Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
von david steinitz

D


as schlimmste am Leuchtturmwär-
ter, findet der Leuchtturmwärterge-
hilfe, sind seine Blähungen. Eine
unheilige Kombination aus Zwiebeln und
Plumpsklo, wenn man den Geruch des Fla-
tulenzdramas in Worte fassen müsste.
Aber auch sonst kann der Gehilfe (Ro-
bert Pattinson) nicht viel Gutes über sei-
nen Meister sagen. Der Alte (Willem Dafoe)
lässt ihn das kleine Wärterhäuschen und
die Stufen des Leuchtturms schrubben bis
ihm die Hände bluten. Beim Essen, wenn
der Leuchtturmwärter mal wieder zu viel
billigen Schnaps getrunken hat, um den
salzigen Trockenfisch hinunterzuwürgen,
den er Abend für Abend zu einer ungenieß-
baren Pampe aufkocht, beschimpft er ihn
wüst und erzählt das irrste Seemannsgarn.
Zum Beispiel über die Seelen der toten See-
leute, die angeblich in den aggressiven Mö-
wen weiterleben, die kreischend um den
Leuchtturm kreisen.
Egal, ob der Gehilfe gerade die Vorräte
im Schuppen überprüft, mit der Schubkar-
re den Unrat beseitigt oder sich raus zum
Plumpsklo schleicht: Immer steht der Wär-
ter wie ein zerknautschter Kobold hoch
oben auf der Brüstung seines Turms und
starrt ihm argwöhnisch hinterher. Und nie,
wirklich nie, lässt er den Jüngeren mit hin-
auf ins Heiligste des Leuchtturms, wo er
Nacht für Nacht allein über das Licht


wacht. So hat es ihm der Alte mit seinem
fauligen Atem schon bei ihrer Ankunft ent-
gegengekrächzt: „Das Licht gehört mir“.
Die Horrorgroteske „Der Leuchtturm“
von Robert Eggers ist einer der merkwür-
digsten und rätselhaftesten Filme dieses
Kinojahres. Der Regisseur erzählt darin
von einem jungen und einem alten Mann,
die um das Jahr 1890 irgendwo vor der neb-
ligen Küste Neuenglands Dienst auf einer
kleinen Insel schieben müssen. Wobei die
Beschreibung Insel eigentlich ein Euphe-
mismus ist, es handelt sich mehr um einen
besonders großen und hässlichen Felsen.
Die Männer haben sich zuvor noch nie gese-
hen, wurden nur für diese Aufgabe zusam-
mengewürfelt, für vier Wochen den Turm
zu hüten und, noch wichtiger, wie der Alte
sagt, dabei nicht verrückt zu werden.

Denn es ist grau und kalt auf der Insel,
das Wetter rau. Der Soundtrack dieses Ere-
mitenlebens besteht aus den Wellen, die
sich hart am Felsen brechen, dem Krei-
schen der Möwen und dem dumpfen Heu-
len der Nebelhörner irgendwo draußen im
Nebel. Nie scheint die Sonne durch die dich-
te Wolkendecke, die eng über dem Felsen
hängt. Das ganze Szenario sieht aus wie die

Albtraumversion von Edward Hoppers
„Lighthouse“, ein Bild, das in der gleichen
Gegend entstand, in der dieser Film spielt,
hoch oben im Nordosten der USA.
Aus allegorischer Perspektive ist die Ge-
schichte natürlich eine recht unterkomple-
xe Angelegenheit, für die es keiner profes-
sionellen Psychoanalyse bedarf. Zwei Män-
ner werden abgeschieden von der Welt
zusammengesperrt, der Ältere bean-
sprucht das Vorrecht über den Leuchtturm-
Phallus, der dort groß in den Himmel ragt,
der Jüngere will seine Potenz beweisen
und es ihm streitig machen. Es ist natür-
lich nur eine Frage der Zeit, bis die beiden
sich an die Gurgel gehen. Aber gute Mär-
chen beruhen ja meist auf einer simplen
Geschichte und erlangen erst durch die Er-
zählform ihre eigentliche Größe.
Der „Leuchtturm“-Regisseur Robert
Eggers, der das Drehbuch gemeinsam mit
seinem Bruder Max geschrieben hat, gilt
seit seinem Experimentalhorrorfilm „The
Witch“ von 2015 als einer der spannends-
ten amerikanischen Jungregisseure. Sein
Langfilmdebüt hatte er gut zweieinhalb
Jahrhunderte vor dem „Leuchtturm“ ange-
siedelt, aber auch in der kühlen und stets
etwas unheimlichen Herbstlandschaft
Neuenglands. Eine Siedlerfamilie, die mit
der „Mayflower“ in die Neue Welt gekom-
men ist, wird darin von einer Waldhexe in
den Wahnsinn getrieben. Eggers liebt es,
seine Fantasy-Storys mit viel Recherche

