Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1

SPORT


88 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022


Boris Becker hat auf Männer wie
Khaled Ezzedine schon immer eine
besondere Anziehung ausgeübt. Er
hat sich mit ihnen verbündet, weil
sie seine Türöffner sein sollten für
das Leben außerhalb des Tennis-
platzes. Mit dem ersten Wimble-
donsieg 1985 war es Ion Tiriac, ein
Rumäne, der aus dem Tennisspieler
Becker das »Produkt Becker« mach-
te, wie er es nannte. Becker litt auf
dem Tenniscourt, kämpfte, trium-
phierte, schimpfte, den Rest erledigte
Tiriac.
Mit Tiriac trat auch das Irratio nale
in Beckers Leben, der ständige Super-
lativ, der feste Glaube, dass nichts un-
möglich sei. Über Tiriac, der es als
Sohn einer Gemüseverkäuferin zum
zwischenzeitlich reichsten Mann Ru-
mäniens schaffte, der als Eishockey-
spieler an Olympischen Spielen teil-
nahm und als Tennisspieler die French
Open im Doppel gewann, gibt es un-
zählige Geschichten und Anekdoten,
und wie bei seinem berühmten
Schützling verschwammen dabei oft
die Grenzen zwischen Fiktion und
Wirklichkeit. Sie wurden zu einer Art

Geschäftsmodell und zu einem Teil
ihrer beider Leben.
Zu den Geschichten, die immer
wieder gern erzählt werden, gehören,
dass er schon mal auf Biergläser bei-
ße und die Scherben kaue oder dass
er zum ersten Treffen mit Beckers
Eltern Karl-Heinz und Elvira in Lei-
men im Rolls-Royce vorgefahren sei.
Letztere ist längst als Legende ent-
tarnt, hält sich aber hartnäckig, weil
sie so gut passt auf den Rumänen, der
heute Milliardär ist und Hunderte
Old timer besitzt.
Tiriac war es, der Becker als Min-
derjährigen dazu brachte, von Lei-
men nach Monaco zu ziehen, weg aus
der kleinbürgerlichen Provinz, hinein
in ein Leben, das er für einen Wim-
bledon sieger, der zum Weltstar wer-
den sollte, für angemessener hielt.
Tiriac bestimmte von da an über
Beckers Leben, über sein Konto, über
seine Liebesbeziehungen. Dafür
machte Tiriac beide, ihn und sich,
reich, er handelte Verträge aus mit
der Deutschen Bank, mit Coca-Cola,
mit Ford, Puma und dem Uhrenher-
steller Ebel, Millionensummen, von
denen Tiriac bis zu 30 Prozent an
Provision für sich einbehielt. Es
waren goldene Jahre für Becker und
Tiriac, und vielleicht ist es die Erin-
nerung an jene Zeit, die viele Unter-
nehmer bis zuletzt motiviert hat, mit
Becker Geschäfte zu machen, auch
nach dessen Tenniskarriere.
»Der Boris hat ’ne außergewöhn-
liche Strahlkraft«, sagt Ezzedine. Er
zeigt auf das Logo der Akademie, das
er selbst entworfen hat und das über-
all zu sehen ist, auf Fahnen, auf Plät-
zen, auf bedruckten T-Shirts der Aka-
demie. Es zeigt Beckers Silhouette
beim Aufschlag, im Hohlkreuz, die
Knie geknickt, den Ball über dem
Kopf. »Gucken Sie das Logo an, das
ist so genial.«
Er erinnert sich, wie er Boris Be-
cker einmal getroffen habe, lange be-
vor er ihn als Partner gewann, Mitte
der Neunzigerjahre, als Becker seine
Tenniskarriere noch nicht beendet
hatte. Es war auf einem Lufthansa-
Flug über den Atlantik, Becker und
er waren die einzigen Passagiere in
der First Class. Plötzlich habe ihn Be-
cker angesprochen, er habe seine Hil-
fe gebraucht. »Könnten Sie bitte zwei
Stunden aufpassen, dass mich nie-
mand fotografiert?«, bat ihn Boris
Becker. »Ich möchte kurz schlafen.«
Ezzedine schaut in die Runde. Er
ist jetzt noch gerührt, wenn er an die-
sen Moment denkt: ein Weltstar, der
sich wünscht, einmal zwei Stunden in
Ruhe schlafen zu können. »Ist das
nicht traurig?«, fragt Ezzedine. Zwei

einmal für die 18 Mark Mitgliedsbei-
trag im Fußballverein gereicht. Erst
viel später, als er schon über 40 war
und es zu Reichtum gebracht hatte,
begann er, sich Tennis selbst beizu-
bringen, so wie es seine Art ist, ohne
Trainer, allein.
Natürlich reichte das nicht mehr
zum großen Erfolg. Er setzt jetzt auf
seinen Sohn Hani-Luke, 15, der ein
Tennistalent sei. Er habe echte Chan-
cen, Profi zu werden. »Wenn er mei-
nen Biss hat, könnte er es schaffen.«
Aber auch seine Tochter Sophie-
Louise, 14, sei eine leidenschaftliche
Tennisspielerin.
Vor vier Jahren, erzählt Ezzedine,
sei er mit seinem Sohn nach Mallorca
geflogen, wo Rafael Nadal, einer der
größten Spieler der Geschichte, eine
Tennisschule eröffnet hatte. Ezzedine
suchte für seinen Sohn nur nach dem
Besten. In Nadals Schule sollte er
zu einem Profi ausgebildet werden.
Schon nach ein paar Tagen hatte
Ezze dine genug von Nadal, er war
entsetzt von dem, was er da sah. Die
Trainer hätten auf dem Platz gestan-
den und während des Trainings ihr
Handy benutzt, das fand er »unpro-
fessionell«.
Aber als »größten Skandal« emp-
fand Ezzedine, dass Nadal auf Mal-
lorca »eine Betonwüste gebaut« habe,
»keine einzige Palme«. Er erzählt,
wie er sich in den wenigen Tagen, in
denen er auf Mallorca war, schon eine
Finca gekauft hatte, 30 000 Quadrat-
meter Grundstück. Er wollte dort
eigentlich wohnen, wenn er seine
Kinder besuchte. Trotzdem beschloss
er, wieder abzureisen.
Er flog weiter nach Nizza, meldete
seine Kinder in der Mouratoglou
Tennis Academy an, die von sich
behauptet, die beste Europas zu sein.
Zunächst war er zufrieden mit der
Entscheidung. Drei Jahre lang seien
dort geblieben, er habe sie jedes Wo-
chenende besucht. »Erste Luft hansa-
Maschine am Freitag hin, letzte am
Sonntag zurück«, sagt Ezzedine. Aber
bald begannen ihn auch dort viele Din-
ge zu stören. »Mein Sohn war da nur
eine Nummer, obwohl er talentiert ist,
und meine Tochter auch«, sagt Ezze-
dine. Das könne er besser.
Und so entschloss sich Khaled Ez-
zedine, seine eigene Tennisschule zu
eröffnen, die beste der Besten, im
Doppel mit Boris, dem größten deut-
schen Tennishelden.


SPIEGEL: Herr Ezzedine, wäre auch
jemand anders als Werbepartner
denkbar gewesen, zum Beispiel Mi-
chael Stich?
Ezzedine: Wer?


Weltstar Becker
mit Manager Tiriac
1985, mit Geschäfts-
partner Cleven 2005:
»Neue Perspektiven
gesehen«

Lindenthaler / IMAGO

Herbert Rudel / picture alliance
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