zurück, auch wieder mit einer
Erholungrechnen.DasisteinSchluss,den
derzeit weniger die gegenwärtige Diskus-
sion um wirtschaftliche Stützungsmass-
nahmen untermauert als die langfris-
tige Statistik derBank Pictet, welche die
Aktienmärkte seit1926 darstellt.

«Aus unserer langjährigen empiri-
schen Analyse geht u. a. die Schlussfol-
gerung hervor, dass man in den betrach-
teten 94Jahren mit einem 100-prozenti-
genAktienportfolioüberjedenbeliebigen
Anlagezeitraum von mehr als 13Jahren
immer eine positive Gesamtrendite erzie-
len konnte», schrieben die Experten der
BankEndeJanuar,alsCoronafürEuropa
noch ein chinesisches Problem war.

Es kann natürlich sein, dass die jet-
zige Krise die letzte und endgültige der
Aktienmärkte wird. Es kann aber auch
anderskommen. Somit ist es jetzt ein
guter Zeitpunkt, sich einmal wieder ei-
nige grundlegende Überlegungen zur
Kapitalanlage in Aktien zu machen.
Zur Anlage in Aktien eignet sich nur
Geld, welches man langfristig entbeh-
ren kann – darunter wird verbreitet ein

Zeithorizont von zehn und mehrJah-
ren verstanden.

Risikopapiere bergen Risiken
Entscheidend ist dieFrage, ob man jetzt
verkaufen muss, weil man das Geld be-
nötigt oder denBezug geplant hat. Ist
das nicht der Fall, sind Börsentaucher
und Buchverlusteallein nicht unbedingt
ein Verkaufsgrund. Sie sind ja genau
das Risiko, welches man einzugehen be-
reit ist, um langfristig eine Mehrrendite
gegenüber «sicheren»Anlagen mit festen
Zinsen zuerzielen.Während aber diese
«Kursmassaker» stattfinden,sind sie wohl
schrecklich mitanzusehen.
Um das auszuhalten, mag man sich
mit derFrage befassen, was eine Aktien-
marktanlage eigentlich ist.Man investiert
in Unternehmen.In jedem Unternehmen
findet eine organisierteKooperation von
Menschenstatt,umProdukteoderDienst-
leistungen zu verkaufen. Diese organi-
sierte Kooperation ist aber ein grund-
legendesFunktionsmodell dermensch-
lichen Zivilisation – früher jagte man
zusammen Mammuts, heute baut man zu-
sammenAutos oder betreibt Spitäler. So-
mit investierenAktionäre in einKonzept,
dasdemMenschenerstdiezivilisatorische
Entwicklungerlaubthat,derenFrüchteer
bis heute geniesst. DiesesKonzept dürfte
so lange existieren wie seine Anwender.
Für Aktionäre ist das ein Grund zur
Zuversicht.Wer investiert in eine Krise
gerät, sollte sie aussitzenkönnen. Die Er-
fahrungen mit Aktienanlagen haben ge-
zeigt, dass das funktionieren kann.Lang-
fristig gab es bisher immer eine Erholung.
Die Frage ist aber tatsächlich, ob man sie
selbst erlebt oder vielleicht erst die Nach-
kommen. Doch dann lohnt sich das von
VorfahrenaufgebauteDepotebenerstfür
diese, so man sie hat.

In der Corona-Krise haben Anlegermit Aktienviel Geld verloren. EUGENE HOSHIKO /AP

Pensionskasse ist nicht gleich Pensionskasse


Sammeleinrichtung en sind in der berufliche n Vorsorge auf dem Vormarsch – man sollte bei der Auswahl genau hinsehen


MICHAEL FERBER


Viele Unternehmen lagern die beruf-
licheVorsorgeaus–dieshatSammel- und
Gemeinschaftseinrichtungen (SGE) auf
einen Siegeszug geführt.Laut dem Bun-
desamt für Statistik (BfS) waren 20 17
knapp 3 Mio. bzw. 71% der aktivenVer-
sicherten in der Schweiz in solchen Ein-
richtungen – bei steigenderTendenz.
Bei Sammeleinrichtungen sind ver-
schiedene Arbeitgeber, oftmals KMU,
angeschlossen. Daher kommt auch d er
Name. In Gemeinschaftseinrichtungen
organisieren sich Berufsverbände. Unter
den SGE gibt es deutliche Unterschiede,
wie eine Studie desFinanzdienstleisters
VZVermögenszentrumunter35SGEmit
insgesamt 1,6 Mio.Versicherten zeigt.Die
Kennzahlen einzuschätzen, ist für KMU
und Versicherte wichtig. KMU sollten
diese bei derAuswahl einer SGE berück-
sichtigen.Versicherten geben sieAnhalts-
punkte,obsichfreiwilligeEinzahlungenin
die Pensionskasse lohnen.


