Die Welt - 07.03.2020

(Ben Green) #1

E


s war einmal ein Schuh,
vielmehr das Symbol eines
Schuhs auf einem Schild.
Hoch- und spitzhackig war
er und durchgestrichen: Be-
treten mit spitzen Absätzen verboten.
Damit wurden viele Jahre lang die Besu-
cher des Palais de la Porte Dorée aufge-
fffordert, die empfindlichen Mosaikbö-ordert, die empfindlichen Mosaikbö-
den zu schonen.

VON SILKE BENDER

Daraus wurde Christian Louboutins
Cinderellaschuh, in dem seine frühpu-
bertären Fantasien spazieren gingen.
„So einen Schuh hatte ich noch nie zu-
vor an einer Frau auf der Straße gese-
hen“, erzählt er. Wer mögen wohl die
mmmysteriösen Wesen sein, die mit solchysteriösen Wesen sein, die mit solch
erotischem Schuhwerk unterwegs sind?
Zurück zu Hause begann der damals
Zwölfjährige, seine ersten Schuhe auf
Papier zu skizzieren.
Als Teenager lernte er das Schuh-
handwerk von der Pike auf, erst bei
Charles Jourdan, dann bei Roger Vivier.
1 991 eröffnete er sein erstes eigenes Ge-
schäft in Paris. Heute, knapp 30 Jahre
später, ist Christian Louboutin der
Chef eines der wohl bekanntesten und
immer noch unabhängig arbeitenden
Schuhhäuser der Gegenwart: Seine
High Heels und sein Markenzeichen,
die roten Sohlen, kleiden die schönsten
Frauen der Welt. Nun macht er den Ort
seiner Initiation zum Schauplatz der
Erzählung seiner märchenhaften Kar-
riere – und richtet gleichzeitig die
Scheinwerfer auf eines der wohl unbe-
kanntesten Architekturmonumente
von Paris.
Das Palais de la Porte Dorée liegt im
äußersten Südosten von Paris, am
Stadtwald Bois de Vincennes. Nur we-
nige Touristen verirren sich hierher,
und selbst Parisern ist das prachtvolle
Art-déco-Gebäude mit seinen üppigen
WWWandreliefs aus den 30er-Jahren bisherandreliefs aus den 30er-Jahren bisher

kaum ein Begriff. Erbaut als „Museum
der Kolonien“, heißt es heute politisch
korrekt „Museum der Immigration“,
beherbergt neben Artefakten und Kunst
aus den ehemaligen französischen
Überseegebieten auch ein großes tropi-
sches Aquarium.
Zum Pressegespräch empfängt Lou-
boutin in einem beigefarbenen Leinen-
anzug, er trägt flache, schwarz-weiße
Collegeslipper, um die prachtvollen Bo-
denmosaiken zu schonen, und scheint
vor lauter Begeisterung immer noch
ganz von den schwarz-weiß gestreiften
Socken. „Das Palais de la Porte Dorée
ist der Schlüssel zu allem“, sagt er. „Als
ich 1987 meinen ersten eigenen Schuh
entwarf, einen Pumps aus Makrelen-
haut, fotografierte ich ihn hier vor dem
Aquarium.“
Er wuchs in der unmittelbaren Nach-
barschaft auf, seine Schule befand sich
gleich hinter dem Museum. Als Kind be-
suchte er mit seinen Eltern hier oft das
Aquarium, war fasziniert von dem orna-
mentalen Reichtum der Reliefs, der
WWWandfresken, der Bodenmosaiken undandfresken, der Bodenmosaiken und
träumte von den fernen Ländern, von
denen sie erzählten. „Hier ist es, wo ich
auch die Vielfalt der angewandten und
dekorativen Kunst entdeckte: die Mo-
numentalität der Flachreliefs von Al-
fffred Auguste Janniot, die spektakulärenred Auguste Janniot, die spektakulären
Fresken von Ducos de la Haille, die
Schmiedekunst von Jean Prouvé, die
Möbel von Ruhlmann und Printz.“

AUSSTELLUNG IN ZEHN KAPITELN

In zehn Kapiteln und kinoreifen Szeno-
grafien verwandelt Louboutin den Ort
seiner Kindheit nun zu einer ganz per-
sönlichen Wunderkammer. Er zeigt
nicht nur seine berühmtesten Schuh-
modelle, sondern feiert gleichzeitig
auch das zeitgenössische Kunst- und
Schuhmacherhandwerk, für das er rund
um den Globus reiste und keine Kosten
und Mühen scheute: Den Auftakt macht

ein schwarzer Raum mit dramatisch il-
luminierten Motivglasfenstern, die die
sieben Pfeiler seiner Inspiration dar-
stellen: Er ließ sie vom Pariser Maison
du Vitrail herstellen, dem ältesten noch
existierenden Handwerks- und Restau-
rierungsatelier für Kirchenfenster.
Für das Kapitel „Schatzkammer“ ließ
er nicht nur einen überdimensionalen
Pumps aus Kristall skulptieren, nein, er
beauftragte auch Handwerker in Sevil-
la, einen aufwendig dekorierten Trag-
sessel zu fertigen, wie er bei den religiö-
sen Prozessionen in der Stadt benutzt
wird, und bat den indischen Modedesig-
ner Sabyasachi Mukherjee, die Stoffbe-
züge prachtvoll und bunt zu besticken.
Bollywood und Katholizismus, Religion
und Popkultur – in Louboutins Univer-
sum werden die fernsten Welten kurz-
geschlossen.

