KULTUR
112 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022
Leben, außer sich maximal selbst zu ver-
markten, Geld zu machen und damit zu
protzen.
SPIEGEL: In dem Song gibt es die recht har-
sche Zeile »Mit tauber Botoxfresse mich aus-
lachst«. Würden Sie sich niemals botoxen
lassen?
Westernhagen: Nein, weil das Problem daran
ist, dass nachher alle gleich aussehen.
SPIEGEL: Also halten Sie nichts von ewiger
Jugend?
Westernhagen: Ewige Jugend funktioniert halt
genauso wenig wie Schönheitsoperationen.
Man sieht nachher nicht jünger aus, sondern
einfach nur scheiße. Ich finde, alles im Leben
sollte mit einer gewissen Würde geschehen.
Auch das Altern.
SPIEGEL: Wie altert man denn gut in Würde?
Westernhagen: Wenn ich Madonna mit Bar-
bra Streisand vergleiche, würde ich immer
sagen, dass es Barbra Streisand besser macht.
Aber eine wirklich gute Antwort darauf habe
ich nicht. Ich möchte nur nicht, dass es irgend-
wann peinlich wird. Ich möchte später nicht
wie Jopi Heesters noch mit 100 schwerhörig
zum Bambi tattern.
SPIEGEL: Im Gegensatz zu anderen Künstlern
haben Sie keine großen Katastrophen,
Skandale und Abstürze hingelegt. Gab es
nie die Gefahr, dass Sie dem Exzess zum
Opfer fallen?
Westernhagen: In den Siebzigern vielleicht,
als alle zu viel gesoffen haben. Aber eigentlich
nicht, nein. Ich war schon immer der Typ, der
gern die Kontrolle behält und sein Maß kennt.
Mein Vater war da anders. Der hat 100 Ziga-
retten am Tag geraucht und dazu eine große
Flasche Doornkaat getrunken. Ich war nie der
größte Freund vom Rausch. Dafür habe ich
zu oft gesehen, was er an richten kann.
SPIEGEL: Ihr Vater starb, als sie 15 Jahre alt
waren. Bedauern Sie, dass er Ihre Karriere
nicht miterleben konnte?
Westernhagen: Meiner Meinung nach stirbt
Materie, aber Energie nicht. Ich glaube, seine
Eltern trägt man immer bei sich, auch wenn
sie nicht mehr da sind. Ich glaube, mein Vater
wäre stolz auf mich, aber gar nicht auf meine
sogenannte Karriere. Ich glaube, er wäre stolz
auf die Art, wie ich meinen Weg gegangen
bin. Auf meine Unbestechlichkeit und auf
meinen geraden Rücken.
SPIEGEL: Das sprichwörtliche Rückgrat in
gesellschaftlichen Dingen wird oft bei Musi-
kerinnen und Musikern der jungen Genera-
tion vermisst. Welche aktuellen Stars bewun-
dern Sie?
Westernhagen: In der Popmusik muss ich
leider sagen: keine. Es sind mir alle nicht
politisch genug. Ich frage mich wirklich, wo
die jungen Musiker sind, die einfach mal das
Maul aufmachen. Die jungen Leute sind mir
generell zu vorsichtig. Was man ihnen gar
nicht vorwerfen kann, weil die ganz anders
groß geworden sind. Erst hat Kohl die
Gesellschaft entpolitisiert, und nach dem
Dicken dann Mutti. Das war einfach nicht
optimal.
SPIEGEL: Die Jugendlichen von Fridays for
Future sind so etwas wie die Popstars unserer
Zeit, sie widmen sich doch einem sehr großen,
umfassenden Thema.
Westernhagen: Die finde ich auch toll. Ich war
sogar mal auf einer ihrer Demos.
SPIEGEL: Und wussten die dort, wer Sie sind?
Westernhagen: Erstaunlicherweise ja.
SPIEGEL: Im Video zu »Zeitgeist« flackern
Begriffe wie »#MeToo« über die Leinwand.
Hatten Sie jemals Angst, als die Bewegung
aufkam?
Westernhagen: Nein. Weil ich mir Fehltritte
dieser Art nie geleistet habe oder geleistet
hätte. Halten Sie mich für altmodisch, aber
ich mochte es immer, dass ich eine Frau auch
erobere. Ich finde nichts grässlicher als den
Gedanken, dass ich eine Frau zu etwas zwin-
gen müsste.
