SEITE 26·MONTAG,9.MÄRZ2020·NR.58 Jugend schreibt FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
D
ie Melodie des Skype Calls läuft
im Hintergrund, bis endlichje-
mand abnimmt.Eserscheint das
verwackelte Bild eines älteren Mannes,
der nichtgenau weiß, wie er mit dem Ge-
rät umgehen soll. Der behäbigeHerrmit
weißem Haar trägtein T-Shirtund eine
runde Brille. SeinName is tDoug Hinck-
ley, er wohnt mit seinerFrau in einem be-
scheidenen Haus in einemVorortvonBuf-
falo im Bundesstaat NewYork. Doug
Hinckleyist seit 1994 alsFreiwilliger beim
AmericanField Service (AFS)tätig, einer
Non-Profit-Organisation, die im Jahr
mehr als 50000 Schüleraustauschewelt-
weit möglichmacht. Es gibt Gastfamilien
und Gastschüler,die sic hmit fas tunüber-
windbaren Schwierigkeiten konfrontiert
sehen. In diesenFällen kommt Hinckley
ins Spiel. Mit 66 Jahren istDoug einer der
Erfahrensten im AFSTeam vonWestern
NewYork. Geht es umRegel- und Geset-
zesverletzungen wie den Missbrauchvon
Alkohol, Drogen, Gewalttätigkeit oder
böswilliges MissachtenvonKulturund Re-
geln des Gastlandes wirdDoug vonden
Beteiligtenkontaktiert. „Solche Situatio-
nen sind immer eine Herausforderung für
alle, und deshalb istes ganz wichtig, dass
ichmir ein objektives Bild machenkann.“
Er besuche die Gastfamilie und spreche
mit allen Beteiligten.„Amhäufigstenschi-
cken wir Gastschüler zurückinihr Heimat-
land, weil sie unüberwindbares Heimweh
haben oderwenn wir Alkohol- oder Dro-
genmissbrauchfeststellen.“
Doug seufzt, schaut bekümmertindie
Kamera: „GuteKids kommen manchmal
in Kontakt mit denfalschen Leuten, und
wenn wir sie dann heimschickenmüssen,
tut mir das wirklichimHerzenweh.“ Eine
Erinnerung bewegt ihn, seine Stimme
wirdlauter .„Jugendliche, die hierherkom-
men undkeinerleiRespektgegenüber ih-
renGastfamilien, Lehrernoder uns ha-
ben, denen trauereich nicht nach,wenn
wir sie zurückschicken. Da bin icheinfach
nur froh, dasswir sie los sind.“ SeineFrei-
willigenarbeit und seineRolle als Support
Coordinator bringen ihn manchmal an sei-
ne Grenzen. „Ein sehr schwierigerAus-
tauschschüler,den ic hbetreute,nötigteei-
nen japanischenKollegen dazu, aufFace-
book eineTodesdrohunggegenmichund
einenweiteren freiwilligen Betreuer zu
posten.Wirhaben dann die lokalePolizei
eingeschaltet,die beiden Jungen wurden
in Ge wahrsamgenommen, und wir haben
ihreHeimreise umgehendvorbereitet.“
Doug wirkt nachdenklich. „In der japa-
nischenKultur wirdRespektlosigkeit als
eine der schlimmstenSünden angesehen.