„Verzinsung:Laut derStudie hat die
bestplatzierteVorsorgeeinrichtung das
gesamteVermögen durchschnittlich drei-
mal so hoch verzinst wie die letztplat-
ziert e. Beso nder s grosszügig waren vo n
2017 bis 20 19 Profond mit einem Mittel-
wert von2,83%, vor der Ascaro-Vorsor-
gestiftung (2,75%) und FIP –Fonds in-
ter professionnel de prévoyance (2,67%).
«Für dasJahr 2020 ist zum aktuellen Zeit-
punkt der Corona-Krise aber nicht mit
solchenVerzinsungen zurechnen», sagt
SimonTellenbach, GeschäftsleiterFir-


menkunden beim VZVermögenszen-
trum. Die schlechtplatziertenVorsorge-
einrichtungen werden in der Studie nicht
genannt. Auch Ljudmila Bertschi,Pen-
sionskassenexpertin und Aktuarin bei
dem Beratungsunternehmen Allea, sieht
ein grosses Risiko, dass Zinsgutschriften
aufAltersguthaben für 2020 tief sein wer-
den. Dies liege an der Coronavirus-Krise,
zum Teil aber auch an der gutenVerzin-
sung2019. Die Wahrscheinlichkeit, dass
derBVG-Mindestzinssatzvonderzeit1%
im Jahr 2021 von derBVG-Kommission
weiterreduziert wird, hält sie für «nicht
klein». Die laufendenRenten seien nicht
vonderCoronavirus-Krisebetroffen,sagt
Bertschi.«DieRentnerselberprofitierten
aber nicht und haben auchkeine Indexie-
rungen oder Bonus-Renten seit der letz-
ten Finanzkrise 2008 erhalten.»

„Umwandlungssätze:Der Umwand-
lungssatz einerPensionskassegibt Aus-
kunft,wiehochdiejährlicheRenteausder
beruflichenVorsorge für einenVersicher-
ten ausfällt. Der Satz wird beimRenten-
eintrittmitdemangespartenAltersgutha-
ben multipliziert. Beträgt der Umwand-
lungssatz 5% und hat einVersicherter
500 000 Fr. angespart, erhält er eine jähr-
licheRente von 25000 Fr. Bei den Um-
wandlungssätzen derPensionskassen war
indenvergangenenJahreneinklarerTrend
zu beobachten – dieser ging aufgrund der
ultraniedrigenZinsenundderdemografi-
schen Alterung nach unten. SGE stehen
im Wettbewerb und bieten oft im Markt-
vergleichrecht hohe Umwandlungssätze,
um Kunden zu gewinnen. Bei den in der

Studie untersuchten Einrichtungen lagen
die gewichteten Umwandlungssätze für
Männer, die 2020 mit 65Jahren inRente
gehen, zwischen 5,14 und 6,8% (Obliga-
torium60%,Überobligatorium40%).Tel-
lenbach schätzt, dass die Umwandlungs-
sätzederSGEimDurchschnitt10bis15%
höher liegen als bei firmeneigenen Kas-
sen.HoheUmwandlungssätze haben den
SGE bereits die Kritik eingebracht, sie

handelten unverantwortlich und nähmen
finanzielleTransfers zulasten von jünge-
renVersicherten in Kauf. LautTellenbach
ist aber auch bei den SGEein Trend in
Richtung niedrigerer Umwandlungssätze
zu beobachten.Das Anlagejahr 2020 hat
mit der Corona-Krise sehr schlecht ange-
fangen,zudemkönnten die Zinsen weiter
sehr tief bleiben. Dies spricht dafür, dass
sich derTrend fortsetzenkönnte. «Wür-
den die Zinsen noch stärker in den nega-
tivenBereichfallen,könntediesbeträcht-
licheFolgen für die Umwandlungssätze
haben», sagt Tellen bach. «Bei einem Um-
wandlungssatz von 4% würde einVer-
sicherter besser fahren, wenn er sich das
Pensionskassenkapital auszahlen lassen
würde, anstatt eineRente zu beziehen.»

