DEUTSCHLAND
Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 35
falls sie nicht mitmachten. Mayer be-
stritt seinerzeit diese Darstellung.
Es sollte nicht das einzige Mal blei-
ben, dass Mayers Amtsführung An-
lass für kritische Fragen bot. So trug
er sich im April 2018 in die Anwesen-
heitsliste des Bundestags ein, obwohl
er an jenem Tag gar nicht an der Sit-
zung teilnahm. Vom SPIEGEL kon-
frontiert, beharrte Mayer darauf, an
jenem Morgen »sehr wohl« in den
»Liegenschaften des Deutschen Bun-
destags« gearbeitet zu haben. Dabei
belegt ein Foto, aufgenommen um
kurz nach 9 Uhr, dass der Abgeord-
nete an der Eröffnung einer KZ-Ge-
denkstätte teilnahm – rund 600 Kilo-
meter von Berlin entfernt.
Im Ministerium suchten innerhalb
weniger Monate gleich mehrere Leu-
te in seinem Umfeld das Weite. »Ich
habe fertig«, verabschiedete sich ein
langjähriger Sachbearbeiter per Mail
und wechselte die Abteilung. Eine
aufstrebende Referentin verließ das
Ministerium. Horst Seehofer, so heißt
es heute, habe von derartigen Pro-
blemen mit Mayer angeblich nichts
mitbekommen.
Eine Zeit lang schien Mayer sein
Temperament auch im Griff zu ha-
ben. Doch dann lieferte er sich im
Wahlkampf 2021 auf Facebook einen
Disput mit Nutzern aus dem linken
Spektrum. Eine Grünenpolitikerin
hatte einen kritischen Post über CSU-
Verkehrsminister Andreas Scheuer
verfasst. Mayer mischte sich ein und
verwies auf Versäumnisse der Grü-
nenkandidatin Annalena Baerbock.
Die Debatte eskalierte, Nutzer
nannten den CSU-Politiker einen
»überheblichen Riesenarsch« und
verglichen sein Verhalten mit dem
eines »rechten Trolls«. Mayer tobte
über die »Beleidigungen und Diffa-
mierungen«: »Ich verabscheue Sie!«,
schrieb er. »Aber ich stehe hier! Sie
müssen mich am Ende des Tages um-
bringen oder umbringen lassen! Bis
dahin werde ich mich weiter artiku-
lieren.« Später löschte er die Posts.
Besonders dünnhäutig reagierte
der Politiker auf kritische Medien-
anfragen. Als der SPIEGEL im De-
zember 2021 über einen Interessen-
konflikt Mayers recherchierte, weil
dieser das Amt des Vizechefs des
Deutschen Olympischen Sportbunds
(DOSB) ausüben wollte und zugleich
im Sportausschuss sitzt, gab Mayer
telefonisch nur ein Zitat frei: Der
SPIEGEL führe seit Jahren einen »Ver-
nichtungsfeldzug« gegen ihn.
Mayers Ausbruch am Telefon
wirkte so verstörend, dass sich der
Reporter später in Sorge an dessen
Bundestagsbüro wandte, ob es dem
Chef gut gehe. Das brachte ihm eine
Wutmail Mayers ein, in der er juris-
tische Schritte und einen eigenen »in-
vestigativen Artikel über die verwerf-
lichen und herabwürdigenden Ma-
chenschaften gegenüber meiner Per-
son« androhte.
Als dann die Bundesregierung ent-
schied, Mayer dürfe wegen der ge-
setzlichen Abklingzeit für Staatsse-
kretäre nicht sofort an die DOSB-
Spitze wechseln, schrieb Mayer per
Mail an eine SPIEGEL-Redakteurin:
»Ich werde Sie mit allen legalen Mit-
teln verfolgen. Sie sind eine der
schlechtesten Journalisten, die ich je
kennenlernen musste.«
Auch zu seiner Rolle bei einem
Maskenangebot der Schweizer Firma
Emix und deren Lobbyistin Andrea
Tandler hatte der SPIEGEL Mayer be-
fragt. Die Tochter von CSU-Ex-Ami-
go Gerold Tandler hatte 2020 ihre
Kontakte in die Politik genutzt, um
überteuerte Masken zu verkaufen.
Sie versuchte es auch über Mayers
Schwester Verena, eine alte Freundin.