und historischer Akkuratesse zu erzählen.
Alle Dialoge für „The Witch“ hatte er aus
Zeitdokumenten zusammengetragen, die
frühbäuerlichen Gewänder und landwirt-
schaftlichen Geräte genauestens rekon-
struiert. Der Film sollte nicht aussehen, als
sei er heute entstanden, sondern als stam-
me er direkt aus dem Jahr 1630.
Diesen Ansatz verfolgt er auch in „Der
Leuchtturm“ weiter, diesmal mit noch
mehr formaler und ästhetischer Strenge.
Die Kostüme und die Ausstattung wurden
bis zum dunkelgrauen Fischpampf, den
die beiden Wärter abends in sich hineinlöf-
feln, auf der Basis historischer Logbücher
und Leuchtturmwärterleitfäden der Jahr-
hundertwende entworfen.
Um die klaustrophobische Enge, in der
die beiden Leuchtturmwärter in körperli-
cher Askese zusammengesperrt sind, auf
die Zuschauer zu übertragen, weicht der
Regisseur zudem bei der Bildgestaltung
von allen Kinokonventionen der Gegen-
wart ab. Eggers und sein Kameramann Ja-
rin Blaschke, der auch schon „The Witch“
fotografierte, haben sich gegen das gängi-
ge Breitbildformat entschieden, in dem
heute die meisten Blockbuster ihre bunten
Panoramawelten präsentieren. Stattdes-
sen haben sie ihren Film im Verhältnis
1.19:1 gedreht, einem fast quadratischen
Bildformat, wie es in der Zeit des Über-
gangs vom Stumm- zum Tonfilm in den
späten Zwanziger- und frühen Dreißiger-

jahren verwendet wurde. Diese Verengung
des Ausschnitts stellte die Filmemacher
vor diverse logistische Probleme, weil
schon allein eine Aufnahme der beiden
Leuchtturmwärter am Abendbrottisch gar
nicht so leicht komplett ins Bild zu bekom-
men war – es musste ein extra kleiner
Tisch angefertigt werden, damit beide
Männer im Bild zu sehen sind. Die Technik
sorgt aber dafür, dass man als Zuschauer

die ganze Zeit das Gefühl hat, in einem Ge-
fängnis zu sitzen – wie die beiden Protago-
nisten auch. Kameramann Blaschke hat so-
gar ein paar originale Kameralinsen aus
den Dreißigerjahren aufgetrieben, die
beim Dreh teilweise zum Einsatz kamen.
Zudem ist der Film in Schwarzweiß ge-
dreht, wobei Eggers und Blaschke nicht
das edle, kontrastreiche Schwarzweiß der
goldenen Hollywood-Ära verwenden, son-
dern mehr das grobkörnige Grau in Grau
der B-Pictures und billigen Films noirs.
Diese Elemente sorgen in ihrem Zusam-
menspiel für eine apokalyptische Grund-
stimmung, durch die man eigentlich schon
ab der ersten Filmminute erkennen kann,
dass diese beiden Männer nicht mehr von
ihrer Insel herunterkommen werden und

