Handelsblatt - 03.03.2020

(やまだぃちぅ) #1

Z


ehntausende Uiguren leis-
ten nach Recherchen des
australischen Thinktanks
Australian Strategic Policy
Institute (Aspi) angeblich
Zwangsarbeit in der chinesischen
Wirtschaft – auch außerhalb ihrer
Heimatprovinz Xinjiang. Unter den
betroffenen Firmen sind Zulieferer
internationaler Konzerne. Die am
Sonntag veröffentlichte Studie stützt
sich vor allem auf die Auswertung
von Satellitenbildern und Lieferan-
tenbeziehungen. Der Vorwurf der
Autoren: Es gebe Beweise „für die
Ausbeutung uigurischer Arbeitskräfte
und die – möglicherweise unwissent-
liche – Beteiligung ausländischer und
chinesischer Unternehmen an Men-
schenrechtsverletzungen“.
Aspi schätzt, dass von 2017 bis
2019 mindestens 80 000 Uiguren als
Zwangsarbeiter in ganz China einge-
setzt wurden. Die 27 betroffenen Fa-
briken sollen zahlreiche chinesische
sowie internationale Unternehmen
wie Apple, Asus, Hitachi, Huawei, La-
coste, Mitsubishi sowie Panasonic be-
liefern. Auch deutsche Konzerne wie
Adidas, BMW, Bosch, Siemens und
Volkswagen werden von den Autoren

als Nutznießer der Ausbeutung ge-
nannt. Manche der Firmen erhalten
direkt Produkte aus diesen Fabriken,
andere wiederum profitierten von
Zulieferern, die Zwangsarbeiter ein-
setzen.
Seit Jahren prangern Menschen-
rechtsorganisationen wie Amnesty
International den Umgang Chinas mit
der uigurischen Minderheit im Nord-
westen des Landes an. Peking hat seit
2017 rund eine Million Uiguren in
Xinjiang in Massenlagern interniert.
Dabei handle es sich um „Ausbil-
dungsstätten“, in denen Angehörige
der muslimischen Minderheit „dera-
dikalisiert“ und „umerzogen“ wür-
den, sodass sie Arbeit in der chinesi-
schen Wirtschaft finden könnten.
Menschenrechtler wiederum spre-
chen von politischer Indoktrination
und Assimilation, also der kulturellen
Unterdrückung einer ethnischen
Minderheit. So berichten Gefangene,
dazu gezwungen worden zu sein, ih-
re muslimische Religion und Kultur
aufzugeben.
Die Aspi-Studie zeigt nun auf, dass
die Uiguren offenbar in ganz China
Zwangsarbeit leisten müssen. Lokale
Verwaltungsmitarbeiter und private
Vermittler erhielten von der Provinz-
regierung ein Preisgeld für jeden ver-
mittelten Uiguren, die dann in geson-
derten Zügen an ihren Arbeitsplatz
gebracht werden.
Für die deutschen Firmen ist der
Bericht heikel – das Problem wurde
mehrmals öffentlich aufgegriffen. Fast
alle Unternehmen haben Beschaf-
fungsregeln, die eine Beschäftigung
von Zwangsarbeitern auch in der Zu-
lieferkette verhindern sollen. „Die
Adidas-Arbeitsplatzstandards verbie-

ten jegliche Form der Zwangsarbeit
und Gefangenenarbeit und gelten für
alle Unternehmen der Lieferkette glei-
chermaßen“, erklärt der Konzern auf
Anfrage. „Aufgrund der im Frühjahr
2019 eingegangenen Hinweise haben
wir unsere Zulieferer ausdrücklich an-
gewiesen, keine Produkte und kein
Garn aus der Region Xinjiang zu be-
ziehen“, erklärt der Sportartikelkon-
zern. „Bei allen Zulieferern und Sub-
unternehmern ist Zwangsarbeit für
uns ein Ausschlusskriterium für die

Zusammenarbeit“. Warum Adidas
dennoch in dem Bericht auftaucht,
erklärt der Konzern nicht.
Siemens erklärte, man unterhalte
seit 2001 ein Büro in Xinjiang. Dort
seien rund 50 Mitarbeiter beschäf-
tigt, davon etwa zehn Prozent Uigu-
ren. „Siemens arbeitet ausschließlich
mit Lieferanten zusammen, die sich
gegen Zwangsarbeit verschreiben.
Das gilt für China wie auch für alle
anderen Staaten“, hieß es in einer
Stellungnahme.

