Jan Mallien Frankfurt
D
ie Furcht vor dem Co-
ronavirus hat die Fi-
nanzmärkte fest im
Griff. Vor allem Aktien
haben deutlich an
Wert verloren, aber auch am Anleihe-
markt gibt es Verwerfungen. Davon
bleibt auch der Devisenmarkt nicht
verschont. Dort waren die Schwan-
kungen lange Zeit außergewöhnlich
gering. Doch diese Phase könnte laut
Manuel Andersch, Devisenexperte
der BayernLB, beendet sein: „Die
Zeit niedriger Volatilität am Devisen-
markt ist vorbei.“
Bislang sind vor allem die Währun-
gen solcher Länder unter Druck gera-
ten, die wirtschaftlich stark von Chi-
na und vom Ölpreis abhängen. Zu
den Verlierern zählen bisher neben
dem australischen Dollar, der seit
Jahresbeginn etwa sechs Prozent ge-
genüber dem US-Dollar abgewertet
hat, auch Währungen von Ölexpor-
teuren. Der russische Rubel beispiels-
weise gab seit Jahresbeginn rund
sechs Prozent gegenüber dem Dollar
nach – genauso wie die norwegische
Krone. Auch einige asiatische Wäh-
rungen wie der malaysische Ringgit
gerieten unter Druck. Erstaunlich fest
ist dagegen bisher der chinesische
Yuan, der seit Jahresbeginn zum Dol-
lar etwa konstant ist.
Natürlich stehen hinter den Aus-
schlägen der Wechselkurse nicht nur
die Sorgen über die wirtschaftlichen
Auswirkungen des Coronavirus.
Doch sie spielen eine wichtige Rolle.
Es gibt mehrere Kriterien, die eine
Währung im aktuellen Umfeld anfäl-
lig machen.
Der Devisenchef der US-Großbank
Citigroup, Ebrahim Rahbari, erwar-
tet, dass die Schwankungen an den
Finanzmärkten weiter anhalten. Er
geht davon aus, dass Währungen aus
Ländern, die stärker von Rohstoffen
abhängen und schwankungsanfälli-
ger sind, besonders unter den Ver-
werfungen an den Finanzmärkten
leiden, wie er jüngst in einer Analyse
schrieb.
Abhängigkeit von China
Dass es den australischen Dollar bis-
her besonders stark erwischt hat,
wundert BayernLB-Experte An-
dersch nicht: „Auf ihn treffen beson-
ders viele Faktoren zu, die eine Wäh-
rung anfällig für die Folgen des Coro-
navirus machen.“
Australien ist stark von Rohstoffen
abhängig, rund ein Drittel der austra-
lischen Exporte geht nach China – et-
wa Rohstoffe wie Eisenerz und Koh-
le. Die Rohstoffpreise stehen aber
wegen der durch das Coronavirus
ausgelösten Konjunktursorgen unter
Druck. Zudem sind australische Un-
ternehmen mit chinesischen Produ-
zenten über Lieferketten eng verwo-
ben, und Australien ist ein beliebtes
Reiseziel chinesischer Touristen.
Bei den großen Ölproduzenten ist
die Abhängigkeit von Rohstoffen
noch wesentlicher stärker – das gilt
beispielweise für Russland und Nor-
wegen. Seit seinem Höchststand An-
fang Januar ist der Ölpreis um über
20 Prozent eingebrochen. Das trifft
Währungen wie den russischen Ru-
bel oder die norwegische Krone be-
sonders empfindlich.
Einen weiteren wichtigen Faktor
für die Entwicklung des Devisen-
markts sieht Andersch im Spielraum
der jeweiligen Notenbank. In Austra-
lien beispielsweise liegt der Leitzins
bei 0,75 Prozent. Die Notenbank dort
kann ihn also im Zweifel noch ohne
größere Probleme senken, um auf ei-
ne schwächere Weltkonjunktur zu
reagieren. Noch deutlich mehr Spiel-
raum hat die US-Notenbank Federal
Reserve. In den USA liegt der Leitzins
bei 1,75 Prozent – in Russland sogar
bei sechs Prozent.
