Neue Zürcher Zeitung - 03.04.2020

(Tina Meador) #1

26 PANORAMA Freitag, 3. April 2020


ZAHLENRÄTSEL NR. 79

SPIELREGELN«KAKURO»:Die Zahlen 1
bis 9müssenin einer ReihedieGesamt-
summe ergeben.Dieseist inden schwar-
zen Kästchenlinks davon bzw.darüber vor-
gegeben.JedeZahldarfinnerhalbeiner
Summenur einmal vorkommen.

Auflösung:
ZahlenrätselNr. 78

Hochzeit vor dem virtuellen Traualtar


Viele Paare heiraten trotz der Pandemie – mithilfe von Videokonferenzen, Facebo oks Livestream und Videospielen


MARIE-ASTRID LANGER,SAN FRANCISCO


WenigeTage bevor die Coronavirus-Pan-
demie auf Amerika traf und dieBayArea
als ersteRegionden Hausarrest ver-
hängte, stand eine Gruppe vonFreun-
den in SanFrancisco vor einer schwie-
rigen Entscheidung: Einer von ihnen
wollte in Philadelphia heiraten, doch die
Reise dorthin erschien in Anbetracht des
Viruskeine gute Idee mehr. Kurzerhand
entschieden sie, die Hochzeit virtuell zu
besuchen,mithilfe derVideo-Software
Zoom. Sie zogen schicke Kleider an, tran-
ken Cocktails vor den Monitoren und sas-
sen mit anderen Gästen, die zu Hause ge-
blieben waren, an einem virtuellenTisch.
«Am Ende hatten wir mehr Spass als
viele andere Gäste», erzählt AngiePeng,
eine der virtuellen Hochzeitsgäste.
Angesichts desAusnahmezustands
imLand, dem immer mehr Hochzei-
ten zum Opfer fallen, gründeten die
Freunde,die allesamt in derTechnolo-
giebranche arbeiten, wenigeTage später
das Startup«Vowsand Circumstance»–
zu Deutsch etwa «Gelübde und Lebens-
lage» –, das sichauf Zoom-Hochzeiten
spezialisiert. Noch ist dieWebsite in der
Startphase, doch schon jetzt habe sich
eine HandvollKunden auf dieWarte-
liste setzen lassen.«Natürlich wirkt es
skurril, Hochzeiten über Zoom abzuhal-
ten– aber es ist auch skurril, über den
Dienst virtuelle Cocktailpartys zu ver-
anstalten», sagt die 28-jährigePeng.


Von Uganda bis Bern


Das Startup dürfte den Zeitgeist treffen:
Paare in allerWelt stehen derzeit vor dem
Problem, dass der vermeintlich schönste
Tag ihres Lebens zu platzen droht. Die
Kirche von England beschränkt Hoch-
zeitsfeiern auf dasPaar, den Priester
und zweiTr auzeugen. Ugandahatalle
Hochzeiten für einen Monat verboten.
In Deutschland und der Schweiz unter-
scheiden sich dieAuflagen zwischen den
Gemeinden, meist sind jedoch nicht ein-
mal mehrTr auzeugen erlaubt. Der Kan-
ton Bern etwa hat alle Eheschliessungen
storniert mit derAusnahme von Nottrau-
ungen; darunter fallen laut einerWei-
sung des Bundes etwaPersonen, die in
die Covid-Risikogruppe fallen.


Während in Europa immer mehrPaare
imKonkubinat zusammenleben,hat die
Eheschliessung in Amerika nach wie vor
einen hohen gesellschaftlichen Stellen-
wert. Dort finden jährlichetwa 2,2 Millio-
nen Hochzeiten statt. Besonders inkon-
servativen Gliedstaaten heiraten viele,
auch ausreligiösen Gründen, schon im
jungen Alter und oft ihren ersten ernst-
haftenPartner.DieMarktforschungs-
firmaWeddingReport schätzt basierend
auf Umfragen, dass nun jedes zweite
Paar seine Hochzeit auf später imJahr
oder auf 2021 verschiebt, 43 Prozent der
Paare warteten die weitere Entwicklung
derPandemie ab, und nureineHandvoll
Paare habe ihre Hochzeitspläne abgesagt.
Einige halten aber trotz Coronavirus
an ihren Plänen fest – und beweisen
Kreativität. EinPaar aus North Caro-

