12 |SA./SO.,21./22.MÄRZ2020DAgenda:AgendaCoronavirus-Krise ERSTANDARDWOCHENENDE
Bürgermeister MichaelLudwig (SPÖ)lobtdenUmgang der Bevölkerung mit denAusgangsregeln. Esgebenurwenigeschwarze
Schafe. DieTestungenbeiVerdacht auf Coronavirus über mobileTeamsseien ausreichend.Kritiker,die mehrHygienein
Spitälern fordern,beruhigtLudwig:NeueVorgaben erlaubtenes, desinfizierte Gesichtsmaskenein zweitesMal zuverwenden.
INTERVIEW:Rosa Winkler-Hermaden
„Wir werden keineMauer
um Wien bauen“
I
ch mache kein Homeoffice, ich bin
jeden Tag im Rathaus“, sagt Wiens
Bürgermeister Michael Ludwig
(SPÖ) im telefonischen Interview
mit demSTANDARD.Dennoch hat
sichindenvergangenenTagenviel
für das Stadtoberhaupt verändert.
Eine Krisensitzung jagt die nächste.Ludwig
ist aber sehr zufrieden mit dem Umgang der
Wienerinnen und Wiener mit dem Corona-
virus. Die Bevölkerung sei „extrem diszipli-
niert“. Die Wien-Wahl möchte er derzeit
nicht verschieben.
STANDARD:DieWiener Stadtregierung hat
einen Covid-19-Fall. Wie geht es Wohnbau-
stadträtin Kathrin Gaal?
Ludwig:Es geht ihr den Umständen entspre-
chend gut. Ich bin mit ihr laufend telefo-
nisch in Kontakt. Sie hat einen sehr milden
Verlauf. Sie hat eigentlich kein Fieber, nur
starken Schnupfen und schmeckt und
riecht nichts. Sie entwickelt eine Resistenz,
das kann auch ein Vorteil sein, wenn wir
jemanden in der Stadtregierung haben, der
die Krankheit bereits durchgemacht hat.
STANDARD:Sind Sieselbst nach Bekannt-
werden getestet worden?
Ludwig:Nein, bin ich nicht. Ich werde als
Bürgermeister nicht anders behandelt als
alle anderen Wienerinnen und Wiener.
STANDARD:Sorgen Sie sich, dass auch an-
dere Stadträte infiziert sein könnten?
Ludwig:Wir sind als Politiker viel in Kon-
takt mit Menschen und daher eine Risiko-
gruppe. Aber wir versuchen, alle Maßnah-
men einzuhalten: Händewaschen, Abstand
halten, soziale Kontakte einschränken.
STANDARD:Für Bundeskanzler Sebastian
Kurz wurde ein Notfallbett im Bundeskanz-
leramt aufgestellt. Müssen Sie im Rathaus
übernachten, sollten Sie sich anstecken?
Ludwig:Ja,das wäre möglich. Es ist vorge-
sorgt, dass ich meine Funktion weiter aus-
üben kann, auch wenn ich mich anstecke.
STANDARD:Innerhalb weniger Tage wurde
das Leben in Wien komplett umgestellt. Viele
Menschen arbeiten zu Hause, Gasthäuser
haben zu, Schulen sind geschlossen. Wie
verhalten sich die Bewohner?
Ludwig:Ich nehme die Wiener Bevölkerung
als extrem diszipliniert wahr. Wenn ich
hier im Rathaus beim Fenster rausschaue
sehe ich nicht nur den Rathauspark, son-
dern Teile der Ringstraße, bis hin zum Hel-
denplatz. Ich sehe, dass wenige Menschen
unterwegs sind und alle einen Sicherheits-
abstand einhalten. Mir ist wichtig, dass alle
Maßnahmen streng angewandt werden.
Aber auf der anderen Seite darf man nicht
den Eindruck erwecken, dass die Men-
schen überhaupt nicht mehr hinausdürfen.