Hätten wir den japanischen Jungen heim-
geschickt, hätten ihn seine Elternaus der
Familie ausgeschlossen,weil er sie mit sei-
nem Verhalten entehrthatte.“ Da er das
Leben des Jungennicht haberuinieren
wollen, habe er sichentschieden, ihm eine
zweit eChance zugeben. „Den aggressi-
venJungen haben wir,ohne zu zögern,
nachHause geschickt, und ichwar sehr
froh, diesem Jungen nie mehr ins Gesicht
schauen zu müssen.“ Esgäbe auchGastfa-
milien,die denAustauschschülernkein gu-
tesZuhause böten. Auchwenn sie sie
nachsorgfältigen Kriterien auswählten,
gäbe es leidernie die vollkommene Sicher-
heit.Als SupportCoordinator müsse man
belastbar sein und einegesunde Distanz
zu denFällen aufbauen,wasihm nicht im-
mer leichtfalle.„Das Traurigste,was ic her-
lebthabe,warder Suizid einer Gastschüle-
rin. Es warschlimm, ihreFamilie im Hei-
matland zu informieren. Sie schickten ihre
Tochter zu uns im Glauben, siewerdeein
phantastisches Jahr erleben, und wir muss-
tenihnen sagen, dassihreTochter nichtle-
be nd zurückkehren würde.“
Doug istein Mann mit viel Herzund
kümmertsich rührendumjeden Gastschü-
ler,der seine Hilfebraucht. DieFreiwilli-
genarbeitist eine Lebensaufgabe.„Alle
schlechten und traurigen Erlebnisse zu-
sammengezähltsind nichts imVergleich
zu dem wunderbaren Gefühl,wenn ich
dazu beitragen kann, dassGastschüler
und ihreFamilien dochnochein wunder-
bares Jahr erlebenkönnen.“
Kyra Blust
Kantonsschule Zürcher Oberland,Wetzikon
V
om Lernen wirdangenommen,
dassesein Ziel haben müsse,
während es inWirklichkeit ei-
nes ist.“ Das Zitat desPädagogen John
Deweynimmt sichGüntherWeber, Leh-
reraneiner Förderschule im rheinhessi-
schen Alzey, zu Herzen. Er mussihnen
nicht nur den Lernstoff beibringen, son-
dernnochviel mehr.Als junger Mann
engagierte er sichinder kir chlichen Ju-
gendarbeit undwolltesoziale Arbeitstu-
dieren. „MeinVatermeinte, das würden
zu viele machen, dasselbekönne man
dochauchals Förderschullehrer tun“, er-
innertsichder heute60-Jährige. Sostu-
dierte er für das Lehramt anFörderschu-
len. Nach einigenWechseln brachte ihn
eine wiederentdeckteLiebe nachAlzey.
Es gibtverschiedeneFörderschwer-
punkte. Man unterscheidetzwischen
Schulen für „ganzheitlicheEntwick-
lung“, für Schüler mitgeistiger Behinde-
rung, Sehbehinderungen und „K-Schu-
len“fürKörperbehinderte.Auf seineAr-
beit an einer Förderschule mit den
Schwerpunkten Lernen und Sprache ist
Weber stolz. „Die Lehrer,die beispiels-
weise an Gymnasien lehren, sind auf ih-
remFachgebietzwartopfit, haben aber
schonwährend ihresStudiumswenig
mit dem sozialen Aspekt ihrer Arbeit zu
tun. Sie sind nun mal da für diefachli-
cheSchiene, emotional haben sie je-
dochkaum etwasmit ihren Schülernzu
tun“, erklärter.Förderschullehrer müs-
sen sichzwangsläufig mit denVerhal-
tensauffälligkeiten der Kinderbeschäfti-
gen. Dasgrößte Problem seiner Schüler
sei das Selbstvertrauen. „Selbstvertrau-
en is tdie Grundbasis für alles.“
Traurig erzählt er,dassdie Kinderoft
ganz anders werden, wenn sierealisie-
ren, au fwas fü reinerSchule sie sind. Die
Elter nsind oftüberfordert. „Viele Kin-
der trauen sich nachdieser Erkenntnis
garnicht smehrzu. Er st wenn sie an sich
selbs tund an ihreFähigkeitenglauben,
kann ic hihnenallesandere beibringen.“
Gernebenutzt erdazu einenErlebnispar-
coursimnahen Wald: „Beisolchen Akti-
vitäten mitspielerischen Gruppenaufga-
ben hat das eigene Handeln direkteAus-
wirkungauf die Situation.Die Kinderse-
hen, dass sie gebraucht werden.“ Er
selbst lerne oftNeues. Er unterrichtet
Werken und Physik.„Weil alle sauf ein-
fachsterEbene erklärtwird, werden au ch
die kuriosestenThemen interessant.“
Underhat eine Theatergruppe gegrün-
det. „Es is teine tolleErfahrung für die
Kinder,inandere Rollen zu schlüpfen.
