Der Standard - 20.03.2020

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10 |FREITAG,20.MÄRZ2 02 0DChronik ERSTANDARD


Wien hältWinterquartierefür Obdachlose auchtagsüber offen


So sollen Sozialkontakte eingeschränktwerden–InbetreutenWohneinrichtungen gibtesein BesuchsverbotExterner


Vanessa Gaigg, Oona Kroisleitner

E


ine „seriöse Zahl“, wie viele
Menschen in Wien derzeit
akut obdachlos sind, gibt es
nicht, heißt es aus dem Fonds So-
ziales Wien (FSW). Am nächsten
komme man mit folgender Zahl:
Im Winterpaket stehen rund 1400
Schlafplätze zur Verfügung–die
Auslastung liege bei 90 Prozent.
Doch was passiert mit den Men-
schen, die in der Coronavirus-Kri-
se für Ausgangseinschränkungen
keine eigenen vier Wände haben?
DenSTANDARDerreichen Be-
richte von Sozialarbeitern, dass
wohnungs- und obdachlose Men-
schenzumTeilunsicherseien,wo
sie sich aufhalten dürften. Verein-
zelt gebe es auch schwierige Kon-


taktemitderPolizei,dieaufdieEin-
haltung der Maßnahmen poche.
Die Initiative Sommerpaket, ein
Zusammenschluss von Sozialar-
beitern in der Basisversorgung,
berichtet auf ihrem Blog von Eng-
pässen, die sich bemerkbar ma-
chen würden. Sie fordert etwa
mehr Personal, bessere Schutz-
ausrüstung und Schulungen. Und
sie bringt auch eine neue Idee ins
Spiel: „Hotels, die gerade mit Mil-
lionen subventioniert werden“,
sollen für Wohnungslose geöffnet
werden.
In betreuten Wohneinrichtun-
gen des FSW wurden die Bewoh-
ner gebeten, sich in ihren Wohn-
einheiten aufzuhalten und diese
nur für unbedingt notwendige Be-
sorgungen zu verlassen. Externe

Besuche sind nicht möglich.
Der FSW sei in gutem Aus-
tausch mit dem Krisenstab der
Stadt, heißt es im Gespräch mit
demSTANDARD.Die Betreiber der
Tageszentrenfür obdachlose Men-
schen und jene von Schlafstellen
wüssten gut über die aktuell not-
wendigen Maßnahmen Bescheid.
Eben an diesen Orten gebe es auch
für all jene, die sonst keine ausrei-
chenden Möglichkeiten zur Hygi-
ene haben, die Gelegenheit, sich
zu waschen. Auch Desinfektions-
mittel stünden bereit.
Sollte es zu einem Verdachtsfall
einer Covid-19-Erkrankung kom-
men, würden Personen mit Sym-
ptomenineinemeigenenRaumbe-
treut. Beispielsweise könnte man
in Besprechungsräumen eine Ad-

hoc-Isolierung von den anderen
Klienten sicherstellen. Das Perso-
nal habe Informationen, wie mit
eventuellen Erkrankten vorzuge-
hen sei. Es würde die übliche Ret-
tungskette wie bei allen anderen
auch anlaufen, heißt es vom FSW.

Weiter Winter
Notquartiere, die im Rahmen
desWinterpaketseine nSchlafplatz
bieten, sollen nach Möglichkeit
auf Ganztagesbetrieb umgestellt
werden. Dadurch, dass die Perso-
nen tagsüber die Einrichtungen
nicht verlassen müssen, sollen die
sozialen Kontakte und das Anste-
ckungsrisikoreduziertwerden.„Es
wird dafür Sorge getragen, dass
Mindestabstände zwischen den
Personen möglich sind“, heißt es

seitensdesFSW.Dafürwirdinden
Wiener Tageszentren die höchst-
zulässige Personenanzahl verrin-
gert. Wegen des Ganztagsbetriebs
der Winterquartiere wird das Ta-
geszentrenangebot „angepasst“.
Auch bei der Organisation Neu-
nerhaus gehe es gerade jetzt „um
medizinische Versorgung für
wohnungs- und obdachlose sowie
nichtversicherte Menschen“, sagt
Geschäftsführerin Daniela Unter-
holzner.
Sollte ein Mensch ohne Wohn-
sitz tatsächlich positiv auf das Co-
ronavirus getestet werden, jedoch
keine hospitale Betreuung benöti-
gen, werde die Person zur Heim-
quarantäne in einem Pavillon auf
dem Grundstück des Spitals Hiet-
zing untergebracht.