Viel weniger Möglichkeiten für
Zinssenkungen und andere Formen
der geldpolitischen Lockerung haben
dagegen die Notenbanken in Japan,
der Schweiz und die Europäische
Zentralbank (EZB). Im Euro-Raum
liegt der derzeit entscheidende Einla-
genzins für Banken bei minus 0,5
Prozent – in Japan bei minus 0,1 Pro-
zent und in der Schweiz bei minus
0,75 Prozent. Nach Meinung vieler
Ökonomen, aber auch Notenbanker
lassen sich die Zinsen aber nicht be-
liebig weiter absenken. Irgendwann
sei ein Punkt erreicht, wo negative
Effekte einer Zinssenkung die positi-
ven Impulse überwiegen.
In den Ländern, wo die Notenbank
noch Spielraum hat, wie in Austra-
lien und den USA, könnte die Noten-
bank also die Zinsen noch senken –
was den Wechselkurs tendenziell be-
lastet. Denn für internationale Inves-
toren wird es dann attraktiver, ihr Ka-
pital in anderen Währungsräumen
anzulegen.
Die generelle Schwankungsanfällig-
keit einer Währung ist ein weiterer
Faktor, der in Phasen der Unsicher-
heit eine Rolle spielt. So neigen bei-
spielsweise der südafrikanische Rand
oder die türkische Lira zu starken
Schwankungen – unter anderem,
weil sie frei konvertierbar und relativ
liquide sind. Außerdem gibt es in der
Türkei und Südafrika auch beträchtli-
che strukturelle Schwächen, die zu
Schwankungen beitragen.
Währungen von Ländern, die stark
von Rohstoffen abhängen, tendieren
ebenfalls zu stärkeren Schwankun-
gen. In Phasen der Unsicherheit zie-
hen Investoren tendenziell ihr Kapi-
tal aus diesen schwankungsanfälligen
Währungen ab, um Risiken zu mei-
den.
Was eine Währung in der Krise um
das Coronavirus besonders anfällig
macht, lässt sich also relativ klar sa-
gen. Nicht ganz so einfach auszuma-
chen sind dagegen die Gewinner –
auch weil die Krise ein globales Phä-
nomen ist, das sehr viele Länder er-
fasst. Grundsätzlich suchen Investo-
ren in Phasen der Unsicherheit Zu-
flucht in sogenannten „sicheren
Häfen“. Commerzbank-Devisenchef
Ulrich Leuchtmann sieht als solche
vor allem Währungen mit besonders
niedrigen Zinsen, weil dort die Geld-
politik im Falle eines Abschwungs
nicht mehr so stark gelockert werden
kann. Das gilt für den Schweizer
Franken, den japanischen Yen und
den Euro.
Leuchtmann verweist darauf, dass
diese Eigenschaft aus wirtschaftlicher
Sicht eher ungünstig ist. Denn Wäh-
rungen, die als sicherer Hafen gelten,
werten vor allem dann auf, wenn es
Sorgen um die Weltwirtschaft gibt.
Coronavirus
Rohstoffwährungen
im Abwärtssog
Experten erwarten wegen der Epidemie heftige
Bewegungen am Devisenmarkt. Vor allem der russische
Rubel und der australische Dollar stehen unter Druck.
E+/Getty Images
Währungen unter Druck
Australischer Dollar
je US-Dollar
Malayischer Ringgit
je US-Dollar
Russischer Rubel
je US-Dollar
1 US$ = 1,5278 A$
HANDELSBLATT • Wechselkurse im Vergleich
1.1.2020 2.3.
Quelle: Bloomberg
1,55
1,50
1,45
1,40
1 US$ = 4,2030 Ringgit
1.1.2020 2.3.
4,24
4,16
4,08
4,00
1 US$ = 66,9738 Rubel
1.1.2020 2.3.
67
65
63
61
Private Geldanlage
DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
36
Dax-Anlegerstimmung
Reif für die Gegenbewegung
Die massiven Kursverluste am
Aktienmarkt haben die
Anleger extrem verunsichert.
Ein Ende der Korrektur ist
noch nicht in Sicht.
Jürgen Röder Düsseldorf
W
ie geht es nach dem Kurs-
rutsch von minus 12,4 Pro-
zent innerhalb von nur
fünf Handelstagen am deutschen Ak-
tienmarkt weiter? „Im besten Fall wer-
den wir noch einige Wochen lang eine
Seitwärtsbewegung sehen“, prognosti-
ziert Börsenexperte Stephan Heibel
nach Auswertung der Handelsblatt-
Umfrage Dax-Sentiment. „Im schlech-
testen Fall jedoch kann es auch noch-
mals tiefer gehen.“ Für ihn ist nach
den heftigen Kursverlusten in dieser
Handelswoche eine kurzfristige Ge-
genbewegung fällig. „Die dürfte aber
noch nicht das Ende der Korrektur
sein“, meint er.
