54 REISEN Samstag, 22. Februar 2020
Eine Stadt in Fl ammen
Dank Öl und Gas kam Aserbaidschan zu Geld – und stellt da s in der Hauptstadt protzend zur Schau. Diesen Sommer
ist Baku Gastgeberin der Schweizer Fussballnationalmannschaft an der EM 2020. VON JOCHEN MÜSSIG
Er ist klein und gut gekleidet, ein net-
ter junger Mann, der vielleicht nur etwas
schüchtern ist. Meist sitzt er hinten im
Ausflugsbus, und immer ist er mucks-
mäuschenstill. DerFremdenführer mit
dem Mikrofon in der Hand erzählt zwar
laut und scheinbar freizügig über alles
Mögliche, aber vorgestellt hat er den
schüchternen Mann nicht. Die Besu-
cherkommen ausverschiedenen west-
europäischenLändern. Sie sind neugie-
rig, weit gereist, und in ihrerLänderliste
wollen sie unter A zwischen Antigua
undAustralien nun auch Aserbaidschan
einfügen. Einer von ihnen,Jean-Fran-
çois ausFrankreich, fragtdenjungen
Mann beieinemFotostopp auf Englisch:
«Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich unser
Aufpasser vom KGB?»
DasKomitee für Staatssicherheit
oder KGB gibt es zwar nicht mehr in
Aserbaidschan, aber sinnigerweise hat
das Staatsministerium für Inneres und
Sicherheit genau die gleicheAdresse in
Baku, wie sie das KGB bis1991 hatte.
Und man wird den Gedanken nicht los,
dass wahrscheinlich immer noch die
gleichen Menschen in dem sandfarbe-
nen, langgestreckten, achtstöckigen und
furchteinflössenden Quaderbau arbei-
ten. Einige neue sind seit1991, als Aser-
baidschan von der Sowjetunion unab-
hängig wurde, sicher noch dazugekom-
men. Leute wie der junge Mann viel-
leicht? Dieser schautJean-François ganz
ruhig an und sagt: «Nein. Ich bin lediglich
ein Helfer, falls wir unterwegs mal auf
Probleme stossen.»Dann klingelt sein
Handy. DieKonversation ist beendet.
Schmucke Häuser undPaläste
Alles Schlechtekomme vom Norden, sa-
gen die Leute in Aserbaidschan. Erst der
Zar, dann dieKommunisten und immer
der kalte Nordwind. ObTurkmenistan
oder Usbekistan, ob Armenien oder
Aserbaidschan, die jungenRepubliken
rund ums Kaspische Meer, die vor rund
dreissigJahren von der Sowjetunion in
die Unabhängigkeit entlassen wurden,
haben bis heutekein gutes Image. KGB-
Zöglinge mit starken Geheimdiensten
übernahmen die Staatsgeschäfte aus
Moskauer Hand, füllten das entstan-
dene Machtvakuum aus. Sie versuchten,
zuerst sich selbst und dann auch ihre
Untertanenwirtschaftlich vorwärtszu-
bringen, ohne dabei gross auf demokra-
tische Grundrechte zu achten.
Für Reisende gibt es schon am hei-
mischen Flughafen eine Überraschung:
Die Bordkarte weistnichtBakuals Ziel
aus, sondern Haidar Alijew – eine Ehr-
erbietung an den ehemaligen Staatsprä-
sidenten Aserbaidschans, gleichzeitig
derVater des derzeitigen autoritären
Staatschefs Ilham Alijew. Die zweite
Überraschung folgt nach dem Flug: Im
abendlichenBaku zeigt sich fast jedes
Gebäude in strahlendem Lichterketten-
glanz. Und einesdavon scheint sogar zu
brennen: das Hochhausensemble Flame
Towers. DerKomplex aus Glas und
Stahl gilt seit seinerFertigstellung 2013
alsSymbol der Stadt. Diedrei Flam-
men lodern rund 200 Meter hoch in den
schwarzen NachthimmelamKaspischen
Meer. Sie werden erzeugt durch mehr
als 10 00 0 LED-Leuchten, die Öl- und
Gasflammen symbolisieren.Denn durch
die Bodenschätze kam Aserbaidschan
zu Geld.UndHaidar Alijew winkt in
der ganzen Stadtväterlich von den Pla-
katen. Derweil tippt der unauffällige
junge Mann gelangweilt in sein Handy.
Baku, die heutige Hauptstadt von
Aserbaidschan, wurde spätestens Mitte
des19. Jahrhundertsreich.Damals lie-
ferten dieTanker vonihrem Hafen aus
rund die Hälfte des Erdöls weltweit. Die
Ölbarone errichteten schmucke Häuser
undPaläste, und statt eine Steuer zu ent-
richten, bauten sie dasParlaments- und
dasRathausgebäude.