menfürdasPersonalgesperrt.Aus
dem Partnerspital Krankenhaus
Nord, wo viele der im Donauspital
ursprünglich angemeldeten Ge-
burten nun stattfinden, hört man
aus der Belegschaft, dass der An-
drang bewältigbar sei.
Beim KAV heißt es, Geburten
würden aktuell an allen Stationen
außer der gesperrten „ganz nor-
mal“stattfinden.Sollteerneuteine
Covid-19-Erkrankung an einer Ge-
burtshilfe auftauchen, würdendort
angemeldete Frauen darüber in-
formiert.
Viele Schwangere versuchen
nun,denSpitalsaufenthaltsokurz
wie möglich zu halten. „Man
merkt, dass sich viele jetzt in letz-
ter Minute eine Hausgeburt über-
legen“, beobachtet eine Wiener
Hebamme.Allerdingsmüsstenfür
eine Hausgeburt alle Umstände
stimmen,undnormalerweisewür-
den sich werdende Mütter und
Hebammen auf eine Hausgeburt
ausführlich gemeinsam vorberei-
ten. Für die Geburtenstationen
ungewöhnlich: Es gehört nun so-
wohl beim Personal als auch bei
Patientinnen der
Mundschutz zum
Alltagsbild.
Die Vorberei-
tung auf die Ge-
burt ist etwas, das
nun auch für Ro-
sa ganz anders

R


osa ist in der 38. Schwan-
gerschaftswoche, es ist ihr
erstes Kind. Eigentlich woll-
te sie drei Tage nach der Geburt im
Krankenhaus bleiben, bevor sie
nach Hause geht. Doch aufgrund
des aktuellen weitgehenden Be-
suchsverbots in Krankenhäusern
ist es nicht mehr erlaubt, dass ihr
Partner Andreas
sie auf der Wo-
chenbettstation im St.-Josef-Kran-
kenhaus der Vinzenzgruppe in
Wien besucht. Jetzt zieht das Paar
eine ambulante Geburt in Erwä-
gung. Das bedeutet, dass Mutter
und Kind innerhalb von 24 Stun-
dennachderEntbindungdasKran-
kenhausverlassen.„Ansonstenbin
ich tagelang ohne den Papa des
Kindes im Spital“, sagt Rosa.
Stand Donnerstag darf ihr Part-
ner noch bei der Geburt mit in
denKreißsaal–wennereinenkur-
zen Gesundheitscheck vor Ort be-
steht.
Wäre Rosa am LKH Graz ange-
meldet, wäre es anders. Dort darf
die Begleitperson der Gebärenden
nicht mit ins Spital. Beim Kran-
kenanstaltenverbund (KAV) in
Wien heißt es, man wolle jedem
werdenden Vater ermöglichen,
bei der Geburt dabei zu sein, aber
mit Sicherheit will man dies nicht
zusagen: „Wir hanteln uns von
Tag zu Tag“, sagt ein KAV-Spre-
cher. Die Letztentscheidung dar-
über obliege den Diensthabenden


vor Ort. Nur gesunde Väter wür-
den zugelassen. Und im Wochen-
bett gilt dann das generelle Be-
suchsverbot.
Auf Bundesebene wurde eine
einheitliche Regelung der Beglei-
tung in den Kreißsaal diskutiert,
man überlässt die Entscheidung
dieses „sehr sensiblen Themas“
aber den jeweiligen Krankenhaus-
trägern, wie Gesundheitsminister
Rudolf Anschober (Grüne) auf
STANDARD-Nachfrage sagt.
Bis Ende letzter Woche musste
Rosas Partner Andreas noch phy-
sisch in der Arbeit anwesend sein,
die werdenden Eltern hoffen nun,
dass er mit keinen Risikofällen
in Kontakt war. „Er hat 40 Kolle-
gen, alle davon haben Kinder“,
sagt Rosa.

