pressin zu Grunde liegt, die das Sozialverhalten beeinflus-
sen. Obwohl sich vermutlich auch hier ein modifiziertes
DNA-Methylierungsmuster findet, gibt es für einen sol-
chen Zusammenhang – bisher nur indirekte Beweise.
Andere Formen epigenetischer Veränderungen könnten
ebenfalls eine Rolle spielen.
Weitere Studien sollen nun klären, ob Epimutationen
bei Menschen tatsächlich mehrere Generationen betref-
fen können, wie das bei Nagern der Fall ist. Eine dieser
Untersuchungen basiert auf einem berüchtigten Chemie-
unfall: Im Jahr 1976 setzte eine Explosion in einer Che-
mieanlage im italienischen Seveso die Anwohner den
höchsten jemals aufgezeichneten Konzentrationen an
entwichenem Dioxin aus. Forscher maßen bei nahezu
1000 betroffenen Frauen die im Blut zirkulierende Dioxin-
menge und verfolgten über die Jahre die gesundheitli-
chen Auswirkungen. 2010 berichteten sie, dass die Frau-
en pro verzehnfachter Dioxinbelastung durchschnittlich
25 Prozent mehr Zeit benötigten, um schwanger zu
werden, und ein doppelt so großes Unfruchtbarkeitsrisiko
aufwiesen. Laut einer weiteren Publikation aus dem Jahr
2013 wiesen außerdem jene Betroffenen, die zum Zeit-
punkt des Unfalls jünger als 13 Jahre alt waren, als Er-
wachsene eine doppelt so hohe Neigung zum »metaboli-
schen Syndrom« auf. Darunter versteht man eine Erhö-
hung sowohl von Blutdruck als auch von Blutzucker, die
für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen anfällig
macht. Weiterhin fanden sich bei vielen Enkeltöchtern
der damals exponierten Frauen abnorme Schilddrüsen-
hormonwerte.
Da die gängigsten epigenetisch übertragenen Erkran-
kungen bei Labortieren den Fortpflanzungsapparat und
den Stoffwechsel zu betreffen scheinen, lassen diese
Befunde vermuten, dass Dioxin Epimutationen bei Men-
schen fördert. Der Verdacht würde sich erhärten, falls in
den kommenden Jahren die Kinder und Enkel der expo-
nierten Frauen höhere Unfruchtbarkeitsraten und häufiger
Fettleibigkeit sowie andere Stoffwechselstörungen aufwei-
sen – und zudem abnorme Methylierungsmuster zeigen.
Zuerst Überfluss, dann Hunger
Marcus Pembrey vom University College London sowie
Lars Olov Bygren vom Karolinska-Institut in Stockholm
und ihre Kollegen nutzten eine andere Datenquelle. Sie
konzentrierten sich auf etwa 300 Personen, die 1890, 1905
und 1920 im abgelegenen schwedischen Överkalix gebo-
ren wurden. Die Wissenschaftler verglichen ihre Todesur-
sachen mit rekonstruierten Schätzungen der Lebensmittel-
versorgung zur Zeit ihrer Eltern und Großeltern. Während
des 19. Jahrhunderts traten dort nämlich mehrere Zwei-
jahresphasen auf, in denen auf eine sehr gute Ernte eine
extrem schlechte folgte. Verblüffendes Ergebnis: Frauen,
deren Großmütter väterlicherseits diesen Wechsel zwi-
schen Überschuss und Mangel als Kinder erlebt hatten,
starben deutlich häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Seltsamerweise zeigten weder Männer dieses erhöhte
Risiko noch Frauen, bei denen nur die Großmutter mütter-
licherseits oder die Großväter eine solche abrupte Lebens-
mittelverknappung erlebt hatten. Ähnliche Beobachtungen
gibt es von Nachkommen einer Gruppe von Niederländern,
die während des Zweiten Weltkriegs eine Hungersnot
durchgemacht hatte. Ein derartiges Vererbungsmuster
weist stark darauf hin, dass hier Epigenetik am Werk war.
Trotz der sich häufenden Hinweise schrecken allerdings
viele Biologen vor der Idee zurück, dass sich umweltbeding-
te Epimutationen in der Keimbahn festsetzen können. Diese
Hypothese scheint der etablierten Ansicht zu widerspre-
chen, wonach bei der Fortpflanzung praktisch alle epi-
genetischen Marker von der DNA gelöscht und dann neu
gesetzt werden – und zwar nicht nur einmal, sondern gleich
zweimal hintereinander. Das sollte doch eigentlich jede er-
worbene Epimutation beseitigen, bevor sie in der nächsten
Generation für Ärger sorgen kann. Offenbar finden die
Löschungen zwar statt – aber wie gründlich, ist ungeklärt.
Die erste Flurbereinigung dieser Art erfolgt innerhalb
weniger Tage nach der Empfängnis. Dabei werden Methyl-
gruppen vom Chromosom abgestreift, was den embryona-
len Stammzellen ermöglicht, zu jeder beliebigen Art von
Zelle auszureifen. Während der Entwicklung des Fötus
tauchen dann neue Markierungen auf: Wenn sich die
Zellen teilen und spezialisieren, erscheinen bei jedem
Zelltyp charakteristische Methylierungsmuster auf der
DNA, die dabei helfen, ihn für seine spezifischen Aufgaben
fit zu machen.
Irgendetwas schützt jedoch einige wenige spezielle
Gene vor dieser ersten Welle epigenetischer Löschungen.
Biologen bezeichnen solche Erbfaktoren als mütterlich
oder väterlich geprägt, da die epigenetischen Marker
erhalten bleiben und dafür sorgen, dass nur entweder die
Genkopie der Mutter oder die des Vaters als Bauplan zur
Herstellung eines Proteins dient. Bei meinen Kindern ist
beispielsweise das Gen IGF2 nur auf dem Chromosom
aktiv, das sie von mir geerbt haben. Es enthält die Informa-
tionen für ein Hormon, das für das Wachstum im Mutter-
leib wichtig ist. Die mütterliche Kopie des Gens wurde
mittels einer Kombination von DNA-Methylierung und
nichtkodierender RNA abgeschaltet.
Die zweite Runde epigenetischer Löschung und Neu-
programmierung beginnt später in der Entwicklung, wenn
ein Rattenfötus die Größe eines Stecknadelkopfs hat und
ein menschlicher Fötus etwa erbsengroß ist. Dann tau-
chen in den frisch gebildeten Keimdrüsen die ersten
Vorläufer der Keimzellen auf. Zu diesem Zeitpunkt verab-
reichen wir auch bei unseren Experimenten zur epigeneti-
schen Vererbung den Labortieren Vinclozolin oder andere
Schadstoffe. Bei Ratten dauert der kritische Zeitraum etwa
Eine Sammlung von Arbeiten bis 2015 mit
den wesentlichen Ergebnissen des NIH
Roadmap Epigenomics Program, einer
sys tematischen Charakterisierung des
Epigenoms von menschlichen Zellen und
Geweben, finden Sie unter
http://www.nature.com/epigenomeroadmap
WWW.NATURE.COM/COLLECTIONS/VBQGTR