lina verlagerte seine Hochzeit kurzer-
hand auf einen Live-Stream aufFace-
book, nachdem die für Mitte März ge-
planteFeier mit 115 Gästen nicht mehr
möglich gewesen war. «Wir bedauern es,
dass wir euch alle nicht persönlich se-
hen werden, aber eure Gesundheit und
euerWohlbefinden sind uns in diesen
unsicheren Zeiten wichtiger», teilten die
beiden auf ihrerWebseite mit.
In Chicago heirateteein jüdisches
Paar perVideokonferenz, zu der sich
Freunde undFamilie einwählten.«Nicht
einmal eine globalePandemiekann euch
davon abhalten, eure Liebe zueinander
zu bekennen», sagte derRabbi, der per
Webcam dazugeschaltet wurde. Gäste
spielten Klavierstücke für dasPaar, die
Familie der Braut hatte amTag zuvor
eine Hochzeitstorte geschickt.

Andere nehmen die virtuelle Hoch-
zeit buchstäblich und heiraten nun in
Videospielen – so etwa einPaar in New
York, das seine Hochzeit in das Spiel
«Animal Crossing» verlegte. Wie CNN
berichtete,baute der Bräutigam in der
virtuellenWelt eine Strandhochzeit
nach: Die Initialen desPaares waren in
den Sand gemalt, Blumen schmückten
den Altar, und seinAvatar trug ein sei-
nem eigenen Anzug ähnliches Modell.
Abgesagte oder verschobene Hoch-
zeiten treffen jedoch nicht nur diePaare
und ihre Angehörigen, sondern auch die
Hochzeitsindustrie – in den USA ein Ge-
schäft mit jährlich 54 Milliarden Dollar
Umsatz. Besonders schwierig ist das für
Las Vegas, das für unkomplizierte Hoch-
zeiten – und schnelle Scheidungen –
legendär ist. 74000 MalgabenPaare ein-

ander dort dasJawort im vergangenen
Jahr und bescherten der lokalenWirt-
schaft Einnahmen von2 Milliarden Dol-
lar, wie das zuständigeWirtschaftsbüro
meldet.Auch dort sind nun alle Hochzei-
ten vorerst abgesagt.

Ein Geschäftauch nachCorona
Virtuelle Hochzeiten kann nun jeder zu
Hause veranstalten, doch das Startup
«Vows and Circumstance» glaubt trotz-
demeine Marktlücke gefunden zu haben.
«Der Mehrwert, den wir bieten, ist ein
reibungsloser Ablauf», sagt die 30-jäh-
rige Susan Chen.Das Geschäftsmodell
sieht virtuelleTische, Reden und sogar
Tanzen vor. Tr aditionen wiedasWerfen
des Brautstrausses fallen bei virtuellen
Hochzeiten zwar weg. Dafür seien neue
Tr aditionen möglich, sagt AaronPo-
dolny, der die technische Umsetzung ver-
antwortet: Alle virtuellen Gästekönnten
etwa zu Hause das gleiche Menukochen,
ebenso sei denkbar, den Gästen vorab
einPaket zukommen zu lassen mit Sekt-
flasche und Spielen.Das Startup profi-
tiert davon, dass viele Menschen in den
ve rgangenenWochen einen Crashkurs
inVideokonferenz-Programmen durch-
laufen haben, weil sie nun von zu Hause
arbeiten und mit Software wie Zoom be-
reits grundsätzlichvertraut sind.
Doch auch wenn diePandemie ein-
mal bewältigt sein wird,glauben die drei
Gründer nicht, dass damit auch die Nach-
frage nach «Zoom-Hochzeiten» endet.
«DerAuslöser für unsere Idee war das
Virus, aber die Hochzeitskulturin Ame-
rika könnte sich langfristig ändern», sagt
Chen. Podolny pflichtet ihr bei. «Mög-
licherweise werden Hochzeiten nun er-
schwinglicher.»Tatsächlich verschlingt
Heiraten in den USA viel Geld:Laut
WeddingReportkostet eine Hochzeit
dort imDurchschnitt 24 500 Dollar. Zu-
nehmend beliebt sind sogenannte «Desti-
nationWeddings», bei denen die gesamte
Hochzeitsgesellschaft gemeinsam an
einenFerienort verreist.Wer sich das als
Gast nicht leisten kann, war bisher ausge-
schlossen. Gleiches gilt für ältere Gäste,
die nicht mehrreisenkönnen.Virtuelle
Hochzeiten nähmen billigere Alternati-
ven,sagt Chen –auch wenn sie natürlich
nie echte Hochzeiten ersetzen würden.

