Bulle & Bär
Wertlose
Prognosen der
Unternehmen
D
er Siliziumspezialist Siltronic hat-
te zum Wochenauftakt seine
Prognose unter den Vorbehalt ei-
ner weiteren Ausbreitung des Coronavi-
rus gestellt. Je nachdem, wie rapide sich
die Epidemie ausbreite, könne das Ab-
satzvolumen statt der erhofften leichten
Zuwächse weiter schrumpfen, hieß es
aus dem Münchener MDax-Konzern.
Was für Anleger auf den ersten Blick
wie das Eingeständnis mangelnder Prog-
nosefähigkeit wirkt, ist in Wahrheit nur
transparent und ehrlich. Kein Unterneh-
men und keine Branche kann derzeit se-
riös vorhersagen, wie das Jahr laufen
wird. Die sonst üblichen Annahmen zum
Geschäftsverlauf und zu technischen In-
novationen helfen dabei ebenso wenig
wie der Blick in noch immer gut gefüllte
Auftragsbücher. Sollte sich das Coronavi-
rus in der bisherigen Geschwindigkeit
weiter ausbreiten, dann ist vieles davon
überholt und weitgehend nutzlos.
Für Anleger bedeutet das, dass sie den
Prognosen der Unternehmen im Moment
keine Bedeutung zumessen sollten. Sie
müssen derzeit Chancen und Risiken an
den Märkten also selbst einschätzen.
Denn vieles ist nicht vorhersehbar.
Vorhersagen gleichen insofern eher ei-
ner Spekulation über den wahrschein-
lichsten einer Vielzahl von möglichen
Verläufen. Das ist keine verlässliche
Vorhersage, an der sich die Unterneh-
men im weiteren Jahresverlauf messen
müssen.
Auch Prognosen, die manche Unter-
nehmen bereits vor wenigen Wochen
ausgegeben haben, sind für Anleger
nicht mehr verlässlich. Vieles steht der-
zeit unter Vorbehalt. Das wissen auch die
Unternehmen. Da sie aber momentan
nicht anders planen können, bleibt erst
mal alles, wie es ist.
Somit muss sich jeder selbst ein Bild
machen, ob er beim Coronavirus von ei-
ner kurzfristigen Störung ausgeht, die in
der Entwicklung des Gesamtjahrs ver-
kraftbar sein wird. Dann käme jetzt all-
mählich die Zeit für Kaufkurse.
Oder er rechnet mit einer deutlichen
Verschärfung bis hin zu einer globalen
Rezession. Dann ist die Zeit für einen er-
neuten Einstieg am Aktienmarkt noch
weit entfernt. Die Unternehmen selbst
werden auf diese Frage derzeit keine
Antworten liefern können.
Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Christian Schnell
logischen Fortschritte in dem Segment“, sagt Na-
gel. Anbieter könnten oft höhere Margen durchset-
zen. Daher seien die Gewinne im Gesundheitssek-
tor langfristig stärker gewachsen als in jeder
anderen Branche. Ein Blick auf die Börse zeigt ein-
drucksvoll: Während der Welt-Aktienindex in die-
sem Jahrtausend nicht einmal um die Hälfte zuleg-
te, konnten sich Aktien aus dem Gesundheitssektor
verdreifachen (siehe Grafik).
Positiv blickt auch Ali Masarwah auf
den Markt. „Das ist definitiv ein
Wachstumssektor“, sagt der Ana-
lyst bei der Fondsratingagentur
Morningstar. Er verbindet sei-
nen Optimismus aber mit
zwei Warnhinweisen für An-
leger: „Die kurzfristige Co-
rona-Fantasie bei einigen
Werten kann schnell wie-
der verfliegen“, sagt er. Au-
ßerdem werde das Thema
Gesundheit schon lange an
den Märkten gespielt: „Des-
halb sind manche der Aktien in-
zwischen auch hoch bewertet.“
Die drei genannten Fondsmanager
sind die einzigen, die in ihrem Gebiet von
der Reseachfirma Scope Analysis mit dem besten
Rating ausgezeichnet werden. Das bedeutet lang-
fristig attraktive Erträge bei moderaten Wert-
schwankungen im Vergleich mit Konkurrenzpro-
dukten. Über fünf Jahre schafften die Manager von
Mirova, Bellevue und Alliance Bernstein im Schnitt
jährlich zwischen knapp sieben und fast zwölf Pro-
zent Ertrag. Zum Vergleich: Der durchschnittliche
Aktienfonds ohne Sektorspezialisierung erreichte
weniger als vier Prozent.
