Neue Zürcher Zeitung - 27.03.2020

(Jeff_L) #1

Freitag, 27. März 2020 SCHWEIZ 13


Zusätzliche Online-Abonnemente können die Inserateausfällebei den Zeitungen nicht kompensieren. GAËTAN BALLY / KEYSTONE

Viele Leser, aber kaum noch Inserate

In der Co rona-Krise brechen den Medien d ie Werbeeinnahmen weg – nun will der Bund helfen


LUKAS MÄDER


Keine Pendler, keine Leser. Für «
Minuten» ist das Home-Office einFron-
talangriff auf das Geschäftsmodell. Die
Pendlerzeitung finanziert sich durchWer-
bung. Doch diese bleibt in Zeiten des
Coronavirus aus. Wenn die Leute nicht
mehr zur Arbeit pendeln, fehlt der ge-
drucktenAusgabe zudem die Leser-
schaft. Eine verheerendeKombination.
Entsprechend drastisch ist dieReduktion:
Seit dieserWoche umfasst «20Minuten»
gerade noch 16 Seiten. Früher waren es
doppelt so viele oder mehr. DieAuflage
wurde um rund ein Drittelreduziert, wie
der Chefredaktor Gaudenz Looser sagt. 4
Seiten zum Coronavirus sowie 4 bis 5 Sei-
ten für alle übrigen News müssenreichen.
Bezahlte Inserate sind nur noch wenige
vorhanden.


Alle sind betroffen


«20 Minuten» istkeineswegs ein Einzel-
fall.Auch andere Publikationen leiden
unter der Corona-Krise.DerVerleger-
verband schätzt, dass rund 80 Prozent
der Inserate storniert werden. Zusätz-
lich dürftenWerbekampagnen aufge-
schoben oderkomplett abgesagt wer-
den. Bei denTamedia-Bezahlzeitungen,
zu denen der«Tages-Anzeiger» gehört,
ist für 2020 von einem Einbruch des
Werbeumsatzes «im mittleren zweistel-
ligen Millionenbereich» dieRede.
Damit sehen sich die Medienhäuser
in einer paradoxen Situation:Während
dieWerbeeinnahmen einbrechen, explo-


dieren die Leserzahlen. Denn die Zu-
griffe auf die Online-Angebote errei-
chen aufgrund der Corona-Pandemie
neue Höchstwerte. Bei der NZZ haben
sich die durchschnittlichen Zugriffszah-
len gegenüber denVormonaten gar ver-
dreifacht. Zusätzlich ist die Zahl ver-
kaufter Digitalabonnemente im März
bisher auf das Siebenfache gestiegen.
Die guten Online-Zahlen nützen je-
doch wenig.Denn selbst zusätzliche
Abonnementskönnen die Inserateaus-
fälle nichtvollständigkompensieren.
Und solche gibt es derzeit auch digital.
Bei der Ringier-Gruppe, zu der neben
dem «Blick» auch Zeitschriften wie die
«Bilanz», der «Beobachter» oder die
«Schweizer Illustrierte» gehören, sind
dieWerbebuchungen im Digitalbereich
derzeit um 25 Prozent zurückgegangen
imVergleich zumVorjahr.
In der Branche sehen deshalb viele
die Corona-Krise als Beschleuniger des
strukturellenWandels. Bereits seit eini-
ger Zeit versuchen die Medienhäuser die
wegfallenden Einnahmen aus dem tradi-
tionellen Inserategeschäft anderweitig zu
kompensieren – sei esüber höhere Abon-
nementspreise, Online-Marktplätze oder
Veranstaltungen. Doch noch ist dieAb-
hängigkeit von denWerbeeinnahmen
gross. So gross, dass die TX Group (vor-

malsTamedia)Kurzarbeit für ihre Mit-
arbeiter über alle Bereiche hinweg ver-
ordnet hat. Bei den Bezahlmediensollen
diePensen um mindestens 10 Stellenpro-
zentereduziert werden, teilweise auch
um mehr.Bei «20 Minuten» mussten
alle Mitarbeiter ihrPensum um jeweils
20 Stellenprozentereduzieren.
DerzeitkeinThema istKurzarbeit bei
der «Blick»-Redaktion, wie die Medien-
stelle auf Anfrage schreibt.Inanderen
Unternehmenseinheiten, insbesondere
den Marktplätzen, wirdKurzarbeit jedoch
geprüft oder gar beantragt.Auch inner-
halb der NZZ-Mediengruppe ist diese
Möglichkeit für bestimmte, besonders be-
troffeneTeilbereiche in Abklärung.