SPIEGEL: Sind Ihnen viele Harvey Weinsteins
in Ihrer Karriere begegnet?
Westernhagen: Natürlich gab es immer Chau-
vinisten – und natürlich gab es sie auch zahl-
reich in der Musikindustrie. So ein Typ wie
Weinstein gehört in den Knast, darüber müs-
sen wir nicht reden. Aber ich mag grundsätz-
lich keine Debatten, die dogmatisch oder
hysterisch geführt werden. Ich halte nichts
von Vorverurteilungen und finde, man muss
jeden Fall individuell betrachten.
SPIEGEL: Was ist für Sie eigentlich Männ-
lichkeit?
Westernhagen: Das, was man vielleicht klas-
sisch unter Männlichkeit versteht, ist mir eher
zuwider. Ich liebe zum Beispiel Fußball, aber
das ganze Machotum und Gesaufe drum he-
rum fand ich immer schon grauenvoll. Ich
verabscheue den Geruch von Männerschweiß,
und ich finde nichts schlimmer als den Ge-
danken, in einer Gruppe Männer duschen
gehen zu müssen.
SPIEGEL: Weil dort ein Schwanzvergleich
stattfindet?
Westernhagen: Ja, auch. Und ein Schwanz-
vergleicher war ich nie. Boris Becker war mal
einer, das habe ich ihm auch mal nach dem
Tod seines Vaters im Guten gesagt. Ich mein-
te zu ihm, Boris, du brauchst dringend eine
Therapie, aber du brauchst eine Frau als The-
rapeutin.
SPIEGEL: Können Sie uns erklären, warum es
so viele peinliche Männer gibt?
Westernhagen: Das kann ich nicht. Aber ich
halte Frauen auf jeden Fall für die clevereren
Wesen. Männer sind eher blöde. Entweder
ist das Blut bei uns im Hirn oder im Unterleib,
beides zugleich geht offenbar nicht. In mei-
nem Leben waren jedenfalls immer die Frau-
en die intelligenteren Menschen. Zudem bin
ich nach dem frühen Tod meines Vaters ja vor
allem von Frauen sozialisiert worden – von
meiner Mutter oder meiner Schwester. Mir
ist die weibliche Psyche näher als die männ-
liche. Trotzdem habe ich in meinem Leben
als heterosexueller Mann ganz bestimmt
schon Frauen emotional verletzt. Manchmal
haben dann doch die Hormone bei mir ver-
rückt gespielt. Während meiner Ehen war ich
jedoch nie untreu. Frauen wissen, glaube ich,
gar nicht, was für ein großes Opfer das für
Männer ist.
SPIEGEL: Das ist jetzt aber ein schlimmer
Machospruch.
Westernhagen: Das tut mir leid.
SPIEGEL: Würden Sie sich selbst als Feministen
bezeichnen?
Westernhagen: So weit würde ich nicht gehen.
SPIEGEL: Warum nicht?
Westernhagen: Weil ich glaube, dass ich dafür
nicht genug Kriterien erfülle.
SPIEGEL: Was halten Sie vom Gendern der
Sprache?
Westernhagen: Ich finde es prinzipiell ehren-
wert, aber es verwirrt mich. Und manchmal
finde ich es, nun ja, auch irgendwie niedlich.
Wir reden in Deutschland darüber, ob wir
Menschen er, sie oder es nennen – und wo-
anders sind die Frauenrechte immer noch
quasi nicht existent.
SPIEGEL: Aber man kann doch nicht immer
nur sagen: In anderen Ländern ist es noch
schlimmer. Dann gibt es ja keinen Fortschritt.
Westernhagen: Ich weiß, aber ich mag es
einfach nicht, wenn man sich so im Kleinen
verliert.
SPIEGEL: Dann wechseln wir die Perspektive
auf das große Ganze. Wie blicken Sie auf den
Krieg in der Ukraine?
Westernhagen: Dieser Krieg ist natürlich
schrecklich, und gerade kommt da viel hoch
bei mir. Ich habe damals viel auf Trümmer-
grundstücken in Düsseldorf gespielt und die
Westernhagen, SPIEGEL-Team*
Impfbefürworter Westernhagen im Februar
* Andreas Borcholte und Nora Gantenbrink in Berlin.
Marius Müller Westernhagen via Instagram
Marina Buzunashvilli / Sony Music