Neue Zürcher Zeitung - 22.02.2020

(Frankie) #1

Samstag, 22. Februar 2020 ZÜRICH UND REGION 17


Zürichist der erste Kanton, in dem der Frauenanteil


imParlament auf über 40Prozent steigt SEITE 18


150 Jahre Kantonalbank–


vier Überfälle, diein die Geschichte eingehen SEITE 19


«Die Leute haben Angst», sagt Stadträtin Karin Rykart. SIMONTANNER/NZZ

«Die Nationalität ist nicht der Grund dafür,


dass jemand Schwule verprügelt»


Schwulenfeindlichkeit sei in der Schweiz verbreitet, sagt die grüne Zürcher Sicherheitsvorsteher in Karin Rykart im Gespräch mit Linda


Koponen und Fabian Baumgartner. Die Homophob ie allein mit dem Migrationshintergrund zu erklären, sei allerdings zu einfach.


Händchenhalten ist für homosexuelle
Paare wieder gefährlich geworden – auch
in Zürich. In den letzten Monaten kam es
zu mehreren gewalttätigen Übergriffen.Ist
die Stadt doch nicht so «gay-friendly», wie
sie es gernewäre?
Zürich tut sehr viel für Homosexuelle.
DerStadtrathatgeradeebenentschieden,
dass während der «Zurich Pride»Regen-
bogenflaggen auch an den Amtshäusern
aufgehängt werden dürfen. Zudem hat
die Stadt dasLabel einer LGBT-freund-
lichen Arbeitgeberin erhalten. Die Über-
griffe mit homophobem Hintergrund ma-
chen uns Sorgen, sie sind im Stadtrat ein
Thema.Auch diePolizei vermutet einen
Anstieg solcher Delikte.


Trotzdem fühlt sich die LGBT-Commu-
nityvonderPolitikundderPolizeiimStich
gelassen.HabenSiedasGewaltproblemzu
wenig ernst genommen?
Dass es in der Community brodelt, kann
ich nachvollziehen. Bei den Gesprächen
in einem Schwulenklub habe ich gespürt,
dass die Leute Angst haben.Wir nehmen
das Gewaltproblemsehr ernst. Im Nie-
derdorf, wo es zuletzt zu mehreren Über-
griffen kam,zwischen Hirschenplatz und
Zähringerplatz beispielsweise, ist die
Polizei jetzt öfter vor Ort. DiePolizisten
patrouillieren vermehrt zuFuss und nicht
nur imAuto.


Marco Uhlig, der Betreiber des Queer-
Klubs Heaven, kritisierte, die Polizei
komme erst,wenn man sie rufe – oder gar
nicht.
Die Aussage, die Polizeikomme nicht
immer, wenn man sie rufe, ist fa lsch. Das
habeichihmsomitgeteilt.IndenNächten
amFreitagundamSamstagistviellos,und
wenn alle Streifen im Einsatz sind, ver-
zögertsichdasEintreffenderPolizeinach
einemAnruf vielleicht um ein paar Minu-
ten. Das war imJanuar einmal derFall.


Sie haben Marco Uhlig EndeJanuar zum
Gespräch getroffen.Was kamheraus?
Es ist wichtig, dass man sichkennt und
miteinanderredet. Das Treffen hat das
gebracht. Erkonnte uns zum Beispiel sa-
gen, ab welcher Zeit es heikel wird, wel-
che Leute im Klub verkehren und wie die
Communityorganisiertist.Nachdemletz-
ten Übergriff AnfangFebruar hat er län-
ger mit dem zuständigen Kreischef der
Polizei telefoniert.


Siesagen,diePolizeipatrouilliereverstärkt
zu Fuss. Seit wann ist das so?
Nach der Attacke auf ein schwulesPaar
in der Silvesternacht hat diePolizei die
Fusspräsenzim Niederdorf erhöht.Da-
neben läuft schon seitJuni ein Projekt–
esistübrigenseinSchwerpunktinmeinem
Departement – mit dem Namen «Polizei-
präsenz in der Grossstadt». Polizistinnen
und Polizisten sollen auf der Strasse bes-
ser sichtbar und ansprechbar werden. Es
istwichtig,dassdieBevölkerungmitihnen
in Kontakt treten kann.