KeinAufholeffekt erwartet


Wie lange dieWerbeeinnahmen weg-
bleiben werden, ist noch unklar. Ebenso
unsicher ist, ob die Inserate überhaupt
jemals wieder zurückkommen werden.
Andreas Häuptli, der Geschäftsführer
des Verlegerverbands, ist pessimis-
tisch:«Wir rechnen nicht mitAufholef-
fekten, wenn die Krise vorbei ist.» Im
Gegenteil: Häuptli befürchtet gar, dass
die Marketingbudgets für dasrestliche
Jahr zusätzlich gekürzt werden. Der
Verlegerverband will deshalbrasche

Hilfe vom Staat. Er ist bereits beim zu-
ständigen Bundesamt fürKommunika-
tion (Bakom) vorstellig geworden, wie
Häuptli sagt. Dieses prüft derzeit, was
juristisch möglich ist. DemVernehmen
nach stösst das Anliegen derVerleger im
Bakom auf offene Ohren.
Weil die gesetzliche Grundlage für
eine allgemeine Presseförderung fehlt,
steht imBakom eine Erhöhung der in-
direkten Presseförderung imVorder-
grund. Diese beläuft sich heute auf 30
MillionenFranken für die abonnierte
Presse. Zusätzlich wäre dieAufhebung
der maximalenAuflage von 40 000
Exemplaren denkbar, ist aus dem Bun-
desamt zu hören. Sokönnten auch grös-
sere Zeitungen von den verbilligten
Posttarifen profitieren.Keine Option ist
aber offenbar die – von denVerlegern
gewünschte – finanzielle Unterstützung
derFrühzustellung,die privateFirmen
in den grossen Städten übernehmen. Bis
Mitte April soll das Hilfspaket vor den
Bundesrat kommen.
Dass der Bund zugunsten der Medien
rasch handeln möchte, hat er bei den pri-
vatenRadio- undFernsehstationen be-
wiesen. Um die Liquidität sicherzustel-
len, bezahlt dasBakom in diesenTagen
Anteile an den Gebührengeldern vorzei-
tig aus, insgesamt 32,4 MillionenFranken.

IN KÜRZE


Zahl der Corona-Fälle
steigt auf 10 714
(sda)· Erneut ist die Zahl der am
Coronavirus erkranktenPersonen in
der Schweiz weiter angestiegen. Am
Donnerstagnachmittag gab es bereits
10 714 bestätigteFälle, wieDanielKoch,
Leiter Abteilung ÜbertragbareKrank-
heiten beim Bundesamt für Gesundheit
(BAG), sagte. Das seien 10 00 Fälle mehr
als noch vor 24 Stunden.Auch die Zahl
dergemeldetenTodesopfer istweiter
angestiegen. Mindestens161 Menschen
sind inzwischen an der Lungenkrankheit
gestorben.Koch warnt derweil vor einer
Überinterpretation der täglich vermel-
deten Zahlen. DieFälle würden von
den Kantonen und Praxen nicht immer
gleich schnell und im gleichen Rhyth-
mus gemeldet, sagteKoch.Das BAGsei
derzeit dabei, eineTr endanalyse zu er-
arbeiten.Daraus liessen sich dann erste
verlässliche Schlüsse ziehen.

Zivilschutz lei stet Einsatz
«von neuer Dimension»
(sda)· 5500 Zivilschutzleistende sind
zurzeit im Corona-Einsatz. Dies teilte
Christoph Flury, Vizedirektor des Bun-
desamts für Bevölkerungsschutz, am
Donnerstag mit. Diese Dimension sei
einmalig. Im Gegensatz zu vergange-
nenJahren, in denen Zivilschützer zeit-
lich begrenzt und vor allem bei Natur-
katastrophen eingesetzt worden seien,
stünden sie nun in sämtlichen Kantonen
im Einsatz. Aus den Kantonen kämen
laufend mehr Unterstützungsbegehren,
vor allem die Gesundheitseinrichtungen
stellten Hilfsanträge bei den zivilen Kri-
senstäben. Die Zivilschützer fahren zum
BeispielPersonen in Spitäler oder lie-
fern Mahlzeiten aus.