TANZENDE 3-D-HOLOGRAMME

Im „Bhutanischen Theater“ kommt al-
les zusammen: Geschnitzt wurden die
Architekturelemente eigens für diese
Szenografie im Himalajastaat Bhutan,
seit vielen Jahren einer von Louboutins
Lieblingsorten auf der Welt. Dessen
Tempelbaukunst ersteht nun auf in ei-
ner ganz neuen Atmosphäre: In dem
schummrigen Raum mit halbrunden
Sitzpolstern, halb Nachtklub, halb Ka-
barett, tanzen als geisterhafte 3-D-Ho-
logramme: seine Musen Blanca Li und
Dita von Teese, die eine ein Flamenco-
star, die andere die wohl bekannteste
Burlesquekünstlerin der Gegenwart.
Ebenso prägend wie das Palais de la
Porte Dorée war für Louboutin nämlich
auch der Tanz- und insbesondere ein
Nachtklub: die mythische Pariser Disco
„Palace“ in den 70er-Jahren.
Hier avancierte Louboutin, noch kei-
ne 16 Jahre alt, an der Seite seiner älte-
ren Modelfreundin Farida Khelfa zum
berühmtesten Tänzer der Stadt. Von
Karl Lagerfeld über Jean Paul Gaultier,

den Künstlern Pierre & Gilles bis zur
Dior-Schmuckdesignerin Victoire de
Castellane oder Parfümeur Frédéric
Malle – sie alle bewunderten seine
Tanzkünste: Der minderjährige Traum-
tänzer mit den wilden Afrolocken galt
als die coolste Socke von allen. Heute
trägt Louboutin Glatze und wird, da-
rauf angesprochen, fast ein bisschen
rot. „Nein“, lächelt er verlegen. „Meine
Tanzschuhe von damals habe ich nicht
behalten. Es waren ganz günstige Vinta-
gemodelle, meist spitze Herrenschuhe
aus den Fifties, wie ich sie in meiner
kleinen Größe 40,5 oft auf dem Floh-
markt fand.“

DAS GEHEIMNIS DER ROTEN SOHLEN

Dass er ausgerechnet das Schuhwerk
seines ersten Ruhmes nicht aufbewahr-
te, ist erstaunlich: Hat doch der Desig-
ner sonst eine ausgeprägte Sammellei-
denschaft, wie eine der letzten Insze-
nierungen in der Ausstellung beweist.
Sein „imaginäres Museum“ wird von
Hunderten großer und kleiner Objekte,
alles Stücke seiner privaten Sammlung,
bevölkert: Gemälde, Souvenirs, Arte-
fffakte aus allen Teilen der Welt, Möbelakte aus allen Teilen der Welt, Möbel
oder Skulpturen, die in seinem Werk ei-
ne große Rolle spielten. „Ich sammle ei-
gentlich nicht“, sagt er und lächelt. „Ich
häufe an, und das auf sehr unstrategi-
sche, eklektische Weise.“ Hier wird
auch das Geheimnis seiner roten Soh-
len gelüftet. 1992 arbeitete er an einer
Pop-Art-Kollektion. Für das Modell
„Pensée“ ließ er sich von dem Sieb-
druck „Flowers“ von Andy Warhol in-
spirieren. Der erste Prototyp gefiel ihm
nicht, und so griff er nach dem Nagel-
lack seiner Assistentin, um die schwar-
ze Sohle rot zu lackieren. Der Rest ist
Geschichte.

TDie Ausstellung „Christian Loubou-
tin: L’Exhibitioniste“ läuft bis 26. Juli
im Palais de la Porte Dorée in Paris

AAAuf uf ROTER Sohle


durch die Welt


Der Palais de la Porte Dorée war eine wichtige Inspiration für den berühmten Schuhdesigner


Christian Louboutin. Nun erzählt er in den Räumen des Pariser Architekturmonuments von


seinem Schaffen. Mit überdimensionalen Pumps aus Kristall und einem „Bhutanischen Theater“


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07.03.20 Samstag,7.März2020DWBE-VP1


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STIL


Tefaf in Maastricht zeigt


Kunst aus 7000 Jahren Seite 39


Antiquitätenmesse


Oben links: Espelio. Oben rcchts: Das High-Heel-Verbotsschild im Palais
de la Porte Dorée inspirierte Christian Louboutin zu seinem berühmten
Pigalle-Schuh. Unten: Hochhackig in allen Hautfarben dieser Welt

JEAN-VINCENT SIMONET (3); MARC DOMAGE / PALAIS DE LA PORTE DORÉE; COURTESY OF CHRISTIAN LOUBOUTIN

Christian Louboutin, Schöpfer der Schuhe mit den berühmten roten Sohlen

Ein Schild, das High Heels auf den wertvollen Mosaikböden des Palais de la Porte Dorée verbot, regte Louboutins Fantasie an

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