Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1


Derzeit debattieren Geowissenschaftler darüber, ob
man das Anthropozän als erdgeschichtlichen Zeitab­
schnitt einführen kann und falls ja, wann es begann
(siehe Artikel ab S. 52). Als Astrobiologe, der sich mit
Wendepunkten der Erdgeschichte befasst, interessiert
mich aber eine andere Frage mindestens ebenso bren­
nend: Wann und wie wird das Anthropozän enden?
Epochen sind relativ kurze geochronologische Zeitab­
schnitte – ganz im Gegensatz zu den Äonen, den höchst­
rangigen Einheiten auf der Skala der Erdgeschichte, die
hunderte Millionen bis Milliarden Jahre währen. An den
Übergängen zwischen Äonen finden wirklich tief greifende
Veränderungen statt. Der erste ereignete sich vor etwa vier
Milliarden Jahren, als das glühend heiße Hadaikum vom
kühleren, ruhigeren Archaikum abgelöst wurde, in dem die
ersten Lebensformen entstanden. Vor rund zweieinhalb
Milliarden Jahren erfolgte dann der Wandel vom Archai­

kum zum Proterozoikum, das enorm zerstörerische Mikro­
organismen hervorbrachte, die den Planeten mit toxi­
schem Sauerstoff fluteten. Dies vergiftete einen Großteil
der Biosphäre, führte aber auch zur Entstehung komple­
xen, vielzelligen Lebens – und läutete somit vor 542 Millio­
nen Jahren den derzeitigen Äon, das Phanerozoikum, ein.
Mit dem Beginn des Anthropozäns könnten wir nun vor
einer weiteren radikalen Veränderung stehen: Ein fünfter
Äon könnte dadurch gekennzeichnet sein, dass kognitiv
gesteuerte Vorgänge – Gedanken, geplante Handlungen
und schöpferische Prozesse – das System Erde maßgeb­
lich beeinflussen. Vielleicht sollten wir den neuen Äon
Sapiezoikum (»Zeitalter des vernunftbegabten Lebens«)
nennen. Denn zum ersten Mal in der Erdgeschichte formt
eine Kraft den Planeten, die sich ihrer selbst bewusst ist.
Doch aus einer Epoche wird erst dann ein Äon, wenn
sie hunderte Jahrmillionen oder noch länger dauert. Wird
die Menschheit so lange überleben?
Die dringlichsten Herausforderungen dieses Jahrhun­
derts lauten, die Bevölkerungszahlen zu stabilisieren sowie
eine hinreichende Energie­ und Lebensmittelversorgung zu
sichern, ohne die Biosphäre zu zerstören. Ohne jeden
Zweifel müssen und werden wir uns von fossilen Brenn­
stoffen verabschieden. Das Tempo, das wir dabei vorle­
gen, wird jedoch darüber entscheiden, ob die Verwer­
fungen des Klimawandels weniger stark, genauso schlimm

David Grinspoon ist leitender Wissenschaft­
ler am Planetary Science Institute in Tucson,
Arizona.

 spektrum.de/artikel/1453311

ANTHROPOZÄN


APOKALYPSE ODER AUFBRUCH?


Der Mensch hat begonnen, das System Erde zu dominieren.
Fährt er es gegen die Wand, oder läutet er ein
erdgeschichtliches Zeitalter vernunftbegabten Lebens ein?

ISTOCK / EVERLITE
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