Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.04.2020

(WallPaper) #1

SEITE 12·MONTAG,6.APRIL 2020 ·NR.82 Krimi FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Da liegt sie nun auf dem eingeschalteten
Fernseher.Mausetot. Ein Auge weit aufge-
riss en, das anderevon einem Hämatom
zur Hälfte verdeckt .Dochdamit istes
nochnicht getan: IhreBrust wurdegeöff-
net. Entsetzlich, aber steigerungsfähig:
Das Herzfehlt.Wenn kurz darauf,gleich-
sam als perverseKrönung der Schlacht-
szene, dasWort „Kannibalismus“fällt,
weiß auchder begriff sstutzigste Leser,
dassdie Gewalt hier einregelrechtmythi-
schesAusmaß erreicht hat.
Umdiesen Aspekt zu unterstreichen,
finden sichlaufend solche Zitate:„Von
den Sternenstürzt alleZeit herab, so wird
das Blut aus hundertKehlenstürzen auf
dein Grab!“KulturgeschichtlicheTrüffel-
schweine wissen sofort, auswelcher Oper
die Versestammen.Alle anderenwerden
vonXavier-Marie Bonnotaufgeklärt–Ri-
chardStrauss, „Elektra“.
Der 1962 in MarseillegeboreneAutor
studierte Soziologie und französischeLi-
teratur,bevor er in Geschichtepromovier-
te.Die Frücht eseiner Lektürenverteilter
großzügig im neuenFall des Ermittlers
Michel dePalma. Insofernist „Der erste
Mensch“ ein Déjà-vu-Service für infor-
mierte Krimifans, die sichüber Wiederer-
kanntes freuen. DerAutorkokettiertda-
mit, hochkulturelleVersatzstückeinein
Genre-Produkt zu gießen, und sein Publi-
kumbegibt sichauf doppelteSpurensu-
che: nach demMörderund nach denRefe-
renzen. Deren auffälligste springt uns auf
fast jeder Seitean, hat der Protagonist
doch denselbenNachnamenwie jenerRe-
gisseur,der in seinenFilmen –etwa„Car-
rie“ oder „Scarface“ –gerne aufBesessen-
heit und Gewaltexzesse setzt.
Das Geschehen istein Mosaik ausver-
schiedenen Handlungssträngen, welche
zunächstnur einesgemein haben: Sie krei-
sen umFelszeichnungen undKultobjek-
te,Rituale und Mythen.Zu Beginnstirbt
ein Taucher,der prähistorische Spuren in
einer provenzalischen Höhle untersucht.
Mord? Wahrscheinlich. Wenig später
flieht derverrückt eSerienkiller Thomas
Autran aus der Anstalt und schlägt an-

scheinend eine blutige Schneise quer
durch Frankreich. Er sehnt sichzurückin
die Zeit vorder neolithischenRevolution,
wasdem Leser bei jeder sichbietenden
Gelegenheit ins Gedächtnisgehämmert
wird.Autrans Schwesterwar einsteine re-
nommierte Wissenschaftlerin (Kompe-
tenzbereichUrgeschichte), sitzt inzwi-
schen aber im Gefängnis und wirdver-
dächtigt, ein inzestuösesVerhältnis zu ih-
remBruder gepflegt zu haben.Unddann
sind da nochihr akademischer Mentor,
der,mittlerweile emeritiert, aufKörper-
pflegepfeiftund mit einer Flintevor sei-
nem Haus hockt, undAutrans Therapeut,
der einen „Neuansatz in der klinischen
Psychiatrie“verfolgt und viel Gewese um
Exorzismus und Schamanismusmacht.
Im Mittelpunkt dieses Ensemblessteht
eine dreißigtausend JahrealtePlastik,die
1970 bei Ausgrabungen entdeckt wurde
und nunverschwunden ist–ein Hirsch-
kopfmensch. Er istdas Totem, welches die
Figuren offenbar soverrückt spielen und