Wie wollen Sie diePolizeipräsenz er-
höhen? Mehr Einsatzkräftewerden Sie
auf die Schnelle kaum erhalten.
Es ist nicht vorgesehen, zusätzliche Leute
anzustellen.Darum geht es nicht. Man
kann mit denPolizistinnen undPolizisten,
die rund um die Uhr arbeiten,auf gewisse
Brennpunkte fokussieren.Wir schauen
uns die Situation laufend an.


Gibt es auch eineVerschiebung von Ein-
satzkräften in die Nacht?
Nein, diePolizei hat in der Nacht genug
Leute. Sie muss vor Ort und auch an-
sprechbar sein.


Die Klubs haben selbst reagiert – und
unter anderem sogenanntenAwareness-
Teams auf dieBeine gestellt.Was halten
Sie davon?
IchhabedaszurKenntnisgenommen.Die
Polizei können sie damit natürlich nicht
ersetzen.

Wären nichtPatrouillen der SIP (Sicher-
heit Intervention Prävention) möglich?
Die SIP ist bereits heute vor Ort, etwa auf
dem Zähringerplatz. Nach Mitternacht
ziehen sich die SIP-Patrouillen aber zu-
rück. Sie haben beschränkteRessourcen,
da ist es gar nicht möglich, dass sie mehr
machen. Sie sind vor allem in der frühen
Abendphase präsent.

Polizeipräsenzistdaseine.Brauchtesnoch
mehr?
Natürlich.Wir können das Problem, dass
Schwuleangefeindetundkörperlichange-
griffen werden, nicht mit einer einzelnen
Massnahme lösen. Die Stadtpräsidentin
und ich haben im Dezember ein Projekt
gestartet mit dem Namen «Sexuelle und
sexistische Belästigung im öffentlichen
Raum und Nachtleben». Es geht um Ge-
walt im öffentlichenRaum gegenFrauen,
aber eben auch gegen LGBT-Leute. In
der Arbeitsgruppe werden verschiedene
Massnahmen erarbeitet, wie die Gewalt
vermindert werden kann. Alle Gewalt
werden wir nie verhindernkönnen, da
sollte man sichkeine Illusionen machen.

WieerklärenSiesichdenn persönlich,dass
homophobe Gewalt in gewissen Kreisen
wieder salonfähig geworden ist?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Es
hat mit Alkohol zu tun, aber natürlich
nicht nur. Es ist ein gesellschaftliches Pro-
blem, das merkt man ja schon, wenn man
Kindern auf dem Schulhausplatz zuhört.
Schwulenfeindlichkeit ist weit verbreitet
und wird in die nächste Generation wei-
tergegeben.Gerade darum ist die Präven-
tionsarbeitim Rahmen unseres Projek-
tes so wichtig.

AlkoholwurdeauchschonvoreinigenJah-
ren viel getrunken.Trotzdem gibt es jetzt
eineZunahmevonhomophobenAttacken.
Auch dasAusgangsverhalten hat sich ver-
ändert. Heute kann man die ganze Nacht
in die Stadt fahren,um zu feiern,Alkohol
ist günstig und einfach erhältlich. Und je
mehr getrunken wird, desto höher ist die
Gewaltbereitschaft.

Müsste man also bei den 24-Stunden-
Shops ansetzen?
Die 24-Stunden-Shops sind einThema,
aber nicht derKern des Problems. Und
wir habenkeine rechtliche Handhabe, um
einzugreifen. DieLadeninhaber besitzen
eine Bewilligung und dürfenAlkohol ver-
kaufen. Sie müssen einfachschauen, dass
die Alkoholkäufer alt genug sind. Selbst
wenn eskeine solchen Shops gäbe, die
Jungen finden immer einenWeg.

