Der Standard - 21.03.2020

(Ron) #1

36 |SA./SO.,21./22.MÄRZ 2020 Kommentar DERSTANDARDWOCHENENDE


dst

.at/cartoons

Wenn Regeln wie Schikanen wirken


Der Corona-Kampf braucht klareBotschaften, sonstfühlen sich dieLeutegegängelt


Im Geruch der Schikane steht auch
die Anordnung, wonach Scheidungs-
kinder den getrennt lebenden Eltern-
teil nicht mehr treffen dürfen. Die Re-
gierung hat zwar mittlerweile verspro-
chen, den Passus zu beseitigen, aber
bereits Bitterkeit verursacht.
Natürlich kann jeder zusätzliche
Kontakt das Virus weiterverbreiten,
dennoch gilt es, Restriktionen gegen
Kollateralschäden abzuwägen. Auch
die seelische Gesundheit ist ein hohes
Gut. Ein Verbot, den Vater oder die
Mutter zu sehen, bedeutet für Kinder
mit intaktem Verhältnis zu den Eltern
eine schwer verkraftbare Härte.

Minder schlimme Folgen, aber zu-
mindest Verunsicherung provoziert
das Hin und Her bei der Homeoffice-
Frage: Erst kündigte die Regierung die
Pflicht zur Arbeit daheim an, dann
machte sie einen Rückzieher. Auch
hier hat die Koalition die Souveränität
verloren, die sie in den ersten Tagen
der Krise grosso modo auszeichnete.
Der Kampf gegen das Coronavirus
braucht eindeutige Botschaften, die
klare Grenzen ziehen. Andernfallsfüh-
len sich die Leute gegängelt. Das schürt
den Groll auf die Behörden–und un-
tergräbt erst recht die Disziplin, sich
an Anordnungen zu halten.

W


er dieser Tage auf der Wiener
Donauinsel unterwegs war,
vernahm eine höchst wider-
sprüchliche Botschaft. Einerseits ver-
kündete die patrouillierende Polizei-
streife, dass sich Einzelpersonen und
MenschenausdemselbenHaushaltim
Freien aufhalten dürften. Andererseits
abertönteausdemselbenMegafon,dass
„ausgedehnte Familienausflüge, Pick-
nicks, Radtouren et cetera“ nicht er-
laubt seien und die Behörden bei der
Eindämmung des Coronavirus behin-
derten.
Der undifferenzierte und harschvor-
getragene Nachsatz–„Wir ersuchen
Sie, sich zu entfernen“–löste samt an-
geschlossener Strafdrohung bei den
spärlich auf der Wiese verteilten Be-
suchern hektischen Aufbruch aus.
Ohne behaupten zu wollen, die ganze
Insel überblickt zu haben: Gruppen,
die nicht nach Familie aussahen, wa-
ren zumindest in diesem Bereich kei-
ne zu entdecken.
Direktiven wie diese lassen einen
ratlos und verunsichert zurück. Gilt
ein Ausflug auf die von vielen Wohn-
gebieten kilometerweit entfernte und
für das Fahrrad prädestinierte Donau-
insel bereits als „ausgedehnt“ oder
nicht?FängteinPicknickschonbeider
eilig hinuntergeschlungenen Wurst-
semmel an oder erst beim Kaffee aus
der Thermoskanne? Inwiefern behin-
dert eine Familie die Anstrengungen
der Behörden gegen Corona, wenn sie
statt zehn Minuten eine Stunde lang
auf einer Wiese liegt?

A


uchinZeiten,indenenZehntau-
sende ihre Jobs verlieren, sind
dieseFragennichtläppisch.Un-
entwegt prasseln düstere Nachrichten
auf die Bürger ein, da sind ein paar
Stunden unter der Frühlingssonne an
der frischen Luft Balsam auf die See-
le. Das gilt besonders für Familien, de-
ren Kinder bei Kasernierung in den
eigenen vier Wänden der Lagerkoller
ereilt. Es ist gut, dass die Regierung
nichtüberhappseineSperreallerParks
verfügt hat, sondern sorgsam abwägt.
Wer Regeln ignoriert, so wie es in
Wien ebenfalls zu beobachten ist, den
muss die Exekutive mahnen und in
letzter Konsequenz strafen. Doch so-
lange es keine gesundheitspolitische
Notwendigkeit für die Schließung der
städtischen Grünoasen gibt, sollte die
PolizeiEinzelpersonen,Wohnpartnern
und Familien, die sich an den gebo-
tenen Sicherheitsabstand halten, den
Besuch nicht vergällen.