zu Jägerndes verlorenen Schatzeswerden
lässt.Wenn es inFrankreichumAnorma-
le undAußenseitergeht, istesnur noch
ein kleiner Schritt zu MichelFoucault, der
auchpromptzitiertwird: „DerWegvom
Menschen zumwahren Menschen führt
über denverrückten Menschen.“ DerWeg
zu Bonnots Krimi-Stil führtdagegen in die
Abgründe raunender Sprache. Tiefste
Dunkelheit, heftig pochende Herzen,
dunkle Geheimnisse: Alle Substantive, die
der Autornicht mit einem klischeehaften
Adjektiv entwertet, habengroßes Glück.
Nicht besser sind die Bilder:Weht der Mis-
tral Plastiktüten bis zu denFenstern des
Polizeipräsidiums hinauf, istdas für den
Erzähler,„American Beauty“ sei Dank,
ein „Anblick, bei dem man übersSchick-
sal ins Grübelnkommenkonnte“.
Dabei istdePalmaeigentlichein bo-
denständigerTyp, der dem Gemischaus
ArchäologieundPsychiatrie dieRoutine
des kurz vorseinerPensionierungstehen-
den Ermittlersentgegensetzt.Er„liebte
Unwetter ,das Toben derElemente, den
Salzgeruch in der wildenLuft“, er sucht
Bibliotheken auf,ist dann allerdingsan-
gewidertvon den Computer nund hält
Ausschau nachKarteikästen. Wie
GeorgesSimenonsKommissar Jules Mai-
gret zeigt sichauchdePalmanicht allein
an der Lösung desFalls interessiert,son-
dernauchanden psychologischenGrün-
denhinter derTat.
Seine Jugendliebe Evabemerkt einmal,
sie habegelesen, „dassman denWahn-
sinn durch die Poesieverstehen und hei-
len kann“. Ein durchaus ironischesState-
ment, istBonnotsRoman dochweit da von
entfernt, poetischzusein. KAI SPANKE

Eine Inselgruppe in derNordsee,Re-
gen, Landstraßen,Fischerkneipen und
eine Gesellschaftvon Alteingesessenen,
in der seit Jahrzehnten nichts ohne Mit-
wissergeblieben ist: Spätestens nach
dem zweiten Band derRomanevonMa-
riaAdolfsson um Kriminalinspektorin
KarenEiken Hornbyist manvertraut
mit ihrerWelt, mit den Gerüchen und
Geräuschen, mit denWegenzwischen
den Siedlungen und Städten der Inseln
und mit dengegenseitigenVorurteilen

zwischen den Bewohnernder Hauptin-
sel und denen, dieganz imNorden oder
im Süden wohnen, getrennt jeweils
durch einen überFährverkehr zu bewäl-
tigenden Sund.
Nurdassdiese Vertrautheitauf einer
Illusion beruht–nicht allein auf der übli-
chen literarischen Ausformung einer
Welt, sondernauchauf einer handfes-
tentopographischenTäuschung. Denn
jene Inselgruppe, die MariaAdolfsson
so liebevoll ausmalt, deren Sprach- und
Kulturgeschichte sie ebensoskizziert
wie die wirtschaftlichenVerflechtungen
mit den Anrainernjenseits der See, die-
ses „Doggerland“ zwischen Dänemark,
England und den Niederlanden also
existiertnur als „Doggerbank“, als Erhe-
bung unter dem Meeresspiegelder Nord-
see. Adolfssons Prämisse aberresultiert
aus derFrage: Was, wenn das reale Dog-
gerlandvorachttausend Jahren eben
nichtgänzlichimsteigenden Ozean un-
tergegangenwäre?
Ende 2018 erschien mit „Fehltritt“
der ersteTeil der Krimi-Serie.KarenEi-
kenHornbyermittelt in einem Mordfall