Viele blühendabei richtigauf.“Auch
heutzutagehätten Kindermit Förderbe-
darfkaumeine Chance, eine „normale“
Schule zu besuchen.Bekümmerterzählt
er voneinem autistischen Jungenaus der
Zeit, als er an einerinteg rierte nGesamt-
schul elehrte. „Kollegen haben entschie-
den, dass Inklusionskinder wie er nicht
mehr am Englischunterricht teilnehmen
dürfen, weil eine neueSprache zukompli-
ziertfür sie sei und durchsie dieganze
Gruppehinterherhänge. Soetwaszer-
brichtmein Förderschullehrer-Herz.“
KiraMann
Gymnasium amRömerkas tell, Alzey
Eine fast blinde
Übersetzer-Studentin.
Klingt spannend:
Skandinavistik.
Gastschülerinden
VereinigtenStaaten.
Förderschüler trauen
sichwenigzu.
Illustration
Studio Zubunt
ZEITUNGINDER SCHULE
Verantwortlich:Dr. Ursula Kals
Pädagogische Betreuung:
IZOP-Institutzur Objektivierung
vonLern- und Prüfungsverfahren, Aachen
Ansprechpartner:
NorbertDelhey
An dem Projekt
„Jugend schreibt“nehmenteil:
Aachen, Couven-Gymnasium,Kaiser-Karls-Gym-
nasiumGymnasiumSt.Leonhard,Inda-Gymna-
siumAschaf fenburg,Friedrich-Dessauer-Gym-
nasium Karl-Th eodor-v.-Dalberg-Gymnasium
Bad BergzabernGymnasium im Alfred-Grosser-
SchulzentrumBad Ems, Goethe-Gymnasi-
umBad Kreuznach, Lina-Hilger-Gymnasi-
umBad Pyrmont, Humboldt-Gymnasi-
umBamberg, Franz-Ludwig-Gymnasi-
umBarsinghausen, Hannah-Arendt-Gymnasi-
umBerlin, Droste-Hülshoff-Gymnasium, Ecke-
ner-GymnasiumBielefeld,BrackwederGymna-
siumBilbao (Spanien) Deutsche Schule Bil-
baoBöblingen, Lise-Meitner-Gymnasi-
umBraunschweig, Wilhelm-Gymnasi-
umBruchsal,Justus- Knecht-GymnasiumBux-
tehude, IGS BuxtehudeCottbus, Pücklergym-
nasiumDresden, Vitzthum-GymnasiumDur-
mersheim ,Wilhelm-Hausenstein-Gymnasi-
umErlenbachHermann-Staudinger-Gymnasi-
umEssen, Goetheschule (Städt. Gymnasi-
um)FrankfurtamMain, Begemann Schule, He-
lene-Lange-Gymnasium, Helmholtzschule, Otto-
Hahn-SchuleFreiburg,Droste-Hülshoff-Gymna-
sium, Max-Weber-Schule (Wirtschaftsgym.)
Freigericht, KopernikusschuleFriedrichsha-
fen, Claude-Dornier-SchuleFürstenwalde, Ka-
tholische Schule BernhardinumFürth, Helene-
Lange-GymnasiumFulda,Marienschule (Gym.
fürMädchen)Geisenheim, Internatsschule
Schloss HansenbergGermersheim, Johann-
WolfgangGoethe-GymnasiumGießen, Land-
graf-LudwigsGymnasiumGöttin gen, Max-
Planck-GymnasiumGroßkr otzenburg,Franzis-
kanergymnasium KreuzburgHamburg,Ebert-
Gymnasium, Marion-Dönhoff-Gymnasium,
Ober stufeLangenhornHohenNeuendorf,Ma-
rie-Curie-GymnasiumIxelles (Belgien), Europäi-
sche Schule III BrüsselKaarst,Georg-Büchner-
GymnasiumKaiserslautern, H.-Heine-Gymn.