Bei Volkswagen ist der in der Stu-
die genannte Zulieferer kaum be-
kannt. Interne Recherchen hätten er-
geben, dass das Unternehmen der
Sublieferant eines Zulieferers sei,
hieß es am Montag in Konzernkrei-
sen. Dieser Zulieferer arbeite nicht
mit VW zusammen, sondern mit des-
sen chinesischem Partner FAW.
Volkswagen betreibt keines seiner 33
Werke in China allein, sondern im-
mer mit einem lokalen Partner. Zu-
sammen mit dem Autohersteller
FAW macht der VW-Konzern etwa
die Hälfte seines China-Umsatzes. Die
australische Studie ist für Volkswagen
der Aufhänger für weitere interne
Untersuchungen. Es seien noch etli-
che Fragen offen, verlautete aus Kon-
zernkreisen.
Auch bei BMW zeigt man sich
überrascht: „Die Ersteller der Studie
standen nicht mit uns in Kontakt“,
erklärt eine Sprecherin auf Anfrage,
eine inhaltliche Aussage sei deshalb
nicht möglich. Grundsätzlich habe
BMW „die Abfrage von Nachhaltig-
keitsstandards der direkten Lieferan-
ten in den Vergabeprozess inte-
griert“, erklärt der Konzern. Eine An-
forderung an direkte Lieferanten sei
es, die BMW-Richtlinien in der Liefer-
kette durchzusetzen.
Bei Bosch hieß es, es sei keine Lie-
ferbeziehung zu dem betreffenden
Unternehmen bekannt. „Bosch be-
kennt sich zu fairen Arbeitsbedingun-
gen und der Achtung der Menschen-
rechte. Jeder potenzielle Lieferant
wird von uns daher schon seit vielen
Jahren zur Einhaltung entsprechen-
der Standards vertraglich verpflich-
tet“, erklärte der Konzern.

Unterdrückung ist gut
dokumentiert
Aspi behauptet, die 83 betroffenen
Konzerne mit den Recherchen kon-
frontiert zu haben. Eine kleine An-
zahl der Unternehmen habe verspro-
chen, ihre Beziehungen zu den be-
troffenen Lieferanten noch dieses
Jahr beenden zu wollen. „Andere, da-
runter Adidas, Bosch und Panasonic,
gaben an, dass sie keine direkten ver-
traglichen Beziehungen zu den in die
Arbeitsprogramme involvierten Lie-
feranten hätten, aber keine Marke
könne ein Glied weiter unten in ihrer
Beschaffungskette ausschließen“,
heißt es im Bericht.
Aspi wurde 2001 von der australi-
schen Regierung ins Leben gerufen
und soll die Öffentlichkeit über poli-
tisch-strategische Themen aufklären.
Finanziert wird der Thinktank teil-
weise vom Verteidigungsministeri-
um. Australien ist einer der wichtigs-
ten Rohstofflieferanten für China,
aber auch einer der schärfsten Kriti-
ker von Menschenrechtsverstößen
der Regierung in Peking.
Die Unterdrückung der Uiguren in
Xinjiang ist mittlerweile gut doku-
mentiert. Vermittelte Zwangsarbeiter,
so schreibt Aspi, müssten sich „nach
ihrer Arbeit ideologischer Indoktrina-
tion unterziehen, sind ständig der
Überwachung ausgesetzt und dürfen
nicht an religiösen Handlungen teil-
nehmen“. Die chinesische Regierung
solle ihre Bürger frei entscheiden las-
sen, welche Arbeit sie verrichten und
wo sie wohnen wollen, fordert Aspi.
In China leben rund zehn Millio-
nen Uiguren. Sie sind ethnisch ein
Turkvolk, viele fühlen sich von den
herrschenden Han-chinesischen
Siedlern kulturell, politisch wie auch
wirtschaftlich benachteiligt und un-
terdrückt. Peking wiederum wirft ei-
nigen uigurischen Gruppen Separa-
tismus und Terrorismus vor. Sha Hua,
Markus Fasse, Joachim Hofer, Stefan
Menzel

Zwangsarbeit


Deutsche Firmen in


China unter Druck


Eine Studie wirft Peking massive Ausbeutung der


Uiguren vor. Adidas, BMW und VW sollen involviert


sein – weisen ihre Beteiligung aber zurück.