um eine Bekannte, zugleichgabelt sie
den ObdachlosenLeoauf,einen ehema-
ligenRockmusiker, undauchdie Toch-
terder Toten nistetsichimVerlauf der
Ermittlungen bei ihr ein.Kennzeich-
nend für denFall is tdie biographische
Nähe aller zu allen, und dassHornbyihr
großes Geheimniswahrenkann –wäh-
rend sie in England lebte,kamen ihr
Mann und ihr kleiner Sohn bei einem
vonihr mitverschuldetenAutounfall
ums Leben –, istein mittleresWunder.
„TieferFall“ setzt ein knappes halbes
Jahr später ein, Hornbyträgtnochein
bisschen an denWunden, die ihr beim
letzten Mal zugefügtworden waren, da
wirdauf Noorö, der nördlichsten Insel
vonDoggerland, ein emeritierter Hoch-
schullehrer ermordet. Die Spurenwei-
sen auf eine alteFabrikantenfamilie im
Niedergang, und wie sichdanachund
nachein Netzwerkvon gegenseitigen
Abhängigkeiten,Aversionen undgera-
dezu toxischen Loyalitäten offenbart,
beeindruckt die Ermittlerin ebenso, wie
es sievordie Herausforderungstellt, in
Windeseile ein eigenesNetzwerkzuent-
wickeln oder neu zu aktivieren, wobei
ihrelangevernachlässigteVerwandt-
schaftauf Nooröeine wesentlicheRolle
spielt, besondersimfuriosenFinale.
Unprätentiös, aber nachdrücklich
spieltAdolfsson auchinden Neben-
handlungen durch, wasesbedeutet,
wenn eine EhevomVerzicht des einen
Partnerszugunstender Bedürfnisse des
anderen nachsozialer Geltungbe-
stimmt ist, undwasein solches Missver-
hältnis jeweils für die Gemeinschaftbe-
deutet.Die Spannereichtvonbrutal aus-
geübter häuslicher Gewalt bis zu den
Diskussionen um dieFrage, wie ernstes
jemand mit der Vaterzeit eigentlich
meint.Karen Hornbyerlebt all das mit,
registriert,greiftauchein. Undsteht am
Endevorder Frage, wie sie es zehn Jah-
re nachdem traumatischen Verlustvon
Mann und Kind selbstmit einerPartner-
schafthält. TILMAN SPRECKELSEN

I


nItalien ende vieles im Lächerli-
chen, sagt einmal eineFigur in „Die
jungen Bestien“. Ganz anderssei das
als in Spanien,wo es einen Sinn für
die Tragödie immer schongegeben habe,
für mitFassung ertragenen Schmerz.Zu-
mindestauf dieWerkeitalienischer Krimi-
autoren angewandt, scheint dieser Befund
nicht danebenzuliegen: Davide Longo gibt
ebenso wie sein LandsmannPaolo Roversi
mit offensichtlichemVergnügen seineFi-
guren der Lächerlichkeit preis oderkehrt
zumindestderenUnzulänglichkeiten mit-
leidlos hervor. Das Leiden an den eigenen
Lastern,amAltern, am Sinn der Arbeit
und des Daseins im Allgemeinen, die Kri-
se der individuellen Männlichkeit machen
sie zum Teil einer umfassendengesell-
schaftlichen Symptomatik.Ein Überbleib-
sel der mittelalterlichen Burlesken von
Danteund Boccaccio?
Vincenzo Arcadipane, der Protagonist
vonDavide Longos neuemRoman „Die
jungen Bestien“,ist jedenfallsgenau so
ein armesWürstchen. Ein im Grunde
rech tfähigerKommissar in der Midlife-
Crisis, der seineWeinkrämpfemit Lakritz-
bonbons bekämpft,Potenzprobleme hat

