Quelle: CSYearbook 2020
0,69% Von1 900 bis2019hatsichderFranken gegenüberdemUS-Dollarjährlichrealum0,69%aufgewertet.
DasmächtigsteWesen aufder Erde im Früh-
jahr 2020istein Nukleinsäurestrangvon
rund einemZehntausendstel Millimeter
Grösse.Das aufden NamenSars-CoV-2ge-
taufteCoronavirus hatper Ende März mehr
als30‘000 Menschenlebengefordert, weite
Teileder Weltwirtschaftlahmgelegtund an
denAktienmärkten denschnellsten Ein-
bruchaller Zeiten provoziert.
ZahlreicheVolkswirtschaften,vorallem die
USAund dieStaatenWesteuropas,werden
einenRückgangihrer Wirtschaftsleistung
erleben, derprozentualbetrachtetwahr-
scheinlich dieDimensionender GrossenDe-
pression übertrifft. Regierungensprechen
Billionenfür Hilfsmassnahmen, dieZentral-
banken pumpen Liquidität wienie zuvor. Es
istevident:EswirdeineWeltvor undeine
Welt nach derPandemiegeben.
In diesem Umfeld liegtesnahe, dieTurbulen-
zeninWeltwirtschaft undFinanzmärkten
einzig aufdas Coronaviruszurückzuführen.
Dochdas wäre falsch.Das VirusbringtFra-
gilitätenandie Oberfläche, dieseitJahrenim
System schlummerten.Nun brechensie auf.
Sars-CoV-2 istbloss derAuslöser fürdas Be-
ben,nicht aber dieUrsache derFragilitäten.
DieRachedes«IrishLumper»
DerMensch liebtMonokulturen, aufmaxi-
male Effizienzund Ertrag optimierte Syste-
me.Dochdie Naturverabscheut sie. Dasist
eine Erfahrung, dieeineMillionMenschen
in Irla nd 1847mit demLeben bezahlte, als
dieKnollenfäuledas Hauptnahrungsmit-
telauf derInsel, dieKartoffelsorte «Irish
Lumper», in ungeniessbaren Schleimzer-
setzte.Die Weltgeschichte birgtunzählige
Beispielevon menschlich geschaffenen, op-
timiertenMonokulturen, diesichinfataler
Weiseals höchst fragil herausgestellt haben.
DasimVerlauf dervergangenengutdreissig
JahreaufgebauteWeltwirtschaftssystemist
ebenfallseineArt Monokultur.Und auch sie
erweist sich alszufragil, um denStresstest
derPandemiezubestehen.
Konkret sind es drei Monokulturen, deren
Schwächennun an dieOberflächetreten:
erstensdas System derweltweitverzweig-
ten, filigranen Lieferketten. Zweitens die
unterManagernund Investoren weit ver-
breiteteIdee,Unternehmensbilanzenliessen
sich mithilfevon Schulden optimieren.Und
drittensdie in Zentralbankenherrschende
Gedanken-Monokultur,der Konjunktur-
undKreditzykluslasse sich feinsteuern.
Es lohntsich, diesedreimiteinanderver-
flochtenenFeldergenauer zu betrachten.
BiszumAnschlagoptimiert
Bisindie Achtzigerjahre wasesweitgehend
normal, dass einUnternehmen dasDesign,
diePrototypisierung,die Herstellungund
denVerkauf seinerProdukteselbsterledigte.
DieÖffnungund derAufstiegChinas er-
möglichten es westlichen Unternehmen,
einenimmer grösserenTeildes an Wert-
schöpfungarmen Mittelteils dieser Kette,
dieProduktion, auszulagern.Gleichzeitig
gewann dieJust-in-Time-Philosophie an Be-
deutung, wasesUnternehmen ermöglichte,
ihrenLagerbestandabzubauen.
Diegrenzüberschreitenden Lieferketten, die
in denvergangenendreissig Jahren aufdiese
Weiseinder Weltwirtschaftaufgebaut wur-
den, sind an Effizienzkaumzuüberbieten.
JedesRad greiftperfekt insnächste, alles
fliesst.OhneZweifel:ein Wunderder Opti-
mierung. Und, wiealleOrganismen, diebis
zumAnschlagoptimiert sind,höchstfragil.