Uigurinnen in der
Provinz Xinjiang:
Die Unterdrückung
der Minderheit ist gut
dokumentiert.

AFP/Getty Images

Unterdrückte Minderheit

10


MILLIONEN
Menschen, die der uigurischen
Volksgruppe zugeordnet werden,
leben in China.

Quelle: Aspi

Unternehmen & Märkte
DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
22

Corona-Infektion

Das Virus lähmt die


Unternehmen


Vodafone stellt Angestellte
unter Quarantäne. Auch
BMW und Pro Sieben melden
Infektionen – bislang aber
nur Einzelfälle.

S. Scheuer, M. Fasse, S. Hofer
Düsseldorf, München

D


ie Ausbreitung des Coronavi-
rus lähmt zunehmend die
Arbeit der Unternehmen in
Deutschland. Bei einem Mitarbeiter
von Vodafone wurde das Coronavi-
rus nachgewiesen. Der Mann hatte ei-
ne Karnevalssitzung im Kreis Heins-
berg besucht, wie ein Vodafone-Spre-
cher dem Handelsblatt sagte. Nach
der Sitzung war der Mitarbeiter zwar
nicht mehr in Deutschland, aber für
eine Dienstreise an Vodafone-Stand-
orten in Großbritannien. Der Mann
war am Freitag positiv auf das Coro-
navirus getestet worden. Nun befin-
det er sich in häuslicher Quarantäne
an seinem Wohnort in Nordrhein-
Westfalen.
Der Fall des Vodafone-Mitarbeiters
zieht bereits weitere Kreise. Denn der
Infizierte hatte in Großbritannien in-
tensiven Kontakt zu weiteren Mitar-
beitern des Telekommunikationsun-
ternehmens. Darunter ist auch ein
Mann, der sich mit dem Kollegen aus
Düsseldorf in Großbritannien aufge-
halten hatte und am Vodafone-Stand-
ort in Unterföhring bei München ar-
beitet.
Nach der Dienstreise war er nach
Deutschland zurückgekehrt und hat-
te drei Tage in Unterföhring bei Mün-
chen gearbeitet und dort Kontakt mit
insgesamt sechs weiteren Mitarbei-
tern. Das Unternehmen hat veran-
lasst, dass die betroffenen Mitarbei-
ter vorerst von zu Hause arbeiten.
Vodafone hat mittlerweile seine
Schutzmaßnahmen erhöht: Der Tele-
kommunikationsriese hat weltweit
Auslandsreisen abgesagt. Diese Regel
gelte bis Ende März, teilte der Kon-

zern mit. Mitarbeiter, die sich bereits
auf Dienstreise befinden, wurden per
SMS aufgefordert zurückzukehren,
wie das Handelsblatt erfuhr. Selbst
Einschränkungen von Inlandsreisen
in Deutschland werden erwogen.
Stattdessen könnte stärker auf Video-
konferenzen umgestellt werden, teil-
te Vodafone mit.
Der Autohersteller BMW meldete
am Montag ebenfalls seinen ersten
Corona-Fall. Ein Mitarbeiter des For-
schungs- und Entwicklungszentrums
(FIZ) von BMW in München wurde
positiv auf das Coronavirus getestet.
Nach Angaben eines Unternehmens-
sprechers befinden sich nun rund
150 seiner Kollegen für zwei Wochen
zu Hause in Quarantäne. Insgesamt
arbeiten rund 10 000 Menschen im
zentralen Entwicklungszentrum in
München. Seit Mitte Januar gelten für
BMW-Mitarbeiter Reiseeinschränkun-
gen, insbesondere für den Besuch
der chinesischen Standorte. Wie der
Rest der Branche improvisiert der
Konzern am Dienstag sein Programm
für die abgesagte Automesse in Genf.
Am frühen Morgen will Konzernchef
Zipse per Internetkonferenz das neue
Elektroauto i4 Concept vorstellen.
Der Medienkonzern Pro Sieben Sat
1 bestätigte am Montag, dass ein Mit-
arbeiter im Düsseldorfer Verkaufs -
büro infiziert sei. Vorstandschef Max
Conze und Finanzvorstand Rainer
Beaujean arbeiten mittlerweile von
zu Hause aus. Die Bilanzpresse -
konferenz am Donnerstag findet nun
ausschließlich als Videokonferenz
statt.
In Deutschland sind mittlerweile in
zehn der 16 Bundesländer Fälle des
neuartigen Coronavirus nachgewie-
sen. Die Zahl der bestätigten Corona-
Infektionen in Deutschland ist am
Montag um sieben auf 157 gestiegen.
Das teilte das Robert Koch-Institut
am Nachmittag mit. Die meisten Fälle
gibt es weiterhin in Nordrhein-West-
falen, wo alleine inzwischen 90 Er-
krankte bekannt sind.

