Die Welt - 20.03.2020

(C. Jardin) #1
Der Obdachlose Basti sitzt auf der Treppe der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel

DENIS FENGLER

/DENIS FENGLER

D


as Schlimmste, sagt der
Mann, der sich Basti
nennt, sei das Problem
mit den Duschen. „Alles
dicht“, sagt er – seit das
Coronavirus in Hamburg grassiert,
kann sich Basti nur noch dann vernünf-
tig waschen, wenn Bekannte ihn in ihre
privaten Badezimmer lassen. Seit zwei-
einhalb Jahren schläft er auf den Trep-
penstufen vor der Roten Flora im Ham-
burger Stadtteil Sternschanze, sammelt
Flaschen, um seinen Schnaps zu finan-
zieren, lebt in einem Lager aus Pappe
und Schlafsack.

VON GELI TANGERMANN

Ein Leben am untersten Rand der Ge-
sellschaft, an dem die Corona-Pande-
mie nun mit rasender Geschwindigkeit
zur Existenzfrage wird. Während man
sich in der gesamten Republik im Ak-
kord die Hände wäscht, bangt Basti um
seine Grundhygiene. Und das ist nicht
sein einziges Problem.
Die Zahl der Obdachlosen in Berlin
wird auf 6000 bis 10.000 geschätzt, in
Hamburg sind es etwa 1900. Ein ganzes
Netzwerk aus Hilfsangeboten steht ih-
nen normalerweise in den Großstädten
zur Verfügung – wenn sie krank sind
oder auf Entzug, wenn sie neue Klei-
dung brauchen, eine warme Mahlzeit,
eine Dusche oder einfach nur jemanden,
der ihnen zuhört. In der Corona-Krise
fällt dieses Netzwerk nun nach und
nach in sich zusammen. Weil die Anste-
ckungsgefahr zu hoch ist. Oder weil vie-
le der ehrenamtlichen Helfer Rentner
sind, die zur Risikogruppe gehören und
nicht mehr vor die Tür gehen können.
Noch haben die Behörden keinen Plan,
wie sie der Not begegnen könnten. Und
über allem steht die Frage: Was passiert
eigentlich, wenn die ersten Obdachlo-
sen an Covid-19 erkranken?
In Hamburg ist dieser Ernstfall be-
reits eingetreten, am Sonnabend wurde
bekannt, dass ein Obdachloser positiv
auf das Virus getestet wurde. Eine gan-
ze Unterkunft des Winternotpro-
gramms im Stadtteil Hammerbrook
wurde daraufhin unter Quarantäne ge-
stellt. Rund 300 Menschen harren hier

nun gemeinsam aus – die Stadt kann sie
allerdings nicht dazu zwingen, auch
wirklich in der Unterkunft zu bleiben.
Susanne Schwendtke, Sprecherin des
Betreibers Fördern und Wohnen,
spricht von „Anlaufschwierigkeiten“.
Inzwischen würden sich die Obdachlo-
sen allerdings an die Ausgangssperre
halten. „Wir haben alles so eingerichtet,
dass die Betroffenen keinen Anlass ha-

ben, die Isolation zu verlassen.“ Sucht-
probleme seien weitverbreitet – daher
biete man in der Quarantäne auch eine
Methadonsubstitution an. So sei der
Druck, die Einrichtung zu verlassen,
weniger hoch.
Bereits im Februar, sagt Schwendtke,
habe Fördern und Wohnen erste Maß-
nahmen ergriffen, um die Obdachlosen
der Stadt über das Coronavirus zu in-

formieren. So seien in den Anlaufstellen
Flyer mit Hygieneanweisungen und Te-
lefonnummern für Verdachtsfälle ver-
teilt worden – und zwar in vielen ver-
schiedenen Sprachen. Gruppenaktivitä-
ten seien inzwischen abgesagt, auch das
Beratungsangebot sei reduziert wor-
den. „Wir können aber nicht einfach al-
les streichen, es geht hier um die Da-
seinsversorgung. Wir müssen genau ab-

