SPD
Fotos:
Patrick Slesiona für FOCUS-Magazin, EPA
INTERVIEW VON THOMAS TUMA FOTOS VON PATRICK SLESIONA
Der frühere SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel über die Lebenslügen seiner Partei im Umgang
mit Russland, die neue Weltwährung Macht und deutsche Erinnerungslücken
„Wir sind knietief durch Blut gewatet“
Angela Merkel hat sich nie Illusionen
über Wladimir Putin gemacht.
Ihr amtierender wie der frühere SPD-
Kanzler haben jedenfalls ein Putin-Problem:
Schröder steht ihm offenkundig viel zu nahe.
Olaf Scholz kämpft eher zaudernd gegen
den Kreml-Chef, finden andere. Wo stehen
Sie selbst da als einstiger Vizekanzler,
SPD-Chef und Außenminister?
Ich gehöre sicher nicht zum
Beraterkreis von Bundeskanzler
Olaf Scholz, aber ich finde seine
Haltung zum Krieg Russlands
gegen die Ukraine absolut rich-
tig: Wir wollen der Ukraine hel-
fen, sich erfolgreich gegen Russ-
land zur Wehr zu setzen. Aber wir
Deutschen wollen nicht in den
Krieg ziehen. So sieht es die ge-
samte Nato. Wir brauchen jetzt
Politiker mit heißem Herzen, aber
mit einem kühlen Kopf.
Manuela Schwesig, eine weitere
Parteifreundin von Ihnen, hat
wie kaum jemand anderes für das
Pipeline-Projekt Nord Stream 2
durch die Ostsee gekämpft.
Wird sie das noch ihr Amt
als Ministerpräsidentin von
Mecklenburg-Vorpommern kosten?
Die Pipeline ist geplant und begonnen
worden, lange bevor sie Ministerpräsiden-
tin geworden ist. Die Verträge für diese
Pipeline wurden am 8. September 2005
beschlossen. Danach trugen in 12 von
16 Jahren Minister der CDU, der CSU und
der FDP die Verantwortung für Nord
Stream 2. Manuela Schwesig wurde erst
am 4. Juli 2017 Ministerpräsidentin.
Hat die SPD durch ihre Russlandpolitik
Ereignisse wie den Ukraine-Krieg
verhindert – oder eher provoziert?
Es gab keine „SPD-Russlandpolitik“,
sondern ein europäisches Engagement
für einen Waffenstillstand und einen Frie-
densprozess in der Ostukraine nach der
Besetzung der Krim durch Russland. Die
CDU-Kanzlerin Angela Merkel und der
SPD-Außenminister Frank-Walter Stein-
meier haben damals gemeinsam mit dem
französischen Präsidenten François Hol-
lande für Europa mit Russland ver-
S
igmar Gabriels Heimatstadt
Goslar ist zwar eine nieder-
sächsische Fachwerk-Idylle
wie aus dem Märchenbuch.
Aber die raue Weltgeschich-
te war dort quasi Gabriels
Nachbar: Nur wenige Kilo-
meter entfernt verlief die Zonengrenze,
erklärt er nach dem Interview und zeigt zu
den Hügeln. Als 1989 die Mau-
er fiel, begannen die russischen
Soldaten, die oben am Brocken
teils in Zelten hausen mussten,
ihre letzten Habseligkeiten an
Touristen zu verkaufen. Traurig
sei der Anblick gewesen, erin-
nert sich Gabriel heute – und
vielleicht auch exemplarisch für
das Land, das den SPD-Politiker
seither nicht mehr losließ.
Herr Gabriel, Sie haben jüngst Ihren
SPD-Altkanzler Gerhard Schröder
besucht. Warum eigentlich?
Ich wollte von ihm persönlich
hören, was bei seinen Gesprächen
mit Putin herausgekommen ist.
Nichts, soweit wir wissen.
So ist es leider.
Nach Schröders denkwürdigem
Interview mit der „New York Times“,
in dem er jedes „mea culpa“ in
seinem Umgang mit Putin verweigerte,
hat die Zeitung auch bei Ihnen nach-
gefragt. Warum haben Sie da gleich
mit Anwalt gedroht?
Man muss zurzeit als Politiker sehr da-
rauf achten, dass Medien das berichten,
was man auch wirklich gesagt hat. Zu-
mindest in Deutschland ist es üblich, dass
man Interviews noch mal zum Autorisieren
bekommt. In den USA nicht.
Haben Sie selbst je von Russland
einen Beraterjob angeboten bekommen
wie Gerhard Schröder?
Nein.
Sind Sie seit dem Ausbruch des Krieges
noch mal durchgegangen, ob’s irgendwas
gibt – einen Deal, eine Aktion –, das Ihnen
selbst noch auf die Füße fallen könnte?
Da ich keine „Deals“ gemacht habe,
kann mir auch nichts auf die Füße fallen.
Ist es – nicht nur für SPD-Leute – gerade
gefährlich, von der Öffentlichkeit falsch ver-
standen zu werden, was frühere Russland-
Strategien angeht?
Gefährlich ist in unserem Land gar
nichts. Man kann alles sagen, sollte nur
aufpassen, dass man nicht Teil krudes-
ter Verschwörungstheorien wird. Selbst
der Philosoph Jürgen Habermas muss
sich für seine kluge und differenzieren-
de Betrachtung der deutschen Waffenex-
port-Diskussion als „Putinversteher“ ver-
unglimpfen lassen. Daran merkt man, wie
verrückt manche Debatte geworden ist.
Der ukrainische Botschafter in Berlin,
Andrij Melnyk, hat zuletzt Bundes-
präsident Frank-Walter Steinmeier als
Teil eines Spinnennetzes deutsch-
russischer Spezlwirtschaft beschimpft ...
... und das ist nicht einfach nur bösartig
und falsch, sondern vor allem unanständig,
weil – abgesehen von der früheren Bun-
deskanzlerin Angela Merkel – niemand
so viel für die Ukraine getan hat wie der
frühere Außenminister Steinmeier.
Könnte Merkel in der Rolle der Friedenstaube
eigentlich erfolgreicher sein als Schröder?
In Moskau werden derzeit leider keine
Friedenstauben gewünscht. Egal, woher
sie kommen.
Worin unterschieden sich Merkel und
Schröder in ihrer Ostpolitik?
Putin, Gabriel (2017) „Ich habe keine ‚Deals‘ gemacht“