Der Stadtpolizei-Kommandant Daniel
Blumer hat alkoholfreie Zonen ins Spiel
gebracht.Was halten Sie davon?
Nicht viel.Das Problem würde sich ein-
fach verschieben. Und ein solchesVerbot
durchzusetzen, wäre extrem aufwendig.

Der Zähringerplatz hat sich auchwegen
24-Stunden-Shops zu einem Brennpunkt
entwickelt.
DerPlatzistfürJugendlicheundjungeEr-
wachsene gut gelegen, nahe beim Haupt-
bahnhof. Und die jungen Leute wollen
sich nun einmal im öffentlichenRaum
aufhalten. Klubs sind für sie oft zu teuer.
Deshalb treffen sie sich am Utoquai, auf
demZähringerplatzoderamStadelhofen.
Je spät er der Abend, desto lauter wird es.
Es wird Alkoholkonsumiert.Wir hören
von Anwohnern auch immer wieder Kla-
gen.Wir nehmen das ernst.Am vergange-
nenWochenendehatdiePolizeisehrviele
Kontrollen rund um den Zähringer- und
denHirschenplatzdurchgeführtundauch
einigeWegweisungen ausgesprochen.

BürgerlichePolitiker wie derfreisinnige
Nationalrat Hans-PeterPortmann sagen,
der neue Hassauf Homosexuelle habe
auch mit der Zuwanderung aus machoi-
den Kulturen zu tun. Müsste man nicht
auch hier ansetzen?
Die Homophobie allein mit dem Migra-
tionshintergrund zuerklären, ist mir zu
einfach. Bei den Straftaten liegt derAus-
länderanteil zwar höher als der Anteil an
der Gesamtbevölkerung. Ausländer sind
aber nicht per se schwulenfeindlicher als
Schweizer. Da spielen verschiedene an-
dere Komponenten eineRolle – etwa das
Geschlecht, der soziale Status, Armut,
Suchterkrankungen.

Sie würden also nicht sagen,dass aus poli-
tischer Korrektheitzu wenig genau hin-
geschaut wird.
Nein. Man muss genau hinschauen. Und
dann sieht man, Schwulenfeindlichkeit
ist weit verbreitet. Deshalb ist es wichtig,
dass man mit der Prävention schon in den
SchulenanfängtundalleGruppenabholt.
DieNationalitätistnichtderGrunddafür,
dass jemand Schwule verprügelt.

Die Stadt will nach einemVorstoss im Ge-
meinderat die Zahl der homophobenAtta-
cken in einer Statistik erfassbarmachen.
Der Verband der kantonalenPolizeikom-
mandanten sagt jedoch, das sei problema-
tis ch, da esum heikle persönliche Infor-
mationen gehe. Sind Sie auch skeptisch?
Es ist eine Gratwanderung. Die Betroffe-
nen sollen unbedingt Anzeige erstatten.
Es ist aber heikel, wenn diePolizei dann
das Opfer fragt, ob es schwul sei und des-
halb angegriffen worden sei.Das Gleiche
wäre, wenn man ein Opfer fragen würde,
ob es aufgrund seinerReligionszugehö-
rigkeit angegriffen geworden sei. Anders
ist die Situation, wenn jemand bei derAn-

zeigevonsichauserzählt,dasserangegrif-
fen worden sei,weil er mit seinemFreund
HändchenhaltenddurchsNiederdorfspa-
ziertsei.DieseInformationaufzunehmen,
ist einfach, aber sie aktiv abzufragen, ist
heikel.Jetzt prüfen wir sorgfältig, wie wir
den Vorstoss umsetzenkönnen.