wägen, welche Angebote wir aufgrund
der besonderen Lage aussetzen können
und welche für die Zielgruppe unver-
zichtbar sind.“
Wir sehr sich die Lage bereits zuge-
spitzt hat, zeigt eine Auflistung der
Hilfsangebote für Obdachlose in Ham-
burg, die inzwischen nicht mehr zur
Verfügung stehen.
Das Caritas-Zahnmobil: fährt nicht
mehr.
Die Praxis ohne Grenzen: geschlos-
sen.
Der Duschbus GoBanyo: hat seinen
Betrieb bis auf Weiteres eingestellt.
Verschiedene Tagesaufenthaltsstät-
ten mit Essensausgabe: geschlossen.
Christian Freund, ehrenamtlicher
Mitarbeiter in der Hamburger Obdach-
losentagesstätte Alimaus, beschreibt
die aktuelle Lage so: „Von unseren Eh-
renamtlichen bleibt inzwischen der
Großteil zu Hause, weil die Helfer
selbst schon alt sind und sich nicht an-
stecken wollen – wir arbeiten am An-
schlag und können trotzdem viele An-
gebote nicht aufrechterhalten.“ Auch
die Alimaus habe als Sicherheitsmaß-
nahme die Duschräume geschlossen,
der Speisesaal sei dicht, ebenso die Klei-
derkammer. Hart treffe es aktuell be-
sonders die Drogenkranken, die in den
leeren Straßen nun nicht mehr an genug
Kleingeld für den nächsten Rausch kä-
men.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Woh-
nungslosenhilfe fordert angesichts der
kritischen Situation, das Zwangsräu-
mungen ausgesetzt werden. „Menschen
dürfen in dieser Situation nicht aus ih-
ren Wohnungen geräumt und in Notun-
terkünfte eingewiesen werden, die schon
jetzt überfordert sind und in denen eine
Kontaktreduzierung nicht möglich ist.
Deshalb müssen Zwangsräumungen ab
sofort ausgesetzt werden“, sagt Ge-
schäftsführerin Werena Rosenke.
Auch weist sie daraufhin, dass Ob-
dachlose „eine gesundheitlich hoch be-
lastete Bevölkerungsgruppe“ seien. „Sie
leiden häufiger als die Mehrheitsbevöl-
kerung unter Mehrfacherkrankungen.
Viele wohnungslose Menschen gehören
also zur Risikogruppe, haben aber keine
Chance, soziale Kontakte zu reduzieren

und Schutz durch den Rückzug in die ei-
gene Wohnung zu finden.“
Nach Angaben der Berliner Senats-
verwaltung für Soziales gibt es in der
Bundeshauptstadt zwar noch keinen
bekannten Fall eines infizierten Ob-
dachlosen. Man sei sich der Lage aber
bewusst, in der sich obdachlose Men-
schen vor allem in der jetzigen Situati-
on befänden, und suche „intensiv nach
Lösungen, wenn es darum geht, diese
Menschen zu versorgen und unterzu-
bringen“, heißt es auf WELT-Anfrage.
AAAbsprachen mit freien Trägern undbsprachen mit freien Trägern und
den Einrichtungen der Kälte- und
WWWohnungslosenhilfe liefen auf Hoch-ohnungslosenhilfe liefen auf Hoch-
touren. Es gehe dabei insbesondere um
Pläne zur gesundheitlichen Beratung
und zu Möglichkeiten der Isolation von
Infizierten. Man suche nach Gebäuden,
die als Quarantänestandorte geeignet
wären.
Auch bei der Hamburger Sozialbe-
hörde sind die Probleme bekannt. „Wir
sind zur Stunde mit allen entsprechen-
den Einrichtungen im Gespräch. Dabei
geht es zum Teil darum, wie entspre-
chende Vorkehrungen getroffen werden
können, damit nötige Hilfsangebote ge-
währleistet werden können“, sagt Spre-
cher Martin Helfrich. Man widme sich
den Fragen mit „hoher Dringlichkeit“.
Das Hamburger Straßenmagazin
„Hinz&Kunzt“ hat den Senat aufgefor-
dert, eine Corona-Koordinierungsstelle
für Wohnungsloseeinzurichten. Ge-
schäftsführer Jörn Sturm sagt, er habe
„großes Verständnis“ dafür, dass mo-
mentan alle von einem Tag auf den an-
deren entscheiden müssten, wie es wei-
tergeht. „Aber wir brauchen täglich ak-
tualisierte Informationen darüber, wo-
hin sich Obdachlose wenden können.“
Vor der Roten Flora räumt Basti sein
Leergut zusammen. „Ich verfolge das
Ganze übers Radio und erst dachte ich:
Ach, das ist doch alles gar nicht so
schlimm. Aber als ich dann gehört habe,
dass Deutschland die Grenzen schlie-
ßen will, da ist mir schon mulmig ge-
worden, das fand ich krass“, sagt er. Die
Gesamtsituation mache ihn sehr nach-
denklich. Seine große Sorge sei, sagt
Basti, „dass ich anstatt am Alkohol jetzt
an dem Coronavirus verrecke“.

Pandemie wird zu


einer Existenzfrage


Tausende leben in Deutschland auf der Straße: Die Corona-Krise trifft


sie besonders hart. Hilfsangebote brechen weg, Duschen schließen


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20.03.20 Freitag,20.März2020DWBE-HP


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