Gerald John

KOPFDESTAGES


S


onahe fühlte man
sich ihr schon lan-
ge nicht mehr. 20
bis 30 Sekunden Hände
waschen, mehrmals täg-
lich, wird in Zeiten von
Corona empfohlen. Die
Seife ist zu einer All-
zweckwaffe geworden.
Sie erledigt, wozu Was-
ser nicht imstande ist:
Sie tötet Keime ab.
Aber nicht nur das.
Die Seife wurde in den
vergangenen Tagen für
viele zu einem vertrau-
ten Partner. Durch das
ständige Einreiben und
Säubern von Handrü-
cken, Fingerzwischen-
räumen, Fingerspitzen
und Daumen kommt sie
uns derzeit näher als so
manches Familienmit-
glied. Ganz nebenbei ha-
ben der Seifenspender
und das Stück Seife das
Bad zu einem Ort gemacht, das nicht
nur Sauberkeit, sondern neuerdings
auch Unversehrtheit verspricht.
Das ist ziemlich viel Verantwortung
für ein Produkt, das seit den Neunzi-
gerjahren vor allem in Form von Flüs-
sigseife–einer Emulsion von syntheti-
schenTensideninWasser–nebendem
Waschbecken steht. Die Stückerlseife
wurdewährenddessen zunehmend als
Luxusartikelchen abgetan: nice to
have, aber nicht wirklich notwendig.
AufgemascherlteSeifenstückewurden
zum Verlegenheitsgeschenk, zum de-
korativen Staubfänger: Bei wem sta-
peln sie sich nicht, die Naturseifenmit
Rosenblüten, Aktivkohle und Laven-

del, die aussehen, als
seien sie von Laura Ash-
ley höchstpersönlich ge-
schöpft worden?
Seit 2017 ist das Sei-
fensieden in Österreich
ein freies Gewerbe.
Während alteingesesse-
ne Seifenhersteller wie
die Stadlauer Seifensie-
derei zusperrten, schos-
sen kleine Naturkosme-
tikhersteller wie Pilze
aus dem Boden.
Sie ließen ein Hand-
werk wiederaufleben,
das im Hochmittelalter
entstanden und durch
die industrielle Her-
stellung im 19. Jahrhun-
dert verlorengegangen
war: Die Seifensieder
produzierten flüssige
Schmierseifen und feste
Kernseifen aus Rinder-
talg und Pottasche. Auf-
grund des bestialischen
Gestanks während des Herstellungs-
prozesses wurde das Gewerbe meist
am Stadtrand ausgeübt. Das kann den
Seifensieder-Unternehmern von heu-
te kaum mehr passieren: Sie verwen-
den in der Regel pflanzliche Fette wie
Kokosfett, Olivenöl und Palmöl.
Geschäfte wie jenes des Labels
Wiener Seife sind in der österreichi-
schen Hauptstadt längst in die Touris-
tenzone vorgerückt. Ein Stück Seife
wird unter normalen Umständen so
beiläufig wie ein Coffee to go gekauft.
Und in Zeiten von Corona im Online-
shop. Appell an alle, deren Schränke
bis obenhin mit Klopapier gefüllt sind:
Kauft Seife! Anne Feldkamp

