Samstag, 22. Februar 2020 SCHWEIZ 15
Diese Länder bestellten Schweizer Krypto-Technik
für 500 Millionen Franken
Eine Analyse von 40 000 Ausfuhrbewilligungen zeigt, dass 148 Staaten der Verschlüssel ungstechnologie vertrauten
Auswertung
bsk./joe.· Die vom Seco publizierten
Rohdaten zu den Gütern der Anhänge
1, 2, 5 sowie zu den besonderen militä-
rischen Gütern wurden für dieAuswer-
tung per Computer-Skript zusammen-
gefasst. Um die Krypto-Technik-Güter
herauszufiltern, wurde die Codierung
danach aus der internationalen Doku-
mentation benutzt.
BARNABY SKINNER,JONAS OESCH
Angeblich war es dieFreundschaft zum
persischen SchahReza Pahlavi, die beim
ehemaligen Mitarbeiter der Schwei-
zer Firma CryptoAG die ersten Zwei-
fel schürte. Der Schah hatte dem Mann
anvertraut,dass manipulierte Chiffrier-
geräte im Umlauf seien. Deshalb kaufe
Iran seine Geräte bei der vermeintlich
vertrauenswürdigen Schweizer Firma
CryptoAG. DaserzähltederEx-Mitarbei-
terde rSonntagspresse.DieCryptoAG ist
dasjenige Unternehmen,dessen geheime
Eigentumsverhältnisse letzteWoche be-
kanntwurden. Die InnerschweizerFirma
hatfünfzigJahrelangaufGeheissdesUS-
Geheimdienstes CIA Schwächen in viele
ihrer Chiffriergeräte eingebaut.
Datenreichenbis 1997 zurück
Der letzte iranische Schah war mit sei-
nem blindenVertrauenin die Schweizer
Zuverlässigkeit nicht allein. Eidgenös-
sische Krypto-Technologie ist seitJah-
ren einVerkaufsschlager. Dies, obwohl
Sicherheitsexperten schon länger da-
von ausgingen, dass viele der Chiffrier-
geräteSchwächenaufwiesen,dieesfrem-
den Geheimdiensten erlaubten,geheime
Nachrichten zu entschlüsseln.Von 1997,
so weitreichen die öffentlich zugäng-
lichenDaten zurück, bis insJahr 20 19
bewilligte das Staatssekretariat fürWirt-
schaft (Seco) 40000 sogenannteDual-
Use-Güter. Das sindTechnologien, die
sowohl zivile als auch militärische Zwe-
cke erfüllenkönnen. 2600 dieser Bewil-
ligungen betrafen Technologie, die den
sicheren Informationsaustausch ermög-
licht. Es handelt sich dabei um Bewilli-
gungen im Umfang von 500 Millionen
Franken für den Export der Güter in 148
Länder. Nicht in allenFällen wurden die
bewilligten Exporte tatsächlich durch-
geführt.Aus denDaten geht auch nicht
hervor, für welche SchweizerFirmen das
Seco dieAusfuhrbewilligungen jeweils
ausstellt.Das Amt ist gegenüber den
Unternehmen an das Geschäftsgeheim-
nis gebunden. Doch die Behörde bestä-
tigt:DiegrosseMehrheitderExportevon
Krypto-Technik betreffe Chiffriergeräte.
Damit kommen laut Branchen-
kennern nur drei Schweizer Unterneh-
men infrage, die für die Exporte verant-
wortlich seinkönnen. Erstens die er-
wähnteFirma CryptoAG mit Sitz in
Steinhausen (ZG). Zweitens die Gretag
AG aus Regensdorf (ZH), aus der die
OmnisecAG aus Dällikon (ZH) hervor-
ging.Letztere meldeteimMai2017 Kon-
kurs an.Auch sie steht imVerdacht,Ver-
bindungen zu US-Geheimdienstenge-
pflegt zu haben, und zwar über die New
Yorker Anwaltskanzlei Cadwalader.
Und drittens das kanadische Unterneh-
menInfosecGlobalmitSchweizerSitzin
ZürichmitengenVerbindungenzurZür-
cherETH und zur EPFL inLausanne.
Infosec Global zielt mit seiner Krypto-
Technik mehr auf die Privatwirtschaft,
etwa aufBanken. Die grosse Mehrheit
derAusfuhrbewilligungenfürSchweizer
Krypto-Technikbetrifftdeshalbwohldie
CryptoAG und die OmnisecAG.
Das Wissen, dass bei der CryptoAG
im Hintergrund die CIA dieFäden ge-
zogen hat,erlaubt einen neuen Blick auf
den weltweiten Handel mit Schweizer
Krypto-Technik. Es ist faszinierend zu
beobachten,wie sichder globaleAbsatz-
markt für die Chiffriergeräte verschob.
Kaum tat sich irgendwo ein neuerKri-
senherd auf, folgten die Bestellungen für
die vermeintlich abhörsichereTechnolo-
gie. Handelte es sich bei denAusfuhren
tatsächlich um manipulierte Chiffrier-
geräte, brauchte die CIA dann nichts
anderes zu tun, als sich zurückzulehnen
und die geheimeKommunikation zwi-
schen fremden Geheimdiensten oder
Staatsführern abzuhören.