„Aktive-Rentner-Verhältnis: Wichtig
ist auch dasVerhältnis von Aktiven zu
Rentnern. Um höhereRenditen erzie-
len zukönnen, ist einePensionskasse
bei derVermögensanlage dazu gezwun-
gen, gewisse Risiken einzugehen. Hat sie
wenige Aktive undviele Rentner, ist dies
kaum möglich. Die Studie zeigtauch hier
deutlicheUnterschiedezwischendenEin-
richtungen: Die erstplatzierte weist ein
Aktive-Rentner-Verhältnisvon24,7:1auf,
währendbeiderletztplatziertennichtein-
mal eine aktivePerson auf einenRent-
ner kommt.Sehr gut schneiden bei dieser
KennzahldiePKPro(24,7:1)undGroupe
Mutuel (16,5:1) ab.

„Verwaltungskosten:Beim Letzten im
Ranking sind dieVerwaltungskosten fast
neunmalsohochwiebeimErstplatzierten.

Die fünf günstigstenVorsorgeeinrichtun-
gen kommen aufVerwaltungskosten von
weniger als 200Fr. pro Versicherten.Aus
Sicht vonTellenbach sind diese ein wich-
tiger Kostenpunkt fürPensionskassen.Im
Ranking führt dieSymova-Sammelstif-
tung mit 115Fr. pro Versicherten,danach
kommen die Spida-Personalvorsorgestif-
tung (145Fr.) und FIP (177Fr.).
Bertschi empfiehlt, bei derAuswahl
einer Sammelstiftung unter anderem die
Zinsgutschriften auf Altersguthaben in
derVergangenheit sowie dieRendite der
letztenJahre kritisch zu prüfen.Auch das
Niveau des gegenwärtigen technischen
Zinssatzes ist zu berücksichtigen. Diesen
Zinssatz kann der Stiftungsrat einerPen-
sionskasse selber festlegen – er sollte so
festgesetztwerden,dasserdurchdenVer-
mögensertragindenkommendenJahren
finanziertwerdenkann.Esistalsodarauf
zu achten, dass die Sammeleinrichtung
hier nicht zu optimistischrechnet.Übe r-
dies empfiehlt Bertschi, potenzielle Zu-
satzkostenabzuklären,diebeispielsweise
bei einer Unterdeckung oder derKün-
digung desVertrags entstehenkönnten.
Willi Thurnherr, CEORetirement&
Investment beiAon Schweiz,rät, bei der
Auswahl einer Sammelstiftung auf die
Reputation und Stabilität derselben zu
achten unddass sie eine gewisse Grösse
hat. Laut ihm istVorsicht geboten, wenn
eine Einrichtung sehr stark wächst. Unter
den SGE gebe es Einrichtungen, die mit
zu hohen Umwandlungssätzen umKun-
den werben. «In dem Sektor gibt es kurz-
fristiges Denken und Angebote, die nicht
nachhaltig sind», sagt er.

Beiträge in der


Coronavirus-Krise


feb.· De rzeit fragten vieleVersicherte,
wie sich eineKurzarbeitsentschädigung
von 80%des Lohnesauf diePensions-
kasse auswirke, sagt SimonTellenbach
vom VZVermögenszentrum. Bei der
Pensionskasse bleiben die 100%-Löhne
versichert und es seien auch weiterhin
die Beiträge auf 100% des Lohns aus-
zurichten.«Der Arbeitgeber kann den
Arbeitnehmerteil während der Kurz-
arbeit dem Lohn des Arbeitnehmers ab-
ziehen», sagt Tellenbach. Der Bundes-
rat habe am 25. März beschlossen, dass
Arbeitgeber ihre Beitragsreserven tem-
porär auch für Beiträge der Arbeitneh-
merverwendendürfen.DieseMassnahme
gelte für sechs Monate. Beitragsreserven
würdenfreiwilligvonArbeitgeberneinbe-
zahl t. «DerHintergrund liegt darin, dass
in gutenJahren Reserven einbezahlt wer-
denundinanspruchsvollendavongezehrt
wird», sagt er.

Euro/Fr.
1,0568-0.11%

Dollar/Fr.
0,97380.76%

Gold($/oz.)
1627,003.09%

SMI
9270,961.11%

DAX
9570,820.27%

DowJones
21413,442.24%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
29,9817.11%
Free download pdf