Schon dieÜberschwemmungeninThai-
land unddie Katastrophe vonFukushima
2011 sowieder letztjährige Handelskonflikt
zwischen Chinaund denUSA habendie
Fragilitäten derglobalen Lieferkettenoffen-
bart.Die Coronakrisehat dasNetzvollends
reissen lassen.WennKomponenten ausdem
WirtschaftsraumWuhanoderder Lombar-
deifehlen, sich ContainerimHafen von
Schanghaistapeln,weilEinfuhreninChi-
na zwei Wochen unterQuarantänegestellt
werden, dann stehenweltweit Betriebe stil l.
DieBevölkerung in Westeuroparealisiert
erst jetzt, in derKrise,dassder Grossteil
allerGrundstoffefür Pharmazeutika sowie
fast alle Antibiotika undSchutzmaskenin
Chinahergestellt werden.Die Volksrepublik
istder «Irish Lumper»des Westens.
Fragwürdiges Mantra
Alsnicht wenigerfragilhat sich diezweite
Monokultur,das Management-Mantrader
optimiertenBilanzen, erwiesen.Die Just-
in-Time-Produktionhat es erlaubt, Kapital
ausLagerbeständenzubefreien. Doch das
warbloss derAnfang. Zu Tausendenhaben
Unternehmenüber JahreSchuldenauf-und
«überschüssiges»Eigenkapitalabgebaut.
Schliesslich, so besagt es dieFinanztheorie,
istFremdkapitalgünstiger alsEigenkapital.
DieFinanzkrise von2008unterbrachdiese
Entwicklungnur kurz;schon 2009 fand vor
alleminden USAder Prozessder Bilanz-
optimierungbeschleunigtseine Fortset-
zung.Krönung dieses«FinancialEnginee-
ring»war,wennUnternehmen Schulden
aufnahmenund damitden Rückkauf eigener
Aktien finanzierten. Allein diefünfhundert
grössten US-Konzernekauften zwischen
2009 und2019Titel im Wert vongegen 5000
Mrd. $zurück, währendihreVerschuldung
aufeinen historischen Höchstwert stieg.
Optimierungführt zu Fragilität. Diekurz-
fristigmotivierten Managerhaben verges-
sen,dassumsichtiges Wirtschaften auch
bedeutet,mit Sicherheit smargenzuarbeiten
undPolster fürschwierigeZeitenanzulegen.
Dasfehlt vielen Unternehmenheute.
GreenspansIrrweg
Diedritte Monokultur schliesslichbetrifft
dasDenkeninden Führungsetagen der
mächtigenZentralbanken.Inden Jahren
nach 1987,als AlanGreenspan dieNachfolge
vonPaulVolcker an derSpitzeder US-No-
tenbankantrat, festigte sich unterden Wäh-
rungshüternein Selbstverständnis, wonach
clevere Geldpolitikden Konjunkturzyklus
bändigen undfeinsteuern kann.
Diese«Greenspan-Doktrin», später im Fed
fortgesetztvon BenBernanke, JanetYellen
undJeromePowellsowie kopiertinTokio,
LondonundFrankfurt,hat vereinfachtge-
sagt dasZiel, Rezes sionen möglichstzuver-
hindern unddie Finanzmärkte vorUnfällen
zu schützen.Auchdas Selbstverständnis,
dieInflationpunktgenauauf knappunter 2%
steuernzukönnen, gehört dazu.
«Stabilitätträgt
denKeimder
Instabilitätinsich»
Doch auch dieseoptimierteGeldpolitik birgt
Fragilitäten.Erstens konditioniertsie die
Teilnehmer an denFinanzmärkten zurGe-
wissheit ,dassdas Fedimmer zu Hilf eeilen
wird,falls dieKurse zu starkeinbrechen.
Zweitens nährtdas wiederum dieGewiss-
heitderManager,dasssie dieUnterneh-
mensbilanzen biszumAnschlag optimie-
renkönnen. Drittensverhindert sieden
reinigendenProzess derRezession,der die
Exzessedes Boomsbeseitigt.Und viertens
liegtindieser optimiertenGeldpolitik eine
groteskeSelbstüberschätzungeiner Hand-
vollMenschen, dieglauben, siekönnten ein
komplexes,adaptives System wiedie Wirt-
schaftund dieFinanzmärktefeinsteuern.