Kann man denn denVorstoss unter diesen
Prämissen überhaupt soumsetzen,wie das
Parlament es sich vorstellt?
Ob man die Übergriffe in den offiziel-
len Datenbanken oder von Hand erfasst,
mussgeprüftwerden.Wichtigist,dassman
endlich einmal Zahlen hat.Bis jetzt sagen
uns einfach dasBauchgefühl und die Er-
fahrungswerte derPolizei, dass es mehr
Übergriffegibt,aberZahlenhatniemand.

Nochmals: Kann man homophobe Straf-
taten erfassen, ohne die Opfer zu fragen?
Wenn jemand von sich aus preisgibt, dass
er oder sie wegen der sexuellen Orientie-
rung attackiert wurde, solltees möglich

sein. In allen anderenFällen müssen wir
dieFrage,obundwieessicherfassenlässt,
erst genauer klären.

Angreifer ausfindig zu machen,ist schwie-
rig. Lässt sich ein Motiv eruieren, ohne den
Täter zu kennen? Bis anhin untersucht die
Polizei homophobe Übergriffe alsAusein-
andersetzungenzwischenMännern–auch
wenn das Opfer bei der Anzeige auf das
homophobe Motiv aufmerksam macht.
Die Polizei hat denAuftrag , dasAnliegen
des Postulats aufzunehmen.

Wie lange geben Sie sich Zeit für die Um-
setzung?
Wir haben eineFrist von zweiJahren. Ich
hoffe aber, dass es schneller geht.

Auf Kantonsebene wird es zumindest vor-
erst keine Statistik geben. Ist das nicht ein
Problem? Immerhin sind Kantonspolizis-
ten auch in der Stadt Zürich präsent.
Es wäre natürlich schön, wenn alle mit-
zögenundwirdannauchVergleichszahlen
hätten – auch mit anderen Städten und
Kantonen.Wir können dem Kanton aber
nicht dreinreden.Wir sind nur eine kleine
Gemeinde.

«Dass es
in der Community
brodelt, kann ich
nachvollziehen.»

Mehr Polizei rund umden Zähringerplatz


fbi.· In letzter Zeit ist es in der Stadt
Zürich mehrfach zu homophob motivier-
ten Übergriffen gekommen. In den ver-
gangenen zwölf Monaten gingen bei der
Polizei fünf Anzeigen wegen Straftaten
ein , die einen eindeutigen Zusammen-
hang zur sexuellen Orientierung der Op-
feraufwiesen.GenaueZahlenliegenaller-
dingsnichtvor,weilesentsprechendeSta-
tistiken nicht gibt.
Zu einem Brennpunkt entwickelt
hat sich das Niederdorf, das Zentrum
des homosexuellen Zürich. In dem Ge-
biet befinden sich nicht nur der Queer-
Klub Heaven,sondern auch mehrere wei-
tere LGBT-Bars. Letztmals war es am


  1. Februar in der Nähe des Klubs Heaven
    zu einerAttacke auf mehrere Schwule ge-
    kommen.Als zwei Securitys des Lokals
    eingreifen wollten, zückte einer der An-


greifer ein Messer und verletzte einen der
Sicherheitsmänneran der Schulter. Die
Polizei konnte nach derTat ei nen 15-jäh-
rig en Verdächtigen festnehmen.
Für Probleme sorgen häufigJugend-
liche , die sich abends vor der Zentral-
bibliothek und dem Predigerchor tum-
meln und Alkohol aus dem nahe ge-
legenen 24-Stunden-Shopkonsumieren.
Marco Uhlig, der Betreiber des Klubs
Heaven, initiierte wegen der vermehrten
Attacken bereits EndeJanuar einTref-
fen zwischen verschiedenen LGBT-Ver-
anstaltern, Sicherheitsvorsteherin Karin
Rykart und der Stadtpolizei mit dem Ziel,
die Polizeipräsenz rund um den Zährin-
gerplatz zu verstärken.Der Heaven-Klub
hat zudem selbst Massnahmen ergriffen.
Er setzt seit einigenWochen zusätzliche
Mitarbeiter im Umkreis des Klubs ein.
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