KOLUMNE
Jürgen Preusser • [email protected]
ABDRIFT
yachtrevue.at • 7|17 73
Oida, wann simma
endlich da-ha?
Sommerferien
VII*. Ein Schiff ist
traditionellerweise
die Wiege von
Disziplin und
Ordnung. Oder so
neut Oberwasser. Eine unüberlegte Antwort wie
„um vier“ ist ein schwerer Fehler. Wird das Ziel
auch nur um eine Stunde verfehlt, führt dies zu
Vorwürfen. Väter haben die Natur zu beherr-
schen! Besonders, wenn sie Skipper sind, Oida!
In einer Konoba auf Dugi Otok komme ich
mit einer Familie aus Mainz ins Gespräch. Ein
älterer Herr, eine junge Frau, zwei Mädchen.
Alle 13 Kinder unserer Flotte sind spurlos ver-
schwunden. Dugi Otok heißt lange Insel – sie
haben genügend Platz, um sich zu verteilen.
„Na, haben deine beiden Enkerl auch so viel
Geduld als Rudergänger?“, frage ich den Mann
augenzwinkernd. Und unterstreiche meine iro-
nisch gemeinte Frage noch mit: „Meine Kinder
halten oft ganze fünf Minuten am Steuer durch.“
Der Mainzer schweigt betreten. „Das ist nicht
mein Opa, das ist mein Papa“, antwortet das äl-
tere Mädchen und formt mit ihren Stirnfalten
eine Borawalze.
Ich könnte mich in den Hintern beißen. „Tut
mir leid“, sage ich. „Aber Anthony Quinn ist ja
auch mit 81 Vater geworden.“ Wäre der Mann
nicht gut erzogen, würde er mir jetzt den Topf
mit seinen Miesmuscheln in Weißwein-Knob-
lauch-Sauce aufsetzen. Er spürt aber oenbar,
dass ich eh schon kopfüber im Fettnapf stecke.
In diesem Augenblick stürmen vier mir un-
bekannte Buben unterschiedlichen Alters ins
Wirtshaus. Wild kreischend berichten sie dem
Mainzer Quinn, was sie in der letzten Viertel-
stunde alles verloren, zerstört und versenkt
haben; unter anderem geht es um den Dingi-
Außenborder. Nach diesem Auftritt wird mir be-
wusst, wie brav, geduldig und ordnungsliebend
die 13 Kinder unserer Flotte eigentlich sind.
Und der steinalte Mainzer dreht sich zu mir
um und sagt: „Ich bin übrigens 46.“
*Immer in den Sommerferien (Juli und August) ist diese
Kolumne dem „Wunder Familientörn“ gewidmet.
K
inder haben zwei herausragende
Eigenschaften: Ordnungsliebe und
Geduld. So das Ergebnis einer re prä-
sentativen Umfrage des Meinungs -
forschungsinstitutes BULL SHIT UN-
LIMITED. Befragt wurde eine Person, der Ober-
streber einer Eliteschule in Schnöselhausen.
Doch warum, beim Klabautermann, wurde
ausgerechnet unsere Familien¦otte mit zwölf
Erwachsenen und 13 Kindern auserwählt, um
diese Studie zu widerlegen?
Wien, Samstag, 6:45 Uhr. Zwei schlaftrunke-
ne Wesen ohne Gesichtsfarbe plumpsen auf die
Rückbank des vollgepackten Autos. Während der
Rückwärtsgang eingelegt ist, wird erstmals die
Frage aller Fragen gestellt: „Wann simma da-ha?“
Ab Wiener Neudorf ändert sich der Wortlaut auf
„Oida, wann simma endlich da-ha?“, wobei das
Wort „Oida“ kein abschätziges Synonym für „El-
tern“ ist, sondern „mir is sooooo faaaad!“ bedeu-
tet. Das Intervall zwischen den Fragen beträgt
50 Kilometer und wird kurz nach der kroatischen
Grenze auf 30 Kilometer verkürzt. Eine neue Fra-
ge taucht auf, sie lautet: „Simma schon da?“ Die
logische Antwort „Nein, weil Zagreb unver-
schämterweise nicht am Meer liegt“, löst ein
zweistimmiges „Geh Oida, bitteeee!“ aus. Wobei
dieses „Oida“ durchaus abschätzig gemeint ist.
In unserem Ausgangshafen Zadar werden
sämtliche Schattierungen von „Wann simma ...?“
durch „Wo ist ...?“ ersetzt. Dann erfolgt die Kern-
schmelze, wie wir das Zusammentreen aller
Jung-Passagiere am Steg nennen. Ab diesem
Zeitpunkt steht keiner von ihnen auch nur eine
Sekunde für die Tätigkeit des Suchens von Ge-
genständen und Kleidungsstücken zur Verfü-
gung. 14 Tage – das sind 1,209.600 Sekunden.
Wenn alle Utensilien verloren, verlegt, ver-
steckt, im Wirtshaus vergessen oder aufgefres-
sen sind, bekommt die Engelsgeduld der Kin-
der sowie die Frage „Wann simma da-ha?“ er-
JÜRGEN PREUSSER
ist einer der renommiertesten
Sportjournalisten Österreichs,
war u.a. Sportchef im Kurier und
hat über zehn Olympische Spiele vor
Ort berichtet. Der leidenschaftliche
Segler hat 22.000 Seemeilen im
Kielwasser und nimmt gelegentlich
an Fahrtenregatten teil. 2012 hat er
den Ecker Cup, 2015 The Race –
1000 Miles jeweils in seiner
Klasse gewonnen.
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