STANDARD:Es gibt Bilder von überfüllten
Freiflächen, etwa am Donaukanal, im Pra-
ter oder auf der Donauinsel. Die Zahl der An-
zeigen liegt bei mehr als 500 in Wien.
Ludwig:Bei zwei Millionen Einwohnern!
Dass es Einzelfälle gibt, die sich nicht an
die Regeln halten, gilt ja insgesamt für das
Zusammenleben. Aber in der jetzigen Aus-
nahmesituation gibt es nur wenige
„schwarze Schafe“, wenn Sie so wollen.
STANDARD:Es gilt vor allem ältere Men-
schen zu schützen. Die Neos kritisieren, dass
Sie Taxi-Gutscheine an die Menschen ab 65
verteilen. Ist das sinnvoll?
Ludwig:Es muss sichergestellt sein, dass
auch ältere Menschen beliefert werden
können. Wenn die Lieferketten unter Druck
kommen sollten, dann wird das notwendig
sein. Maßnahmen müssen zeitgerecht ent-
wickelt werden. Das gilt generell für die Be-
wältigung dieser Krise, dass man immer
den nächsten Schritt andenken muss. Das
ist auch der Grund, warum ich in der Mes-
se Wien ein Betreuungszentrum errichtet
habe, obwohl es jetzt noch nicht notwendig
ist. 880 Personen, die leicht erkrankt sind,
können dort behandelt werden. Bei Bedarf
noch mehr. In solcher Situation ist Umsicht
gefordert,nichtparteipolitischesHickhack.
STANDARD:DieGutscheine sind also dazu
da, sich Lebensmittel liefern zu lassen, und
nicht, um ins Grüne zu fahren?
Ludwig:Auch. Aber auch für andere Mobi-
litätsanforderungen. Menschen über 65
können nicht Wochen oder Monate in ihren
Wohnungen eingesperrt bleiben.
STANDARD:Kritik gibt es daran, dass sich
Ärzte aus Krankenhäusern bereits infiziert
Ein Notfallbett steht im Rathaus bereit. Sollte Wiens
Bürgermeister Michael Ludwig selbst erkranken,
bleibt er auch über Nacht im Amtsgebäude.
Foto: Heribert Corn
haben. Warum wird Personal nicht flächen-
deckend getestet? Soll es gemacht werden?
Ludwig:Wenn Sie heute jemanden testen,
kann es sein, dass das Ergebnis ein paar
Stunden später keine Gültigkeit mehr hat.
Das Personal wird beim Zutritt kontrolliert.
Wir haben in allen Spitälern Schleusen ins-
talliert, damit Personal und Patienten ge-
trennten Zutritt haben. Auch Fiebermes-
sungen werden durchgeführt.
STANDARD:Solltedas Personal täglich auf
das Virus getestet werden?
Ludwig:Es gibt jetzt die ersten Schnelltests,
bisher dauerten sie vier Stunden. Das ist
vom Ablauf her schwierig.
STANDARD: Experten fordern flächende-
ckende Test. Was halten Sie von Drive-in-
Stationen, die es in Südkorea gibt?
Ludwig:Derartige Pläne gibt es für Wien
nicht.WirsetzenaufmobileTeamsdesÄrz-
tefunkteams, die Menschen vor Ort testen.
STANDARD:Sind genug Teams im Einsatz?
Ludwig:Derzeit sind 22 Teams unterwegs.
STANDARD:Wird hier noch aufgestockt?
Ludwig:Manmuss das beobachten. Bei der
Service-Nummer 1450 hat es mit bis zu
20.000 Anrufen pro Tag einen großen Hype
gegeben. Jetzt gehen die Zahlen zurück.
Viele haben ihren Informationsbedarf über
diese Nummern abgedeckt. Da entspannt
sich jetzt die Situation ein wenig..
