Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1

Ein Sonntag inHamburg. Draußen wird
nach und nach alles dichtgemacht, auch
das Theater, wo Hugo Egon Balder gerade
spielt. Der Mann, der im deutschen Fernse-
hen fast alles gemacht hat, was man an pro-
fessionell dummem Zeug so machen kann,
sitzt im „Zwick“, seiner Kneipe am Anfang
der Reeperbahn. An den Wänden hängen
Bilder von allem, was die Pop- und Rock-
welt je bewegte. Und mittendrin gibt der
Chef bereitwillig Auskunft über all das, was
er im Leben so veran- und verunstaltet hat.


SZ: Herr Balder, an Ihrem 70. Geburtstag
am Sonntag in der Hamburger Komödie
auf der Bühne stehen. Nun ist alles abge-
sagt. Was machen Sie jetzt?
Hugo Egon Balder: Jetzt stehe ich nicht auf
der Bühne. Ich bin dann zu Hause in Köln
und bewege mich nicht.
Eine Beckmann-Frage: Was macht das mit
Ihnen?
Nichts. Ich bin ganz froh, wenn ich ehrlich
bin. Ich sitze zu Hause, meine Kinder und
meine Frau werden da sein, und das isses.
Kein Aufhebens um Sie?
Richtig. Ich mag das nicht. Habe ich noch
nie gemocht. Das bin ich nicht.
Am besten, man beachtet Sie gar nicht?
Das wäre mir am allerliebsten.
Dafür haben Sie den falschen Beruf.
Das weiß ich. Aber je älter ich werde, desto
näher komme ich meinem Ziel.
Das da wäre?
Dass mich keiner mehr beachtet. Wenn ich
irgendwo in einer Stadt bin und dort Thea-
ter spiele, freue ich mich, wenn es regnet.
Dann habe ich einen Schirm dabei, und
dann sieht mich auch keiner. Ich gehe gerne
an Hauswänden lang und versuche, Kontak-
te zu vermeiden. Nicht wegen des Virus, son-
dern generell.
Und wenn man Sie trotzdem erkennt?
Wenn es dann so ist, dann bin ich freund-
lich, aber es muss nicht sein.
Wie passt das zu Ihrem Beruf? Einerseits
wollen Sie die Leute, andererseits wollen


Sie die Leute nicht.
Ich will sie schon. Es ist nur immer die Fra-
ge, wann. Wenn ich gerade eine Suppe esse,
und einer haut mir auf die Schulter, ist das
nicht so lustig. Oder wenn jemand auf mich
zugerannt kommt und einen Meter vor mir
stehen bleibt und sagt: „Kenn ich Sie?“ Ich
antworte dann immer: „Das weiß ich nicht,
das müssen Sie doch wissen?“ Es gibt aber
auch Situationen, wo es okay ist, wo die Leu-
te einfach nett sind. Das ist schon schön.
Aber wenn ich das alles nicht mehr hätte,
wäre es auch nicht schlimm.
Wenn man Sie final würdigen wollte, was
müsste da unbedingt erwähnt werden?
Dass ich immer noch arbeite, dass ich im-
mer noch da bin. Ich saufe und rauche. Also
saufen nicht mehr so, aber rauchen.
Was hat man als 70-Jähriger zu verlieren?
Nichts. Mein Arzt sagt immer zu mir: Hör
nicht auf, schränke es ein. Was soll er auch
sonst sagen?
Haben Sie einen Überblick über das, was
Sie über all die Jahre angestellt haben?
Nein. Das interessiert mich auch gar nicht
so sehr, wenn ich ehrlich bin. Wir haben ja
diese Geburtstagssendung aufgezeichnet
für Sat 1, die am 3. April läuft, da sind so ein
paar Erinnerungen hochgekommen. Da
war fast die gesamteRTL Samstag Nacht-
Crew da. Das war schön, die mal auf dem
Haufen wiederzusehen. Ansonsten denke
ich über das, was war, nicht nach.
Wenn man sich die Titel Ihrer Sendungen
anschaut, dann findet manTalk im Tudio,
Jetzt wird eingelochtundDer Klügere
kippt nach. Hatten Sie niemals Angst, in
der Wortspielhölle zu landen?
Ja, hatte ich. Machte mir aber nichts. War
mir egal. Ich bin so ein alter Heinz-Erhardt-
Freak. Der war der König der Kalauer. Mich
hat das immer fasziniert. Ich habe da auch
überhaupt keine Berührungsängste. Wir
wollten mal Theaterstücke umdichten und
aus „Sechs Personen suchen einen Autor“
„Sechs Personen suchen ein Auto“ machen.
Wenn das dann keiner hören will, dann las-

