Die Welt - 03.03.2020

(Nancy Kaufman) #1
tenden typisch märkischen „Leichtbe-
gnüglichkeit“ gestoßen) – nach vielen
Irrungen und Wirrungen also kam es
1991 tatsächlich zur (Neu-)Gründung
der Stiftung durch den nun Märkisch-
Oderland genannten Landkreis.
Aber jetzt könnte es bald vorbei sein
mit dem „schönen, dauernden Denk-
mal“, wie es Gerhart Hauptmann opti-
mistisch heraufbeschworen hat. Am 6.
Juni 2018 bereits beschlossen der Bür-
germeister der Bäderstadt sowie der
Landrat von Märkisch Oderland, das
Kleinod europaweit zum Verkauf auszu-
schreiben. Wie man hört, wird derzeit
verstärkt mit mehreren Investoren ver-
handelt. Zwar hat der Landkreis mit der
Verkaufsabsicht die Idee verbunden, im
ersten Stock des Schlosses solle es wei-
terhin eine Gedenkstätte für seinen
einstigen Besitzer, Walther Rathenau,
geben. Aber welcher Privatmann, der
ein Anwesen besitzt, das nur zwei
Stockwerke umfasst, wird eine komplet-
te Etage für den Publikumsverkehr öff-
nen? Es handelt sich hier schließlich
nicht um Schloss Neuschwanstein, son-
dern, ursprünglich, um den sommerli-
chen Witwensitz einer preußischen Kö-
nigin, den dann der damalige Großun-
ternehmer Rathenau zu einem rosafar-
benen Tusculum umgestaltete, klein,
intim, mit Miniaturgästeappartement
für eine weitere Person.
Ein doppelter Gedächtnisort also, ein
preußischer und einer für die deutsch-
jüdische Symbiose. Eine ganz einzigar-
tige, reizvolle, in vielfacher Hinsicht in
die deutsche Geistes- und Kulturge-
schichte ausstrahlende Lokalität. Und
damit nicht zuletzt das einzige Glanz-
licht an einem Ort, der bei allem Res-
pekt für den immer noch vorhandenen
Heilbetrieb doch sehr in die Randlage
gerutscht ist, auch nicht eigentlich zum
viel beschworenen Berliner Speckgürtel

E


s war kein Geringerer als
Gerhart Hauptmann, da-
mals der bekannteste Dich-
ter Deutschlands, der
sprach. Er übergab das An-
wesen der Öffentlichkeit mit den feier-
lichen Worten: „So wie auch mir in
glücklicher Zeit, stehen nun die gast-
freien Pforten von Park und Schloss
Freienwalde allen offen, ein Segen für
viele Generationen, der seinem Dona-
tor zum schönen, dauerhaften Denkmal
werden möge.“ 1927 war das, und acht-
zig Jahre später wurde aus Anlass der
Wiedereröffnung von Schloss und Wal-
ther-Rathenau-Gedenkstätte nach
gründlicher Restaurierung nicht ohne
Rührung dieses Segenspruchs gedacht.

VON TILMAN KRAUSE


Denn der „Donator“, der edle Spen-
der also, war tatsächlich kein anderer
als der erste und bislang einzige jüdi-
sche Außenminister in Deutschland, der
nach nur fünfmonatiger Amtszeit am


  1. Juni 1922 einem Terrorakt der fana-
    tisierten antisemitischen Rechten zum
    Opfer fiel. Jedoch der kluge Mann,
    wahrscheinlich die größte politische Po-
    tenz der Weimarer Republik neben
    Stresemann, hatte vorgesorgt. Bereits
    kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs
    wandelte der damalige oberste Organi-
    sator der deutschen Kriegswirtschaft
    sein 1909 erworbenes Zweitdomizil im
    beschaulichen Bad Freienwalde, 60 Ki-
    lometer nordöstlich von Berlin im soge-
    nannten Oderbruch gelegen, in eine
    Stiftung um.
    1926 schenkten es die Erben dem
    Landkreis Oberbarnim. Und nach vielen
    Irrungen und Wirrungen (das Fontane-
    Zitat fällt nicht von ungefähr, war doch
    der Wanderer 1863 an den Badeort ge-
    langt und hatte sich dort an der obwal-


