Ich als soziales Wesen zunehmend in der
Rolle der Absonderung. Die Vorstellung
zu schreiben suggeriert eine für viele Zeit-
genossen exklusiv erscheinende Existenz-
weise, die im Rückzug von den anderen
und in der Konzentration auf sich selbst
gründet. Zugleich wird damit eine neue
Art von Kommunikation gestaltet. Sich
vom Hin und Her der Meinungen zurück-
zuziehen oder gar ganz auszugliedern, um
desto intensivere und nachhaltigere For-
men der Kommunikation betreiben zu
können, bezeichnet einen weiteren Moti-
vationsgrund des Schreibens. Denn es
steht zu vermuten, dass sich über das
Schreiben und Veröffentlichen ein viel-
stimmiger Widerhall erzielen lässt, den
das gesellschaftliche Miteinander dem
Einzelnen ansonsten verweigert.
Über sich selbst zu schreiben ist
komplizierter, als es zunächst
erscheinen mag
Dieser Kopplungseffekt von Absonde-
rung, Resonanz und neuem Leben hat sich
in einem der erfolgreichsten literarischen
Projekte der vergangenen Jahre in frap-
pierender Art und Weise niedergeschla-
gen. In der von Karl Ove Knausgård auf
sechs umfangreiche Bände angelegten Au-
tobiografie, die im Norwegischen unter
dem Titel Min Kamp („Mein Kampf “)
erschienen ist, kann man die Folgen eines
regelrechten Urknalls nachvollziehen, den
ein jahrzehntelang gehegter Wunsch zu
schreiben schließlich ausgelöst hat.
Knausgård hat im norwegischen Ber-
gen selbst kreatives Schreiben studiert und
wollte zeitlebens nichts anderes als Schrift-
WIE LERNE ICH SCHREIBEN?
Hilfestellung bei der Überwindung
der Kluft zwischen dem Wunsch und
dem gekonnten Schreiben leistet
eine stetig wachsende Zahl von Rat-
gebern, die mit teils reißerischen
Versprechen für sich werben. In den
vergangenen zehn Jahren wurden
aber gerade auch in den universi-
tären Schreibinstituten zahlreiche
methodische Ansätze zur Ausbil-
dung literarischer Kompetenzen
ausgearbeitet.
Laut Christian Schärf, dem Leiter
des Instituts für Literarisches Schrei-
ben in Hildesheim, ist das primäre
Ziel für den Einstieg, jeder Illusion
von unmittelbar freizusetzender
Kreativität oder genialischem Auf-
bruch eine strikte Grenze zu setzen,
ohne diese Illusion ganz aufzuge-
ben. Doch sollte zunächst dem
Handwerk der Schreibarbeit und
den Techniken der Beobachtung,
der Aufzeichnung und der Selbstdo-
kumentation alle Aufmerksamkeit
gewidmet werden. Nur durch die
Kanalisierung und Steuerung dieser
Praxis könne der Traum vom eige-
nen Schreiben wahr werden.
Grundlegende Übungen für den
Einstieg
Genaues Beobachten und Notie-
ren: S e h e n S i e s i c h u m u n d b e s c h r e i -
ben Sie möglichst detailliert, was Sie
in Ihrer unmittelbaren Umgebung
wahrnehmen.
Rahmen und Szenen bilden: Bezie-
hen Sie sich auf ausgewählte kleine-
re Ausschnitte aus Ihrer Umwelt und
beschreiben Sie diese möglichst
präzise. Dehnen Sie dieses beob-
achtende Notieren auf Szenen aus
Ihrem Alltag, auch auf solche im zwi-
schenmenschlichen Bereich aus
(Stichwort: Dialoge).
Fortlaufendes Dokumentieren: Le-
gen Sie ein Journal an, in das Sie
alles eintragen und in dem Sie sam-
meln, was Sie schreiben, egal ob es
sich um eine kurze Notiz oder um
einen schon geformten Text han-
delt. Das Dokumentieren und Archi-
vieren ist eine wesentliche Aufgabe,
die Stetigkeit und Disziplin in das
Schreiben bringt.
Achtsamkeit für die Materialien, die
man für das Schreiben benö tigt:
Wählen Sie den Ort fürs Schreiben
sorgsam aus, genau wie die Art und
das Format des Papiers sowie die
Schreibwerkzeuge. Schreiben ist ein
sinnlicher Prozess, der sich in seiner
Intensität steigern lässt.
Einrichten einer geeigneten Schreib-
umgebung: Beispiele von Schreib-
tischen und Arbeitszimmern be-
kannter Schriftsteller zeigen, wie
wichtig die Umgebung fürs Schrei-
ben ist. Eine Schreibaufgabe kann
sein, den eigenen Arbeitstisch zu
fotografieren und darüber einen
kurzen Text zu verfassen.
Dokumentieren: Recht bald sollten
Sie die Chronik eines Tages mit allen
Beobachtungen und Notizen verfas-
sen und diese über die folgenden
Tage immer weiter fortführen. Wich-
tig ist, eine Geläufigkeit im Schrei-
ben zu erlangen, sodass mittelfristig
das Gefühl einer selbstverständ-
lichen Handlung entsteht.
Nach und nach wird unter dem Ein-
fluss solcher und ähnlicher Übungen
das eigene Schreiben immer selb-
ständiger und freier, sodass man
recht bald schon dazu übergehen
kann, fiktive Räume und Interakti-
onen beschreibend in Angriff zu
nehmen.