Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

LEBEN


»
Für mich ist Ali
der größte
Athlet, den es
je gab. Nicht
der größte
Boxer, der
größte Athlet
überhaupt

« Fotos:


Getty Images, Howard L. Bingham, Neil Leifer/Sports Illustrated

106 FOCUS 18/2022


Neil, Sie haben Hunderte von Boxkämpfen
mit der Kamera begleitet. War „The Rumble
in the Jungle“ der beste von allen?
Oh nein, es war auf keinen Fall der
beste Kampf. Eigentlich war es ja noch
nicht mal ein guter Kampf. Im Grunde
langweilig. Weil Ali ja die ganze Zeit kaum
etwas gemacht hat, außer sich
nach hinten in die Seile zu lehnen
und Foremans Schläge auf sich
einprasseln zu lassen. Bis er in der
achten Runde dann entscheidend
konterte.
Warum ist dieser Fight trotz-
dem so berühmt, dass bis heute
Bücher darüber erscheinen?
Weil er so überraschend war.
Niemand hat ja gedacht, dass Ali
Foreman k. o. schlagen könnte.
Niemand dachte, dass überhaupt
jemand Foreman k. o. schlagen
könnte. Außerdem war das gan-
ze Drumherum in Kinshasa ein
unfassbares Spektakel. Also: Es
war sicher nicht der beste Kampf,
den ich je gesehen habe, auch
nicht der beste Ali-Kampf – das
war, klar, der „Thrilla in Ma -
nila“ 1975 gegen Joe Frazier. Aber
es war eines der aufregendsten
Erlebnisse meines Lebens, das
ganz gewiss.
Nach Ihren Bildern zu
urteilen: Sie hatten den bes-
ten Platz am Ring, oder?
Ja, erste Reihe. Ich habe unter
den Seilen durch fotografiert.
Aber gut, Don King, der Promo-
ter, vergab die Plätze natürlich
nach der Wichtigkeit des Medi-
ums. Und „Sports Illustrated“ war das
wichtigste Magazin damals. Wir haben
mehr als dreieinhalb Millionen Hefte ver-
kauft, wöchentlich! Wir waren zu sechst in
Zaire. Sechs Leute von „Sports
Illustrated“, acht Tage lang.
Das muss man sich heute mal
vorstellen.
Für wen waren Sie?
Für Ali selbstverständlich!
Wir alle waren für Ali. Aber
das darf die Arbeit nicht be -
einflussen. Als Fotograf muss
man neutral sein. Wenn ich
immer nur meinen Mann foto-
grafiere, kriege ich ja vielleicht
das Wesentliche des Kampfes
nicht mit (lacht).
Wie viele Filmrollen haben Sie
in dieser Nacht verschossen?

Keine Ahnung. Viele. Ich habe aller-
dings ja mit Blitzlicht gearbeitet, da muss-
te man zwischen den Bildern immer ein
paar Sekunden warten, bis das Gerät
wieder geladen war. Andererseits hatte
ich natürlich mehrere Kameras, die mir
mein Assistent immer anreichte. Und die

ferngesteuerte oben über dem Ring. Die
Leute fragen immer, wie viele Bilder man
als Fotograf gemacht hat, aber das ist
ja eigentlich nicht der Punkt. Der Punkt
ist, wie viele gute hat man
gemacht?
Also, wie viele gute Bilder
haben Sie gemacht?
Es lief ganz anständig für
mich. Nur der Knock-out war
nicht ganz so ideal. Der pas-
sierte auf der anderen Seite
des Rings, sodass ich Alis
Gesicht nicht sehen konnte.
Dafür ist das Foto von oben
mit dem niedergestreckten
Foreman im Ring ziemlich
gut geworden.
Wie haben Sie denn die
Kamera da raufgekriegt?

Na ja, sie war am Gerüst der Schein-
werfer befestigt und per Kabel mit dem
Auslöser verbunden. Kein besonderes
Hexenwerk.
Welches ist das eine Foto des Kampfes,
auf das Sie ganz besonders stolz sind?
Das ist ja eine sehr subjektive Sache.
Das Bild, das einem selbst viel
bedeutet, bedeutet anderen viel-
leicht gar nichts. Mir ist die priva-
te Szene am Fluss ein paar Tage
vor dem Kampf sehr lieb, als Ali
auf das Wasser hinausschaut und
darüber zu sinnieren scheint, was
da wohl so auf ihn zukommt. Vom
Kampf selbst gibt es ein Bild, auf
das ich besonders stolz bin, aufge-
nommen beim Gong nach Runde
sieben. Schauen Sie sich die Kör-
persprache der beiden an: der eine
selbstsicher, der andere erschöpft.
Es ist genau der Moment, in dem
beide erkennen, dass Ali diesen
Kampf gewinnen wird. Und so ist
es dann ja auch in der nächsten
Runde gekommen.
Was haben Sie vom Land
mitbekommen, von diesem
jungen, gewaltigen Zaire?
Nicht viel. Sollten wir ja auch
nicht. Wir sind damals mit einer
Chartermaschine aus den USA
angereist und waren eigentlich
die ganze Zeit nur in Nsele, wo
beide Boxer trainiert haben und
wo Ali auch wohnte. Ich hatte
mein Zimmer zum Glück in der
Innenstadt, im „Intercontinental“,
bei Foremans Team. Da gab es
eine Klimaanlage! Alles ging sehr
entspannt zu für uns, dafür hat Mobutu
gesorgt.
Im „Interconti“ war auch Norman Mailer.
Hatten Sie damals schon Kontakt zueinander?
Nur wie es unter Kollegen üblich ist, an
der Bar oder so. Ich wusste natürlich, wer
er war. Wahrscheinlich der berühmteste
Schreiber dort. Wobei einige berühmte
da waren, Budd Schulberg zum Beispiel,
der Drehbuchautor von „Die Faust im
Nacken“, dem Film mit Marlon Brando.
Sie haben vom ersten Kampf gegen
Sonny Liston 1964 bis zu seinem Tod
2016 Muhammad Ali unzählige Male
getroffen. Was bedeutet er Ihnen?
Oh, sehr, sehr viel. Für mich ist er der
größte Athlet, den es je gab. Nicht der
größte Boxer, der größte Athlet über-
haupt. Er wäre in jeder Sportart ein Welt-
star gewesen.n

Sparringspartner Muhammad Ali (1942–2016) und Neil Leifer
mit Leifers Bild vom K.-o.-Sieg gegen Sonny Liston 1965,
das vielen als bestes Sportfoto der Pressegeschichte gilt
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