sen wir es wieder. Man darf das alles nicht
ernst nehmen. Das ist ja der Witz daran.
Ihr Gesamtwerk legt den Schluss nahe,
dass Ihnen immer wurscht war, was die
Leute denken.
Ja, es ist wurscht. Hauptsache, uns hat es ge-
fallen.
Sie hatten nie den Hauch eines Zweifel?
Doch, man sitzt da und fragt sich, ob das ir-
gendjemand versteht. Aber man muss ja
mal Sachen probieren.
So wieDer Klügere kippt nach, die Talk-
show, die Sie hier imZwickaufgezeichnet
haben, bei der die Talkgäste immer betrun-
kener wurden und Hella von Sinnen nur
noch krakeelt hat.
Das ist leider völlig aus dem Ruder gelaufen
und hat sich ein bisschen zu einer Freak-
show entwickelt, was wir nie wollten. Die
Grundidee war ja, so etwas wie Werner Hö-
fer früher mit dem „Internationalen Früh-
schoppen“ zu machen, nur etwas moder-
ner. Man sitzt da, raucht und haut sich ein
Gläschen Wein oder mehr in die Birne.
Da sahen Sie Ihrer Idee beim Scheitern zu.

Absolut. Aber das war auch eine Erfahrung.
Von Folge zu Folge wurde ich böser. Ich soll-
te erst nur der Wirt sein, der die Getränke
bringt, dann musste ich mitquatschen. Da
hatte ich überhaupt keine Lust zu. Egal.
Was hinterlassen Sie dem Fernsehen?
Nichts.
Im nie geschriebenen Lexikon der deut-
schen Fernsehshowgeschichte nehmen
Sie aber doch einige Seiten ein.
Nein, das ist doch alles Wegwerfware, was
wir machen. Ich habe, weil das Theater nun
zu ist, gestern den ganzen Abend Arte ge-
guckt und weiß jetzt, wie die Relativitätsthe-
orie funktioniert. Das war ein großer Be-
richt über Stephen Hawking und Einstein.
Diese Leute haben etwas hinterlassen. Ich
hinterlasse nichts. Null. Zwei Kinder – ja.
Mehr nicht. Das ist alles sehr schön gewe-
sen, auch sehr lustig, und wenn es die Leute
gefreut hat, war das auch schön.
Aber Sie haben so viel gemacht: Kabarett
mit Harald Schmidt, Sie waren Radiomode-
rator und sind als Schlagersänger in Ilja
RichtersDiscoim ZDF aufgetreten.