(Sportgymnasium),Staatl.GymnasiumamRitters-
bergKarlsruhe, Tulla-RealschuleKempten,All-
gäu-GymnasiumKenzingen, GymnasiumKen-
zingenKöln,Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasi-
umKoprivnica (Kroatien) Gymnasium "FranGa-
lovic"Langenfeld,Konrad-Adenauer-Gymnasi-
umLeutkirch im Allgäu, Hans-Multscher-Gym-
nasiumLichtenstein, Gymnasium "Prof. Dr.Max
Schneider"Linz am Rhein, Martinus-Gymnasi-
umMayen, Megina-GymnasiumMünchen,
Asam-Gymnasium,Willi-Graf-GymnasiumMün-
nerstadt,Johann-Philipp-von-Schönborn-Gymna-
sium,Münster,SchillergymnasiumNeumüns-
ter, Immanuel-Kant-SchuleNürnberg, Joha n-
nes-Scharrer-GymnasiumOgulin (Kroatien),
Gymnasium BernardinaFrankopanaPtuj (Slo-
wenien), Gymnasiums PtujRodewisch, Jo-
hann-Heinrich-Pestalozzi-GymnasiumRosen-
heim, Staatl. Karolinen-GymnasiumRostock,
CJD ChristophorusschuleSaarbrücken, Lud-
wigsgymnasiumSchorndorf, Johann-Philipp-
Palm-SchuleSchwanewede,WaldschuleSin-
delfingen,Stiftsgymnasium SindelfingenSofia,
Galabov-GymnasiumStuttgart, Evang. Heide-
hof-GymnasiumUetikonamSee(Schweiz),Kan-
tonsschule Uetikon amSeeWeinheim, Johann-
Philipp-Reis-SchuleWetzikon (Schweiz), Kan-
tonsschuleZür cherOberlandWiesbaden,Fried-
rich-List-SchuleWilhelmshaven, Neue sGymna-
siumWolfhagen, Wilhelm-Filchner-Schule
Würzburg,St.-U rsula-GymnasiumZagreb(Kroa-
tien), II IGimnazija ZagrebZürich,Kantonsschu-
le ZürichNord
Fürs Leben
lernen
G
ame of Thrones“ hatgeen-
det, aber schon bald erwar-
tetTolkien-Fans das milliar-
denschwere Filmprojektei-
ner Serie imUniversumvon„Der Herr
der Ringe“. Bei einer solchenPopulari-
tät is tesnicht verwunderlich, dassJu-
gendliche dem Reiz unterliegen, die
nordische Mythologie zu entdecken.
Dafüreignetsichein Studiengangganz
besondersgut:Skandinavistik .Wer
sichdieser Literaturwissenschaftan-
nimmt, arbeitet sichdurchverschiede-
neZeitalter dernordeuropäis chen Kul-
turen. An zwei Universitäten in
Deutschland wirddieser Studiengang
angeboten. JonaGolla studiertimdrit-
tenSemester Skandinavistik an der
Goethe-Universität in Frankfurtam
Main. Der 22-Jährigewohnt nochin
seinem HeimatortFlörsheim am
Main. Erkennt sichinSchweden, wo
er auchVerwandtschafthat, gut aus.
Besonders fasziniertihn dieKultur der
skandinavischen Länder.Die Tatsa-
che, dassIsländer heutedie altnordi-
schen Sprachen nochverstehenkön-
nen, machtdas Studium für ihn eben-
falls interessant.
