heumaps0517

(Ben Green) #1
ZEITGEIST

Gruppentherapie,
meinte Carl Rogers
in der Ausgabe
5/1976, wird „zu
einer der wichtigs-
ten Antriebskräfte
in der Psychologie“.
Doch der Erfolg der
Psychologie hat an-
dere Wurzeln

VISIONÄR

Was bringt die
Zukunft mit den
neuen Medien?
Wird der Bildschirm
zum Lebensraum?
Diese Fragen be-
schäftigen Psycho-
logie Heute bereits
im Februar 1983

„Selbst die besten Optimisten


hätten das nie vorhergesehen“


Über Psychologie spricht heute jeder. Das war noch vor wenigen


Jahrzehnten anders. Das Fach hat eine unvergleichliche
Geschichte hinter sich, sagt der Psychologieprofessor Kurt Pawlik

Herr Professor Pawlik, wie würden Sie den
Zustand der Psychologie in Deutschland
und überhaupt derzeit beschreiben?
Ich bin in der spannenden Lage, die Psycho-
logie seit 1952 zu kennen – damals habe ich
begonnen, in Wien zu studieren. Nach der
Habilitation wurde ich 1966 mit 31 Jahren
Professor für Psychologie in Hamburg. Von
da an bis heute überblicke ich die Psychologie
auch als international Mitwirkender. Und ich
muss sagen: Der Aufschwung, den sie genom-
men hat, ist unvorstellbar. Selbst die besten
Optimisten hätten das nie vorhergesehen.
Die Psychologie ist heute völlig etabliert,
nicht nur am Markt der Berufe und in den
Hochschulen, sondern auch in den Akademi-
en der Wissenschaften in den USA, in Europa,
auf allen Kontinenten. Es ist ein Aufstieg, um
den uns andere Wissenschaften gleichen
Lebensalters nur beneiden können. Früher wa-
ren Psychologen, auf sich und ihr Fach bezogen,
von sehr reduziertem Selbstbewusstsein getra-
gen. Das ist heute Gott sei Dank im Auf bau



  • ohne überheblich zu werden.
    Trotzdem sagen viele Ihrer Kollegen, die
    Psychologie befinde sich in einer Krise.
    Die Psychologie ist eine der von Gegenstand
    und Methodik her besonders schwierigen Wis-
    senschaften. Das soll nicht arrogant klingen,
    aber wenn man die Psychologie etwa mit der
    Meteorologie vergleicht, einer anderen stark
    im Vorhersagebereich tätigen Wissenschaft,
    liegt die Zahl der Variablen, die die Meteoro-
    logie zu betrachten hat, bei weniger als ein
    Dutzend. Bezogen auf die Psychologie, ist das
    minimal komplex.
    Was ist die besondere Schwierigkeit?
    Dass wir mit unserem System dieses System
    selbst verstehen wollen – normalerweise will


ja ein höher komplexes System eine nieder-
komplexe Materie bearbeiten. Das ist ein un-
wahrscheinlich anspruchsvolles Vorhaben.
Zudem findet unser Leben, Erleben und Ver-
halten in einem offenen System statt. Wir leben
frei, als Individuen, in einer freien Gesellschaft,
sodass Einf lüsse sich dauernd neu ergeben kön-
nen. Was Ursache und Wirkung ist, wechselt
die Rolle. Die hohe Komplexität ergibt sich aber
nicht nur aus der irrsinnigen Variablenmenge,
ihren Abhängigkeiten und Interdependenzen
und ihrem sehr schnellen offenen Ablauf. Hin-
zu kommt, dass man Psychologie nicht betrei-
ben kann, ohne gleichzeitig methodisch mehr-
dimensional, multidisziplinär zu sein.
Generell scheint es, als sei das Verständnis
der Psychologie und was sie ausmacht
selbst unter Psychologen sehr unterschied-
lich. Wie würden Sie den Kern zusammen-
fassen?
Ein angesehener Mathematiker hat auf die
Frage „Wie definieren Sie Mathematik?“ ein-
mal gesagt: „Mathematik ist das, was Mathe-
matiker tun.“ Und das ist, glaube ich, die ein-
zig treffende Antwort: Wenn man wissen will,
was Psychologie ist und wovon sie handelt,
sollte man sich ansehen, was Psychologen tun.
Sie beforschen die Beschreibung, Erklärung,
Vorhersage und Veränderung des menschli-
chen Erlebens und Verhaltens, seine Ursachen
und Wirkungen.
Das ist ein riesiges Arbeitsprogramm, in
dem es in der Natur der Sache liegt, dass nicht
jeder alles tun kann und will. Aber es gibt nicht
wenige, die innerhalb ein und derselben Arbeit
sowohl natur- als auch sozialwissenschaftlich
argumentieren, handeln oder methodisch vor-
gehen. Ich finde, darin liegt ein ganz beson-
derer Charme der Psychologie. Die Breite in
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