Handelsblatt - 03.03.2020

(やまだぃちぅ) #1

S


teve Jobs wollte den iPod in das Nokia-
Handy integrieren. Das war nicht gut
genug dafür. Ein eigenes Smartphone
entwickeln? Unmöglich, hieß es. Er
hat es trotzdem gemacht. Jeff Bezos
glaubte schon 1994 an den globalen Onlinehan-
del und gründete Amazon. Eigentlich schon das:
unmöglich! Fast alles, was Elon Musk bisher ge-
wagt hat, war jeweils nahezu unmöglich: Paypal,
Tesla, Gigafactory, SpaceX, Hyperloop.
Auch bei uns gibt es die Macher, die das Un-
mögliche wagen. VW-Chef Herbert Diess ist so ei-
ner, der den wahnwitzigen regulatorischen An-
griff auf die Autoindustrie beherzt annimmt und
das Unmögliche wagt, einen etablierten Markt in
unrealistisch kurzer Zeit zu drehen, um damit
der ökologisch notwendigen Mobilitätswende ei-
ne wirtschaftliche Chance zu geben. Womöglich
rettet er damit einer ganzen Branche die Exis-
tenz. Wenn man ihn lässt. Wenn wir ihn unter-
stützen. Wenn wir uns an den Erfolgen freuen
und nicht auf das Scheitern warten. Denn es ist
eigentlich unmöglich. Das haben wir gerade wie-
der am Beispiel Streetscooter gesehen.
Wenn wir uns nämlich doch mal trauen, ein un-
mögliches Projekt zu starten, dann fehlt uns
schnell das Geld und wir fallen in die Hände derje-
nigen, die Deutschland nach den Sparkassen regeln
führen: Investitionen so klein wie möglich, Ertrag
muss sicher sein und der Break-even morgen.
2010 haben wir auf dem RWTH-Campus den
Streetscooter erfunden. Nicht nur ein auf den Zu-
stellerzweck optimiertes Postfahrzeug, das
schlagartig den maximalen CO 2 -Effekt unter den
urban eingesetzten Fahrzeugen erzielt. Wichtiger


ist das nachhaltigkeitsorientierte Aachener Pro-
duktionssystem IoP, das darauf abzielt, Überka-
pazitäten und Überproduktion, das Kernproblem
der Autoproduktion, radikal zu minimieren.
Um den Auftrag der Deutschen Post DHL zu
bekommen, mussten wir ihr eine Beteiligung an
Streetscooter anbieten. Ein typischer Konzernre-
flex im Möglichkeits-Deutschland. Nach der Due
Diligence wollte die Post sogar die Mehrheit. Ich
fragte: „Warum wollen Sie Autohersteller wer-
den?“ Antwort: „Wir wollen die Kontrolle, und
wir wollen schnell sein.“
Es folgte die Inkarnation der Langsamkeit. Der
externe Vertrieb wurde drei Jahre gestoppt, die
Internationalisierung auch, das geplante Re-Engi-
neering-Programm ebenso, normale Beschaffun-
gen wurden verschleppt, das Management wurde
rausgeschmissen, Amateure wurden eingesetzt,
die Bestellungen der eigenen Post-Flotte mini-
miert, jegliche Verbesserung wurde verboten –
und auf eine Gelegenheit gewartet, das Geschäft
unter einem Vorwand einzustellen.
Das Coronavirus ist nun diese Gelegenheit. Ich
bin fünf Jahre raus bei Streetscooter, aber es tut
mir leid um die 500 tollen Mitarbeiter, die an das
Unmögliche geglaubt haben und die Deutschland
jetzt dringend braucht. Sie sind an die Grenzen
des Möglichen gekommen. Hätte man uns doch
die Kontrolle gelassen! Oder wiedergegeben.
Warum schaffen wir das Unmögliche nicht
mehr? Was ist aus Erfinder-Deutschland gewor-
den? Wir sind immer noch vorn dabei bei Paten-
ten und Tausenden inkrementellen Innovatio-
nen, gerade im Mittelstand. Aber warum überlas-
sen wir die großen Disruptionen anderen?

An unseren Kompetenzen und Fähigkeiten im
Engineering-Valley Germany liegt es nicht. Kein
Elektroauto, keine automatisierte Fahrfunktion,
kein Display, keine Batterie in der Welt kommt
ohne veredelte Rohstoffe, Sensoren, Steuerun-
gen und andere Zulieferkomponenten von deut-
schen Technologieunternehmen oder ohne deut-
sche Maschinen und Anlagen aus.
Wir schaffen das Unmögliche nicht, weil wir es
gar nicht erst versuchen. Das Silicon Valley ist
uns deshalb so haushoch überlegen, weil dort
ein ganzes Ökosystem tagtäglich nach dem Un-
möglichen sucht, das Kunden begeistern und die
Welt verbessern könnte. Wir suchen eher nach
kleinen, machbaren Ideen.
In Kalifornien ein Autounternehmen aufzubau-
en war ungefähr so schwer, wie eine Brauerei in
der Wüste hochzuziehen. Dort gab es keine an-
deren Autohersteller, keine Zulieferer, keine En-
gineering-Dienstleister, keine Anlagenbauer. Ein
perfekt trainiertes Möglichmacher-Ökosystem
um Elon Musk hat es trotzdem geschafft.
Die heutige Bewertung von Tesla am Kapital-
markt beinhaltet die Fähigkeit, das Unmögliche
schaffen zu können. Streetscooter hatte auch Un-
mögliches geschafft. Aber ihm wurde weder eine
ausreichende Finanzierung noch ein realistischer
Zugang zum Kapitalmarkt gewährt. Schade für
Deutschland. Hoffentlich werden dadurch nicht
zu viele entmutigt.

Das Unmögliche


wagen


Das Ende von Streetscooter ist ein Armutszeugnis


für Deutschland, kritisiert Günther Schuh.


Der Autor ist Professor an der RWTH Aachen
und CEO von Ego Mobile. Er war Mitgründer
der Streetscooter GmbH, die 2014 an die
Deutsche Post verkauft wurde.

dpa [M]

Wenn wir


uns doch mal


trauen, ein


unmögliches


Projekt zu


starten,


dann fehlt uns


schnell das


Geld und


wir fallen in


die Hände


derjenigen, die


Deutschland


nach den


Sparkassen -


regeln führen.


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Gastkommentar
DIENSTAG, 3. MÄRZ 2020, NR. 44
48


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