sichelförmig und unelastisch – und können dann feine
Blutgefäße verstopfen, was oft schwere Krankheitsbilder
bedingt, darunter auch Blutarmut. Wer das Gen nur ein-
mal trägt, bleibt normalerweise gesund. Allenfalls leichte
Auswirkungen können auftreten. Die Mutation verleiht
einen gewissen Schutz vor der Malaria tropica, weil sie
verhindert, dass deren Erreger in die roten Blutkörperchen
eindringen.
Eine weitere mutierte Form des Hämoglobins, die Living -
stone interessierte, war das Hämoglobin E. Es ist beson-
ders in Südostasien weit verbreitet und schützt die Träger in
hohem Maß gegen Malaria – und das außerdem oft, ohne
so schwere Krankheiten zu verursachen wie eine Sichel-
zellenanämie. Deshalb fragte ich Livingstone in seinem Se-
minar: »Hämoglobin E scheint doch viel besser zu sein als
Hämoglobin S. Wieso haben es die Afrikaner dann nicht
auch erworben?« Er antwortete nur: »Dort ist das einfach
nicht passiert.« Zuerst war ich verblüfft, denn die natürliche
Se lektion hielt ich für den wirksamsten Evolutionsfaktor.
Die Malaria tropica sucht Afrika seit Jahrtausenden heim.
Da sollte es Selektionskräften doch inzwischen gelungen
sein, die nützlichsten Muta tionen dagegen durchzusetzen
und weniger günstige auszumerzen.
Aber Livingstone erklärte uns, dass sich Hämoglobin E
dort offenbar nicht hatte verbreiten können, weil Hämo-
globin S schon vorhanden war. In einer Bevölkerung mit
ausschließlich normalem Hämoglobin vermöge sich eine
neue schützende Variante gegen Malaria zwar rasch zu
etablieren. Besitzt die Population jedoch schon einen
gewissen genetischen Schutz, bewirkt die neue Variante
einfach nicht mehr genug. Weil schon Hämoglobin S die
Sterberate verringert, bietet Hämoglobin E in dem Fall
keinen wirklich nennenswerten zusätzlichen Vorteil, der in
der Selektion eine Rolle spielt. Ich begriff, dass es ent-
scheidend darauf ankommt, welche Mutation zuerst er-
scheint. Unter Umständen gewinnt eine nur bedingt
günstige Variante, die sich fatal auswirken kann. Bei Ma-
laria war das in Afrika offenbar der Fall – zumindest in den
wenigen Jahrtausenden, in denen Menschen der Seuche
bisher ausgesetzt waren.
Seit Malaria menschliche Bevölkerungen heimsucht,
kamen in den verschiedenen Weltregionen diverse gene-
tische Anpassungen für mehr Widerstandskraft gegen die
Erkrankung auf. Stets war zunächst eine zufällige Muta tion
aufgetaucht, die sich in einer lokal begrenzten Popula tion
halten konnte, wenn ein paar Menschen sie erbten und
ihrerseits weitergaben. Im Prinzip hatte jedes einzelne
solche Merkmal nur sehr geringe Chancen, langfristig zu
überdauern. Doch hier half die riesige und immer weiter
wachsende Popula tion der Menschen, denn das bedeutete
unzählige Gelegenheiten für vorteilhafte neue Eigenschaf-
ten, sich zufällig in einer Bevölkerung festzusetzen.
Auch heutzutage geht die Evolution in den Populati-
onen der Menschen weiter. Das Wirken der Selektion in
der ferneren Vergangenheit können Forscher nur indirekt
anhand langfristiger genetischer Effekte erschließen.
Dagegen lässt sich das aktuelle Geschehen unmittelbar
verfolgen, etwa an Trends im Bereich von Gesundheit und
Fortpflanzung. Beispielsweise verhindern alle medizi-
nischen und hy gienischen Fortschritte nicht, dass die
Kinderzahl der einzelnen Menschen in vielen Bevölke-
rungen weiterhin auch von der individuellen genetischen
Ausstattung abhängt. Zum Beispiel haben in Afrika südlich
der Sahara Frauen, die während der Malariasaison
schwanger sind, eine etwas höhere Chance als sonst, ein
lebendes Kind zu gebären, wenn sie eine bestimmte
Variante des F LT 1-Gens tragen. Das Risiko, dass
Malariaerreger die Plazenta infizieren, ist für sie geringer.
Wie das mit dem Gen zusammenhängt, weiß man noch
nicht, aber der Effekt lässt sich messen.
Umfangreiche Datensätze sollen helfen,
die Zusammenhänge zu verstehen
Aufmerksamkeit erregte eine Studie, die Stephen Stearns
von der Yale University in New Haven (Connecticut) mit
seinen Kollegen durchführte. Sie durchforsteten umfang-
reiche Datensätze von langjährigen Erhebungen in den
USA zur Gesundheit der Bevölkerung nach Merkmalen, die
mit der Kinderzahl korrelierten. Heraus kam dabei: Wäh-
rend der letzten 60 Jahre gebaren in den Vereinigten
Staaten solche Frauen im Vergleich etwas mehr Kinder,
die eher kleiner waren als der Durchschnitt, mehr wogen
und einen niedrigen Cholesterinspiegel aufwiesen. Größe-
re, schlanke Frauen mit höheren Blutwerten bekamen
etwas weniger Nachwuchs. Eine evolutionäre Erklärung
dafür steht allerdings noch aus.
Evolutionsforscher interessieren sich auch für medi-
zi nische und genetische Großprojekte, die inzwischen in
verschiedenen Ländern laufen, um die oft komplizierten
Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Erbanlagen
allmählich besser zu verstehen. Ein Beispiel ist die nati o-
nale Einrichtung UK Biobank in Großbritannien: In deren
Rahmen gewinnen und analysieren Wissenschaftler von
einer halben Million Menschen über Jahre hinweg medizi-
nische und genetische Daten. Die Befunde sollen helfen,
die Behandlung und Diagnose vieler Krankheiten zu ver-
bessern, aber auch, die Vorsorge zu optimieren. Solche
Studien müssen dermaßen umfangreich angelegt sein,
weil sich die komplexen genetischen Wechselwirkungen
oft erst dann deutlich zeigen. Auch hinsichtlich der
menschlichen Evolution entgehen einem viele Einflüsse,
wenn man sich auf die Vergangenheit der Menschheit
beschränkt, weil man dann die langen Zeiträume nur im
Nachhinein betrachten kann. Die Laktosetoleranz im
Erwachsenenalter etwa hat sich über viele Generationen
etabliert, und feststellen lässt sich heute zwar das Ergeb-
nis, nicht aber, wie sich die Entwicklung tatsächlich ab-
Alle medizinischen Fortschritte
verhindern nicht, dass die
Kinderzahl weiterhin auch von der
genetischen Ausstattung abhängt