Jona Golla besucht hauptsächlichSe-
minare. Ein Seminargeht beispielswei-
sevon zehn bis zwölf Uhr.Heutegeht
es um Isländersagas. Das sind haupt-
sächli ch Heldengeschichten aus Is-
land, diegrößtenteils mündlichüberlie-
fert wurden. Die Dozentinstarte tden
Laptopund wirfteine Präsentation auf
die Leinwand. Ganz andersverhält es
sichmit derÜbersetzung. Diese hat
Jona Golla schon längstinseinem
Heftstehen. Häppchen für Häppchen
werden einzelne Sätze vorgelesen.
Meistens handeltessichdabeiumText-
auszüge. „Es istein zutiefst befriedi-
gendesGefühl,wenn ic hden Text rich-
tig übersetzt habe“, meintGolla. Ähn-
lichwie im Lateinunterrichtkann die
Runde interessierter Studenten an-
schließend über die Inhaltephiloso-
phieren. Zusätzlichmussdas Werk in
den historischenKontexteingeordnet
werden. Manchmal is tnocheineEmen-
dation, eineKorrektur desTextes, not-
wendig.Jona Gollahatsor gfältigfür al-
les einen Ordner angelegt. Bei Gedich-
tenlässt er zwischen jedemVers eine
Zeile frei. So könnenNotizen zur
Sprachgestaltung ergänzt werden. Aus
dem Deutschunterrichtsind sie noch
bekannt, dieStilfiguren. Dochinder
Schule istein Kenningunbekannt.
Dies isteine kreativeUmschreibung in
der nordischen Dichtkunst: EinFürst
wirdzum Beispiel„Verschwender des
Goldes“genannt.Sowohl herzzerrei-
ßendeLiebes- als auchaufbrausende
Schmähgedichtewerden nüchternun-
terdie Lupe genommen.
Ein bekanntesBeispielist „Das Lied
vonFafnir“.Eserzählt die Geschichte
einesKönigssohns,Fafnir,der sic hin
einen Drachenverwandelt. Sein Bru-
der wurdevomAsengottLoki ermor-
det, und so erhältFafnirsVater einen
Schatz alsWiedergutmachung.Aufdie-
sem lastetjedoch ein Fluch.Weil der
Vaternicht bereit ist, das Goldmit sei-
nen verbleibenden Söhnen zuteilen,
tötetFafnirseinenVater, fliehtmit der
Beuteund wirdzum gefährlichen Dra-
chen. Dieses Bild wurde in einer ande-
renGeschichteaufgeg riffen: Viele erin-
nernsichanTolkiens Geschichte des
kleinenHobbits, der mit einer Gemein-
schaf taus Zwergenzum Ereborreist,
um den Drachen Smaugzutöten.
Um übergenau diese Zusammen-
hängenachzudenken, braucht esZeit.
In de nFreistunden darfein heißerKaf-
feemit viel Sahne nichtfehlen. Dafür
gibt es an der Goethe-Universitätge-
nug Möglichkeiten. Sokann Jona Gol-
la mit einer Lektürevon Tolkienwun-
derbar über den Bezug zur Fantasy
unddessenSprachereflektieren:„Inei-
nem Seminarhat die Dozentin auf die
WeiterentwicklungvonBeowolf zu Be-
orninMittelerde aufmerksam ge-
macht. Interessanter ist, dassTolkien
eine eigene Mythologieerschaffenhat.
Angefangen hat alles mit den elbi-
schen Sprachen. Sie sind anFinnisch
und Walisischangelehnt.“
Vorlesungen gibt es imStudiengang
der Skandinavistik nicht. Zumindest
nicht inFrankfurt. „Es macht logis-
tischkeinen Sinn,20 Leuteineinen
Hörsaalzusetzen. Zudem müssten ja
dann Professoren mitkonkreten The-
men an dieUnikommen, und das wür-
de sichfür diegarnicht lohnen“, be-
hauptetder Student.ZuHausearbeitet
er hin und wieder an einemReferat.