und sich, umstetsjemanden in derNähe
zu wissen, der ein nochjämmerlicheres
Bild abgibt als er selbst, einen dreibeini-
genKöter zulegt.Arcadipane istein alter
Bekannter,schon in „DerFall Bramard“
ermittelte er an der Seite seines ehemali-
genVorgesetzten Corso Bramard. Bereits
seit seinem 2013 erschienenen Debütro-
man „Der aufrechteMann“ spieltDavide
Longo, der inTurinander Schreibschule
Scuola Holden unterrichtet, mitVersatz-
stückendes Kriminalromans und lässt
sichmit jedem neuen Buchmehr auf das
Genreein.
So beginnt „Die jungen Bestien“ mit
demFund eines Massengrabes: Zwölf Ske-
lett eliegen auf der Baustelle einer Bahn-
trasse zwischen Mailand undTurinund
werden vonden zuständigen Behörden
ein wenig zuroutiniertals Überreste aus
dem ZweitenWeltkrieg abgestempelt.Ar-
cadipanes eigene Ermittlungen hingegen
weisen auf die sogenannten bleiernen Jah-
re,die siebziger Jahre, als Italien imZei-
chen desTerrorslebte. Bis heuteist nicht
abschließendgeklärt, wie viele derTerror-
anschläge, die man damals linksextremen
Gruppierungen wie der BrigateRosse an-

hängte,tatsächlichvon Neofaschisten und
Geheimdiensten begangen wurden, um
die Linkezudiskreditieren.
Wasdie Ermittlungen im Buchzutage
bringenwerden, kann man sichalso schon
im Groben ausrechnen–die Frageist das
Wie. Davide Longo erstreck tseine Erzäh-
lung über mehrereZeitebenen: Arcadipa-
ne ermittelt in der Jetztzeit,Bramardin
den Siebzigern. Dieser zweiteTeilbeinhal-
tetdie stärkstenPassagen des Buches, da
istLongoganz konzentriertauf die Arbeit
des Schnüfflers, der alsverdeckter Ermitt-
ler in einen Boxclub eintritt und sichdort
erst einmalgehörigverdreschen lässt,bis
man den Empathieschmerzheftig hin-
term linkenAuge pochen hört.
Diesekörperliche Intensität tut der Ge-
schichte gut, ebenso wie die Angewohn-
heit des Schriftstellers, dasreiche histori-
scheWissen, über das erverfügt, auchbei
seinen Lesernvorauszusetzen.Wer, wie
vermutlichviele nachgeborene Leserin-
nen und Leser,diesesWissen nicht hat, ist
gut beraten, diesen Geschichten nachzu-
spüren –etwajenerTragödie um den
sechsjährigenAlfredo Rampi, der 1981 un-
terden Augender Öffentlichkeit in einem

Brunnen beiVermicinostarb. Sie schafft
ein Gefühl für dieTränenschweredieser
Jahre, die derRoman alleinüber weite
Stre cken nichtvermittelnkann.
Obwohl Longos Sprachegewitzt istund
so flott, dassesanfangs schwerfällt in Dia-
logpassagen denÜberblickzubehalten.
Immer wieder nutzt er seine sprachliche
Gewandtheit, umetwa die Weltwahrneh-
mung seiner Protagonistengegeneinander
abzugleichen. Siestehen nicht einfachnur
voreinem Schrank,esi st ein Schrank aus
Kirschholz für Bramardund aus rötlichem
Holz für Arcadipane.Weil nun einmal nie-
mand über die Grenzen seines eigenen Ho-
rizontes hinausblickenkann,tut es derAu-
tormit bisweilen herablassender Geste als
Stellvertrete rseinerFiguren–und verlegt
dadurch den Fokusimmer mehr auf das
psychologische Drama.
Unddas handeltvonArcadipanes im
Kern dochziemlichmittelmäßigem See-
lenschmerz, den er in Therapiesitzungen
mit einer enigmatischen Therapeutin zu
ergründen versucht. Dem piemontesi-
schen Autorkann man natürlichnicht vor-
werfen, dassdie Lektüre seines 2018 im
OriginalerschienenRomans „Così gioca-