Sorge vor Engpässen
Und dann gibt es noch die gro-
ße Befürchtung im Hintergrund:
„Wir fragen uns natürlich schon,
wie die Krankenhäuser in zwei
oder drei Wochen aufgestellt sein
werden. Wird die Infrastruktur
noch ausreichend vorhanden
sein?“, sagt Rosa.
In Wien ist der-
zeit noch die Ge-
burtenstation im
Donauspital we-
gen eines Covid-
19-FallesundQua-
rantänemaßnah-

aussieht als gedacht: Geburtsvor-
bereitungskurs? Gestrichen. Aku-
punktur, Yoga, Gymnastik, die
Rosa zu besuchen vorhatte, ent-
fallen.
Manche Hebammen bieten On-
line-Vorbereitungskurse(zumBei-
spiel http://www.deine-geburt.com)an.
Schwangere und Frauen im Wo-
chenbett werden etwa über Skype
betreut. Nur in dringenden Fäl-
len machen Hebammen nach An-
gaben des Österreichischen Heb-
ammengremiums aktuell Hausbe-
suche, zum Beispiel bei akuten
Stillproblemen oder wichtigen
Nachsorgeuntersuchungenim Wo-
chenbett.

Mutter-Kind-Pass-Ausnahmen
Auch für Mutter-Kind-Pass-Un-
tersuchungen im Spital und beim
niedergelassenen Gynäkologen
gilt: Was klinisch notwendig ist,
wird durchgeführt, was nicht, ent-
fällt. Im Zweifelsfall sollen sich
Frauen beim Arzt beziehungswei-
se der betreffenden Abteilung te-
lefonisch informieren.
Die Krankenkassen wurden an-
gewiesen, „keine Kürzungen beim
Kinderbetreuungsgeld vorzuneh-
men, wenn die Durchführung der
Mutter-Kind-Pass-Untersuchun-
gen für die Eltern aufgrund der ak-
tuellen Situation nicht möglich
bzw. zumutbar ist“, informiert das
Familienministerium.

AktuellkommefraunurmitAn-
meldung in die Praxis, erklärt Jo-
hannes Seidel, Gynäkologe bei der
Privatklinik Woman&Health. Er
hält Kontrolluntersuchungen an
Schwangeren weiterhin für wich-
tig. „Die Frauen wollen natürlich
wissen, wie es ihrem Kind geht,
sonst steigt die Nervosität“, sagt
Seidel. Entfallen pränataldiagnos-
tische Untersuchungen, „wirft das
auch rechtliche Fragen auf“, sagt
der Facharzt. Etwa wenn man eine
schwere Behinderung des Kindes
erst in der 16. Schwangerschafts-
woche entdecke.
Wenn sich eine Schwangere in-
fiziert, spricht nach aktuellen Er-
kenntnissen auch bei einer Er-
krankung nichts gegen eine vagi-
nale Geburt. Auch eine Peridural-
anästhesie(PDA)istindiesemFall
laut Deutscher Gesellschaft für
GynäkologieundGeburtshilfeund
Berufsverband der Frauenärzte
möglich.
Die guten Nachrichten: Schwan-
gere haben kein erhöhtes Risiko,
sich zu infizieren. Jene, die er-
krankt sind, haben bisher keine
schwereren Krankheitsverläufe
gezeigt. Auch das Risiko einer
Fehlgeburt dürfte nicht erhöht
sein. Und eine Übertragung des
Virus über die Plazenta auf das
Kind scheint zumderzeitigenZeit-
punkt unwahrscheinlich.
*Namen redaktionell geändert

Was, wenn eine Schwangere an Covid-19 erkrankt? Experten geben leise Entwarnung: Eine Übertragung über die Plazenta gilt nach aktuellem Wissensstand als unwahrscheinlich.

Foto: iStockphoto/baona

Mit der Zahl der Corona-Fällewachsen die Sorgen bei
Schwangeren. Sie müssen sich darauf einstellen, dass ihr
Partnerwomöglich nicht mit in den Kreißsaal darf.
Aber es gibtauch guteNachrichten.

In nervöserErwartung


einerGeburt


Vanessa Gaigg, Gudrun Springer, Franziska Zoidl, Oona Kroisleitner

CORONAVIRUS

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