Die Welt Kompakt - 27.11.2019

(Michael S) #1

2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,27.NOVEMBER


E

s ist der Tag, an dem
sich 5000 Trecker
durch die Hauptstadt
schieben, ihre Fahrer
haben ein Ziel:
das Brandenburger Tor – und
Julia Klöckner (CDU) die Mei-
nung zu sagen. Das Ministerium
für Landwirtschaft liegt nur fünf
Minuten entfernt. „Es gab schon
zwei Unfälle“, flüstert einer. Die
Stimmung ist angespannt.

VON ELKE BODDERAS

WELT: Frau Klöckner, Sie haben
gerade Besuch in Berlin. Es
sind aufgebrachte Bauern. Sie
haben Tausende Traktoren mit-
gebracht und gute Argumente.
Unter anderem geht es um Gül-
le und zu viel Nitrat im Grund-
wasser.
JULIA KLÖCKNER: Die Landwirte
sind besorgt wegen der Verschär-
fffung der Düngeregeln, die im Aprilung der Düngeregeln, die im April
2 020 in Kraft tritt. Auf die Land-
wirte kommen strengere Auflagen
zu, das ist hart für sie. Denn be-
reits 2017 wurde nachgeschärft,
aaaber das reicht der EU-Kommissi-ber das reicht der EU-Kommissi-
on nicht. Fakt ist, Deutschland
wwwurde von der EU verklagt undurde von der EU verklagt und
hat in allen Punkten vor dem Eu-
ropäischen Gerichtshof verloren.
Deshalb muss nachgebessert wer-
den, weil in einigen Gebieten zu
viel Nitrat in unserem Grundwas-
ser ist. Ich kann nachvollziehen,
dass die Bauern auf die Straße ge-
hen, weil viel zusammenkommt an
neuen Belastungen. Da müssen
und wollen wir sie unterstützen.

Für Deutschland wird es höchs-
te Zeit. Jeder vierte Messbrun-
nen im ländlichen Raum zeigt
zu hohe Nitratwerte an. Bereits
2013 hat die EU-Kommission
ein Verfahren gegen Deutsch-
land eingeleitet, wegen Verlet-
zung der Nitratrichtlinie. Im
Juni 2018 wurde die Bundesre-
gierung verurteilt, weil sie im-
mer noch zu viel Gülle auf den
Äckern zulässt. Im Juli dieses
Jahres kam aus Brüssel eine
Mahnung, innerhalb von zwei
Monaten Vorschläge zu erar-
beiten. Ansonsten drohen Stra-
fen bis zu 850.000 Euro. Und
zwar täglich.
Es gibt hier klare Zielkonflikte,
die aufeinanderprallen. Landwirte
wollen ihre Ackerpflanzen ausrei-
chend ernähren, also düngen und
die Erträge sichern. Verbraucher
wollen sauberes Grundwasser
und nicht mehr dafür zahlen, dass
es extra gereinigt werden muss.
Hier finden wir eine Lösung.

Deutschland ist der größte Pro-
duzent von Kuhmilch in der
Europäischen Union. Ein gro-
ßer Teil der Milchprodukte
geht in den Export, unter ande-
rem nach China.
Auf einen Liter Milch kommen
in den großen Betrieben drei
Liter Gülle. Arbeiten unsere
Landwirte für den Weltmarkt
auf Kosten unserer Umwelt?
Auch dort, wo keine Tiere sind,
finden wir zum Teil hohe Nitrat-
gehalte, weil dort zum Beispiel
mit Stickstoffdünger gedüngt
wird und der Boden sehr durch-

lässig ist. Im Übrigen ist Gülle
ein natürliches Produkt. Es liegt
doch nahe, dies auch zu verwen-
den.
Die Frage ist, wie und wo wird
sie ausgebracht, zu welchem
Zeitpunkt, in Hanglage oder auf
ebener Fläche, in der Nähe von
Gewässern ... Wir dürfen auch
nicht vergessen, was unsere
Landwirtschaft leistet: Im Jahr
1900 hat ein Bauer fünf Men-
schen ernährt, im Jahr 2019 er-
nährt ein Bauer 155 Menschen.
Wir werden satt. Diese Leistung
hat auch Auswirkungen auf die
Umwelt. Die große Aufgabe ist,
dass wir eine ertragreiche, aus-
kömmliche Landwirtschaft noch
nachhaltiger und umweltscho-
nender gestalten.

Experten kritisieren, dass es in
Teilen Niedersachsens zu viele
Rinder und Kühe pro Quadrat-

meter gibt. Wird es künftig we-
niger Massenställe in Deutsch-
land geben?
Die Zahl der Tiere ist schon seit
Längerem rückläufig. Es kommt
auch auf unser Ess- und Kon-
sumverhalten an. Wenn wir das,
was wir essen, nicht mehr vor
Ort erzeugen würden, würden
wir ansonsten die Lebensmittel
aus dem Ausland importieren,
mit einem ganz anderen CO 2 -
Fußabdruck.