no le bestie giovani“ in diesenTagenun-
weigerlichandie tatsächlichenAusmaße
der italienischenTragödie denken lässt.
Aber diereale politische Geschichte spielt
eben mit hinein: Die desolateSituation in
norditalienischen Krankenhäusern ist
auchein Resultat defizitärerVerwaltungs-
apparateund korrupterPolitiker.
Das alles sindVersäumnisse, die eine
schärfere Kritik,einen politischwacheren
Kriminalroman nötig hätten als die hier
vorliegende halbgareCommedia dell’Arte
mit Figurenklischees –ein mittelalter
Kommissar,eine Computerkennerin mit
Piercings und eine Psychotherapeutin mit
Methoden wie aus einer schlüpfrigen
Phantasie wirkentatsächlichvor allem lä-
cherlich. KATRIN DOERKSEN

Davide Longo:
„Die jungen Bestien“.
Bramard. Kriminalroman.
Ausdem Italienischen
vonBarbaraKleiner und
Friederikevon Criegern.
Rowohlt Verlag,
Hamburg2020.
416 S.,geb., 22,– €.

Xavier-MarieBonnot:
„Der ersteMensch“.
Ein Fall für Michel dePalma.
Kriminalroman.
Ausdem Französischen
vonGerhardMeier.
Unionsverlag, Zürich2020.
352 S., br., 19,– €.

MariaAdolfsson:
„Doggerland: Tiefer
Fall“. Kriminalroman.
Ausdem Schwedischen
vonStefanieWerner.
ListVerlag, Berlin 2020.
416 S., br., 15,– €.

Dass Frank Göhre seit zehn Jahren
keinen Kriminalroman mehrveröf-
fentlicht hat, heißt ja nicht, dasser
aus derÜbung wäre.Erhat, zusam-
men mit Alf Mayer, ein Buch über Ed
McBain und eines über ElmoreLeo-
nardgemacht,wovonjeder guteAu-
tor, der esetwashärter,schwärzer,
schneller mag, nur profitierenkann.
Man merkt das dem neuenRoman
desinzwischenSechsundsiebzigjähri-
genan. „VerdammteLiebe Amster-
dam“ (Culturbooks, 158 S., br., 15,–
€) kommt sofortzur Sache.
Ein HamburgerGastronom er-
fährt, dasssein Bruder,den er lange
aus denAugenverloren hatte, auf ei-
nemAutobahnrastplatz zuTode ge-
prügelt wurde. Er fährtsofor thin. Ein
Tatmotiv istnicht erkennbar.Parallel
dazuverschwindeteine fünfzehnjähri-