das Historiendrama bald ein Horrorfilm
wird. Als nach den geplanten vier Wochen
der Kutter mit der Ablöse kommen soll,
tobt ein nicht enden wollender Sturm um
die kleine Felseninsel, und die zwei sind
endgültig von der Außenwelt abgeschnit-
ten – falls es überhaupt noch eine Außen-
welt gibt. Denn vielleicht ist diese Insel,
über der die Möwen schwirren wie die Gei-
er, auch eine Art Vorort zur Hölle.
Töte niemals eine Möwe, befiehlt der
Leuchtturmwärter seinem Gehilfen zu Be-
ginn, das bringt Unglück. Aber in einem
Moment der Wut, über all die Fürze und Be-
fehle und Weisheiten des Alten, schnappt
der Junge sich ein besonders unheimli-
ches, einäugiges Exemplar und schlägt es
gegen einen Stein, bis nur noch ein Vogel-
matsch aus Federn und Blut übrig ist.
Nach diesem Möwenmord, den der Alte
wirsch an seiner Pfeife nuckelnd vom
Leuchtturm aus beobachtet, zerbricht das
ohnehin wackelige Hierarchiekonstrukt
zwischen den beiden Männern. Und als
dann auch noch eine recht attraktive Meer-
jungfrau barbusig an Land gespült wird,
kommt die Axt hinterm Holzschuppen zu
ihrem großen Auftritt.

The Lighthouse, USA 2019 – Regie: Robert Eggers.
Buch: Max und Robert Eggers. Kamera: Jarin Blasch-
ke.Schnitt: Louise Ford. Mit: Willem Dafoe, Robert
Pattinson. Universal, 110 Minuten.

Vielleicht ist diese Insel, über der
Möwen schwirren wie die Geier,
auch der Vorort zur Hölle

Im Herbst 1940 bat der britische Radiosen-
der BBC den deutschen Literaturnobelpreis-
träger Thomas Mann, in seinem kaliforni-
schen Exil kurze Radiovorträge zu verfas-
sen, die sie nach Nazi-Deutschland sende-
ten. 55 Ansprachen verfasste Mann bis
Kriegsende. Der Trägerverein der Begeg-
nungsstätte Thomas Mann Haus in Los An-
geles hat die Idee der Radioansprachen wie-
der aufgenommen und veranstaltet eine
Reihe mit Ansprachen für die Demokratie,
die die SZ abdruckt und der Deutschland-
funk sendet.


W


ir leben in Zeiten krasser sozialer
und wirtschaftlicher Ungleich-
heit. Auf der ganzen Welt häufen
Reiche und Mächtige ihre Vermögen an
und tragen zur Ausbeutung und Verar-
mung marginalisierter Gesellschaftsgrup-
pen bei. Diese Ungleichheit ist vor allem in
den Städten zu sehen. In Los Angeles wer-
den unweit des Thomas Mann Hauses und
der University of California Häuser im
Wert von 500 Millionen Dollar in die Hügel
von Bel Air gebaut, während Tausende ob-
dachlose Menschen auf der Straße leben
und sterben. Diese Ungleichheit ist aber
nicht bloß ein Missverhältnis des Einkom-
mens. Sie ist eine anhaltende Folge der Ras-
sentrennung, ein Ausdruck dercolor line.
„Das Problem des 20. Jahrhunderts“,
schrieb der Soziologe W. E. B. Du Bois, „ist
das Problem der color line.“ Seine Aussage
begleitete eine Reihe außergewöhnlicher