Zentralen von Vodafone
(l.) und BMW:
Weitere deutsche
Konzerne verzeichnen
Coronavirus-Fälle.

dpa, action press

Rewe verzichtet


auf Barilla-Produkte


DÜSSELDORF Wäh-
rend viele Bürger aus
Angst vor dem Coro-
navirus ihre Vorräte
an Nudeln und Kon-
serven aufstocken, hat
Rewe zahlreiche Pro-
dukte des Pasta-Her-
stellers Barilla aus sei-
nen Regalen verbannt.
Grund dafür seien die
vom italienischen Un-
ternehmen geforder-
ten Preiserhöhungen,
hieß es bei Rewe in
Köln. Von Barilla war
bisher keine Stellung-
nahme zu erhalten.
Trotz langer Verhand-
lungen habe man sich
mit Barilla nicht auf ei-
nen angemessenen
Einkaufspreis verstän-
digen können, betonte

der Lebensmittelhänd-
ler in einem Informati-
onsblatt, das in einem
Rewe-Markt an einem
weitgehend leer gefeg-
ten Nudelregal ange-
bracht war. In den ver-
gangenen Monaten ist
es immer wieder zu
heftigen Auseinan -
dersetzungen zwi-
schen Handelsketten
und bekannten Mar-
kenherstellern um
Preis- und Lieferkondi-
tionen gekommen.
Erst vor wenigen Wo-
chen machte der vorü-
bergehende Verzicht
von Edeka auf Coca-
Cola-Produkte Schlag-
zeilen. Auch hier ging
es um Preiskonditio-
nen. dpa

Kino-Deal unter


Auflagen genehmigt


MÜNCHEN Der Cine-
maxx-Betreiber Vue
Entertainment muss
vor der Übernahme
der deutschen Kino-
kette Cinestar sechs
Häuser in Deutschland
verkaufen. Das Bun-
deskartellamt geneh-
migte die Fusion der
beiden größten deut-
schen Filmtheater-Ket-
ten unter Auflagen.
„In sechs Regionen
hätte die Übernahme
dazu geführt, dass ein
Großteil des Kinoange-
bots künftig von ei-
nem einzigen Unter-
nehmen angeboten
worden wäre“, sagte
Kartellamts-Präsident
Andreas Mundt. Daher
müssten die Cinestar-

Kinos in Augsburg,
Bremen, Gütersloh,
Magdeburg und Rem-
scheid sowie das Cine-
maxx-Kino in Mül-
heim/Ruhr innerhalb
von sechs Monaten
verkauft werden. Vue
gehören 31 Kinos in
Deutschland, dem Ci-
nestar-Betreiber Event
Hospitality & Enter-
tainment aus Austra-
lien gehören 53. In
Frankfurt und Offen-
bach, Berlin und Han-
nover kämen Cine-
maxx und Cinestar
zwar ebenfalls auf be-
trächtliche Marktantei-
le, dort gebe es aber
noch ausreichend
Konkurrenz, erklärte
das Kartellamt. rtr

IN KÜRZE

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