Repatriierungen
laufen auf Hochtouren
(sda)· 14 00 Schweizerinnen und
Schweizer hat das EDA bis anhin aus
demAusland in die Heimat zurück-
geholt. Bis zum 4. April sollten es 350 0
sein, teilteJohannes Matyassy, Direk-
tor derKonsularischen Direktion, am
Donnerstagnachmittag den Bundes-
hausmedien mit. Um dieses Ziel zu er-
reichen, werden in den nächstenTagen
mehrere Flüge durchgeführt, die der
Bund organisiert hat. Die meisten da-
von gehen nach Südamerika oder Süd-
ostasien.Damit sei die grössteRückhol-
aktion aller Zeiten aber noch nicht ab-
geschlossen. In derTr avelAdmin App
haben sich insgesamt 17000 Personen
registriert. Einige davon dürften inzwi-
schen bereits wieder in der Schweiz sein.

Das Tessin richtet
Covid-19-Checkpoints ein
(sda)· Der Kanton Tessin hat vier
ambulante Untersuchungszentren er-
öffnet. Diese sogenannten Covid-19-
Checkpoints sollen Hausärzte und Not-
fallstationen entlasten. Personen, die
potenziell mit dem Coronavirus infi-
ziert sind, dürfen die Untersuchungszen-
tren aber nur aufsuchen, wenn ein Arzt
sie entsprechend überwiesen hat. Die
vier Zentren sollen in Mendrisio, Agno,
Lugano und Giubiasco stehen und min-
destens bis zum 24. April offen blieben,
wie der kantonaleFührungsstab desTes-
sins am Donnerstagabend mitteilte.

Kritik an TXGroup


mdr.· Die Einführung derKurzarbeit
bei der TX Group mit den Zeitungen
«20 Minuten» oder«Tages-Anzeiger»
sorgt für Irritationen und Protest – nicht
nur bei den betroffenen Mitarbeitern. In
einer Online-Petition kritisieren mehrere
bekanntePersonen den «schnellen Griff
in die Staatskasse». «Ein Medienkonzern
mit staatspolitischerVerantwortung und
vollen Kassen müsste jetztPersonal auf-
stocken, nichtreduzieren», heisst es in
derPetition, die etwa von der Schrift-
stellerin Ruth Schweikert, dem Alt-
Ständerat ClaudeJaniak oder dem frü-
heren «Tages-Anzeiger»-Chefredaktor
Peter Studer unterzeichnetist. Sie wer-
fen den Eigentümern und der Unterneh-
mensleitung vor, sich in dieser schweren
Krise auf «die Sicherung ihrer finanziel-
len Eigeninteressen» zukonzentrieren–
zumal die Aktionäre in den vergangenen
Jahren von den Gewinnen des Unterneh-
mens in Millionenhöhe profitiert hätten.


Swisscoy-Einsatz in Kosovo trotz Coronavirus


Das neue Kontingent befindet sich in einer Präventiv-Quarantäne auf dem Waffenplatz Stans


GEORG HÄSLERSANSANO, BERN


Im Containerdorf auf demWaffenplatz
Stans trainieren die Angehörigen der
Swisscoy unter möglichstrealistischen Be-
dingungen für ihrenAuftrag imRahmen
der Nato-Friedenstruppe Kfor (Kosovo
Force). Am 8. April fliegt das 42.Kontin-
gent von Emmen nach Pristina in den Ein-
satz nach Kosovo. Tr otz der Corona-Krise
hält dieSchweizer Armee an ihren frie-
densfördernden Missionen fest– weltweit.
Damit die Soldaten aus der Schweiz
kein zusätzliches Infektionsrisiko für die
kosovarische Bevölkerung darstellen,
hat ihnen dasKompetenzzentrumSwiss-
int, das für dieFührung undAusbildung
im Bereich internationalerFriedens-
förderung zuständig ist,eine Quaran-
täne auferlegt.Vor ihrem Abflug nach
Kosovo werden die Angehörigen der
Swisscoy nicht mehr nach Hause gehen.
Ihr Einsatz hat damit praktisch schon
begonnen, auch wenn auf dem Appell-
platz in Stans noch immer dieKulisse
der Innerschweizer Berge zu sehen ist.


