Fliegermagazin Juli 2017

(avery) #1
übernahm den Job. Er fliegt die Cygnet bis
heute – Colin hat das noch nie getan. Er füh-
le sich noch nicht fit genug, sagt der Erbau-
er, »außerdem ist es am schönsten zuzuse-
hen, wenn das eigene Flugzeug vorgeflogen
wird.«

S


tart und Landung mit der Cygnet
scheinen kein Problem zu sein, nur
die Dosierung des Seitenruders ist
sehr gewöhnungsbedürftig, da es
als Pendelruder ausgelegt und extrem sen-
sibel ist. Am besten hält der Pilot bei Start
und Landung die Füße ganz still. Die Quer-
ruder werden von einem Gummiseil vorge-
spannt und sind leicht negativ angestellt,
ihre Hinterkanten stehen also etwas nach
oben. Mit einer Art Trimmrad lässt sich die
Grundstellung nach unten verändern. Dies
sollte die Mindestfahrt weiter senken, aber
ausprobiert hat es noch niemand – der Hin-
weis »do not use« auf dem Rad ist unüber-
sehbar.
Vom Boden aus das eigene Flugzeug zu
betrachten, während es vorgeflogen wird,
bot Colin nicht immer den erhofften Ge-
nuss. Eines Tages stand er am Flugplatz
neben Fotografen, die ihre langen Teleob-
jektive aufgepflanzt hatten, um die Cygnet
in der Luft abzulichten. Es waren schöne

Holzflugzeugbau
anno 1924: Das
selbsttragende
Höhenleitwerk hat
eine schmale Auflage,
Verstrebungen zum
Rumpf schaffen eine
steife Verbindung.
Alle Ruder werden
über Seile betätigt

Momente für den Besitzer, bis ein Fotograf
sagte: »Sie hat gerade etwas verloren.« Und
ein anderer ergänzte: »Ja, der Propeller ist
weg.«
Colin weiß nicht mehr, wie lange er die
Luft angehalten hat, bis der Pilot den Dop-
peldecker im Gleitflug endlich sicher run-
tergebracht hatte. Es war jedenfalls lang. Die
Kurbelwelle war gebrochen, der vordere Teil
hatte sich samt Propeller verabschiedet.
Eine viertägige Suchaktion blieb er-
folglos. Der Einsatz eines Hubschraubers
brachte genauso wenig wie die Trockenle-
gung eines Teichs, weil man darin das Teil
vermutete. Monate später kam dann ein

Bauer mit dem Prop und dem Kurbelwel-
lenfragment zur Shuttleworth Collection
und fragte: »Vermisst das jemand?«
Für unseren Fotoflug nimmt Shuttle-
worth-Urgestein Rob Middleship Platz in
der Cygnet. Der Mann ist viel beschäftigt,
und das vorgeschlagene Timing für die Fo-
tosession passt ihm nicht sonderlich gut.
Meine vorsichtigen, feinen Korrekturen für
bessere Bildergebnisse laufen beim Meister
komplett ins Leere. Na gut, dann diesmal
Kompromisse. Bald, so hofft Colin, wird er
selber die Cygnet fliegen: wenn er genü-
gend Taildragger-Zeit auf seiner Aeronca
C-3 hat. Dann kommen wir wieder.

Mensch & Maschine


Mit Leib und Seele
bei der Sache:
Colin und Mark Essex
kümmern sich liebe-
voll um die Cygnet,
die bei der Shuttle-
worth Collection
beheimatet ist. Old
school kann wunder-
bar lässig sein!

18 http://www.fliegermagazin.de #7.
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