Infografiken, die er und seine Studieren-
den für die Pariser Weltausstellung 1900
erstellt hatten. Um die orientalistischen
Zurschaustellungen zu kritisieren, von de-
nen solche Kolonialmessen gewöhnlich do-
miniert wurden, zeigte Du Bois detaillierte
Statistiken und Beispiele für die Unterdrü-
ckung der Schwarzen in den USA. Anhand
der Routen des afrikanischen Sklavenhan-
dels, die der Historiker Paul Gilroy später
als „Schwarzen Atlantik“ bezeichnen wür-
de, ordnete Du Bois sie in ein globales Sys-
tem des rassischen Kapitalismus ein.
Es ist kein besonderes Wagnis, zu be-
haupten, dass das Problem des 21. Jahrhun-
derts das fortwährende Problem der color
line ist. Wir leben in der Ära eines neu er-
starkten Rechtsnationalismus. Von Indien
bis Brasilien, von Europa bis in die USA, ist
der Ausländerhass zum festen Bestandteil
der Strukturlogik von Staatsmacht und Re-
gierungskunst geworden.
Besonders sichtbar ist die color line in ih-
ren gewaltsamen Formen: der Tötung von
Schwarzen, den Lynchmorden an Musli-
men, dem Einsperren von Menschen in Kä-
figen – und vor allem an den militarisier-
ten Grenzen entlang Wüste und Meer, die
zu geisterhaft-grässlichen Landschaften
des Todes geworden sind. Diese tödlichen
Orte – Übergänge, die mutwillig in Todes-
zonen verwandelt worden sind – bewa-
chen heute die Festung Europa und das
amerikanische Homeland. Die color line
ist somit nicht nur eine Landkarte der Se-
gregation und des Ausschließens, sondern
auch eine Stätte des Todes, eine Negierung
der Menschlichkeit. Oder, wie die Lateina-
merikaforscherin Lisa Marie Cacho es
nennt: eine „racialized rightlessness“.
All dem zum Trotz möchte ich anläss-
lich des Gedenkens an Manns Radioanspra-
chen ein Plädoyer für radikale Demokratie
halten. Während einer Vortragsreise durch
die USA sprach Mann 1938 nicht nur vom
Faschismus, sondern auch vom „zukünfti-
gen Sieg der Demokratie“. In jenen dunk-
len Zeiten schwebte Mann „die soziale Er-
neuerung der Demokratie“ vor. Er glaubte,

dass „Europa, die Welt reif für den Gedan-
ken einer umfassenden Reform der Besitz-
ordnung und der Güterverteilung“ seien.
In ebenjenem historischen Moment imagi-
nierte auch Du Bois die Rekonstruktion
der amerikanischen Demokratie, indem er
1935 den langen Kampf gegen die Sklave-
rei nachzeichnete und den Traum von
emanzipierten Arbeitsverhältnissen und
der Umverteilung von Eigentum und Ein-
kommen in den Vordergrund rückte. Diese
Träume waren, wie der Historiker Robin D.
G. Kelley sie nennt, „Freiheitsträume“.
Ich behaupte, dass unsere Zeit nicht nur
eine der Ausbeutung und Exklusion sowie
der Extraktion von Arbeitskraft ist, son-
dern auch eine der Freiheitsträume. In den
USA hat das Trump-Regime die Idee einer
weißen Vorherrschaft gefüttert und institu-
tionalisiert, wodurch gleichzeitig eine soli-
de nationale Diskussion über Reparations-
zahlungen an Schwarze entstanden ist.
Wie Kelley in seinem Buch „Freedom Dre-
ams“ schreibt, geht es bei der Frage um Re-
parationen grundlegend um schwarze
Selbstbestimmung, wozu auch autonome
Institutionen und Räume gehören.
Während in den USA die neoliberale Um-
strukturierung des Hochschulsystems zu
einer gigantischen studentischen Verschul-
dung von 1,5 Billionen Dollar geführt hat,
ist gleichzeitig das politische Interesse ge-
stiegen, studentische Schulden zu annullie-
ren und die Hochschulbildung allen zu-
gänglich zu machen. Und während die sys-
tematischen Ausquartierungen von Mie-
tern in die Höhe schießt, wird auch der Ruf
nach einem ambitionierten Plan für den so-
zialen Wohnungsbau innerhalb des Green
New Deal sowie der Einführung einer natio-
nalen Mietpreisbremse laut.
Bei diesen Maßnahmen geht es um Um-
verteilung und Dekommodifizierung. Auf
dem Spiel steht die Resozialisierung der
zentralen Infrastrukturen unserer Lebens-
welten, etwa gerechtes Wohnen und Bil-
dung. Gerade in Europa ist das derzeit zu
sehen, wenn Bewegungen von Barcelona
bis Berlin für Mieterrechte streiten und die