Danach war ich noch Herr Feldmann, der
Hund, in einer Frank-Zander-Show. Ich
war alles. Aber das ist nichts, was die Nach-
welt interessieren müsste.
MitAlles nichts oder?!haben Sie Ende der
80er-Jahre immerhin so etwas wie Anar-
chie ins RTL-Programm gebracht.
Das stimmt, aber das hätte alles nicht funk-
tioniert, wenn wir es nicht in einer Zeit ge-
macht hätten, in der sowieso alles neu ge-
macht wurde. Das Privatfernsehen blühte
gerade auf, und wir hatten da bei RTL mit
Leuten wie Helmut Thoma als Geschäfts-
führer und Marc Conrad als Programmbe-
stimmer Leute, die einfach sagten: Macht
mal! Ich war eben oft zur richtigen Zeit am
richtigen Ort. Wir haben uns aber nie als
große Vorreiter empfunden, für uns war
das einfach nur ein großer Spaß.
Aber Gags ausRTL Samstag Nacht, das Sie
als Produzent mit angeschoben haben, er-
zählt man sich heute noch.
Ja, aber das war nicht direkt ein großer
Spaß. Wir hatten das große Glück, dass
Marc Conrad das unbedingt wollte. Thoma
wollte das nämlich nach der zweiten Folge
schon absetzen.
Warum?
Weil es nicht lief. Das wurde nachts um
zwölf gesendet, und keiner guckte zu, weil
keiner die Leute kannte, die da auftraten.
Dann hat Rudi Carrell einen Brief an RTL ge-
schrieben. Darin fragte er Thoma, ob er
denn wüsste, was er da für ein Juwel hätte.
Den Brief haben wir uns ins Büro gehängt.
Danach haben sie sich bei RTL entschlos-
sen, die Sendung einfach früher zu senden,
und dann ging es los.
Wäre Ihr Leben ohneTutti Fruttiärmer?
Ne, anders. Ich weiß nicht, ob wir ohne die-
se ShowRTL Samstag Nachthätten machen
können. Ich bin nachTutti Fruttizu Conrad
gegangen und habe gesagt: Ich mache jetzt
eine lange Pause. Ich habe damals gemerkt:
Ich bin verbrannt durchTutti Frutti.Ich
konnte ja machen, was ich wollte, ich blieb
immer der Titten-Mann. Da hat Conrad ge-

sagt: Dann produzier doch was. Daraus wur-
deRTL Samstag Nacht.
So hatTutti FruttiSpätfolgen ausgelöst.
Es gibt heute immer noch Leute, die brüllen
„Blaubeere“ oder „Erdbeere“, wenn sie
mich sehen. Damit muss ich leben. Dabei
können sich die Leute gar nicht vorstellen,
wie das damals bei den Aufzeichnungen in
Mailand war. Die denken, das war High
Life. Nee, war es nicht. Das war Schicht, das
war Fließbandarbeit, jeden Tag vier Sen-
dungen, manchmal fünf. Für uns war das
aber auch Kabarett. Wir haben das alles
nicht ernst genommen.

Sie haben wenigstens gut verdient daran.
Ich hätte mehr verdienen können. Conrad
hat mir Jahre später gesagt: Wenn du das
Zehnfache verlangt hättest, wir hätten es
dir auch gezahlt.
Was haben Sie bekommen pro Folge?
Ich weiß es nicht mehr genau. Ich glaube, es
waren am Anfang 3000 Mark, später dann
5000 Mark. Das war viel Geld damals.
Der Start einer großen Karriere.
Die ich nie gemacht habe. Ich habe einfach
keine Ellenbogen. Wenn ich früh anders ge-
wesen wäre, als ich bin, wäre ich vielleicht
Chef von irgendeinem Sender geworden.
Aber da muss man über Leichen gehen. Das
kann ich nicht.
Machen Sie nebenGenial daneben noch
mal was im Fernsehen?
Ich weiß es nicht. Vielleicht. Ich bin ja nie
Mainstream gewesen. Ich kann das nicht.
Auch die ganzen Schlager, die ich früher
mal gemacht habe, das war alles Verarsche.
Das hat nur keiner mitgekriegt. Ich habe
das alles nicht ernst gemeint.
interview: hans hoff

