FOTOS: CAROLIN WINDEL
/STER
NHENNING ROSS/STERN
Plötzlich, gegenEnde einerdieserweite-
renHomeoffice-Wochen,indenenJuliane
Schmitz*ihreZeitdamitverbrachthatte,
aufdenBildschirmzustarrenundsich
dabeiineinemGedankenstrudelausStress
undUnzufriedenheitzuverlieren,dakam
auchnochdieAngsthinzu.Zuerstläh-
mend,alsbeklemmendesGefühl,immer
dann,wennsie,AngestellteeinerMedien-
agentur,eineneueAufgabebekam.Über-
forderung. Selbstzweifel.
ErstwenigeMonatezuvor,imApril2020,
hatteSchmitz,diedrittjüngsteMitarbei-
terininderAbteilung,derenLeitungüber-
nommenunddamitdieVerantwortungfür
mehr als zehn Menschen,diesiejetztnicht
mehr sah,zumindestnicht inecht,son-
dernnuralsPixelgesichter.WenigAus-
tausch. ImKalenderangesetzteGespräche.
WasdenkendieseMenschenvonmir?
Mögensiemichüberhaupt alsChefin?
EswareinFreitag,alsdieAngstJuliane
SchmitzdasersteMalzwang,Meetings
einfachabzusagen.AmMontagmorgen
darauf dannHerzrasen.Wiebeieinem
AdrenalinschubnacheinemAutounfall,
sagtsieheute,habesichdasangefühlt.
Schmitzversuchtenoch,ihreE-Mailszu
lesen,dochsieverstand den Inhalt einfach
nichtmehr.
Siebegann,vordemLaptopzuweinen.
Klingt dramatisch.Aberbesondersist
derFallvonJulianeSchmitznicht. Beson-
dersseltenschongarnicht. Vielmehr zeigt
sichnachzweiJahren,indenensichdie
deutsche Arbeitswelt imCorona-Ausnah-
mezustandbefindet,indenenBeschäftig-
teimmerwiederinsHomeofficegeschickt
wurden:WasanfänglichwiederTraum
modernerArbeitnehmerklang,wiedie
downsalle persönlichenKundengesprä-
chevor Ortwegfielen.Die amTelefon
kaumjemandenerreichte.Ihr Arbeitgeber
machtedennochweiterDruck,dieVerkäu-
fesollten trotzPandemiestimmen.In
einerMischungausUnsicherheit,Stress
undfehlenderBestätigungbegannsie,
jedenTageineFlascheWeinzutrinken.
Da istderITler,derplötzlichgezwungen
war,sichseinenneuenArbeitsplatz,das
Wohnzimmer,mitseinemPartnerzutei-
len.Mit dem Aufeinanderhockenkam
auchderStreitüberdieKleinigkeitendes
Alltags.UnddieSehnsuchtnachfremder
Nähe.SiesindheutekeinPaarmehr.
DaistderVersicherungsmitarbeiter,der
zu Hausesovielarbeitetewienochnie,der
seinenAppetitverlor,blasswurde,nicht
mehr vordieTürgehenwollte.Denseine
Hausärztin schließlich krankschrieb.
Burn-out.
UndauchJulianeSchmitz,dieTeamlei-
terinausderMedienagentur,ließsich
schließlich krankschreiben, zehn Tage
lang.Mehr gingnicht.
DieArbeitimHomeoffice,siehatfür
vieleMenschen die Gewichte inihrer
Work-Life-Balanceverrückt.Undzwarin
einegefährlicheSchieflage.Vielewollen
ihreGeschichteerzählen,nurwenigeal-
lerdingsmitechtemNamenundGesicht.
Auch aus derAngst, dass ihr Arbeitgeber
perfekteMöglichkeit,BerufundPrivates
zu verbinden,machteinigeMenschenun-
glücklich,einsam oderkrank.Und das
branchenübergreifend.
DaistManuelBenz,LeitereinerPflege-
Fachschule,dernormalerweiseSchülern
aneinerPuppezeigt,wie maneinenKa-
theter richtig legt, Patienten richtig
wäscht.Unddernunsagt:„Inmeinem
Arbeitszimmerfühleichmich wieein
Einzelkämpfer,gefangenineinerZoom-
Kachel.“
Da ist dieVertriebsmitarbeiterin im
*Name von der Redaktiongeändert Außendienst,beider wegen des Lock-
„Ich saß vor
meinem Laptop
und fing an
zu weinen“
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86 17.2.2022