Venezuela im Fokus der USA
Im Frühling1999 wurde Hugo Chávez,
Freund des kubanischenRevolutionärs
Fidel Castro und erklärterFeind der
Vereinigten Staaten, erstmals zum Prä-
sidenten vonVenezuela gewählt. Sechs
Monate später bewilligte das Seco
Krypto-Technologie-Exporteim Wert
von18,9MillionenFrankenindenlatein-
amerikanischen Staat.Das Land stand
in denJahren danach immer wieder im
Fokus amerikanischerAussenpolitik.
So sollen dieVereinigten Staaten etwa
beim erfolglosen Putsch gegen Chávez
eine einflussreicheRolle gespielt haben.
Von 20 01 bis 2008 waren es die
Libyerund dieVereinigten Staaten sel-
ber, die zu dengrös stenAbnehmern von
Schweizer Krypto-Technik gehörten.
Kurz vor demTerroranschlag von 9/
bewilligte das Seco etwa eineAusfuhr
im Umfang von14,4 MillionenFranken
in die USA.In denJahren nach demTer-
rora nschlag war die SchweizerTechnik
vor allem in Libyen gefragt. Zwischen
2002 und 2008 kam es zu sechs grösse-
ren und kleineren Exportbewilligungen
im Volumen von insgesamt knapp 10
MillionenFranken.
Während des ArabischenFrühlings
warendienordafrikanischenStaatenund
diejenigen auf der Arabischen Halbinsel
die grössten Abnehmer von Schweizer
Chiffriergeräten.Kurz bevor dieRevo-
lution inTunesien losbrach, platzierte
Marokko in der Schweiz eine Bestellung
im Wert von 13,4 MillionenFranken für
Systeme zur verschlüsseltenKommuni-
kation.Das vergleichsweise politisch sta-
bileMarokkowareinerderwenigenStaa-
ten, die während des ArabischenFrüh-
lingsvon Aufständen verschont blieben.
DasselbegiltfürJordanien.Auchhierbe-
willigte das Seco umfangreiche Krypto-
Technik-Exporte, im Jahr 2013 imWert
von 16,6 MillionenFranken. Der grösste
bewilligte Export von Schweizer Chif-
friergeräten betraf allerdings Bahrain.
Einige Monate nachdem am14. Februar
Proteste ausgebrochen waren, bewilligte
das Seco dieAuslieferung von Chiffrier-
gerätenimWertvon19,5MillionenFran-
ken an denPersischen Golf.
Auffälliger Einbruch seit 2018
In neuerer Zeit betrafen die umfang-
reichsten Bewilligungen für den Export
von Krypto-Technik ebenfalls Staaten
in Nahost. Diesmal solche, die mit dem
Syrien-Krieg und demAufkommen der
Terrororganisation ISin Verbindung
standen.Auffällig ist, wie viele Krypto-
Technik-Exporte nach Saudiarabien in
jüngerer Zeit bewilligt wurden. ImJahr
2014 prüfte das Seco die grössteAus-
fuhr dorthin, diese hatte einenWert von
10,3 MillionenFranken.Bis 2019 kam en
nochmals Exporte imVolumen von 3,
MillionenFranken hinzu.Dieinsgesamt
grösste bewilligteAusfuhrvon Schwei-
zer Krypto-Technik betraf allerdings
abhörsichere Mobiltelefone für den
Irak im Umfang von fast 100 Millionen
Schweizerfranken. Die Lieferung kam
allerdings nicht zustande. Offenbar ver-
säumte es die irakischeRegierung, eine
Vorauszahlung zu leisten, worauf der
Auftrag storniert wurde.
Auffällig ist,dass dieAuslieferungen
von Krypto-Technik aus der Schweiz
seit 2018 eingebrochen sind. Der durch-
schnittliche Betrag dafür – ohne die stor-
nierte Lieferung in den Irak – belief sich
laut denDaten des Seco von1997 bis
2017 auf 175 000 Franken proAuftrag;
in denJahren 2018 und 2019 sackte der
Schnitt auf 24000 Franken pro bewillig-
tem Export ab. Die CryptoAG hat das
Schweizer Geschäft imJahr 2018 in die
CryptoSchweizAG übergeführtunddem
Unternehmen mit CyOne SecurityAG
einenneuen Namen gegeben.Das inter-
nationale Geschäft wurde an den schwe-
dischen Unternehmer Andreas Linde
verkauft und dieFirma in Crypto Inter-
national Group umbenannt.
Die grösstenAufträ ge
betrafen den arabischen Raum
Zwischen1997 und 2019 bewilligte Exporte
von SchweizerVerschlüsselungstechnologie,
in Millionen Franken
Die Schweiz beliefertein den letzten 20 Jahren fast die ganzeWeltmit Kryptotechnologie
Zwischen 1997 und2019 bewilligteExporte von Schweizer Verschlüsselungstechnologie,in MillionenFranken
Keine 1,3 4,9 10,9 27,
QUELLE: SECO
100,
NZZ Visuals
Die Schweiz beliefertein den letzten 20 Jahrenfast die ganze Welt mit Krypto-Technologie
PeterBieri
altStänderat CVP
EugenDavid
altStänderat CVP
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UrsulaHaller altNationalrätin FDP
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Wirsagen JA zurKonzernverantwortungsinitiative
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