Stern (2022-02-17)

(EriveltonMoraes) #1
FOTOS: GAELLE GIRBES/STERN

; STANISLAV KRUPAR/STERN

; KSENIA GVOSDEVA/STERN

; VYACHESLAV PROKOFYEV/TASS/ACTION PRESS

OrestPutsentela, 39 ,
Geigenbauer,
ausLwiwinderWestukraine
Ichstammeauseiner Familievon
Musikern.MeineElternhatten inItalien
Geigenbaustudiert,uminLwiweine
Werkstattaufzubauen. DasGeschäft
habeichübernommen.Seit 2 011 bauen
wirhierViolinennachmeinenEntwür-
fen.Wirverkaufensievorallemindie
USA,nachSpanien,England,indie
Schweiz.Früherhattenwir auchviele
Abnehmerin Russland–bissieunsdie
KrimweggenommenunddenDonbas
besetzthaben. Danach konnteich nicht
einfachweiterGeschäftemitdiesem
Landmachen.Esgabja inRussland
nichteinmalProtestegegendiese
verbrecherischePolitik,alsoliegt die
VerantwortungbeidergesamtenGesell-
schaft. WirhattenguteGeschäftspart-
nerdort,auchFreunde,abernach 2014
habeichjedenKontaktabgebrochen
undverkaufe keineGeigenmehran
russische Kunden.EinermeinerCousins
wurdeimDonbasvoneinerGranate
verletzt,einandererstehtnochander
Front– wiesollichda weitermitRuss-
landhandeln?Anfangs kostetemich
dieseEntscheidungeinDritteldesUm-
satzes. Inzwischen haben wirandere
Abnehmergefunden.HierinLwiwgilt
inzwischeneinVerbotfürrussische
Popmusik.DiedarfwederinCafésund
Barslaufen noch imRadio. Ich findedas
richtig. WirdürfenRusslandsWirtschaft
nichtunterstützen,auchnichtdieMu-
sikindustrie.Aberdasbetrifft natürlich
nuraktuelleMusik,keineKlassik.Inden
KonzertsälenderStadtwerdenweiter
russischeKomponistengespielt,auch
aufmeinenGeigen.Tschaikowskisteht
fürmichaußerhalbjederNationalität.

IrinaDmitrenko, 40 ,
Verkäuferin,
aus Kostjantyniwka inderOstukraine
Ich arbeiteineinemkleinenCaféam
Bahnhof, nichtweitvonderFrontlinie.
EinpaarKilometersüdlichvonhier
liegt dasGebietderprorussischenSe-
paratisten.DaswarmalmeineHeimat–
ichhabe 17JahrelanginDonezk
als Kassiereringearbeitet.Aberalsdort
2014 dieLeuteanfingenzuschreien,
dasssiezuRusslandgehörenwollen,
habe ichmeineTochtergepackt
undbinabgehauen.Wirhabenden
Krieghautnaherlebt.BeiMörserbe-
schusslagenwirimGraben,haben
NachbarnundFreundesterbensehen,
acht Monatelanghabenwirineinem
KellerohneStromundGasgelebt.Es
warschrecklich. Abereswarimmer
nochbesser,alsinDonezkzubleiben.
ImCafé bekommeicheinigesmit.Viele
ukrainischeSoldatenessen hiereinen
Happen,wennsieindenHeimaturlaub
fahrenoderunterwegs zurFrontsind.
Besondersaufgeregt wirkendiezurzeit
nicht.Diewenigstenhierglauben,
dasseinerussischeInvasionbevorsteht.
Aber wirschauen hier auchschon
langekeineNachrichtenmehr. Dieim
Fernsehen macheneinen nur verrückt
mit ihrerständigenPanik. Meine
LektionnachsiebenJahrenKrieg:
Glaube nichts,wasdu nicht selbst
gesehenhast.EsgibtinKostjantyniwka
immernochviele,dielieberzuRussland
gehörenwürden.Abermanchen
dämmertauchlangsam,dassRussland
sienurbenutzt.DamalsinDonezk
dachtenviele:WennPutinkommt,
wirdallesgut.Jetztsehensie,wiedort
alleszerfälltundausgeplündert
wird. Mitleidhabeichnicht mitdenen.
Ich habesiedamalsnach Russland
schreien hören.Selbstschuld!
MeineTochterKristinawarneun
Jahrealt,alswirgeflohensind.
Inzwischen istsie 16 – undDonezk
fehltihrkeinbisschen.

schichtevonKainundAbelimAltenTes-
tament.DieendetmitMord.
DieUkrainegaltimKremlstetsalsChef-
sache.Nichtsließmanunversucht,um
übereinenprorussischenPräsidentenin
Kiewmitzuregieren.WiktorJanukowitsch,
derbereits 2004 kandidierte,flogvordem
WahlkampfnachMoskau.Ermussteim
Kremlvorsprechen,umsichPutinsUnter-
stützungzusichern.SeinGegnerWiktor
JuschtschenkoüberlebtedenWahlkampf
nurmitGlück: Erwurde mitDioxinver-
giftet,dasvermutlichauseinemrussi-
schenLabor stammte.
2010 setztesichderKandidatdesKremls,
WiktorJanukowitsch, endlichdurch. Kei-
ne vierJahrespäterzogenZehntausende
UkraineraufdieStraße,weilerunterdem
DruckMoskauseinAbkommenmitder
EUablehnte.PutindrängteJanukowitsch
damals,gegen denProtestvorzugehen.
Doch dieEreignisse überstürzten sich,
Janukowitsch floh.Putin tobte.Wenig
späterannektierteerdieKrim.
PutinsletzterengerVerbündeterinKiew
warbiszumvergangenenJahrderUkrai-
nerWiktor Medwedtschuk.Beidekennen
sich seit Jahrzehnten. ZuSowjetzeiten
galtderAnwaltunterRegimegegnernals
AgentdesKGB.MitPutinisterseit 20 Jah-
renbefreundet. 2004 wurde PutinPaten-
onkelvonMedwedtschuksTochterDaria.
Undmanchmal, nochvorderAnnexion,be-
suchtePutinMedwedtschukaufdessen
AnwesenaufderKrim.
Medwedtschukglaubt,dieUkrainege-
langenurimVerbundmitRusslandzu
Wohlstand. EineAnbindungandieEU
führe das Land in Armut und Elend.
Ansichten,dieinKiewheutenichtbeson-
dersverbreitetsind.ErgehörtzumFüh-
rungsgremiumderPartei„Oppositions-
plattform – Für das Leben“, der einzigen


WiktorMedwedtschuk(r.)warPutinsMann
inKiew.Nunsitzter imHausarrest


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