Enteignung und Verstaatlichung des Eigen-
tums globaler Banken und Immobilienkon-
glomerate fordern. Thomas Mann war sei-
nerzeit daran interessiert, dem Demokra-
tiebegriff eine allgemeine Bedeutung zu ge-
ben, eine viel allgemeinere als jene, die der
politische Aspekt des Wortes suggeriere.
Ich bezeichne diese allgemeinere Bedeu-
tung als radikale Demokratie – und der
Schlüssel zu ihr sind die Prozesse der Reso-
zialisierung.
Meine Theorie der radikalen Demokra-
tie beruht auf zwei miteinander verwand-
ten Ideen. Die erste besagt, dass die Frei-
heitsträume, die die Rekonstruktion der
Demokratie animieren, nicht von elitären
Institutionen oder staatlicher Macht ausge-
hen. Sie entstehen vielmehr in Kollektiv-
handlungen, die aus dem Umstand gemein-
samer Prekarität hervorgehen – in Stätten
„organisierter Verlassenheit“, einer Formu-
lierung, die ich mir von der abolitionisti-
schen Forscherin Ruth Wilson Gilmore lei-
he, um auf „verlassene Orte“ hinzuweisen.

Der demos der radikalen Demokratie ist
nicht die Wählerschaft, sind nicht die politi-
schen Parteien, Denkfabriken, Stiftungen
oder Universitäten. Der demos der radika-
len Demokratie besteht aus Mieterverei-
nen, Schuldnerverbänden, schwarzen Zu-
kunftsbewegungen, Bündnissen für Tage-
löhner und Hausangestellte, Organisatio-
nen für die Rechte von Immigranten und
Asylsuchenden, Koalitionen aus Ausquar-
tierten und Landlosen, Netzwerken des in-

digenen Widerstands. Demokratie ist kei-
ne Garantie. Freiheit ist ein Geschenk. Ge-
rechtigkeit ist keine Erbschaft. Radikale
Demokratie muss in jedem historischen
Moment, inklusive dem unseren, aufs
Neue gefordert und geschaffen werden.
Die zweite Idee lässt sich auf die aristo-
kratische Eigenschaft der Demokratie zu-
rückführen, mit der Thomas Mann in sei-
nem Essay „Vom zukünftigen Sieg der De-
mokratie“ rang, als er schrieb, dass in einer
Demokratie, die das intellektuelle Leben
nicht respektiert und sich nicht von ihm lei-
ten lässt, die Demagogie freies Spiel habe.
Lange haben wir angenommen, dass die-
ses intellektuelle Leben etablierten und eli-
tären Institutionen entspringt. Die radika-
le Demokratie, von der ich träume und de-
ren Entstehen ich gerade überall beobach-
te, wird angetrieben von rigorosen intellek-
tuellen Visionen und globalen Theorien.
Oft entstehen sie an vergessenen Orten. An-
spruchsvolle Konzeptionen von Eigentum
und Miete, von Schulden und Spekulation,
von Anlagegütern und Sozialhilfe, von Ein-
kommen und Profit wachsen heute inner-
halb von gesellschaftlichen Bewegungen.
Robuste Denkgerüste für Zugehörig-
keit, Recht und Zuflucht stammen heute
von Hip-Hop-Musikern, inhaftierten
Künstlern und Grenzaktivistinnen. Radika-
le Demokratie benötigt daher nicht nur ei-
ne Resozialisierung der Infrastrukturen
unserer Lebenswelten, sondern auch eine
neue Wertschätzung von subalternem und
unterdrücktem Wissen.
In der Geschichte der Moderne bestand
die liberale Demokratie lange aus dem Be-
streben, den rassischen Kapitalismus auf-
recht zu erhalten, indem nur seine gröbs-
ten räuberischen Eigenheiten abgemildert
wurden. Die radikale Demokratie findet ih-
re Inspiration hingegen in einer Frage des
Philosophen Walter Mignolo: „Warum soll-
ten wir den Kapitalismus retten wollen
und nicht die Menschen?“

