Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
KULTUR

Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 111

biografischen Texten zeigt sie sich
selbst mit ihren Macken und Narben,
ihrem eigenen Frausein, das sie als
fluide definiert. »Die subjektive
Wahrheit von uns allen ist doch, dass
wir uns nicht ständig als Mann oder
Frau empfinden, sondern uns in Zwi-
schenräumen aufhalten.« Vielleicht
hat sie das deshalb auch gleich auf die
Form übertragen: Sie erzählt nicht
linear, sondern in Kreisen. Assozia-
tionen verbinden lose Orte, Zeiten
und Identitäten. Ein Schreibstil, der
sich gut einfügt in den Sound der
Gegenwart. Ein Gegenentwurf zum
Monomythos der männlichen Hel-
denreise.
Dabei dürfte Dörrie in der frühe-
ren Männerdomäne Kino selbst eini-
gen Drachen die Köpfe abgeschlagen
haben. Es braucht jedenfalls nicht viel
Fantasie oder Gedanken an #MeToo,
um sich vorzustellen, wie schwierig
es gewesen sein dürfte, als junge Frau
ein Drehbuch an die meist männli-
chen, ältlichen Produzenten zu ver-
kaufen. Oder?
»Ich habe damals nicht so viel über
mein Frausein nachgedacht«, erzählt
Dörrie. Und hätte sie die Grenzen für
Frauen erkannt, die es noch immer in
der Filmbranche wie der Gesellschaft
gibt, wäre sie dann überhaupt so ent-
schlossen gewesen, diesen Männer-
beruf zu ergreifen? Dörrie zuckt die
Schultern. »Vielleicht war es auch
eher ein Vorteil«, sagt sie. Manchmal
stößt auch positive Diskriminierung
eine Tür auf, die sonst verschlossen
bliebe.

A


ls sie sich mit Anfang zwanzig
an der Filmhochschule für die
Regieklasse bewarb, sei sie nur
deshalb aufgenommen worden, weil
sie in Hotpants und mit braun ge-
brannten Beinen zur Aufnahmeprü-
fung erschienen sei. Das habe ihr
Professor später jedenfalls gern er-
zählt, schreibt Dörrie in ihrem neuen
Buch. »Brav lachte ich jedes Mal,
wenn er diese Anekdote zum Besten
gab.« Dörrie fächert die Facetten von
Sexismus und dickhodiger Süffisanz
klug auf, ohne sich dabei zu viktimi-
sieren. Das macht ihre Texte so reiz-
voll, auch und gerade für junge Frau-
en wie mich. Denn hatte sie die Hot-
pants, wenn auch bloß unterbewusst,
nicht vielleicht genau deshalb aus-
gewählt?
Dörrie blieb über weite Strecken
eine der wenigen erfolgreichen Frau-
en in dieser Männerwelt. Mit Benach-
teiligung will sie nicht kokettieren.
»Mit wem wollten ältere Produzenten
damals wohl lieber zusammenarbei-
ten? Mit einem Mann, der sie in ihrer

Hierarchie bedrohte«, fragt sie, »oder
mit einer jungen, lustigen Frau?« Die
Antwort ist klar. Dass das gleichsam
bedeutete, nicht allzu ernst genom-
men zu werden, auch.
Dörrie, so erzählt sie es selbst, hat
sich unter einer Narrenkappe aus
Witz und Chuzpe versteckt. Das war
vielleicht die einzige Chance, eine
Heldinnenreise anzutreten. Oder
doch bloß Kalkül?
Wer sich das Titelbild des SPIEGEL
ansieht, das sie 1986 zeigt, erkennt
sie darauf kaum. Dörrie, mit stark
verfremdeten Augenbrauen und tou-
pierten kurzen Haaren, ein verwege-
nes Lächeln im Gesicht, stützt sich
jovial auf einen nackten Mann mit
Affenkopf. Die Aufnahme einer
selbstsicheren, ja selbstgewissen Frau.
Dazu schreibt Hellmuth Karasek, der
Autor des Titelstücks, Dörrie »mit
sehr kurzen Haaren und sehr langen
Beinen« nutze »ohne auch nur ein
Achselzucken darauf zu verwenden,
die Vorteile, die schlechtes Gewissen
und Courtoisie der Pascha-Gesell-
schaft des Kulturbetriebs energischen
Frauen bieten«. Eine Watsche, ver-
packt als Kompliment.
»Das war erschreckend für mich«,
sagt Dörrie heute. Wegen dieses Titels
sei sie in die USA geflohen. Es sei das
erste Mal gewesen, dass die Öffent-
lichkeit ein Bild von ihr gehabt habe.