„Ich bin ja nie
Mainstream gewesen.
Ich kann das nicht.“

„Ich hinterlasse nichts. Null.“


Der Moderator, Produzent und Schauspieler Hugo Egon Balder wird 70 Jahre alt. Ein Gespräch über Wortspielhöllen, „Tutti Frutti“-Spätfolgen und Fließbandarbeit


von willi winkler

W


oody Allen, das wird selbst
von Historikern gern über-
sehen, hat auch einen Hor-
rorfilm gedreht. InWas Sie
schon immer über Sex wis-
sen wollten, aber bisher nicht zu fragen
wagten(1972) bedroht eine gigantische
Brust knutschende Liebespaare. Am Ende
des Sketches wird das marodierende
Monster in einem ebenso monströsen Büs-
tenhalter eingefangen, doch der Polizei-
chef bleibt skeptisch: „Normalerweise
sind es immer zwei“ – was, wenn die ande-
re weiter ihr gefährliches Unwesen treibt?
Das tut sie, das tun sie beide, aber zum
Glück hat sie der Werbegrafiker Hugh Hef-
ner zu fassen bekommen. Seit 1953 präsen-
tierte er imPlayboydas, was in der Män-
nerfantasieparodie von Woody Allen zum
Fürchten war: große Brüste, kleinere Brüs-
te, Brüste von vorn, seitlich, liegend, Brüs-
te, soweit das Auge reicht, aber immer
Zwillinge, Traum und Trauma einer un-
heilbar infantilen Männerwelt, die nie
über die frühkindliche Entwöhnung von
der alma mater hinweggekommen ist.
Und damit soll es jetzt vorbei sein – die
Welt, die US-amerikanische zumal, muss
auf einen Schlag erwachsen werden. Am
Mittwoch gab Ben Kohn, CEO von Playboy
Inc., bekannt, dass derPlayboynach 66
Jahren die Printausgabe einstellt, weil die
„Lieferkette“ unterbrochen sei. Zu der Ent-
scheidung hätten letztlich auch Einbußen
im Anzeigengeschäft wegen der Corona-
Krise geführt, schreibt Kohn. Man wolle
nun auf das Digitalangebot setzen.

Der gedrucktePlayboywäre also der Co-
rona-Pandemie erlegen. DerPlayboyals
erstes Opfer einer weltweiten Krise, das
passt ganz bestimmt zu seiner histori-
schen Bedeutung, auch wenn es nur ein
vorgeschobener Grund sein sollte.
DerPlayboywusste sein Angebot durch
ein großes papierenes Feigenblatt aus
Kurzgeschichten und legendären Inter-
views zu rechtfertigen. Im Gründungsjahr
1953 erschien in drei Lieferungen Ray
Bradburys nachmals berühmter Zukunfts-
romanFahrenheit 451. Norman Mailer, Go-
re Vidal, John Updike und Philip Roth rei-
cherten über die Jahre die vielfältigen
Brüste mit hundertprozentig echter Litera-
tur an. Auch Woody Allen, damals noch
Gagschreiber und Stand-Up-Comedian,
war einer der namhaften Beiträger, mach-
te 1966 Werbung für teure Kameras und
linste durch einen Lichtmesser, um vor ei-
ner allerdings bekleideten Brust den doo-
fen Satz von sich zu geben: „Jetzt weiß ich,
wie sich Sir Edmund Hillary fühlte“ – ge-
meint war der Neuseeländer, der dreizehn
Jahre zuvor als erster den Mount Everest
bestiegen hatte.
DerPlayboywar nicht sofort ein kultu-
relles Artefakt gewesen. Klein hatte das
Magazin 1953 begonnen, mit fünfzigtau-
send Auflage, aber bereits mit einer
jugendfrischen, ausklappbaren Marilyn
Monroe zum Privatstudium. Es waren die
Eisenhower-Fünfzigerjahre, als die Mäd-
chen Petticoats trugen und die Autos mit
riesigen Flossen durch die Straßen rausch-
ten und die Eisdiele abends in Bonbon-Ne-
on erstrahlte. Die Männer waren siegreich
aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt
und die Frauen an den Herd, aber die Sehn-
sucht war geblieben. DerPlayboyverstand
die Männer und nahm sie an die Hand. Als
Bückware, unter dem Ladentisch ver-