Die speiste die Emix-Adresse bei
ihrem Bruder ein, der sie im Ministe-
rium weiterleitete – ihm zufolge ohne
jede Empfehlung.
Als der SPIEGEL Verena Mayer im
Februar 2021 fragte, ob sie für ihre Hil-
fe finanzielle Forderungen an Tandler
gestellt hatte, behauptete sie, »weder
eine Provision verlangt noch erhalten
zu haben«. Konfrontiert mit Chatver-
läufen, räumte sie ein, sehr wohl Pro-
visionen verlangt zu haben, angeblich
ohne Erfolg. Laut den Chats hatte Ma-
yer ihre Forderung auch damit gerecht-
fertigt, dass ihr Bruder für das Angebot
ein »positives Wort« eingelegt habe.
Im November 2021 erklärte Mayer,
er habe erst durch die Anfrage der
»Süddeutschen Zeitung« von den
Provisionsforderungen seiner Schwes-
ter erfahren – dabei hatte ihn der
SPIEGEL schon neun Monate vorher
danach gefragt. Demnächst muss
Mayer vor dem Untersuchungsaus-
Anne Armbrecht, Anna Clauß,
Jürgen Dahlkamp, Jan Friedmann,
Florian Gathmann, Martin Knobbe,
Wolf Wiedmann-Schmidt n
Parteichef Söder
in Münchner
Staatskanzlei:
Mit Aktionismus
gegen die miese
Stimmung
»Ich werde
Sie mit
allen legalen
Mitteln
verfolgen.«
Stephan Mayer
schuss des bayerischen Landtags als
Zeuge Auskunft geben.
Wie impulsiv Mayer auf heikle
Fragen reagiert, erlebte zuletzt der
»Bunte«-Reporter Manfred Otzelber-
ger. Seit Wochen hatte der Journalist
den Politiker im Laufe seiner Recher-
chen zu dessen angeblichem Sohn zu
kontaktieren versucht. Die Veröffent-
lichung des Artikels muss dann bei
dem Politiker eine Kurzschlussreak-
tion ausgelöst haben.
Otzelberger war am vergangenen
Mittwoch auf der Autobahn, da klin-
gelte sein Telefon. Es meldete sich
Mayer, »und dann begann die Schrei-
orgie«, wie der Reporter erzählt. »Sie
haben mein Leben zerstört, jetzt wer-
de ich Sie vernichten«, soll der CSU-
Mann gedroht und die Überweisung
eines Schmerzensgeldes von 200 000
Euro verlangt haben.
Der Reporter habe ihn »als Spit-
zenpolitiker« zur Mäßigung ermahnt
und ihm die Möglichkeit einer Ent-
schuldigung angeboten. Mayer aber
habe nur verneint, ein Spitzenpoliti-
ker zu sein. Der Journalist informier-
te unverzüglich seine Chefredaktion
und den Verlag – und Mayers Partei-
karriere fand ein jähes Ende.
Hat die CSU-Führung von seinen
Ausbrüchen gewusst?
Er sei von Mayers Rücktritt »per-
sönlich sehr betroffen«, sagte Söder
am Mittwoch. Am Vorabend habe er
gemeinsam mit CSU-Landesgruppen-
chef Alexander Dobrindt ein »sehr
langes und sehr menschliches« Ge-
spräch mit Mayer geführt, es sei eine
»Tragödie«. Von Drohgebärden oder
Ausrastern gegenüber dem Journalis-
ten, so heißt es im CSU-Vorstand,
habe Söder nichts gewusst.
Für Söder kommt die Affäre zu
einem Zeitpunkt, an dem sich die Par-
teibasis nach Zuversicht und Aufbruch
sehnt. Gegen die miese Stimmung ver-
sucht der Parteichef, mit Aktionismus
anzukämpfen. Gleich nach der Presse-
konferenz zu Mayers Rücktritt bricht
er zur Eröffnung eines Studenten-
wohnquartiers in Rosenheim auf, da-
nach zu einer Versammlung des Bay-
erischen Landkreistages am Chiem-
see. Am Abend gibt er ein Abendes-
sen für Vertreter des Bayerischen
Trachtenverbandes in der Münchner
Residenz.
Unterdessen ist zu hören, Stephan
Mayer wolle sein Mandat im Bundes-
tag gern weiterführen. Fragen des
SPIEGEL ließ er mit Verweis auf ge-
sundheitliche Gründe unbeantwortet.
Sven Hoppe / dpa