Der Standard - 21.03.2020

(Ron) #1

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Privatsphäre in der Arbeit schwindet. Jetzt will manauf Führungsebene


auch Emotionen überwachen–was schon passiert.


ÜBERWACHUNG

SeiteL3

IM ORIGINAL AUF ENGLISCH

NOW!


Richard Straub, Founder of the
Drucker Forum:ATime for
Leadership.SeiteL2

7


leadershipStandard


Foto: Getty


Images


Foto: Getty Images

Angstist ansteckender,als esVirensind,sagt derNotfallpsychologeJohannBeran.Warum es Chefsache ist,
für Beruhigung zu sorgen, und wie dasgeht. Gibtesein Rezeptgegen Angst?

STANDARD:Angst als Virusepide-
mie?
Beran: Könnte man so sagen.
Angst ist noch ansteckender, als
es Viren sind. Wir machen uns
Bilder. Unser Gehirn vermischt
Tatsächliches mit Bildern, die wir
in uns tragen, bis hin zu Filmen
über die Zombieapokalypse und
anderem Horrorquatsch, den wir
uns reingezogen haben. Auch
beim Coolsten, auch beim Resi-
lientesten löst das irgendwann
Angst aus. Niemand ist wirklich
resistent.

STANDARD:Was ist jetzt das Wich-
tigste?
Beran:Dass wir uns umeinander
kümmern. In Unternehmen sind
Manager und Führungskräfte
zwar hauptsächlich im Aktions-
modus. Das ist allerdings jetzt bei
den Menschen nicht hauptsäch-
lich gefragt. Das Gefühl, nicht ver-
lassen, alleingelassen oder abge-
stellt zu sein, ist jetzt durch für-
sorgliches Kümmern zu vertrei-
ben. Wir müssen schauen, dass
niemand allein in seinem Gehirn
herumwuselt. Dass geredet wird.
Aussprechen ist ein gutes Wort:
Es muss heraus, raus damit, re-
den! Manche halten die Situa-
tion derzeit besser aus–sie haben
die Aufgabe, die anderen zu be-
ruhigen.

STANDARD:Sich Zeit nehmen, die
man nicht zu haben glaubt?

STANDARD: Gibt es ein schnell
wirksames Mittel gegen Angst, ein
Geheimrezept, um einander in der
Arbeit die Angst zu nehmen?
Beran:Nein, Angst ist individuell.
Wichtig ist immer, sich möglichst
viel zu bewegen. Angst lähmt im
wahrsten Sinne des Wortes, führt
zu körperlicher An- und Verspan-
nung. Bewegung nimmt in dieser
Situation die Hilflosigkeit, ist ein
Ausweg aus dem Gefühl „Ich kann
nichts tun und bin starr und
stumm“.

STANDARD:Hüpfenim Büro?
Beran:Ja, genau. Und miteinander
hüpfen. Gemeinsames Herum-
hüpfen nimmt die Angst, ent-
spannt. Die Verkrampfung kann
sich lösen. Ich nenne das gerne
die „Affentechnik“. Aus der Ver-
haltensbiologie ist ja bekannt,
dass Affen in der Gruppe herum-
hüpfen, um Stress abzubauen.
Auch ein Moment der Stille kann
helfen, das ist individuell und
stimmungsabhängig, man muss in
sich hineinspüren. Der Organis-
mus teilt mit, was er mag. Musik
ist natürlich immer gut. Und eine
gute Pausenkultur ist auch zen-
tral. Und Humor!

STANDARD: MancheKollegen
wirken derzeit irgendwie anders –
sie haben jahrelange Joberfahrung,
aber es wirkt, als könnten sie aktu-
ell gerade ihre Arbeit nicht erledi-
gen. Ein Symptom der Angst?

Beran:Definitiv. In Krisensituatio-
nen das erworbene Wissen ab-
zurufen geht nicht so einfach,
unser Gehirn funktioniert nicht
so. In Ausnahmesituationen ist
der Zugang zum Gedächtnisspei-
cher blockiert, diese Nervenver-
bindungen sind quasi verstopft.
Wir können uns in einer Krise
nicht darauf verlassen, dass wir
cool sind und als alte Profis selbst-
verständlich gut funktionieren.

STANDARD:Was hilft?
Beran:Wir alle hängen am Aufre-
gungstropf. Wir müssen uns drin-
gend auch an den Beruhigungs-
tropf hängen. Nicht nur Führungs-
kräfte in Fürsorge für Mitarbeiten-
de, sondern auch Kolleginnen und
Kollegen untereinander. Aufein-
ander zugehen in der Kommuni-
kation, anrufen, fragen, wie es
geht. Plaudern. Versichern, dass
alles gut ist und dass wir das ge-
meinsam schaffen.

STANDARD: Gewöhnenwir uns
nicht irgendwann irgendwie an
die Krise?
Beran:Nein, ganz im Gegenteil.
Wir haben andauernd Nachrich-
ten auf allen Kanälen von noch
mehr Infizierten, noch mehr To-
ten, noch härteren Maßnahmen.
Es geht quasi die Welt unter im
Empfinden vieler Menschen. Wir
werden davon angesteckt, ob wir
es wollen oder nicht. Manche frü-
her, manche später.

Beran: Genau. Es geht um eine
andere Zeitqualität.Esgehtum
physisch erlebbare Stützstruktu-
ren, in Unternehmen wie auch pri-
vat. Gemeint ist nicht derzeit unan-
gebrachtes Kuscheln, sondernHin-
wendung,Zuhören, präsent sein.

STANDARD:Mit der Präsenz ist es
schwierig ...
Beran:Aktivanzurufen ist Prä-
senz.Erreichbar zusein ist Prä-
senz. Zwischendurcheine priva-
te fürsorgliche Frage zu stellen ist
Präsenz. Es ist gut, wenn Hotlines
eingerichtet werden–aber es wird

nicht reichen. Für Führungs-
kräfte geht es jetzt um Bezie-
hungsfunktion, nicht um Kon-
trollfunktion. Wer das begriffen
hat und umsetzt, wird sehr loyale
Teamshaben. Stützlinien zu er-
richten ist auch wichtig, um die-
jenigen, die zu Hause arbeiten,
mit denen,die am Dienstort ar-
beiten, gut zu verbinden. Nicht
nur technologisch.

JOHANNBERANist Arbeits- und Notfall-
psychologe in Wien. Er ist auch bei ver-
schiedenen Hotlines tätig, die von Unter-
nehmen eingerichtet wurden.

So geht


Entängstigung


Karin Bauer

MÄRZ/MARCH
2020 L1
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