kauft, immer mal wieder von Beschlagnah-
me bedroht und durch ständige morali-
sche Missbilligung erhöht, wurde derPlay-
boyzum Erfolg, beförderte die Libertinage
schon, ehe in den Sechzigern die sogenann-
te freie Liebe auf den Markt drängte. Der
Höhepunkt mit mehr als sieben Millionen
Auflage war im November 1972 erreicht,
als dem Republikaner Richard Nixon eine
triumphale Wiederwahl gelang.
Die Politik wurde im Magazin nicht ver-
nachlässigt, die Watergate-Aufklärer ka-
men ebenso zu Wort wie der demokrati-
sche Präsidentschaftskandidat Jimmy Car-
ter, der im ausführlichen Interview zugab,
dass er, in Gedanken selbstverständlich
nur, gelegentlich nach anderen Frauen
lüstete. Gewählt wurde er trotz oder viel-
leicht wegen dieses Bekenntnisses, das
ihn vom Image des Sonntagsschulfrömm-
lers befreite.
Die Herkunft aus dem Spind, wo das
Pin-up den einfachen amerikanischen Sol-
daten beim Dienst an der Waffe unterstütz-
te, hat derPlayboynie geleugnet. In einer
ausführlichen Reportage wurde 1966 ge-

schildert, wie es gelang, ein Playmate als
Abo-Prämie nach Vietnam zu verschiffen,
und auch nicht vernachlässigt, wie dank-
bar sich die GIs über diese Liebesgrüße
zeigten. In Francis Coppolas FilmApoca-
lypse Now(1979) kündigt der Musikpromo-
tor Bill Graham die Bunnys an, die einem
Hubschrauber mit Playboy-Logo entstei-
gen, mit gebrauchsfähigen Gewehren
hantieren und damit, wie’s ihr Auftrag, die
ausgehungerten Soldaten zum Wahnsinn
treiben.
Sigmund Freud konnte da keinen Stich
machen, da gab es nichts zu analysieren,
das Geheimnis war offenbar, die „Dinge“,
die Männern liebten, wie der Untertitel
des seit 1972 in Deutschland verkauften
Ablegers lautete, waren die Frauen, am
liebsten genossen in Gesellschaft von
Whiskey, Waffen und Autos. DerPlayboy
wurde nämlich nicht bloß zum Synonym
für Sex, sondern brillierte als Schaufens-
ter des Westens: Luxusgüter waren wie die
Frauen im Übermaß im Angebot für den,
der sich’s leisten konnte. Selbst James
Bond, der mit der einen Hand nach seinem

Martini fasst und mit der anderen an eine
Agentin, ist ein Abkömmling dieser synthe-
tischenPlayboy-Welt.
Trotz des heldenhaften Einsatzes der
Bunnys ging der Vietnamkrieg verloren.
Hugh Hefner schickte einen ebenso absur-
den wie erfolgreichen Werbegag hinter-
drein. Die Bunnys bekamen 41 angebliche
Waisenkinder in die Hände gedrückt, die
in einer dramatischen Propagandaaktion
1975 bei Kriegsende aus Vietnam heraus-
geholt worden waren. Hefner beteiligte
sich an diesem patriotischen Unterneh-
men, das die demütigende Niederlage
durch eine humanitäre Aktion verdecken
sollte, und stellte neben den Flugbegleite-
rinnen auch sein eigenes Flugzeug, das na-
türlich „Big Bunny“ hieß, für die Überfüh-
rung nach New York zur Verfügung.
Über mehr als sechs Jahrzehnte bot der
Playboyeine schwindel- und natürlich
auch sonst erregende Galerie von Brüsten,
die immer größer, und Beinen, die immer
länger wurden. Was einmal ein Abbild des
„Mädchens von nebenan“ sein sollte, rück-
te in immer weitere Ferne. ImPlayboywar