STANDARD: Österreich hat zu wenige
Schutzmasken, um die ganze Bevölkerung
zu versorgen. Die Schneidereien in Wien fer-
tigen nun welche an. Hätten die Behörden in
Österreich stärker vorsorgen müssen?
Ludwig:Die Lkw mit Schutzausrüstung, die
an der Grenze zu Deutschland aufgehalten
wurden, sind mittlerweile weitergeleitet
worden. In Wiens Spitälern haben wir eine
strategische Reserve an Schutzkleidung an-
gelegt. Außerdem dürfen Hygienemasken
nun auch recycelt werden. Hier gibt es eine
neue Richtlinie für die Desinfektion und
Aufbewahrung der Masken, das ist beruhi-
gend.
STANDARD:Wien hat ein Coronavirus-Son-
derbudget in Höhe von 85 Millionen Euro ge-
schnürt. In erster Linie wird damit die Wirt-
schaft unterstützt. Viele sind schon arbeits-
losoderwerdeninKurzarbeitgeschickt.Wel-
che Unterstützung ist für daraus resultieren-
de soziale Härtefälle vorgesehen?
Ludwig:Primär sind Maßnahmen von der
Bundesregierung zu setzen. Wir haben uns
zusätzlich in Abstimmung mit den Sozial-
partnern Schritte überlegt. Kunst- und Kul-
turschaffende sind etwa besonders gefor-
dert. Ihre Auftritte werden nun übers Inter-
net übertragen. Sie erhalten dafür ein Ho-
norar.
STANDARD:Was,wenn aufgrund von Kün-
digung oder Kurzarbeit jemand seine Miete
nicht mehr zahlen kann?
Ludwig:Wir haben angeordnet, dass es in
den städtischen Wohnhausanlagen zu kei-
nen Delogierungen kommt.
STANDARD:In Tirol sind alle Gemeinden
mittlerweile in Quarantäne. Sind die Maß-
nahmen rasch genug erfolgt?
Ludwig:Jeder Politiker trifft seine Entschei-
dungen vor Ort. Ich maße mir nicht an, über
ein anderes Bundesland zu urteilen.
STANDARD:Bis zu den verstärkten Maßnah-
men in Tirol war es jederzeit möglich, dass
man aus dem Bundesland nach Wien reist.
Sollte sich die Bundeshauptstadt abschot-
ten, um die Infektionen einzuschränken?
Ludwig:Nein, das tun wir nicht. Das ist in
einer Stadt wie Wien unmöglich. Wir wer-
den keine Mauer um Wien bauen, aber alle
Sicherheitsvorkehrungen einhalten.
STANDARD: Nun wurde bekanntgegeben,
dass die Einschränkungen bis Ostermontag
gelten. Könnte es noch länger werden?
Ludwig:Das hängt von der Entwicklung der
Kurve ab und ob es gelingt, den Peak abzu-
flachen. Dann wird man sehen, ob sich die
Kurve verlängert, das ist ja die Konsequenz
daraus. Wir müssen nicht nur schauen, wie
viele Personen sich infizieren, sondern
auch, wie der Verlauf ist. In Wien gibt es
derzeit eine sehr sanfte Steigerung. Das
heißt natürlich nicht, dass es so bleibt.
STANDARD:Wird es auch in Wien weitere
Verschärfungen brauchen? Kommen Aus-
gangssperren?
Ludwig:Ich hoffe nicht. Wir liegen, was die
Anzahl der Infizierten betrifft, im Bundes-
ländervergleich genau in der Mitte, obwohl
wir eine Millionenstadt sind.
STANDARD:DieWien-Wahl soll im Herbst
stattfinden. Wird sie verschoben?
Ludwig:Aus heutiger Sicht nein. Aber nie-
mand weiß, was im Oktober ist.
MICHAEL LUDWIG(58)ist s eit Mai 2018 Wiener
Bürgermeister.
„Menschen über 65können
nichtWochen oderMonate
in ihrenWohnungen
eingesperrt bleiben.“
Michael Ludwig (SPÖ)