Eine Antwort auf die Frage, ob die
deutlichen Kursrückgänge zum Ende
kommen könnten, liefert beispielswei-
se der fünfwöchige Durchschnitt des
Dax-Sentiments (siehe Grafik). Dieser
war in den vergangenen Jahren ein
treffsicherer Indikator für eine Auf-
wärtsbewegung, wenn er einen negati-
ven Extremwert erreicht hatte. Aktuell
ist dieser Indikator jedoch noch nicht
negativ genug, um eine Bodenbil-
dung zu rechtfertigen. Zuletzt war die-
ser Durchschnittswert über einen län-
geren Zeitraum hinweg sehr positiv
und kündigte damit eine Korrektur an.
Wie treffsicher die Prognosen des
wöchentlichen Dax-Sentiments sind,
einer Umfrage unter mehr als 3 500
Anlegern, zeigt die Überschrift vom
vergangenen Montag: „Die Partystim-
mung an den Börsen ist vorbei – Anle-
ger sollten den Ausverkauf beobach-
ten“, lautete der Titel vor einer Woche.
Hinter Erhebungen wie dem Dax-Sen-
timent stehen – vereinfacht formuliert
- zwei Annahmen: Wenn viele Anleger
optimistisch sind, haben sie bereits in-
vestiert. Dann bleiben wenige übrig,
die noch kaufen und damit die Kurse
in die Höhe treiben könnten.
Umgekehrt gilt: Wenn die Anleger
pessimistisch sind, sind sie mehrheit-
lich nicht investiert. Dann können nur
noch wenige verkaufen und damit die
Kurse drücken. Doch wie sollen sich
Anleger jetzt verhalten? „Wer auf viel
Cash sitzt, der muss den bisherigen
Ausverkauf nutzen, um bereits erste
Aktien zu kaufen“, meint der Inhaber
des Analysehauses Animusx. Wer aber
noch immer voll investiert sei, der soll-
te im Falle einer Gegenbewegung
nochmals überlegen, welche Aktien er
nicht so gerne im Depot halten möch-
te. „Cash als Risikopuffer ist ratsam“,
erläutert der Sentimentexperte. „Doch
nach dem Ausverkauf dieser Woche
darf dieser Risikopuffer nun deutlich
kleiner sein.“
Panikartige Verkäufe
Warum war die Korrektur eigentlich
so heftig? „Am Aktienmarkt gab es zu-
letzt keine deutlichen Kursrückgänge“,
erläutert Heibel. Der Bullenmarkt sei
in den vergangenen Jahren nicht ty-
pisch gewesen, weil es keine ordentli-
che Korrektur gab. Doch jede Rally be-
nötige von Zeit zu Zeit eine solche Ge-
genbewegung. „Aber da es über
mehrere Jahre keine gab, fiel sie so hef-
tig aus“, meint er.
Das Dax-Minus von 12,4 Prozent hat
deutliche Spuren bei den Umfrageteil-
nehmern hinterlassen. Auf einen Wert
von minus 8,2 ist die kurzfristige Stim-
mung noch nie gefallen. Weder beim
Dax-Sentiment, das seit September
2014 erhoben wird, noch bei der aus-
führlicheren Stimmungsumfrage Ani-
musx, die seit 2006 existiert. „Viele
Anleger verkauften in der vergangenen
Woche völlig verunsichert, panikartig
ihre Aktien“, schlussfolgert Heibel.
Auch die Unsicherheit der Anleger
erreicht mit einem Wert von minus
11,6 ein Niveau, das es zuvor auch nur
einmal gab: 2015/2016. Damals hob
die US-Notenbank erstmals nach
zehn Jahren den Leitzins wieder an
und verunsicherte die Finanzmärkte
mit dieser Entscheidung. In diese Un-
sicherheit hinein fielen dann auch
noch die Terroranschläge von Paris.
Trotz Angst und panischer Verkäu-
fe: Anleger sind sich sicher, dass der
Kursrutsch mit minus 12,4 Prozent in
nur fünf Handelstagen eine gute
Kaufgelegenheit ist. So dominieren
bei der Zukunftserwartung mit einem
Wert von plus 3,4 Prozent die Opti-
misten. Sie stehen bereit, in den
kommenden zwei Wochen zu kaufen.