Auch heute stelltBaku denReichtum
protzend zur Schau – und das in einem
bitterarmenLand, wie dieAusflüge aus-
serhalb der Stadtgrenzen zeigen. Auf das
aufgehübschte Zentrum folgen ein Gür-
tel trostloser Plattenbauten und schliess-
lich dasLand, staubig oder weitgehend
abgesperrt, wenn wie auf der Abscheron-
Halbinsel Öl gefördert wird. Es tuckern
alteLadas umher, und manchmal be-
wegt sich sogar noch einFuhrwerk auf
der Strasse. DerDurchschnittslohn in der
Provinz liegt bei 200 Euro.«Viele von
uns sind Selbstversorger. In den Dörfern
gibt es einen Lebensmittelladen, dieTee-
stube, und das war’s», sagt ein Schuhver-
käufer am Stadtrand vonBaku. In sei-
nerAuslage stehen gerade einmal zwei
Schuhe.. .Halten oder fotografieren ist
zunächst nicht erlaubt. Erst nach erheb-
lichem Protest derReisegruppe ist ein
kurzer Stopp in einem Dorf beiBaku
möglich. Der jungeAufpasser verzieht
keine Miene dazu.
Auf den Strassen inBaku hingegen
cruisen amFreitagabend die Bentleys
undPorsches, Ferraris und Mercedes.
Selbst diePolizei passt vornehmlich
in neuen 5er-BMW auf. Wohlsituierte
Damen gehen in Begleitung ihrer Män-
ner gross aus. Sie stöckeln in dieTop-
Hotels der Stadt, ins «Four Seasons», ins
«Hilton». Und sie gehen in einen der drei
Türme im FlameTower Complex. Dort
hat das «Fairmont Hotel» seine Heimat
gefunden, und dieses hat sich einiges ge-
gönnt, um inBaku die Nummer eins zu
sein. In der Lobby dominiert ein zwei
Tonnen schwerer Kronleuchter aus böh-
mischem Kristall.Vor derBar wird ein
Fazioli bespielt, ein Piano, von dem es
nur acht Stück auf derWelt gibt und das
wie der Chandelier um die 500 000 Euro
gekostet hat. DerKüchenchef wurde aus
dem Elsass geholt, um das erste franzö-
sischeRestaurant inBaku zu führen. Im
Spa schwitzt man in der Sauna – und
staunt zugleich. Denn nicht nur in den
Zimmern und Suitengeben bodenlange
Fenster die Sicht aufBaku frei. Gleiches
gilt auch für die Sauna...
Immergrösser,immerbesser
«Das Stadtbild hat sich in den letzten
zehnJahrenkomplett verändert», sagt
ein Architekturstudent am futuristi-
schenKulturcenter. «Das Immer-grös-
ser-höher-besser-Virus aus der nahen
Golfregion ist auch bei uns angekom-
men.»Bakus kleine Altstadt aus dem
12.Ja hrhundert mit rund 1500 Metern
weitgehend intakter Stadtmauer ge-
hört zumWeltkulturerbe der Mensch-
heit. Doch interessanter ist für viele das
Neue, das Grosse und das ganz Grosse:
etwa derTurmbau zuBaku.
In ein paarJahren hätte das höchste
Gebäude derWelt nicht mehr inDubai
stehen sollen, sondern in Aserbai-
dschan auf der künstlichen Insel Kha-
zar. 1050 Meter hätte es gemessen–
222 Meter mehr als der Burj Khalifa,
DubaisspektakulärerWolkenkratzer.
Doch derBau des AzerbaijanTower
wurde abgebrochen, wie so manches
andere Mega-Projekt. «Schade, sehr
schade»,sagt der Architekturstudent
und führt flugs an: «Dass es uns so gut
geht, haben wir unserem Präsidenten zu
verdanken.»
Offenbar hat er den scharfen Blick
unseres inoffiziellenAufpassers richtig
ge deutet. «Ich kann mich frei bewegen,
auchreisen, und ich habeAussicht auf
einen gutenJob.» Ein guterJob heisst
für ihn: ab 800 Euro Monatslohn im
ersten Berufsjahr. Die Leute scheinen
zufrieden zu sein – wahrscheinlich sind
sie es sogar. Vielleicht sagen sie sich: Es
geht mir gut, wenn ich zu politischen
Belangen denMund halte. Wohl des-
halb ernten westeuropäische Hinweise
auf Demokratie meist nicht mehr als
einLächeln. Mit Luxusproblemen kann
man sich ja später noch beschäftigen.
Das Hochhausensemble FlameTowers in Baku besteht aus dreiTürmen, die Flammen darstellen. ANTONVAGANOV / REUTERS
Auf den Strassen cruisen
am Freitagabend die
Bentleys und Porsches,
Ferraris und Mercedes.
Die Polizei passt
vornehmlich in neuen
5er-BMW auf.
Gut zu wissen
Anreise: Zum Beispiel via Moskau
nachBaku. EinVisum ist erforderlich.
Unterkunft: Hotels gibt es von der
Luxuskategorie, zu der zum Beispiel
das «Fairmont» gehört (Doppelzimmer
ab 200Franken; http://www.fairmont.com), bis
zur einfachen Mittelklasse wie im klei-
nen Hotel Giz Galasi (Doppelzimmer
ab 70Franken; http://www.gizgalasi.com).
Sprache: Gesprochen wird Aserbai-
dschanisch und nur wenig Englisch.
Geld: Kreditkarten werden nur in
gehobenen Einrichtungenakzeptiert.
Unterwegs:Es empfiehlt sich eine
Gruppenreise.Für Individualreisende
gibt es aber auch Mietwagen, die man
am besten gleich mitFahrer mietet.
Hinzukommen zurAutomiete noch ein
kleiner Zuschlag pro gefahrenenKilo-
meter plus Hotel- und Essensspesen für
denFahrer (www.bakucar.info).