GlitschigeWaffe


gegenViren


undKeime


Die Seife ist der
unabdingbare Partner
beim Händewaschen.
Foto: Getty Images

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Am Ende trifftesdie Ärmsten


Eric Frey

D


ie frühen Infektionsketten, die das Coronavirus aus
China in die Welt getragen haben, lassen sich nicht
alle nachvollziehen. Aber eines ist klar: Es waren
Vertreter der globalen Eliten, die entscheidend zur Verbrei-
tung von Covid-19 in Europa und den USA beigetragen ha-
ben.DassindLeute,dievielreisen,aninternationalenKon-
ferenzen teilnehmen und Skiurlaub in Ischgl oder Vail ma-
chen. Sie haben sich dort gegenseitig angesteckt und das
Virus dann mit nach Hause gebracht. Erkennbar ist das an
der verhältnismäßig hohen Zahl von Politikern und Promi-
nenten, die positiv getestet wurden.
Das sind vielfach auch Menschen, die ihre Heimabson-
derung in großen Wohnungen mit Terrasse oder Häusern
mit Garten verbringen können. Wenn sie schwerer erkran-
ken, werden sie meist in Krankenhäusern behandelt, die
noch nicht von Covid-19-Fällen überschwemmt sind. Für
sie gibt es noch genügend Intensivbetten und Beatmungs-
masken. Nicht alle, aber viele von diesen frühen Opfern
haben Glück im Unglück.
Das bleibt nicht lange so. Im besonders schwer betroffe-
nen Norditalien hat die Epidemie längst alle Bevölkerungs-
schichten erfasst, die Mittelschicht genauso wie die Nied-
rigverdiener, die weder jetsetten noch Ski fahren. Und es
sind die Ärmeren, die im Krankheitsfall dem Leid noch
schutzloser ausgeliefert sind.
Dieses Szenario steht auch all den anderen Staaten be-
vor, in denen die Fallzahlen dieser Tage sprunghaft anstei-
gen. Vor allem in den USA droht eine humane und sozia-
le Katastrophe, denn dort haben Millionen auch in norma-
len Zeiten keinen sicheren Zugang zu medizinischer Ver-
sorgung.
Verstärkt wird das soziale Gefälle der Corona-Krise durch
ihre wirtschaftlichen Verwerfungen. Wenn Unternehmen
krachen und Jobs verloren gehen, bekommt das zwar fast
jeder zu spüren–amhärtesten aber die Niedrigverdiener.
Und diese Not dauert dann viele Jahre an, wie man im Fall
der Weltfinanzkrise gesehen hat.
Zu befürchten ist, dass das Virus mit etwas Verzögerung
die ärmsten Staaten vor allem in Afrika trifft und dort–wie
bei der Aids-Epidemie in den 1990er-Jahren–noch viel
verheerendere Folgen zeitigt. Wird uns Europäer das Virus
dann immer noch so im Banne halten, wenn wir die Krise
bereits in den Griff bekommen haben?


WERSINDDIECORONA-OPFER?


Liebe Leserinnen,


liebe Leser!


A


lle Texte, die Sie in dieser Ausgabe lesen, wur-
den im Homeoffice geschrieben. Seit einer Wo-
che ist dieSTANDARD-Redaktion nicht mehr
ein Ort im dritten Wiener Bezirk, an dem wir täglich
zum Zeitungmachen zusammenkommen, sondern
einNetzwerkanJournalistinnenundJournalisten,die
über das ganze Land verteilt sind. Eine Gemeinschaft,
die sich in Videokonferenzen von Wohnzimmer zu
Küche, von Gästezimmer zu Abstellkammerl mit-
einander austauscht. Das Coronavirus mag unsere
Arbeitsweisen und überhaupt unser aller Leben
massiv durcheinandergewirbelt haben–aber unsere
liberale, kritische Haltung und unsere unbeugsamen
Recherchen behalten wir auch in Zeiten der Krise un-
verändert bei.
Besonders berührt hat uns, wie sehr Sie uns in einer
solchen Lage Zuspruch geben. Täglich greifen Sie von
1,4 Millionen Geräten aus aufderStandard.atzu, tau-
schen sich in 70.000 Kommentaren aus und informie-
ren sich in unserem Liveticker über die neuesten Ent-
wicklungen. In dieser Woche wurden hunderte Zei-
tungsabos abgeschlossen, und unser „Supporter“, mit
dem Sie uns online unterdst.at/Supporterfinanziell
unterstützenkönnen,verzeichneteeinenRekordwert.
HabenSievielenDank,sokönnenwirweiterhinunser
Bestes geben!
Neben verlässlicher Information darf man insbe-
sondere in solchen Zeiten von einem Medium wie
demSTANDARDauch Inspiration und kluge Unter-
haltung erwarten, damit einem in der Corona-
Isolation nicht die Decke auf den Kopf fällt. Deshalb
gibt es von heute an täglich eineLEBEN-Seite,mit
Geschichten aus dem neuen Alltag der Menschen in
diesem Land. Und schon seit einer Woche finden Sie
außerdem eine täglicheKinderseitein derZeitung.
Dankbar sind wir auch all unseren Zeitungszu-
stellern, unseren Heldinnen und Helden, die unter
hohenHygiene-undSicherheitsauflagendafürsorgen,
dass Sie denSTANDARDauch in den Quarantäne-
gebieten rechtzeitig erhalten.
Kommen Sie gut durch diese Zeit!
Herzlich, Ihr Martin Kotynek, Chefredakteur
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