Denn die Investitionsbereitschaft ist
seit 2017/2018 nicht mehr so groß ge-
wesen. Damals setzte US-Präsident
Donald Trump die große Unterneh-
mensteuerreform durch.
Auch in den USA haben sich die In-
dikatoren deutlich verändert. US-
Fondsmanager verringerten ihre In-
vestitionsquote in den Ausverkauf
der vergangenen Woche. Der Wert
fiel um 22 Prozentpunkte auf 65 Pro-
zent. „Vielleicht fürchten die Profis
weiter fallende Kurse“, mutmaßt Sen-
timentexperte Heibel. Auch techni-
sche Indikatoren zeigen eine extrem
überverkaufte Marktverfassung an
und damit eine realistische Chance
auf eine zeitweise Gegenbewegung,
die schon durch wenige Käufer aus-
gelöst werden könnte.
HANDELSBLATT • Quelle: Dax-Sentiment
Der Kurvenvergleich zeigt: Erreicht das fünfwöchige durchschnittliche
Sentiment ein extremes Niveau, erfolgt eine Trendwende beim Dax.
Dax-Sentiment
5-Wochen-Durchschnitt Sentiment Dax
Sept. 2014 März 2020
+30 %
+15 %
±0 %
-15 %
-30 %
Startzeitpunkt der Umfrage: Sept. 2014
14 000
12 500
11 000
9 500
8 000
Für die betroffenen Länder heißt das:
Ihre Exporte werden zu einem Zeit-
punkt, wo es wirtschaftlich ohnehin
schlechter läuft, im Ausland teurer
und damit weniger konkurrenzfähig.
Allein auf das Zinsniveau zu schau-
en greift aber möglicherweise zu
kurz. Denn nach dieser Definition
wäre der US-Dollar kein sicherer Ha-
fen, weil dort die Zinsen noch relativ
hoch sind und die Notenbank daher
Spielraum nach unten hat.
Keine sicheren Häfen
Traditionell aber ist der US-Dollar ein
sicherer Hafen in Phasen der Unsi-
cherheit. Unter anderem wegen sei-
ner Stellung als weltweite Leitwäh-
rung und der herausragenden Be-
deutung der US-Investoren für die
weltweiten Kapitalmärkte. US-Inves-
toren neigen in Krisenzeiten dazu,
ihr Kapital aus dem Ausland zurück
in die USA zu bringen, was den Dol-
lar dann aufwerten lässt.
Die aktuelle Entwicklung bringt in
der Frage, welche Währungen siche-
re Häfen sind, keine eindeutige Ant-
wort: So hat der US-Dollar grundsätz-
lich seit Jahresbeginn auch gegen-
über dem Euro zugelegt. Als in der
vergangenen Woche die Unsicherhei-
ten zunahmen, schwächelte er aber.
Auch der Yen hatte in den vergan-
genen Wochen schwächere Phasen.
Bei der japanischen Währung spielt
es eine Rolle, dass das Wachstum
dort zuletzt besonders enttäuscht
hat. Bereits im Schlussquartal 2019,
also noch vor der Verbreitung des
Coronavirus, schrumpfte die japani-
sche Wirtschaft um 6,3 Prozent – und
damit so stark wie seit 2014 nicht
mehr. Außerdem treffen die Folgen
des Coronavirus Japan stärker als an-
dere Länder wie etwa die USA.
BayernLB-Analyst Andersch glaubt
dennoch, dass traditionelle sichere
Häfen wie der Franken, der Yen und
auch der US-Dollar im Prinzip profi-
tieren sollten. Dass der Dollar in der
aktuellen Unsicherheit zum Euro
wieder etwas verloren hat, führt er
darauf zurück, dass die US-Noten-
bank angesichts des schwächeren
Ausblicks eher die Zinsen senken
kann als die EZB im Euro-Raum.
Sollte sich die Krise um das Coro-
navirus zu einer Pandemie auswei-
ten und die Rezessionsgefahr welt-
weit steigen, würde dieses Argu-
ment aus Anderschs Sicht jedoch
eher in den Hintergrund rücken. „In
diesem Fall würde wahrscheinlich
vor allem der US-Dollar profitieren“,
sagt er. „Eventuell auch der Yen, wo
der Zusammenhang zuletzt aber
nicht so klar war.“
Die Zeit
niedriger
Volatilität am
Devisenmarkt
ist vorbei.
Manuel Andersch
Devisenexperte der
BayernLB
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Private Geldanlage
DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
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