Aero International Oktober 2017

(Chris Devlin) #1
10/2017 http://www.aerointernational.de 81

The WIndoW seaT


D


ie Pleite der einst zweitgrößten deutschen Fluggesell-
schaft Air Berlin hält seit Wochen die Branche in Atem
wie kaum ein Ereignis jemals zuvor. Praktisch jeder ist
irgendwie betroffen – weil sein Arbeitsplatz gefährdet ist
oder weil ein großer Kunde oder Konkurrent wegfällt. Es
gibt Gewinner und Verlierer. Wer wie deutlich gewinnt und verliert,
wird sich schnell, schon in den kommenden Tagen und Wochen,
herausstellen. Doch Einiges zeichnet sich schon jetzt ab.

Einmal mehr deutlich geworden ist in der Saga, dass Lufthansa-
Chef Carsten Spohr strategisch weit vorausgedacht hat. Seit etwa
April 2016 lässt er seine Leute daran arbeiten, wie man Teile von
Air Berlin integrieren kann. Er hat sie genaue Pläne ausarbeiten las-
sen, wie mit den Leasingunternehmen verhandelt werden kann, wo
Piloten und Flugbegleiter eingesetzt werden und wie die Slots an
den Flughäfen erhalten bleiben können. Gleichzeitig hat er die Bun-
desregierung darauf vorbereitet, dass die Lufthansa ja bereitstehen
würde als Retter von Arbeitsplätzen und sich damit die politische
Unterstützung gesichert. Er hat getan, was er konnte, um die Inter-
essen seines Unternehmens zu vertreten.

Womit er in dieser Form nicht rechnen konnte, war, dass sich
die Bundesregierung so absurd inkompetent verhält. Spohrs Pläne,
einen Großteil von Air Berlin zu übernehmen, bedurften in jedem
Fall einer sehr kritischen Überprüfung durch die Kartellbehörden,
denn sie gefährden natürlich den Wettbewerb in wichtigen Teil-
märkten. Und sie wurden von Konkurrenten deswegen verständ-
licherweise auch kritisiert. Doch es war das Gefasel vom „natio-
nalen Champion“, den sich Verkehrsminister Alexander Dobrindt
wünscht, das auch noch den letzten Kritiker aufgeweckt hat. Über
zu wenig Marktanteile im innerdeutschen und europäischen Ver-
kehr kann sich Lufthansa schon jetzt nicht beschweren, und durch
die Pleite der Air Berlin wird sich ihre Position in jedem Fall verbes-
sern, ob sie nun einsteigt oder nicht.

Doch Dobrindts Statement klang fast so, als wolle er mutwillig
den Einstieg Lufthansas verhindern, wie wenn man einen Politiker
als Kandidat für ein neues Amt benennt – und er es dann bestimmt

nicht bekommt. Und dann auch noch Wirtschaftsministerin Bri-
gitte Zypries, die vier Tage nach der Air Berlin-Insolvenz plötzlich
die Luftverkehrssteuer abschaffen will. Ein geradezu zynischer Vor-
schlag.

Auch dank dieser Form politischer „Unterstützung“ hat sich
die Stimmung gedreht. Die Chancen anderer Interessenten, einen
Teil der Airline in der ein oder anderen Form abzubekommen, sind
gestiegen. Easyjet wird voraussichtlich im innerdeutschen Flugver-
kehr die Rolle von Air Berlin übernehmen können und Condor wo-
möglich das touristische Netz stärken können. Aller Kritik an dem
Verfahren zum Trotz wird auch Ryanair in Deutschland profitieren.

Denn für alle Anbieter gilt: Es werden Flugzeuge vom Markt
verschwinden. Schon durch das Mietgeschäft Air Berlin/Eurowings
sind netto rund 20 Maschinen abgebaut worden, weil alte German-
wings-Airbus-A320 ersetzt worden sind. Es gilt als sicher, dass die
20 Bombardier Q400 der Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW) ver-
schwinden, auch wenn das Unternehmen wohl noch eine Weile
weiterbestehen dürfte. Und sicherlich wird nicht die komplette Rest-
Flotte von Air Berlin erhalten bleiben. Ergibt eine Kapazitätsreduk-
tion von mindestens 40 Jets, eher mehr als das.

Air Berlin, die Mitarbeiter und Aktionäre sowie die Bundesre-
gierung sind übrigens nicht die einzigen Verlierer in dem Fall. Ein
großer heißt Etihad: Nicht nur ist die Partner-Strategie, in die Eti-
had unter James Hogan Milliarden in Krisen-Carrier gepumpt hat,
endgültig und grandios gescheitert. Etihads Ruf ist in Deutschland,
weil man Air Berlin nun hat fallen lassen, ruiniert. Dass die Air-
line die Zahlungen eingestellt und Air Berlin damit in die Insolvenz
geschickt hat, hat auch dazu geführt, dass nun ihre Verhandlungs-
macht gegenüber Lufthansa auf Null gesunken ist. Bislang hatte
Etihad gehofft, Air Berlin abzugeben und dafür eine weitreichen-
de Allianz mit Lufthansa zu bekommen. Doch warum sollte Luft-
hansa sich darauf nun noch einlassen? Wie viel von Air Berlin sie
bekommt, wird in Berlin, in Bonn beim Bundeskartellamt und bei
der Europäischen Kommission in Brüssel entschieden. Abu Dhabi
ist außen vor. Jens Flottau

JEnS FlottAU kommentiert aktuelle entwicklungen in der Luftfahrt


„Spohrs Pläne


gefährden den


Wettbewerb“


lufthansa steht für die Übernahme von teilen der Air Berlin bereit

Foto:Dietmar Plath
Free download pdf