ge Polizis tentochter.Was derToddes
Bruders damit zu tunhat, wiealle
Spuren nachAmsterdam führen, das
bringt Göhre auf eine knappe,lässi-
ge Weise zusammen.Erhat einen
scharfenBlick für dieverschiedenen
Milieus, durch die sichdie Handlung
bewegt, und er braucht immer nur
ein paarSätze,umein Reihenhaus
oder eineRotlichtbar so anschaulich
werden zu lassen wieineiner guten
Reportage.Und vorallembraucht er
gerade mal 158 Seiten,umeine Ge-
schichtezuerzählen, die alleshat,
wasman voneinem Kriminalroman
erwartet.
Ähnliches ließe sichvon Katherine
Faw sagen, auchwenn sie vierzig Jah-
re jünger istals Göhreund ihr Debüt-
roman „Young God“ (Polar,228 S.,
br., 12,– €) in einem amerikanischen
White-Trash-Milieu spielt, wie man es
verkommener und brutaler selten er-
lebt hat.Nikki istnicht, wie man sich
einen jungen Gottvorstellt.Nikki ist
dreizehn Jahrealt, worauf man nie
käme, wenn man es nicht läse. „Nikki
denkt an so viele Dinge, dasssie sich
nicht an sie erinnert, obwohl siegera-
de nochdarangedacht hat.“ IhreMut-
terstürztvoneiner Klippe, ihr Zieh-
vaterist Dealer,ihr leiblicherVater
Dealer und Zuhälter.
Nikki schreckt in ihremKampfum
Anerkennungvornichts zurück. Weil
es in ihrerWelt keine Gnade gibt,
kennt sie auchkeine. Sie will härter
sein als derVater, sie will ihmgefal-
len, sie setzt ihrenKörper ein. Dass
Gewalt und Missbrauchvon Drogen
wie Minderjährigen der Alltag sind,
mussman nicht hervorheben.Faw
tut es auchnicht .Inihrer Prosa istkei-
ne Pose, sieweidetsichnicht am
Schrecklichen. „Young God“ liest
sich, als habe sie beim Schreiben im-
mer mehr Sätze undWörter wegge-
meißelt, damitdieWuch tihrer Prosa
desto besser hervortretenkann. „Ich
denkeschon, dassdie Geschichtedie
Krassheitvongriechischen Mythen
hat“, hat sie in einem Interviewge-
sagt.Das stimmt.KatherineFawist
eine Entdeckung.
Das warauch Lisa Sandlin ,als sie
vordreiJahren DelphaWade in die
Welt setzte, eine der originellsten Kri-
miheldinnen der letzten Jahre(F.A.Z.
vom2.Oktober 2017). „FamilyBusi-
ness. EinFall für Delpha“ (Suhr-
kamp,356 S., br., 10,– €) istihr zwei-
terAuftritt, und sie enttäuscht nicht.
Delpha hatvierzehn JahreimGefäng-
nis gesessen. Sie hatteden Mann um-
gebracht, der sievergewaltigt hatte.
Als Sekretärin in einer Privatdetektei
im texanischen Beaumont hat sie nun
einen Mann mit einer abgebrochenen
Flasche umgebracht, der sie im Büro
bedrohte. Daskönntegefährlichsein,
weil sie auf Bewährung draußen ist.
Aber sieweiß sichzuhelfen.
DerRoman schaut auf die Welt
durch DelphasAugen. Sie isteine
Frau, die viel erlebt und vielgelernt
hat, die im Knastnicht hartund
stumpfgeworden ist, sondernklug
und unsentimental.Undweil sie so
langeweg war, istihr Blickauf die frü-
hen siebziger Jahre, auf dieWater-
gate-Zeit, in der das Buchspielt,vol-
ler Neugier undVerwunderung.Was
andereselbstverständlichfinden, ist
ihr fragwürdig. Das isteine nützliche
Eigenschaftfür eine Ermittlerin; im
Privatleben isteskomplizierter, die
neuen Codes und Signalezwischen
den Geschlechternzuentschlüsseln.
Bei Lisa Sandlin wirddem Krimi-
nalfallgegeben,wasdes Kriminalfalls
ist–aber auchnicht mehr.Denn es ist
viel spannender zu erleben, wie Del-
phaWade sichselbstbehauptetund
lernt, an ihreFreiheitund ihreFähig-
keiten zuglauben. PETERKÖRTE

Sind die zwölf Skelette, die bei Bauarbeitenausgegrabenwerden, wirklichdie ÜberrestevonTotendes ZweitenWeltkriegs? CommissarioVincenzo Arcadipane zweifelt. Foto Getty

Anormales schlag nachbei Foucault


Xavier-Marie Bonnotbieteteinen Déjà-vu-Service für informierte Krimifans


Tödliches Geheimnis?Stierkopf aus der
HöhlevonLascaux FotoHans Hinz/Artothek

Vaterzeit, ernsthaft?


MordinDoggerland: MariaAdolfssons „TieferFall“


STREIFSCHUSS


Linker Terror,


rechterTerror


EinMassengrabander Bahnschnellstrecke


Mailand–Turin führtinDavideLongos


neuemRoman direkt i ndie


bleiernen JahreItaliens.


EinMotiv


istnicht


erkennbar


Krimis inKürze: Frank


Göhre,KatherineFaw


und Lisa Sandlin


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