Kein Wegzurück
DiesedreiMonokulturen –die Optimierung
derLieferketten, derUnternehmensbilanzen
undder Geldpolitik–haben sich im Verlauf
dervergangenen Jahrezueinem vorder-
gründigstabile nSystemverei nt,dessen Fra-
gilitätensichlaufend aufbauten, aber lange
Zeit unterder Oberflächeverborgen blieben.
Umes in denWortendes grossen Ökonomen
HymanMinsky zu sagen: DieStabilitättrug
denKeimder Instabilitätinsich.
DasCoronavirus warbloss dasletzteSand-
korn, dasdie Düne insRutschenbrachte.
Jetztstürztalles ein. Lieferkettensindgebro-
chen, überschuldeteUnternehmen wanken
(und flehenbeimStaatumHilfe),während
dieZentralbanken im Verlaufdes Monats
März gefährlich nahe darankamen, dasVer-
trauen derFinanzmärktezuverlieren.
Selbstverständlich wird sich auch dieser
Sturmlegen;der Menschheitwird es gelin-
gen, Sars-CoV-2 zu bändigen.Docheswird
fürdas Wirtschaftssystem keineOption
sein, zuralten, optimiertenWeltder verbor-
genenFragilitätenzurückzukehren.
Wiewirddie neueWelt aussehen?Keinum-
sichtiggeführtes Unternehmenwirdessich
künftig leistenkönnen, vonsingulärenLie-
ferketten auseinem Land abhängig zu sein.
DasmusskeineDeglobalisierung bedeuten,
aber Unternehmenwerdenredundante, geo-
grafischvoneinanderunabhängige Liefer-
kettenaufbauen müssen.Das wird steigen-
de Kosten verursachen, Gewinnmargen
schmälernund zu höherenPreisen führen.
Nichtmehrdie reineOptimierung derLie-
ferketten wird im Zentrumstehen, sondern
ihre Robustheit.
Robustistbesserals optimiert
Dasgleiche Prinzip muss in derUnterneh-
mensfinanzierungzur Anwendungkom-
men. Robuste Bilanzen sind wetterfester
alsoptimierte. DaswirdhöhereEigenkapi-
talquoten, tiefereEigenkapitalrenditenund
wenigerAktienrückkäufe bedeuten.Der Be-
griff «FinancialEngineering»gehörtauf die
Müllhalde derWirtschaftsgeschichte.
Amschwierigstenwirdessein,dieMono-
kultur derNotenbankpolitikzuverändern.
DieDemut,den bisherigenWeg zu hinter-
fragen, wird vonden Entscheidungsträgern
kaumjemand aufbringen. Es istaberanzu-
nehmen, dass dieZentralbanken ohnehinam
Ende ihrer 1987 begonnene nReiseangelangt
sind.Sie habenjetztalles in dieSchlachtge-
worfen, um denAbsturz desSystems zu ver-
hindern.Esist gutmöglich,dassdas nächste
Kapitel–nicht heute, nichtnächstenMonat,
nichtnächstes Jahr –Inflationheissen wird.
Spätestens dann wird derMarkt dasSelbst-
verständnisder Notenbankerdisziplinieren.
Jede Krisebirgt Chancen. DieChancevon
2020 ist, dass einNukleinsäurestrangvon
rund einemZehntausendstelMillimeter
Grössemitdem NamenSars-CoV-2den Weg
zu einemrobustere nWirtschafts- undFi-
nanzsystem ebnenwird.
Freitag, 3. April 2020 themarket.ch^3
MEINUNG
DieFragilität derMonokultur
Die Coronakrise stürzt die Weltwirtschaftineine Rezession. Doch Sars-CoV-2 ist bloss der
Auslöserdes Bebens, nicht aber die Ursache der Fragilitäten im Wirtschaftssystem. Von Mark Dittli
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Artikelonline:
go.themarket.ch/ z2013
MarkkkDiiittllliii
Chefredaktor undGründungspartnervon
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gebiete sind globale makroökonomische
ThemenundWirtschaftsgeschichte.
Kontakt: [email protected]
Twitter: @MarkDittli
In Kürze:
y Optimierte Lieferketten
undUnternehmensbilanzen
erweisen sich alsfragil
y Monokult ur in der Geldpolitik
setztfalsche Anreize
y Robustheit wird wichtiger