S
ie liest, aber sie sieht so aus, als sei sie
aus Versehen ins Lesen geraten. Sie
steht da versunken, das Licht fällt vor
allem auf ihren Nacken, aber auf ihre Lek türe
fällt es auch. So hat der Maler Gerhard Rich-
ter seine Frau gemalt, im Jahr 1994. Das Heft
in ihrer Hand ist ein SPIEGEL.
Das Bild zeigt den Wunschtraum der Men-
schen, die für den SPIEGEL schreiben; das gilt
für diejenigen, die das heute tun, und für die
vor 75 Jahren vermutlich auch.
75 Jahre alt ist der SPIEGEL, ein Menschen-
leben. Älter als die Bundesrepublik.
Die Absicht ist dieselbe geblieben: über
Deutschland und die Welt zu schreiben, und
zwar so, dass man das Heft nicht aus der
Hand legen will. »Sie zu informieren, ohne
Sie zu langweilen, ist unser ferner Leitstern«,
schrieb SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein
1954.
Wie nahe der SPIEGEL dem Leitstern
kommt, können nur Sie beurteilen, als Lese-
rin oder Leser. Um Sie soll es auf den folgen-
den Seiten gehen.
1954 rief der SPIEGEL zur Leserumfrage
und hatte 2193,05 Mark Strafporto für die
Rücksendungen zu bezahlen, worauf Aug-
stein mit großem Stolz verwies. Die Leser:
eher akademisch, eher protestantisch, eher
großstädtisch, zu 90 Prozent an Politik, zu
47 Prozent an Einsteins Relativitätslehre,
zu 10 Prozent an Hildegard Knef interes-
siert. Zu 5 Prozent deprimiert nach der Lek-
türe, zu 66 Prozent angeregt. Zu 95 Prozent:
männlich.
75 Prozent wussten, was ein »Synonym«
ist. Und wofür der SPIEGEL von Anfang an
ein Synonym sein wollte, wussten sie vermut-
»Sie zu informieren,
ohne Sie zu
langweilen, ist unser
ferner Leitstern.«
Rudolf Augstein, SPIEGEL-Gründer
Gegen die Medien:
Demonstranten
kritisieren 2021
die Corona-
Berichterstattung
75 JAHRE DER SPIEGEL TITEL
Daniel Biskup / laif
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 51
2022-02SPAllTitel468512202_JubilaeumDeckelstueck-050051 512022-02SPAllTitel468512202_JubilaeumDeckelstueck-050051 51 06.01.2022 22:44:0306.01.2022 22:44:03