zählt. Die große Zeit des bereits vom
Großen Kurfürsten zum „Staatsbad“ er-
hobenen „Gesundbrunnens“, sie liegt
wahrlich weit zurück, der Ort wirkt heu-
te ziemlich trostlos. Und auch die Erin-
nerung an einen späteren großen Sohn
des Ortes, den Schriftsteller, Psychothe-
rapeuten und WELT-Literaturpreisträ-
ger Hans Keilson, der hier sein Roman-
debüt von 1933, „Das Leben geht wei-
ter“, spielen ließ und nach dem seit ei-
nigen Jahren die hiesige Stadtbibliothek
benannt ist, kann das Renommee von
Freienwalde nicht sonderlich heben.
Umso mehr Aufmerksamkeit ver-
dient, wie gesagt, das Schloss. Es han-
delt sich hier um einen Bau des Früh-
klassizisten David Gilly. Bei ihm be-
stellte die Witwe König Friedrich Wil-
helms II. (und nicht Königin Luise, wie
man immer wieder hört, die von Gilly
Paretz bauen ließ!) 1797 dieses Bau-
werk. Es erinnert also an jene Epoche,
die der Freienwalde-Fan und (erste,
viele sagen: noch immer beste) Rathe-
nau-Biograf, der große kulturelle und
diplomatische Strippenzieher Harry
Graf Kessler, „die schillerndste, geist-
reichste, leichteste Zeit Preußens“ ge-
nannt hat. Und da ist was dran.
Denn der düstere Schatten Friedrichs
des Großen hatte sich um 1790 verzo-
gen, und tatsächlich holte das Land un-
ter seinem Nachfolger nun spät, aber
doch noch das „galante Zeitalter“ nach,
das zwar unter dem großen König in
den herrlichen Rocaillen in und an sei-
nen Lieblingswohnsitzen zum Ausdruck
gekommen, aber im Zeichen seiner vie-
len Kriege nicht auf die Untertanen
übergesprungen war.
Die Jahre zwischen Friedrichs Tod
1786 und der furchtbaren Niederlage ge-
gen Napoleonbei Jena und Auerstedt
1806, in die der Bau von Schloss Freien-
walde fällt, stellen so etwas wie die Ru-

he zwischen den Stürmen dar und be-
zeichnen eine Idylle von ganz eigenem
Reiz: Noch herrschte der altpreußische
Sinn für Einfachheit und Sparsamkeit,
aber er verband sich doch mit einem
entspannten Lebensgenuss, dazu mit
Eleganz und Geschmack.
Sie kamen vor allem in der Innenein-
richtung des Schlösschens wunderbar
zum Ausdruck, von der sich allerdings
so gut wie nichts erhalten hat. Da waren
die in Weiß- und Silbertönen gehalte-
nen Salons mit ihren aparten Papierta-
peten, in denen zierliche Bäumchen in
den Himmel wachsen. Da war nicht zu-
letzt auch die feminine Atmosphäre um
eine Königinmutter, die unter einem ge-
malten Rosenbaldachin zu speisen be-
liebte und auch ihr Schlafgemach so ge-
staltete, dass es an ihre Mädchenmor-
genblütenträume gemahnen mochte.
Und ebendies war ganz nach dem Ge-
schmack des schriftstellernden, malen-
den, philosophierenden Unternehmers
und Politikers Rathenau. Natürlich
schlug er sein Bett in jener Kemenate
auf, in der bereits Ihre Majestät das
Haupt zur Ruh gebettet hatte. Altwei-
bersommerfarben dominierten. Man
denkt unwillkürlich an Kesslers medis-
antes Wort von der „männlichen alten
Jungfer“, wenn man sich die alten Fotos
anschaut, die Rathenau nach der Wie-
derherstellung von Schloss Freienwalde
um 1911 anfertigen ließ und in Abzügen
gern seinen Gästen als Geschenk mit-
gab. Doch er verdämmerte hier keines-
wegs die Jahre irgendeiner Witwen-
schaft. Er ließ hier ein Stück Altpreußen
wieder aufleben, dem seine ganze Liebe
und Hochachtung galt, zumal das ge-
genwärtige Preußen unter dem säbel-
rasselnden Gernegroß Wilhelm II.
längst, wie er in seinen Essays „Zur Kri-
tik der Zeit“ schrieb, in Wohlstandsver-
fettung degeneriert war. Und Rathenau