Das Paar vor der Kamera in New Orleans, die Gäste zu Hause:Deja Trudeauxund Patrick Crilly haben am Dienstag geheiratet. AP

Eine Smartphone-App könnte das Virus stoppen


Eine Software-Lösung beschleunigt die Nachverfolgung der Kontakte vonCovid-19-Infizierten – und tr ägt dem Datenschutz Rechnung


STEFAN BETSCHON


Testen,Tr acen undQuarantäne – mit die-
sen drei Massnahmen hoffen Epidemio-
logen dieAusbreitung des Coronavirus
eindämmen zukönnen. Nachdem je-
mand positiv getestet worden ist, ist es
wichtig, alle seineKontakterasch zu in-
formieren. Herkömmliches Contact-Tra-
cing, das sich auf Befragungen verlässt,
stösst beim neuenVirus, das sich sehr
schnell verbreitet, aber bald an Grenzen.
Wenn es gelingt, dieRückverfolgung
derKontakte, die ein positiv Getesteter
gehabt hat, stark zu beschleunigen,lässt
sich dieAusbreitung desVirus stoppen.
Dies ist die zentraleAussage einer Stu-
die, die am Dienstag in derrenommier-
tenWissenschaftszeitschrift «Science»
erschienen ist. Womithilfeeiner Smart-
phone-App das Contact-Tracing schnell,
effizient und in grossem Massstab durch-
geführt werde, lasse sich dieVirusaus-
breitungkontrollieren, schreiben die
Forscher. Auf dieseWeisekönne man der
Allgemeinheit den Lockdown ersparen.
Es müssten nur jene Menschen zu Hause
bleiben, die positiv getestet worden sind.


InternationaleZusammenarbeit


DieForscher der Oxford University
habenausgerechnet, dass der Lock-
down verhindert werdenkann,wenn
60 Prozent der Bevölkerung eine Con-
tact-Tr acing-App benutzen. Eine solche
Appregistriert alle Begegnungen eines


Smartphone-Besitzers. Sobald jemand
positiv getestet wird, erhalten alle Be-
nutzer der App, die dem Erkrankten be-
gegnet sind, eineWarnung.
Die Entwicklung einer solchen App
ist nun allerdings alles andere als trivial.
Was ist eine Begegnung?Wie nahe müs-
sen sich zwei Menschen gekommen sein,
damit eine Ansteckungsgefahr besteht?
Wie kann ein Smartphone auf den Zenti-
meter genau ein anderes Smartphone or-
ten?Wer bestimmt, wer krank ist? Kann
jeder, derSymptome hat oder glaubt,
dass ein Bekannter ungesund aussieht,
eineWarnung absetzen?Wie lässt sich
ein ärztliches Attest digitalisieren? Und
vor allem:Wie kann man die sehr persön-
lichen und heiklen Informationen über
die Gesundheit und die sozialenKon-
takte eines Menschen auswerten, ohne
seine Privatsphäre zu verletzen?
Am Mittwoch hat sich inLausanne
einKonsortium vorgestellt, das für diese
Aufgaben eine Lösung entwickelt hat.
Zu den treibenden Kräften gehören der
an derETHLausanne tätige Epidemio-
loge Marcel Salathé, der Elektroinge-
nieur und ComputerwissenschafterTho-
masWiegandvon derTechnischen Uni-
versität Berlin und der IT-Unternehmer
Chris Boos. Siekonnten sich auf die Mit-
hilfe von mehr als 130Wissenschaftern
ausacht europäischenLändern verlassen.
An der Entwicklung vonTechniken
fürein «Pan-European Privacy-Preser-
ving ProximityTr acing» (PEPP-PT) be-
teiligten sichWissenschafter aus Belgien,

