Kultur
WATCHLIST
Foto: Heribert Corn
Theater
Am Sonntag (ab8Uhr!) eröffnet
dasRabenhoftheatereinen neu-
en Youtube-Kanal, auf dem wö-
chentlich zwei neue Inszenie-
rungen der letzten Jahre zu-
gänglich gemacht werden, je-
weils eine Woche lang gratis ab-
rufbar. Den Anfang macht das
Debüt von Vea Kaiser über Me-
dea,Die Argonauten.(afze)
3 Kabarett
DasGlobeTheatervon Michael
Niavarani überbrückt die Coro-
na-Schließzeit mit einem Gratis-
Streamingdienst. Zu sehen gibt
es die Shakespeare-Adaption
Romeo und JuliaoderZu blöd um
alt zu sein–ein Gespräch zwi-
schen Niavarani und Otto
Schenk. Laufend kommen neue
Videos dazu. (stew)
2 Konzert
Von Montag bis Freitag holt das
ORF Radiokulturhausjetzt Live-
Konzerte aus seinem Archiv
und macht sie öffentlich als all-
abendlichen Stream (20 Uhr)
zugänglich. Vor allem Bands
und Interpreten aus Österreich
sollen gezeigt werden, darunter
Sofa Surfers, GustavundFeder-
spiel.Hört, hört. (kr)
4 Film
Thomas Heises Dokumentar-
filmHeimatist ein Raumaus Zeit
bietet sich schon aufgrund sei-
ner epischen Länge von fast vier
Stunden zum Nachholen an. In
seinem preisgekrönten Essay
durchschreitet er bruchstück-
haft die eigene Familienge-
schichte. Jetzt als Stream über
http://www.filmgarten.at.(kam)
In Zeiten der Kriseliefert Amazon Bücherverspätet –
davonprofitieren lokale Buchhändler.
BÜCHERBOOM
Es brauchteinen freien Diskurs
über unsereArt zu leben.
GLÜCK
Seite 32 Gastbeitrag Seite 34
SA./SO., 21./22.MÄRZ2 020 31
Kultur
Foto: Getty
Images
Fein sein, auseinander bleiben
Washat die Corona-Krise aus unsMenschengemacht?„Der Einvernehmliche“, „der
Abschüssige“, „die Desinfizierte“: Charaktermasken, die derAusnahmezustandgeschaffen hat.
RonaldPohl
I
hm kommt die Beschränkung
auf die Häuslichkeit wie ge-
rufen. Er nützt die Augenbli-
cke des Außer-Haus-Seins da-
zu, Anschluss an seine Mit-
menschen zu suchen. Der Ein-
vernehmliche lebt vom knis-
ternden Aufflackern einer un-
bezähmbaren Jovialität. Jede
Wildfremde an der nächsten
Ecke wird ihm auf Zuruf zur
guten, alten Bekannten. Er
sucht keine Zustimmung, er
setzt sie voraus: Ja, die Regie-
rung hat–nach allgemeinem
Dafürhalten–richtig gehan-
delt! Der gegenteiligen Aussa-
ge würde er seine Zustimmung
freilich ebenso wenig versa-
gen: Nichts stellt der Einver-
nehmliche lieber her als Kon-
sens mit beliebigen Nächsten.
Leider begegnet er solchen zu-
sehends seltener.
DER
EINVERNEHMLICHE
A
nden von ihm bevorzugten
Mehlsorten schätzt er die
Tendenz zur Teigwucherung.
Von allen Gegenstandstypen
des täglichen Bedarfs nimmt er
zwei. Bricht er eine beliebige
Packung an, wandert der Blick
bereits, Beruhigung suchend,
zur nächsten hinüber. Doch im
Kopf ist und bleibt der Hefe-
hamstererein unbeirrbarerVer-
fechter der Trinitätslehre: Zwei
Exemplare ein und desselben
Bedarfsartikels sind bestimmt
eine feine Sache. Doch erst mit
dem dritten, obenauf gestapel-
ten gerät die bangende Psyche
in den Modus einer im vor-
aus empfundenen, tiefen Be-
friedigung.
DER
HEFEHAMSTERER
F
ür ihn bildet der Ausbruch
aus der häuslichen Isola-
tion ein primär sportives An-
liegen. Wäre sein Mountain-
bike ein–wenn auch dürrer –
Klepper, er gäbe ihm ohne Un-
terlass die Sporen. So teilt er
das immer trockener werden-
de Meer derAusflügler mit pfei-
fenden Speichen. Seine langen
Schussfahrten hügelabwärts
verfügen demgemäßübereinen
empfindlichen Schönheitsfeh-
ler: Sie bringen ihn dem un-
geliebten Ziel der eigenen vier
Wände rascher näher, als ihm
lieb sein kann. Also bricht
er anderntags neuerlich auf,
früher im Morgengrauen, um
noch höhere Gipfel zu er-
strampeln. Die Unstetheit sei-
ner Existenz verhindert das
Zustandekommen derjenigen
menschlichenAnsammlungen,
die Bundesminister Anscho-
ber derart grundlegend zuwi-
der sind.
