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wie sozialen Reaktionen. Wenn stotternde Menschen die Vertuschung ihres
Stotterns aufgeben, nehmen sie anderen Menschen, gesellschaftlichen Ideal-
bildern und der unerträglich aalglatten Welt der Medien die Macht über ihr
Leben. Und sie ermutigen damit auch ihre Mitmenschen, Verschleierungstak-
tiken getrost an den Nagel zu hängen.
Es gibt aber auch Grund zur Hoffnung, dass sich gesamtgesellschaftlich etwas
ändern kann. Ein Beispiel hierfür ist für mich Fielmann. In der Fernsehwer-
bung des Brillen-Unternehmens ist nämlich praktisch jede sprachliche Un-
sauberkeit erlaubt. Die Testimonials stehen in der Fußgängerzone vor einer
der vielen Fielmann-Filialen und geben zum Besten, was sie persönlich an
dem Laden eigentlich finden. Dabei darf ungehemmt genuschelt und sich
verhaspelt werden, auch „Hms“ und „Ähs“ dürfen in geraumer Anzahl zum
Einsatz kommen. Noch nicht einmal die Regeln der deutschen Grammatik
gelten noch, werden doch auch schon einmal unvollständige Sätze oder völlig
falsche Artikel benutzt. Die Leute stocken und wiederholen Laute, Wortteile
oder ganze Wörter, sprechen also unflüssig.
Bei den Fielmann-Spots haben wir es mit sogenannter authentischer Wer-
bung zu tun, deren sich auch andere Unternehmen bedienen. Da werden
Mütter samt Kind dann beispielsweise an der Supermarkt-Kasse mit Kamera
und Mikrophon abgefangen und nach dem Inhalt ihres Einkaufswagens be-
fragt, woraufhin sie trotz Stress eben noch schnell diesen oder jenen Schoko-
riegel anpreisen. Authentische Werbung verweist absichtlich nicht auf die
unerhört Reichen und Schönen, auf die, die jedes Ideal erfüllen und einfach
aalglatt, perfekt erscheinen, sondern setzt bei den einfachen Leuten von der
Straße an, bei den Menschen wie du und ich. Gerade durch die Ecken und
Kanten der Personen soll Glaubwürdigkeit in Bezug auf das beworbene Pro-
dukt erzeugt werden, das in den seltensten Fällen doch wirklich jemand
braucht.
Das Stottern ist für mich in meinem bisherigen Leben ein unsichtbarer, aber
spür- und hörbarer Begleiter gewesen, und ist es noch. Es war da, wohin ich
auch ging. Lange Zeit versuchte ich zu verleugnen, diesen Begleiter zu haben,
obwohl es doch zu offensichtlich war, dass er direkt bei mir existierte.