Dänemark, Deutschland, Frankreich,
Italien, Österreich und aus der Schweiz
(EPFL,ETH). DerTeilnehmerkreis um-
fasst ein breitgefächertes Expertenwis-
sen, neben Computerwissenschaftern
haben sich auch Mediziner und Psycho-
logenan der Entwicklungsarbeit betei-
ligt. Mit von derPartie sind auch private
Firmen, darunter etwaVodafone oder
das Zürcher Softwareunternehmen Ubi-
que. Das Konsortium ist offen für weitere
Partnerschaften und sucht aktiv denKon-
takt mit europäischenRegierungen und
Gesundheitsbehörden. Es ist als gemein-
nützige Stiftung nach SchweizerRecht
konzipiert, der Quelltext der Software ist
für alle Interessierten zugänglich.
Das Konsortium hat in vierwöchiger
Arbeit nicht eine App entwickelt, son-
dern einenBaukasten, mit dem eine sol-
che mit geringemAufwand entwickelt
werden kann. Diese Appspeichert Infor-
mationen über Begegnungen mit ande-
ren Benutzerneiner PEPP-PT-App. Die
Benutzer sind anonym; es werden ihnen
laufend neue Identitäten zugeordnet, so
dasssie nichtverfolgt werdenkönnen.
AlleDatenübereine Begegnung wer-
den nur auf den beteiligten Smartphones
gespeichert und nach einer bestimmten
Zeit automatisch gelöscht. Erst wenn je-
mand positiv getestet worden ist, werden
Daten vonverschiedenen Smartphones
miteinander verknüpft.Auch dann bleibt
die Anonymität gewahrt.
Es ist denkbar, dass beispielsweise
die Stundenplan-App des Akademi-

schen Sportverbandes Zürich (ASVZ)
oder die SBB-App dereinst auch noch
Contact-Tracing-Funktionen offerie-
ren.Auch die Hersteller von Gesund-
heits-Apps, wiesie beispielsweise zu-
sammen mit Sportuhren oder Blut-
druckmessgeräten ausgeliefert werden,
könnten entsprechendeFunktionen be-
rücksichtigen. Diese Apps von verschie-
denen Herstellernkönnen imRahmen
des PEPP-PT miteinanderDaten aus-
tauschen: Der SchweizerASVZ-Sport-
ler, der sich in Berlin mit einem kranken
Sportuhr-Träger getroffen hat,könnte
frühzeitig gewarnt werden.

Sicher istsicher
Im Hintergrund werden diese Smart-
phone-Apps durch eine «Backend-
Architektur» miteinander verbunden.
Diese internationaleKommunikations-
infrastruktur soll dieDaten von Hun-
derten von Millionen Smartphones
aggregieren und nicht nur die App-Be-
nutzer warnen, sondern etwa auch den
Epidemiologen der nationalen Gesund-
heitsbehörden nützliche Informatio-
nen liefern. Die Lösung wird den stren-
genVorgaben der europäischenDaten-
schutz-Grundverordnung gerecht.
Das PEPP-PT-Konsortium hat Soft-
ware entwickelt undKommunikations-
schnittstellen definiert und darüber hin-
aus auch Zertifikationsverfahren ge-
schaffen, dank denen sichergestellt
werden kann, dass Contact-Tr acing-

Software,diemithilfe des PEPP-PT-
Baukastens erstellt wurden, bezüglich
Sicherheit undDatenschutz denVo r-
gaben entsprechen. Erste Apps sollen
noch vor Ende Monat parat stehen.
Free download pdf