wenigstens ein Vorschein vom Paradies
geboten, das allen offenstand, die das Heft
kauften.
Die Lieferkette wurde nie durchbro-
chen; noch jedes Playmate hat brav
behauptet, es sei ihr lebenslanger Traum
gewesen, sich imPlayboyauszuziehen.
Erst vor wenigen Tagen bot sich die Coun-
try-Sängerin Dolly Parton, die bereits im
Oktober 1978 vom Titel quoll, demPlay-
boyzur Feier ihres kommenden fünfund-
siebzigsten Geburtstags als Motiv an.
Irgendwann durften sich auch schwar-
ze Mädchen ausziehen, Latinas, Chinesin-
nen, women of color, da war Hefner libera-
ler als die ihn umgebende Gesellschaft.
Wo zwei oder drei in seinem Namen unter
dem Häschen-Logo zusammenkamen,
war immer Party. Im „Playboy Mansion“
trafen sich Filmstars, Fernsehmoderato-
ren und Spitzensportler und konnten sich
in aller Ruhe nach geeigneten Vorzeige-
frauen umsehen. Donald Trump war nicht
der einzige Gast, der von der Ostküste
herüberschaute und dabei war, wenn
Hefner im Pyjama seine peroxidblonde
Rollerskater-Brigade anführte, mit der er
sich anschließend in den temperierten
Pool stürzte. Der amerikanische Präsi-
dent, ein mustergültiger Vertreter der sur-
realenPlayboy-Welt, hat, soweit bekannt,
bisher nicht die Absicht, sein Erscheinen
einzustellen.

Seit Jahren, seit Jahrzehnten eigentlich,
dankt der Mann ab, heißt es, ausgespielt
hat er, ist einfach nicht mehr auf der Höhe
der Zeit. Beim Studium desPlayboys, bei
der Meditation über dem centerfold, muss-
te er diese Zurücksetzung nicht fürchten.
Hier blieben die Buben unter sich, hier
krümmte ihnen keine Feministin ein einzi-
ges Nasenhaar, hier waren sie unverwund-
bar und durften sich in einem gigan-
tischen Bällebad tummeln, ohne dass die
Mama den kleinen Sven oder Joe heraus-
gerufen hätte.
Im neuen Jahrtausend wirkte derPlay-
boyjedoch zunehmend museal. Er zeigte
noch immer, so schön sie war, die Welt von
gestern. DerPlayboykonnte seine Mäd-
chen ausleuchten, einölen, aufpumpen,
morphen, rasieren, bemalen oder tätowie-
ren, wie es wollte, das Internet konnte es
besser und umsonst, der Reiz des Uner-
reichbaren zerging. Die Macht der Sehn-
sucht ist längst ins Internet abgewandert,
wo auf die pfeifenrauchende Stilisierung
zum Lebemann leichten Herzens verzich-
tet wird. Das Magazin hatte längst mit
einer sinkenden Auflage zu kämpfen, in
Deutschland wie in den USA.
Nicht mal die Entfernung des Unterti-
tels, der „Entertainment for men“ ver-
sprach, konnte das Blatt wenden. Schon
gar nicht, was für ein Missverständnis!,
der vorübergehende Verzicht auf nackte
Frauen. Bei vierteljährlicher Erschei-
nungsweise wurden zuletzt nur wenig
mehr als zweihunderttausend Exemplare
an den Mann gebracht. Die deutsche Aus-
gabe will immerhin tapfer weitermachen.
Hugh Hefner, der sich gern mit seiner phal-
lischen Pfeife als wandelndes Klischee für
eine Instant-Analyse empfahl, hat den
Niedergang nicht mehr erlebt. Er starb
2017 hochbetagt und bis zuletzt wohlverse-
hen mit Bunnys. In den Nachrufen wurde
er, worüber er herzlich gelacht hätte, als
Vorkämpfer der Frauenbewegung gefei-
ert. DerPlayboyhat ihn nicht lang über-
lebt, aber das große Projekt der Aufklä-
rung ist vollendet.