führte hier überdies mit ausgewählten
Freunden sein geselligen Leben der
Reichshauptstadt fort. Der Duzfreund
Gerhart Hauptmann besuchte ihn in
Freienwalde, natürlich der in so vielem
gleichgeartete Harry Graf Kessler, aber
eben auch jene merkwürdigen Gurus,
Spintisierer und, jawohl, auch sie, völ-
kisch angehauchte Publizisten, von de-
nen sich der Dandy Kessler vor allem an
Hermann Burte stieß.
Diesen Schriftsteller, dessen Roman
„Wildfeber, der ewige Deutsche“ 1912
zum Bestseller wurde, ließ Hitler 1944
auf die Gottbegnadetenliste setzen. Um
1910 hingegen war Burte ein gut ausse-
hender Mann vom Typus „Jungsieg-
fried“, für den Rathenau nun mal ein
Faible hatte, während Kessler an dem
Recken hauptsächlich den „erschre-
ckenden Unterkiefer, mit dem er Kno-
chen zermalmen könnte“, wahrnahm.
Dies alles, Spätrokoko und Frühklas-
sizismus, Preußentum und deutsch-jü-
dische Symbiose, Ahnung „Von kom-
menden Dingen“ (so überschreibt Ra-
thenau seinen größten publizistischen
Erfolg von 1917; gemeint war ein Wohl-
fahrtsstaat, der an die Stelle der Obrig-

keitsherrschaft treten sollte) und eine
Gegenwart, die durch die Abendröte der
Monarchie, durch Krieg, Revolution
und erste Anzeichen der braunen Bar-
barei geprägt war – dies alles funkelt
folglich in diesem kleinen Landschlöss-
chen, in dem sich wie in einem Prisma
die Strahlen deutscher Haupt- und Ne-
benwege bündeln.
Es müssten doch Mittel gefunden
werden können, um diesen Ort der Öf-
fentlichkeit zu erhalten. Warum nicht
eine Stätte zur Erforschung des
deutsch-jüdischen Verhältnisses hier
ansiedeln oder eine zur Vielzahl von
Deutschlandbildern in einem einzigen
deutschen Kopf? Denn Rathenau, der
Wirtschaftsliberale, Sozialethiker, der
mit dem Vertrag von Rapallo Diploma-
tiegeschichte geschrieben hat und
Deutschland 1922 aus der Isolation des
Kriegsverlierers herausführte; Rathe-
nau, der selbstbewusst auftretende Jude
mit der geheimen Kammer für den jüdi-
schen Selbsthass samt seiner Bewunde-
rung für die blonde Bestie: Er steht für
eine Komplexität deutscher Geistigkeit,
die wir noch immer nicht wirklich auf-
gearbeitet haben.

RRRettet ein deutsches Denkmal!ettet ein deutsches Denkmal!


Ein Gedächtnisort droht zu verschwinden: Bad Freienwalde bei Berlin


hat sein Schloss zum Verkauf ausgeschrieben. Damit wird das Andenken Walther Rathenaus


und eine Ikone des Klassizismus der Öffentlichkeit entzogen


Doppelter Gedächtnisort: Schloss Frei-
enwalde bei Berlin erinnert an Preu-
ßens Klassizismus und an Walther
Rathenau, der das Anwesen 1909 er-
warb. Wir zeigen auch Innenansichten
von 1911 sowie ein Detail des Parks

ULLSTEIN BILD

/ ILONA STUDRÉ

PICTURE ALLIANCE/ DPA

/ PATRICK PLEUL

ULLSTEIN BILD (2)

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03.03.20 Dienstag,3.März2020DWBE-HP


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