Meistens musserBücher lesen und
analysieren. Dazugehören für ihnvor
allemmoderne Briefromane aus der
neuerenSkandinavistik.Dieses Gebiet
beinhaltet Literaturabdem 17. Jahr-
hundert.„Wem schon zwei oderdrei
Seiten lesen in der Schule zu viel sind,
der solltediesesFach wirklichnicht stu-
dieren.“ Istdas Pensum geschafft,
macht es sichGolla auf dem Lederses-
sel gemütlichund lie st ein paar Seiten
in denWerken vonTolkien. Die Zwer-
ge sind ihmbis nachHause gefolgt.
Schließlichknipsterdas Licht aus und
überlegt, wie sein eigenerFantasy-Ro-
man aussehenkönnte.Viellei chtwird
er schon bald zuPapier gebracht.
Vincent Herzog, Flörsheim am Main,
Graf-S tauffenberg-Gymnasium
N
atali eHerrmann studiertEng-
lischund Niederländischander
Johannes-Gutenberg-Universi-
tät in Germersheim,kommt ur-
sprünglichaber aus Göppingen im Groß-
raumStuttgart. Anschließend möchte sie
alsÜbersetzerin arbeiten, auchfür das Nie-
derländische. Sie istimdritten Semester
des MastersTranslation. Ihr Sehvermögen
verschlechterte sichbereit sbis zu ihrem
zweiten Lebensjahrstark. „Dann hatte ich
eine Netzhautablösung, und seithersehe
ichsoschlechtwie heute, also imWesentli-
chen nicht viel mehr als Hell und Dunkel
oder Umrisse. Ic hglaube, dassich als Kind
nochetwas mehrgesehen habe, ichhabe
also eineVorstellungvon Farben.“
Ihren erste nKontakt mit der Sprache
hatteNatalie Herrmann durch eines ihrer
Hobbys.„Ichliebe Musicals. Irgendwann
bin ic hdann auf einStückgestoßen, des-
sen Musik ichsehr schön, die deutsche CD
aber fürchterlichfand. Aufder Suche nach
einerschönerenAufnahme binich schluss-
endlichbei der niederländischenVersion
gelandet. Ichsingeselbst,wolltealso auch
verstehen können,wasich da singe. So
habe ichmeineersten Brocken Niederlän-
dischgelernt.“
Wörterbücher benutzt sie normalerwei-
se übereine App auf ihrem Smartphone,
das über die SprachausgabeVoice Over be-
dienbar ist. Bei Schulbüchernhängt es da-
vonab, inwelcher Form sie verfügbar
sind. Einigekann sie als E-Bookslesen, an-
dere,vorallem englischsprachigeTitel,
kann sie aus der amerikanischen Daten-
bank „Bookshare“, die speziell für Leute
mit Seheinschränkungengedacht ist, her-
unterladen. Infos aus dem Internetliestsie
ganz einfachmit ihrem Computer oder
Handymit Sprachausgabe. IhreKlausuren
und Hausarbeiten schreibt dieStudentin
am Computer,ebenfalls mit Sprachausga-
be. Sie braucht die Klausuren in einer ein-
fachen Word-Datei, um sie bearbeiten zu
können. Allzu vielkann dabei normaler-
weise nicht schieflaufen, trotzdemgab es
auchschon Dozenten, die ihr die Klausu-
reninFormatengebracht haben, mit de-
nen sie nichtarbeite nkonnte. „Unvergess-
lichist hierbei eine Klausur,die mir als
Pdf-Dateizur Verfügunggestelltwurde.
Diese Pdf-Dateienthielt allerdings nicht di-
rekt de nTextder Fragen,womit ic hnoch
hättearbeiten können, sonderneinen
Scan, also einFotoder Fragen,womit ich
leidergarnichts anfangenkann. Als ich
die Prüfungsaufsicht darauf hinwies,war
ihreReaktion: Ja, aber ichsehe denText
doch!Wasmir in demFall rech twenig wei-
tergeholfenhat.Das Problem ließsich
zwar beheben,waraber nicht direkt die
beste Ausgangssituation für eine Klausur.“
Es habe immer schon Lehrer,gegeben,
die sichmehr Gedankendarumgemacht
haben, wie sie ihr dieTeilnahme an ihrem
Unterrichtsoproduktiv wie möglichgestal-
tenkönnen. „Dazugehörtvor allem Rian-
ne Fuchs-Franke, meine Niederländisch-
Dozentin, die michseit meinem ersten Tag
in Germersheim unterstützt hat,wofür ich
ihr sehr dankbar bin“, berichtetNatalie.