DER FERIAL
ABSCHÜSSIGE
F
ür ihn gibt der Raum vor
der Computerkamera ein
ausreichend großes Gehege ab,
um sich vor der zugeschalteten
World-Wide-Web-Gemeinde
zu produzieren. Er versteht
sich auf die Kunst des Auf-
dem-Kamm-Blasens. Oder er
erheitert andere, die ebenso
häuslich unfrei sind wie er, mit
dem Vogelflug seiner unge-
zähmten Gedanken. Der Heim-
Catwalker gewinnt unverse-
hens alle Herzen durch sein
Bestreben, die unsichtbaren
Fesseln der Immobilität durch
bloße Willensleistung von sich
abzustreifen. Sein Kunststück
ist ein rares, mitunter auch ein
digital verwackeltes: Er möch-
te zugleich Zylinder und Ka-
ninchen sein, Geschenk und
Gönner in ein und derselben
Person. Der Heim-Catwalker
sorgt für gute Laune und lässt
seine Zuschauer darob verges-
sen, wie bänglich allen gemein-
sam zumute ist.
DER HEIM-
CATWALKER
U
nter ihr müsste man sich
dieserTage eine Ordnungs-
hüterin vorstellen. Ihr obliegt
als Polizistin die wenig ver-
gnügliche Pflicht, die Men-
schen in ihrem natürlichen
Freiheitsdrang zu bremsen. Sie
lebt gewissermaßen von den
Geschenken, die sie (in den
Parkanlagen und Naherho-
lungsgebieten) von den Staats-
bürgerinnen zurückholt: das
Recht auf Versammlungsfrei-
heit. Wie um die Vorläufigkeit
der von ihr vorgenommenen
Konfiskation zu unterstreichen,
trägt sie durchsichtige Einweg-
handschuhe. Aus diesen weg-
geschlossenen Handflächen er-
warten wir uns, nach überstan-
dener Krise, die Rückgabe un-
sererkostbarstenFreiheitsrech-
te. Die Selbstschenkerin grast
die Parks nach Menschen ab,
die voneinander nicht lassen
wollen. Ihr Fingerzeig ist jedes
Mal ein anderer: So viele Per-
sonen, so viele verschiedene
Eigenheime gibt es der Ten-
denz nach.
DIESELBST-
SCHENKERIN
A
nGenauigkeit der di-
gitalen Buchführung
übertrifft er jeden Coro-
na-Liveticker. Die Aus-
breitung der Pandemie
verfolgt er besorgt, jedoch
mit der akribischen Mie-
ne des Naturkundlers. Im
Abzähler verkörpert sich
zuletzt der Typ des Gene-
ralstäblers. Der war einst
darauf trainiert worden,
dasWohl und Wehevieler
Hunderttausender durch
das permanente Umste-
cken signalroter Fähn-
chen sinnfällig zu ma-
chen. Moderne General-
stäbler sind in unseren
Breiten der Kriege ent-
wöhnt. Seine Charakter-
maske hat der Abzähler
unter der Hand weiterge-
geben an den Quotenzäh-
ler: Dieser gewahrt, in
treuer Stellvertretung von
uns allen, die Außerkraft-
setzung von Wachstums-
verboten. Er muss mit un-
fehlbarer Besorgnis zur
Kenntnis nehmen, wie
die Zahl der Infizierten
steigt und steigt. Men-
schen, die unter norma-
len Umständen vor jeder
einfachen Schlussrech-
nung zu kapitulieren pfle-
gen, führen plötzlich mit
großer Selbstverständ-
lichkeit Wörter wie „ex-
ponentiell“ im Mund. Die
Krise schafft ein Heer von
Abzählern; unter diesen
haben sämtliche Milch-
mädchen Zuflucht ge-
nommen, und in ihrem
Gewühle findet man auch
Adam Riese und Eva
Zwerg.
DER
ABZÄHLER
A
nihre Hände gelangt nichts
Unüberprüftes; würde sie
ihre Kräfte anderweitig erhal-
ten können, sie lebte allzu
gerne nur von Luft und Liebe
allein. Von der guten, alten
Kernseife führt ein immer
schmäler werdender Pfad zum
industriell abgepackten Flüs-
sigdesinfektionsmittel.Die Des-
infizierte spürt in der wach-
senden Frequenz des Hausge-
brauchs, wie ihre Hände ver-
dinglichen. Zuletzt erscheinen
sie ihr schlüpfrig-glatt wie die
Kolben einer beliebigen Ma-
schine. Am Horizont der hy-
gienischen Praxis taucht die
uralte Idee endgültiger Ent-
materialisierung auf: Wir ge-
ben einander (horribile dictu!)
nicht mehr die Hände, son-
dern schlüpfen möglichst un-
bemerkt und stressfrei von
einem menschlichen Leib in
den nächsten.
DIE
DESINFIZIERTE
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Foto: iStock