In Europa hat sich die Zahl der
Selbstmorde unter Bauern
stark erhöht. Laut einer franzö-
sischen Studie liegt die Rate bei
französischen Landwirten bis
zu 30 Prozent höher als bei der
Allgemeinbevölkerung. Ist für
einen Bauern in Europa das Le-
ben nicht mehr lebenswert?
Die Zahlen kann ich für Deutsch-
land nicht bestätigen. Aber grund-
sätzlich: Wir sind in einer Zeit des
Umbruchs. Auf der einen Seite
wollen wir höhere Tierwohlstan-
dards haben, aber als Verbraucher
nicht mehr Geld dafür ausgeben.
Ein Landwirt wird keine Million
investieren, um seinen Stall mit
mehr Platz für die Tiere umzu-
bauen, wenn er nicht auch eine Si-
cherheit hat, dass sich das rech-
net. Anderes Beispiel: Verbrau-
cher wollen weniger Pflanzen-
schutzmittel und Insektizide.
AAAber niemand geht in den Super-ber niemand geht in den Super-

markt und kauft einen Salatkopf
voller Schädlinge. Das sind Wi-
dersprüche, die müssen wir be-
nennen und dann lösen. Die mo-
derne Landwirtschaft wird weni-
ger Pflanzenschutzmittel nutzen.
Dafür brauchen wir insbesondere
die Digitalisierung. Das bedeutet
Präzisionslandwirtschaft: Wir
werden pipettengenau Düngemit-
tel auftragen, wir werden Senso-
ren haben, die Schädlinge erken-
nen, sodass Schädlingsbekämp-
fffungsmittel punktgenau ausge-ungsmittel punktgenau ausge-
bracht werden können. So werden
unsere Ernten gesichert. Aber wo
wir kein Netz auf dem Acker ha-
ben, kann der Landwirt die digita-
le Technologie nicht nutzen. Wir
haben deshalb für die Landwirt-
schaft ein 60-Millionen-Pro-
gramm aufgelegt, um lokale Netze
aufzubauen, wo heute weiße Fle-
cken sind.

Die meisten Bauern sind Prak-
tiker, viele waren schon über-
fordert, Anträge auszufüllen,
um ihre Entschädigung für das
Dürrejahr 2018 zu beantragen.
Jetzt bekommen sie Sensoren
im Boden und sollen pipetten-
genau Düngemittel auftragen.
Wie passt das zusammen? Be-
kommt jeder Bauer in Zukunft
einen Berater zur Seite?
Unsere Hilfen für existenzbedroh-
te Betriebe sind sehr gut ange-
nommen worden, sie wurden ge-

...im Jahr 1900 waren es nur fünf. Landwirtschaftsministerin Julia


Klöckner über eine Zeit des Umbruchs – und warum sie die Proteste


der Bauern verstehen kann


E


ine wunderschöne Al-
lee in der Eifel. Hinter
Gebüsch und großen
Bäumen grasen Kühe – Idylle
pur. Doch da steht auch ein
Kreuz, gebastelt aus Dachlat-
ten und grün angestrichen,
daran geheftet ein Zettel in
Klarsichtfolie. „Liebe Spazier-
gänger“, steht darauf, „wir
machen Euch satt. Wir ver-
sorgen Euch mit guten Le-
bensmitteln und pflegen un-
sere Kulturlandschaft. Alles
was wir tun, tun wir mit Lei-
denschaft!“ Die grünen Kreu-
ze am Wiesenrand waren die
ersten, noch kaum beachteten
Signale für die bäuerliche
Graswurzelbewegung „Land
schafft Verbindung“, die in
atemberaubendem Tempo ge-
wachsen ist und nun Auf-
merksamkeit erzwingt, indem
sie das übliche Berliner Ver-
kehrschaos mal eben um 5000
Trecker bereichert. Der Deut-
sche Bauernverband hatte
schon nach den ersten Stern-
fffahrten in die Städte seine lie-ahrten in die Städte seine lie-
be Not, den aufbrandenden
Zorn der Landwirte zu hand-
haben.
AAAuf dem Land hat sich einuf dem Land hat sich ein
explosiver Stimmungsmix zu-
sammengebraut. Existenz-
angst, immer neue Regeln und
Einschränkungen, Bürokratie
und Respektlosigkeit sind sei-
ne Bestandteile. Was da im
Kleinen passiert, spiegelt eine
Maßlosigkeit der Kritik, wie
sie auch in anderen Bereichen
üblich geworden ist. Da wer-
den Tierzüchter zu Tierquä-
lern gestempelt, und wer sein
Feld konventionell bearbeitet,
muss sich Vorwürfen erweh-
ren, er vergifte Natur und
Grundwasser. Es ist ein Zerr-
bild der Landwirte, die durch-
weg verantwortungsvoll mit
Flächen und Tieren umgehen



  • schon aus Eigeninteresse. Es
    sind schließlich ihre Produkti-
    onsmittel. Mehr Respekt für
    die Bauern bitte! Sie haben
    ihn verdient.
    WWWenn die Wut weg wäre,enn die Wut weg wäre,
    ließen sich die Sachprobleme
    leichter lösen, die eine hoch-
    produktive Landwirtschaft
    nun einmal mit sich bringt.
    Seit Jahren ist zu viel Nitrat
    im Grundwasser, da hilft Weg-
    schauen nicht. Es muss ja
    nicht gleich alles bio werden,
    auch wenn es manche fordern,
    die lautere Stimmen haben als
    die vielen, die auf gesunde
    Nahrung zu erschwinglichen
    Preisen angewiesen sind.
    Denn am Ende stimmt es: Sie
    machen uns satt. Auch wenn
    man hierzulande vergessen
    hat, wie wenig selbstverständ-
    lich das eigentlich ist.


KOMMENTAR

MICHAEL GASSMANN

Respekt für


die Bauern


„Ein Bauer ernährt


1 55 Menschen“


Lamdwirtschaftsministerin Julia
KKKlöckner spricht vor den Bauernlöckner spricht vor den Bauern

REUTERS

/ ANNEGRET HILSE
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