Eines, mit dem man sie an jedem Zei-
tungskiosk vergleichen konnte. Und
wie gern Menschen das mit Frauen-
bildern tun, weiß jede Frau mit einem
Profil in den sozialen Medien. »Plötz-
lich habe ich mich gefragt: Wie sehe
ich in der Öffentlichkeit aus? Und wie
nehmen mich die Menschen über-
haupt wahr? Das war hart.« Es habe
unwiderruflich ihre Selbstwahrneh-
mung verändert. Und ein Stück Frei-
heit gekostet.
Wer sich ihr Werk retrospektiv an-
sieht, stellt fest, dass sich darin aber
doch einiges verändert hat. Das Büh-
nenhafte hat sich ausgewaschen. Lässt
Dörrie ihre Schauspieler etwa in
»Nackt«, einer schmerzhaften Bezie-
hungskomödie aus dem Jahr 2002,
über ihre Beziehungen schwadronie-
ren, sagen sie darin mit heiligem Ernst
Dinge wie »Ich zeige dir andauernd
meine Seele, und du guckst gar nicht
hin« oder »eine gute Liebesgeschich-
te ist eine kurze Liebesgeschichte«.
Sätze wie diese bleiben aufgepumpt
in der Luft hängen, ehe sie zu Boden
sinken.
In ihren autobiografischen Texten
aber blickt sie auf ihr Leben als Frau
zurück, ohne es stark zu dramatisie-
ren. Und das macht manchmal sehr
beklommen. In »Die Heldin reist«
zitiert sie direkt aus Tagebucheinträ-
gen und Briefen ihres jüngeren Ichs.
Darin erzählt es, wie es sich an der
toxischen Liebe eines Mannes ab-
arbeitete. »Oft habe ich das Gefühl,
dass er mich eigentlich gar nicht mag,
was er verneint, aber verhält sich so:
redet nicht mit mir, schaut mich nicht
an, reagiert nicht auf mich, starrt vor
sich hin«, schreibt es, »ich bin so un-
glücklich und ich weiß nicht, wie ich
da rauskommen soll.«
Als die junge Frau es dann doch
schafft, versucht er, sie umzubringen.
Eine Episode, die Dörrie viele Jahr-
zehnte tief in sich vergrub. »Es ist mir
unerträglich, so lange Gewalt hinge-
nommen zu haben«, schreibt sie aus
der Gegenwart. »Ihr nicht viel früher
entflohen zu sein. Aber ich hatte kein
Wort für sie. Ich wollte sie nicht als
das benennen, was sie war. Wenn ich
sie nicht benenne, dachte ich, ist sie
nicht wahr.«
Ihr junges Ich, dem Leben und
der Liebe gegenüber furchtlos und
naiv, steht gleichberechtigt neben
dem einer 66-jährigen Frau, die sich
fragt, wie viele Filme sie noch drehen
darf, ehe ihre Daseinsberechtigung in
der medialen Aufmerksamkeitsöko-
nomie verwirkt ist. Mit beiden fühlt
man mit, obwohl sie kein Mitleid
benötigen.
SPIEGEL-Titel 45/1986 Elisa von Hof^ n

Regisseurin Dörrie:
»Ambivalent und
damit wahrhaftig«

Mathias Bothor / photoselection

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