Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1


Um das Jahr 2010 herum war erstmals in der Ge­
schichte der Menschheit der Punkt erreicht, an dem
mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten
lebte. Urbane Siedlungen üben nach wie vor große Anzie­
hungskraft aus. Einkaufsmöglichkeiten ums Eck; die Nähe
von Schulen, Kindergärten und Arbeitsplätzen; das vielfäl­
tige kulturelle Angebot; die gute medizinische Versorgung;
der Anschluss ans Verkehrsnetz – all das zieht Menschen
in die Stadt.
Doch die Herausforderungen für die Zukunft sind groß.
Bevölkerungswachstum, knappe Finanzen, hoher Flächen­
bedarf, dichter werdender Verkehr, zunehmende
Umweltbe lastungen und soziale Verwerfungen zwischen
verschiedenen Bevölkerungsschichten drohen den Hand­
lungsspielraum der Stadtplanung einzuengen. So erfordert
beispielsweise der Klimawandel einen nachhaltigen Städ­
tebau mit autofreien Siedlungen und Niedrigenergiehäu­
sern. Auch im Verkehr sind Energie sparende technische
Innovationen erforderlich. Speziell zugeschnittene Soft­
ware soll dabei helfen, die Bürger zu einem ressourcen­
schonenden Verhalten zu bewegen.
Die Städte der Gründerzeit zeichneten sich durch Solidi­
tät und Ästhetik aus. Sie dienen oft als Vorbild für verdich­
tetes und ökologisch sinnvolles Bauen. Ihre Bausub stanz
aus dem 19. Jahrhundert trotzte Kriegen und zivilisa to­
rischen Brüchen. In jüngerer Vergangenheit jedoch haben
umfassende technokratische Eingriffe in die Stadtpla­
nung zu zahlreichen Fehlentwicklungen geführt. Sie äußern
sich unter anderem in einer übermäßigen Ausrichtung
der Stadträume auf den Autoverkehr, in »aus dem Boden
gestampften« Großsied lungen ohne gewachsene Infra­
struktur oder in Stadtrand zonen, die aus rein ökonomischem
Blickwinkel gestaltet sind (Gewerbeparks). Die Stadt­
planung muss Wege finden, diese Wunden zu heilen.
Zudem gibt es widerstreitende Tendenzen in den For­
men des Zusammenlebens. Soziales Verhalten und Inter­

URBANISTIK


DIE STADT VON MORGEN


Mehr Bürgerbeteiligung, ein zunehmend dörflicher Charakter
und weniger Ausrichtung auf den Autoverkehr: Künftige
Metropolen werden sich von heutigen deutlich unterscheiden.

Oliver Frey arbeitet als Soziologe, Stadt­ und
Regionalplaner im Department für Raumplanung
an der Technischen Universität Wien und leitet
den Arbeitsbereich Urbanistik.

 spektrum.de/artikel/1338242

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