Anleger können in Deutschland unter insgesamt
53 solcher Themenfonds für Gesundheit wählen.
Darin sind 30 Milliarden Euro angesammelt. Es ist
also ein relativ kleiner Bereich. Zum Vergleich:
Weltweit anlegende Aktienfonds ohne Branchen-
ausrichtung managen 417 Milliarden Euro Kapital.
Bei den Gesundheitsfonds sollten Anleger auf die
Gebühren schauen. Manche verlangen Jahresge-
bühren über der Zwei-Prozent-Marke. Das ist teuer.
Von der erwähnten drei Produkten liegt das Ange-
bot von Alliance Bernstein an dieser Schwelle, die
beiden Konkurrenten verlangen weniger.
Generell sollten Investoren in solche speziellen
Themenfonds nur einen Teil ihres Kapitals stecken.
Denn sie investieren damit nicht breit über ver-
schiedene Sektoren hinweg, diversifizieren damit
auch Verlustrisiken, sondern fokussieren sich auf
eine Branche. Das bietet Chancen auf Rendite,
schafft aber auch ein sogenanntes Klumpenrisiko.
Gesundheit als Anlagethema ist ein relativ junges
Feld. Vor der Jahrtausendwende gab es nur sechs
Fonds. Die Hälfte der Produkte legten Geldverwal-
ter erst in den vergangenen sechs Jahren auf. Trei-
ber waren die Fortschritte in der Medizin, ähnlich
wie in anderen Technologiebereichen. Bei den Ge-
sundheitsfonds ist es häufig an der Namensgebung
abzulesen. Viele der zuletzt aufgelegten Produkte
tragen ein „Digital Health“ im Namen.
Alle drei genannten Fondsmanager konzentrie-
ren sich in ihren Strategien auf relativ wenige Ak-
tien. Und die meisten Titel sind wegen langfristiger
Gewinnchancen ausgesucht, nicht weil sie von der
aktuellen Virusepidemie profitieren. Aber diese
Profiteure gibt es. „Dazu zählen Diagnostiker, die
Tests machen“, sagt Bellevue-Experte Blum. Mi-
chael Sjöström, Anlagestratege bei dem auf Ge-
sundheitsthemen ausgerichteten Geldverwalter
Sectoral Asset Management, hat beispielsweise Si-
nopharm im Auge: „Die entwickeln Prüfverfahren
für das Coronavirus.“ Auch Fern-Diagnostiker sind
laut Blum gefragt. Dazu gehöre eine Ping An He-
althcare Technology in China: „Mit dieser Art Tele-
medizin können sich Patienten per iPad
Ferndiagnosen stellen lassen.“ Ge-
winner seien ebenso die Herstel-
ler von medizinischen Hand-
schuhen oder Desinfektions-
mitteln. Und ein deutsches
Unternehmen aus dem Ne-
benwerteindex SDax hat er
im Auge: „Drägerwerk
könnten sicher mehr Mas-
ken verkaufen als sie herzu-
stellen in der Lage sind.
Hier geht die Nachfrage
durch die Decke.“
Fondsmanager Thapar schaut
etwa auf Intuitive Surgical: „Die
stellen Chirurgie-Roboter her, die Ärz-
te bei ihrer Arbeit unterstützen.“ Das ma-
che die Firma seit einem Vierteljahrhundert. Sie
sei auf dem Feld ohne große Konkurrenz, habe
enorme Wachstumschancen. Der Fonds halte nur
wenige Biotech-Werte. Dazu zählten Vertex Phar-
maceuticals und Regeneron Pharmaceuticals. In
den meisten Fällen halte er sich fern, „die Misser-
folgsrate bei neuen Medikamenten ist ein zu hohes
Risiko“.
Align Technologies und Intuitive Surgical gefal-
len auch Nagel von Mirova. Er hat die beiden Ak-
tien ebenfalls im Fonds. Er weist außerdem auf
Zimmer Biomet hin, einen Hersteller von Hüft- und
Knieimplantaten. Außerdem mag der Fondsmana-
ger die seit einem knappen Jahr börsennotierte Al-
con, die als Spezialist für Augenheilkunde unter
anderem Kontaktlinsen herstellt.
Wissenschaftlerin mit
Flüssigkeitsprobe:
Gesundheit als
Anlagethema ist eine
noch relativ kleine
Sparte.
EyeEm/Getty Images
30
MILLIARDEN
Euro haben Anleger in 53 Fonds
mit dem Fokus auf das Thema
Gesundheit investiert.
Quelle: Scope Analysis
Private Geldanlage
MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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