Es gibtaber ebenauchjene, die sich
nichtbesonders um die Tatsache küm-
mern,dasssie eineStudentin haben, dieet-
wasnicht sehenkann. Gerade in Englisch,
wo die Kurseumeinigesgrößer undnatür-
lich auch unpersönlicherseien,gebe es Do-
zenten, die nicht allzusehr auf einzelneStu-
denten eingehenwollten oderkönnten.
„Ic hhatteein SemesterlangeineÜbers et-
zungsübungbeieinemDozenten,der mi ch,
um mich aufzurufen,genauso wiedie ande-
renStudenteneinfach nur angeschauthat,
wasich natürlich nicht sehenkann. Meine
Strategie waresdann, mich angesprochen
zu fühlen,wennauf sein aufforderndes
‚Ja?‘ niemandanders reagierte.Mir is tklar,
dass ichkeinen wirklichenAnspruch auf
die Unterstützungmeiner Dozentenhabe.
Ichkenne blindeStudenten,die davonüber-
zeugt sind,einen Anspruchdarauf zuha-
ben,diePräsentationen ihres Dozentenvor-
ab in digitalerForm zu erhalten.“
Die 25-Jährigeist im Großenund Gan-
zen zufrieden mit der Situation. Eingro-
ßer Vorteil derUniist für sie, dassalles
klein und überschaubar ist, mankann sich
also prakti schnicht verlaufen. „Ichhabe
auchandereUniversitäten besucht und hat-
te dabei immer den Eindruck,dassdie grö-
ßeren Anlagen, bei denen man zwischen
den Unterrichts stunden mitetwasPech
durchdie halbeStadtmu ss,für meinen Ge-
schmack zu stressigwären.“
Natalie hat ein Appartement mit eige-
ner Kücheund Bad imStudentenwohn-
heim. Sie entschied sichbewusst gegendie
Unterstützung durcheinen Blindenhund.
Ein Blindenhund istimmer in erster Linie
auchein Hund,der neben derZeit, in der
er im Geschirrgeht, alsoarbeitet,Freizeit
mit Auslauf undRaum zum Spielen
braucht. Deswegen würde ein Hund für sie
im AugenblickmehrArbeit alsVorteile
bringen, unter anderemkönnen sie nicht
ihr ganzes Leben lang Blindenhund sein.
„Mirwürde es aus emotionaler Sicht
schwerfallen,einen Hund, mit dem ichjah-
relang zusammengearbeitet habe, einfach
wegzugeben und zu ersetzen.“
Aufdie Frage, wassie sic hwünsche, ant-
wortet Natalie Herrmann: „Ichwärewirk-
lichgerne in der Lage, einfachein Buch in
dieHand zu nehmen und zu lesen.Ich wür-
de auchgerne einfachmal in einen Buchla-
den gehen und michvon der Auswahl dort
inspirieren lassen,umzuentscheiden,was
ichgerne lesen möchte. Es ist,glaube ich,
dochnochmal etwasanderes, eingedruck-
tesBuchinder Hand zu haben.“
EsraThaliaFuchs
Gymnasium amRömerkas tell, Alz ey
Plöt zlich
ein Drache
Skandinavistik eröffnet
phantastischeWelten
Vom Buc hträumen
Retour wegenHeimw eh oderPillen
Manchmalschickt Doug Hinckleyvom American Field ServiceGastschüler zurück
Natalie sieht fast nichts undstudie rt EnglischundNieder ländisch.
Dasgelingt ihrdank Sprachausgabe-Technik undeine rDozentin gut.
Mehr Selbstvertrauen
Ein Förderschullehrer will Kinderstärken