Der Kommandant von Swissint,
Oberst im Generalstab AlexanderFurer,
ist sich seiner besonderen Verantwortung
für die Schweizer Soldaten imAusland-
einsatz bewusst: «Meine oberste Priori-
tät hat die Sicherheit und Gesunderhal-
tung unserer Soldatinnen und Soldaten.
Dafür setzen wir uns rund um die Uhr
ein.» Zurzeit sind insgesamt rund 250
Männer undFrauen imRang von Sol-
daten und Divisionären in 18 Ländern
im Einsatz für die militärischeFriedens-
förderung. Das ist neben der Unterstüt-
zung der zivilen Behörden und derVer-
teidigung einer der drei Grundaufträge
der SchweizerArmee in derVerfassung.
Die Schweiz ist verpflichtet, trotz
Corona-Krise auch das 42.Kontingent
nachKosovo zu verschieben.Swissint be-
tont aufNachfrage der NZZ die beson-
dere Bedeutung des Schweizer Beitrags
in der aktuellenSituation: «Die Missio-
nen haben einen massgebenden Einfluss
auf die Sicherheitslage und Stabilität in
den Einsatzgebieten. Gerade in ausser-
ordentlichenLagen wie jetzt ist es umso

wichtiger, dass dieser stabilisierende und
unterstützendeFaktor weiter vor Ort
bleibt.» In der Nacht auf Donnerstag
wurde in Pristina dieRegierung gestürzt.
Die politischeLage ist angespannt – lo-
kal, aber auch die EU und die USA sind
sich nichteinig über die ZukunftKosovos.
Doppelt gefordert sind deshalb insbe-
sondere die Liaison MonitoringTeams
(LMT), die Diplomaten in Uniform also,
die denKontakt zur Zivilbevölkerung
explizit suchen müssen. GemässAus -
kunft vonSwissint hat die Corona-Krise
durchausAuswirkungen auf derenAuf-
tragserfüllung: «Die LMT fokussieren
ihre Tätigkeiten im Moment aufPatrouil-
len mittelsFahrzeugen und weniger zu
Fuss. Nichtsdestoweniger lassen sich auch
diese zurAuftragserfüllung nicht ganz
vermeiden.» Es sei lautSwissint auch die
klareAbsicht des Kfor-Kommandan-
ten,diePatrouillen- und Überwachungs-
aktivitäten in ganzKosovo fortzuführen,
«um zu einem sicheren und geschützten
Umfeld für alle Bürger und Bürgerinnen
desKosovo beizutragen».ImWesent-

lichen verlaufe der Einsatz weiterhin im
gewohntenRahmen, «natürlich immer
unter Einhaltung der Hygienevorschrif-
ten und des Social Distancing».
DerSwisscoy-Kontingentswechsel er-
folgt zueinem kritischen Zeitpunkt. Die
Corona-Neuinfektionen nehmen in der
Schweiz laufend zu. Neben der Quaran-
täne-Massnahme in Stans, welche die
Schweizer Armeeselbstangeordnet hat,
verlangt die Kfor von den Soldatinnen
und Soldaten aller Nationen bei der Ein-
reise ein ärztliches Zertifikat, das über
den aktuellen GesundheitszustandAus-
kunftgibt. Swissint erstellt dies für jeden
einzelnen Schweizer Armeeangehörigen
vor der Abreise nachKosovo.Oberst
im GeneralstabTobiasFrey, nationaler
Kontigentskommandant, schreibt der
NZZ, dass seine Leute trotz schwieri-
gen Bedingungen motiviert seien und
sich auf den Einsatz freuten: «In dieser
schwierigen Zeit ist derKontakt mit den
Angehörigen zu Hause sehr wichtig. Wir
setzen alles daran, dass dieserAustausch
jederzeit gewährleistet ist.»

Bundesverwaltungsgericht
stellt Verfahren zurück
(sda)· Wegen Problemen mit der Zu-
stellung von Akten im In- undAusland
stellt das Bundesverwaltungsgericht ge-
wisseVerfahren zurück. Dies gelte so
lange, bis derVersand wieder normal
laufe. Die schweizerischePostkönne
Gerichtssendungen in einzelneLänder
nur noch eingeschränkt oder gar nicht
mehr tätigen, schreibt das Bundesver-
waltungsgericht in einem Communi-
qué.Weil zudem einzelne Postfilia-
len geschlossen worden seien,erweise
sich auch die Zustellung innerhalb der
Schweiz als problematisch.

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