Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1


Auf La Palma wird man im wahrsten Sinn des Wor-
tes auf Schritt und Tritt mit dem vulkanischen Ur-
sprung der Kanaren konfrontiert. Selbst manche
Gehwege erwecken den Eindruck, man würde über er-
kaltete Lava wandeln – sie zeigen das charakteristische
Muster der Basaltsäulen, die auf der Insel an vielen Or-
ten anzutreffen sind (siehe Foto
auf der rechten Seite). Die im-
posanten Gebilde sind eine ty-
pi sche Hinterlassenschaft des
Vulkanismus und haben an
einigen Plätzen der Erde Be-
rühmtheit erlangt, beispielsweise der Giant’s Causeway
in Irland oder die Säulen von Svartifoss in Island (großes
Bild oben).
Die Bruchstrukturen sehen im Querschnitt ein wenig
wie Natursteinmauern aus, bei denen leicht unterschied-
lich geformte Brocken wie in einem Puzzle passgenau
aneinandergefügt werden. Die polygonalen Muster der
Basaltsäulen hingegen sind ganz von selbst entstanden.
Vermutlich beruht ein großer Teil ihrer Faszination auf
der seltsamen, scheinbar planmäßigen Ordnung und auf
der Vorstellung, welche gewaltigen Prozesse sich dabei

wohl abgespielt haben mögen. Diesen kann man mit
physikalischen Mitteln auf die Spur kommen.
Wenn flüssige Lava nach einem Vulkanausbruch
erstarrt, schrumpft das Volumen des erkaltenden Ba-
salts. Infolgedessen ziehen die Teilchen der zuerst ab-
kühlenden obersten Gesteinsschicht immer stärker
aneinander in alle Richtungen.
Die Unterseite ist fest mit dem
noch heißen Boden verbunden.
Das hindert sie daran, dem Zug
nachzugeben, und so baut sich
eine wachsende Spannung im
Material auf. Wenn diese schließlich ein kritisches Maß
überschreitet, bricht die Oberseite auf, vornehmlich an
zufällig vorhandenen Schwachstellen.
Die Risse sorgen für eine erste Entspannung. Mit fort-
schreitender Abkühlung treten in den nunmehr ge-
trennten Bereichen allerdings erneut Zugkräfte auf. Es
kommt zu weiteren Brüchen und sekundären Rissen.
Diese können die meiste Energie freisetzen, indem sie
die Spannungen auflösen, die vom primären Riss noch
nicht ausgeglichen wurden – das sind gerade die parallel
zu Letzterem verlaufenden Zugkräfte. Das lenkt die
Risse vornehmlich so, dass sie schließlich annähernd
senkrecht auf den alten Riss auftreffen (siehe Bild links).
Auf diese Weise zerfällt die Oberflächenschicht des
Basalts schließlich in ein System voneinander isolierter
Inseln mit vielen rechten Winkeln.
Der Vorgang erinnert an die Entstehung von Trocken-
rissen, auch wenn dort die Substanz nicht durch Ab-
kühlung schrumpft, sondern durch Wasserverlust (»Das
Schicksal einer Pfütze«, Spektrum Oktober 2015, S. 56).
Wegen dieser Ähnlichkeit untersuchen Wissenschaftler
sogar seit einigen Jahren eintrocknende Stärke-Wasser-

Die Spannung ist parallel zu einem bestehenden Riss
(schwarz) maximal. Neue Spalten (rot) werden daher
senkrecht auf den Riss zu gelenkt.

Dieses Ufer von fremdartiger Schönheit besteht
aus einer langen Reihe hoher Basaltsäulen
Jules Verne (1828 –1905)

H. JOACHIM SCHLICHTING

SCHLICHTING!


SÄULEN DER ERDE


Wenn Lava erstarrt, erzeugen Spannungen
im abkühlenden Basaltgestein ein Netz­
werk von Rissen. Die Spalten formen tiefe
Säulen mit einem faszinierend regel­
mäßigen, meist sechseckigen Querschnitt.

H. Joachim Schlichting war Direktor des Instituts für Didaktik
der Physik an der Universität Münster. 2013 wurde er mit dem
Archimedes-Preis für Physik ausgezeichnet.

 spektrum.de/artikel/1496907

Die Basaltsäulen von
Svarti foss in Island sind
im unteren Bereich
erodiert. Im dort einseh­
baren Querschnitt
überwiegen hexagonale
Strukturen.
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