heumaps0517

(Ben Green) #1
Melanie Wolfers’
Buch Freunde
fürs Leben. Von
der Kunst, mit
sich selbst be-
freundet zu sein
erschien 2016 im
adeo-Verlag
(€ 16,99)

Frau Wolfers, versteht sich der freundliche Um-
gang mit sich nicht von selbst? Müssen wir das
wirklich erlernen?
Es gibt Zeiten, in denen wir uns wohl in unserer Haut
fühlen und gut mit uns klarkommen. Aber oft liegen
wir auch im Streit mit uns und sind uns selbst „ziem-
lich beste Feinde“. Denken Sie etwa an die harsche
Selbstkritik, mit der sich viele niedermachen. „Zu
dick!“, „zu schüchtern!“ oder „zu redselig!“ nörgelt
es in einem.
Um mit sich selbst Freundschaft zu schließen,
braucht es eine bewusste Lebenskultur. Ich bin über-
zeug t : Mit sich selbst bef reu ndet zu sei n gehör t zu m
Wichtigsten im Leben. Denn schließlich sind wir
selbst der Mensch, mit dem wir vom ersten bis zum
letzten Atemzug zusammen sind.
„Mit sich selbst befreundet sein“, davon sprach
schon Aristoteles. Was meinte er damit?
Echte Freundschaft beruht nach Aristoteles auf Ge-
genseitigkeit und auf dem Wunsch, dass es dem Ge-
genüber um seiner selbst w i l len g utgeht. A na log da-
zu lässt sich die Freundschaft mit sich selbst verstehen:
In uns Menschen gibt es zahlreiche Spannungen,
etwa die zwischen Denken und Fühlen oder zwischen
unseren Zielen, die wir erreichen wollen, und dem,
was unser Körper braucht. Sich mit sich selbst zu
befreunden meint, dass wir diese widerstreitenden
Stimmen in uns immer wieder neu austarieren.
Unserer Gesellschaft – und auch dem Einzelnen


  • wird allenthalben das Prädikat „narzisstisch“
    verliehen. Ist da eine Anleitung über die Kunst,
    mit sich selbst befreundet zu sein, nicht kontra-
    produktiv?
    Ganz im Gegenteil. Narzissten leiden an einem
    grundlegenden Mangel an Selbstfreundschaft. Es
    wird zwar gesagt, dass sie sich nur für sich selbst in-
    teressieren, aber es handelt sich um ein Pseudointe-
    resse. Denn Narzissten müssen sich ständig ideali-
    sieren und bewundern. Oberf lächlich betrachtet
    scheinen sie selbstverliebt, doch in Wirklichkeit kön-
    nen sie sich nicht leiden.


Welche Stolpersteine gibt es auf dem Weg zur
Freundschaft mit sich selbst?
Ein erster Stolperstein besteht in der Angst vor dem
Alleinsein. So wie eine Freundschaft Zweisamkeit
braucht, lebt eine Freundschaft mit sich selbst von
der regelmäßigen Verabredung mit sich selbst. Und
hier liegt ein Problem: Will ich überhaupt zu mir
zurück? Karl Valentin bringt es launig auf den Punkt:
„Morgen gehe ich mich besuchen. Hoffentlich bin
ich zu Hause!“
Ein zweiter Stolperstein ist der irrsinnige Selbst-
optimierungsdruck. Das Credo der kapitalistischen
Leistungsgesellschaft, „Optimiere dich oder du bist
raus!“, hat sämtliche Lebensbereiche gef lutet. Es gilt,
dass wir das Beste aus uns machen. Und weil es zu
jedem Besten immer noch ein Besser gibt, schraubt
sich das Ego-Tuning wie von selbst in die Höhe. Eine
heillose Überforderung!
„Ich selbst komme in meinem Leben kaum vor.
Ich spüre keine Verbundenheit mit dem, was mir
wichtig ist, sondern lebe irgendwie aus purer Ge-
wohnheit.“ Wenn Leser sich in dem erkennen, was
Sie in Ihrem Buch beschreiben: Was wäre der ers-
t e S c h r i t t , u m d a s z u ä n d e r n?
Um sich mit sich selbst anzufreunden, braucht man
nur wenig. Eigentlich brauchen wir nur uns selbst.
Wo auch immer Sie sich gerade befinden, genau dort
können Sie anfangen! Ein konkreter erster Schritt
könnte darin liegen, dass Sie sich immer mal wieder
fragen: Wie würde in dieser konkreten Situation ei-
ne gute Freundin oder ein echter Freund mit mir
umgehen? Und sich dann davon etwas abgucken.
INTERVIEW: KATRIN BRENNER-BECKER

Sagen Sie mal, Frau Wolfers:


Warum sollte man mit sich


selbst befreundet sein?


Melanie Wolfers, Dr. theol., Mag. phil., studierte
Theologie und Philosophie. 2004 trat sie in den Orden der
Salvatorianerinnen in Österreich ein. Sie ist Autorin und
engagiert sich vielfältig in der Beratungs- und Bildungsarbeit

ILLUSTRATION: JAN RIECKHOFF

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