Im neuen Jahrtausend wirkte
er zunehmend museal. Hier
blieben die Buben unter sich

Auch beim WDR-Tatortwar dem Traditi-
onsermittlerduo Ballauf/Schenk vorüber-
gehend ein moderneres Design verpasst
worden, zum Beispiel wurde sogar auf
den Einsatz der guten alten Wurstbude
verzichtet, vor der die Kommissare gern
standen und räsonierten. Inzwischen
allerdings, im Zeitalter der Experimente
an allenTatort-Standorten, steuern die
Kölner den konsequenten Gegenkurs.
„Niemals ohne mich“ ist ein klassischer
Whodunit, die klassische Wurstbude
kommt sogar zweimal vor, die klassi-
schen Kommentarfragen dieser Folge
(„Wo waren sie gestern zwischen 20 und
23 Uhr?“) stellte schon Harry Klein im
Derrick der frühen Achtziger. Und
Inspektor Ballauf (Klaus J. Behrendt)
beschäftigt sich mal wieder gedanklich
mit dem Elend des Lebens, kleidet seine
Überlegungen aber in schmerzhaft klassi-
sche Wendungen: „In was für ’ner Welt
leben wir denn?“
Andererseits – man sieht es ja gerade
draußen vor der Tür – verliert diese
Frage nie an Aktualität, und auch in
diesem speziellen Tatort-Zusammen-
hang ist sie treffend gestellt. Eine Mitar-
beiterin des Jugendamtes ist umge-
bracht worden, Regisseurin Nina Wol-
frum und Autor Jürgen Werner erzählen
eine bittere Geschichte über Sorgerechts-
schlachten, traumatisierte Kinder, Ehe-
kriege. Man grüßt sich standesgemäß:
„Fick dich, Rainer!“ Dem Ehepaar Hilde-
brandt (Katrin Röver und Peter Schnei-
der) ist über die Jahre aller Respekt vor-
einander flöten gegangen. Die beiden
lassen den Zuschauer sehr deutlich nach-
empfinden, was passiert, wenn aus Liebe
nicht, wie üblich, Gleichgültigkeit wird.
Sondern Hass.
Die Episode lebt von der Klasse sol-
cher Darsteller und Darstellerinnen, und
sie wird ausgerechnet da schwächer, wo
sie in Traditionellem verfangen bleibt.
Altbackene Dialoge der Kommissare,
ewige Rumfahrerei mit dem Auto, und
der Assistent Jütte (Roland Riebeling) ist
so überdeutlich als schusselige Figur
angelegt. Wenn er kommt, wird’s leicht.
Womöglich wird dieserTatortkonsumier-
barer durch Rituale und Heiterkeit, was
ja wichtig ist am Sonntagabend. Noch
stärker wäre er gewesen, wenn er sich
getraut hätte, ein hartes Sozialdrama zu
bleiben.


Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.


Als Feigenblatt fungierten die
die Kurzgeschichten
und legendären Interviews

30 MEDIEN HF2 Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020, Nr. 68 DEFGH


Noch immer rufen Leute,
wenn sie ihn sehen, wegen
„Tutti Frutti“: Erdbeere! –
Hugo Egon Balder.FOTO:DPA

Der US-amerikanische „Playboy“ – da war die Titelseite nicht einfach nur
das Zugangstor in den Erwachsenenbereich. Das Cover war auch ein stilvol-
les Spiel mit Symbolen, Bildzitaten und Berühmtheiten. FOTOS: PLAYBOY

Bunny, go home


Er war das Spiegelbild einfacher Männerwünsche: Nach 66 Jahren


stellt der US-amerikanische „Playboy“ seine Printausgabe ein


von holger gertz

Ehekriege


Folge 11/2019
Kommissare: Ballauf/Schenk

TATORTKOLUMNE

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