Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

WIRTSCHAFT


58 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


I


n Brandenburg an der Havel, in einer
orange-grauen Halle, sollte einmal
Deutschlands Zukunft entstehen. Ende
der Nullerjahre war das, die Solarbranche
boomte, und der Industrieriese Bosch fertig-
te hier Module. Das Unternehmen glaubte,
wie so viele damals, an ein Milliardengeschäft
zugunsten des Klimas.
Doch der Traum war schnell ausgeträumt.
Eine kurzsichtige Firmenstrategie und eine
noch kurzsichtigere Politik sorgten dafür, dass
chinesische Firmen den Markt übernahmen.
Deutschlands Solarindustrie wurde weit-
gehend hinweggefegt – und mit ihr die Solar-
fabrik von Bosch.
Nun kehrt Leben zurück an den Ort des
Scheiterns. In den noch halb leeren Hallen
surren wieder erste Solarmaschinen. Unter
bunten Signalleuchten rattern Fließbänder in
Vakuumvitrinen. Schicht für Schicht entste-
hen neue Zellen. »Die deutsche Solarindus trie
darf auf ein Comeback hoffen«, sagt Frank
Averdung, Chef der Firma Oxford PV, die hier
hocheffiziente Fotovoltaiktechnik testet.
Averdung, 67, ist selbst ein Rückkehrer.
Der frühere Chipmanager war schon in Ren-
te, als Oxford PV bei ihm anklopfte. Nun soll
er eine Solarfabrik hochziehen, die gleich
mehrere deutsche Rekorde bricht. Bis Ende
des Jahrzehnts soll sie jährlich mehr als zehn
Gigawatt an Zellen fertigen, mit Wirkungs-
graden, die die Konkurrenz um bis zu sieben
Prozentpunkte übertreffen.
Dass man in Sachen erneuerbare Energien
in Deutschland wieder groß denkt, hat viel
mit der Klimapolitik der Ampelkoalition zu
tun – und noch mehr mit dem Krieg in der
Ukraine.
Der grüne Bundeswirtschaftsminister
Robert Habeck wollte den Ausbau von Solar-
und Windanlagen ohnehin beschleunigen.
Nun aber, da die Versorgung mit russischem
Öl und Gas weder verlässlich noch opportun
erscheint, sind Turbinen und Solarmodule
quasi über Nacht zu einer Frage der nationa-
len Sicherheit geworden. Denn nur so lässt
sich die Abhängigkeit von Wladimir Putin
nachhaltig beenden.
Doch das erfordert eine Kraftanstrengung
gigantischen Ausmaßes. Schon die Ziele, die
Habeck vor dem Krieg ausgegeben hatte, wa-
ren pompös. 2045 sollen in Deutschland
Wind- und Solaranlagen mit einer Leistung
von 630 Gigawatt arbeiten, das entspricht in
etwa der Spitzenleistung von 600 Atomkraft-
blöcken. Mehr als die Hälfte davon sollen bis
2030 am Netz sein. Der Ausbau müsste sich
dazu bis 2026 fast vervierfachen.
Nun bremst der Krieg die Energiewende
zusätzlich. Es mangelt nicht nur an Produk-
tionskapazitäten, günstigem Investitionska-
pital und Fachkräften – sondern neuerdings
auch an bezahl barem Stahl. Von dem werden
Millionen Tonnen gebraucht, um Windräder
zu fertigen.
Habeck fällt gerade auf die Füße, dass es
für die Erneuerbaren nie eine ernsthafte In-
dustriepolitik gab. Die Große Koalition hat

Ministerium für Zauberei


ENERGIE Die Koalition will den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen,


doch nach einem Jahrzehnt des Verfalls ist von der deutschen


Solar- und Windindustrie nicht viel übrig. Nun treibt auch noch der Krieg


die Stahlpreise. Robert Habeck muss sich etwas einfallen lassen.


Russische Panzer in Mariupol, Windrad bei Cottbus: Mehrkosten von einer Million Euro je Turm


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