Aus dem Englischen von Cornelius Dieckmann

Zwei Leuchtturmwärter im Nebel: Ephraim Winslow (Robert Pattinson, links) und Thomas Wake (Willem Dafoe) schieben um das Jahr 1890 auf einer Insel irgendwo im unheimlichen Nord-
osten derUSA Dienst. Der Jüngere will unbedingt zur Turmspitze hinauf, der Ältere schikaniert ihn mit Hilfsaufgaben.FOTO: UNIVERSAL PICTURES

Durch das quadratische
Bildformat fühlen sich auch die
Zuschauer wie im Gefängnis

DEFGH Nr. 274, Mittwoch, 27. November 2019 (^) FEUILLETON 11
Das Licht gehört mir
Was passiert, wenn man zwei Männer in der Isolation einer Insel in einem penisförmigen Gebäude zusammensperrt?
Regisseur Robert Eggers lässt in seinem Historienhorrorfilm „Der Leuchtturm“ dieSchauspieler Willem Dafoe und Robert Pattinson gegeneinander antreten
Radikale Demokratie
Ein Plädoyer für ein Zeitalter der wiedererwachenden FreiheitsträumeVon Ananya Roy
Das Grassi Museum für Völkerkunde zu
Leipzig wird an diesem Donnerstag
Gebeine australischer Aborigines aus
seiner Sammlung an Vertreter der Urein-
wohner zurückgeben. Details zu An-
zahl, Zustand oder Herkunft der
menschlichen Überreste würden erst
zur Übergabe mitgeteilt, sagte eine
Museumssprecherin. Zu der Zeremonie
hat die australische Botschaft eingela-
den. Dazu werden unter anderen die
australische Botschafterin Lynette
Wood, und Sachsens Kunstministerin
Eva-Maria Stange (SPD) erwartet. epd
Die Kinderbuchautorin Kirsten Boie,
69, soll Ehrenbürgerin ihrer Heimat-
stadt Hamburg werden. Das beschloss
der Hamburger Senat am Dienstag. Seit
mehr als dreißig Jahren präge Boie die
Kindheit junger Leserinnen und Leser
mit Geschichten, die begeistern und
zum Nachdenken anregen, sagte Bürger-
meister Peter Tschentscher (SPD). „Ihre
Bücher geben Kindern Orientierung
beim Erwachsenwerden und den Mut,
auch in schwierigen Situationen an sich
selbst zu glauben.“ Außerdem engagie-
re sie sich für die Leseförderung, hieß
es zur Begründung.epd
Zum Untergang des Römischen Reiches
wird es im Jahr 2022 eine große Ausstel-
lung in Trier geben. Warum sich das
Römische Reich als kulturell so hoch
entwickelter Staat auflösen konnte, sei
„wohl das größte Rätsel der Weltge-
schichte schlechthin“, sagte der Direk-
tor des Rheinischen Landesmuseums
Trier, Marcus Reuter. Inzwischen gebe
es mehr als 700 Theorien darüber. Erst-
mals werde sich nun eine Ausstellung
diesem Thema widmen. Die Ausstel-
lung „Der Untergang des Römischen
Reiches“ soll im Sommer 2022 in drei
Museen zu sehen sein. dpa
Ananya Roy, 49, wurde in
Kalkutta geboren. Sie ist
Professorin für Entwick-
lung und Urbanismus an
der University of Califor-
nia in Los Angeles. Ihre
Forschungsschwerpunkte
sind Armut im globalen
Süden und Städteplanung
in Asien.
Eine Programmreihe von
VillaAurora & Thomas Mann e.V. mit
Süddeutscher Zeitung, Deutschlandfunk
und Los Angeles Review of Books.
Teil2: Ananya Roy
Gebeine von Aborigines
Hamburgehrt Boie
Untergangsausstellung
KURZ GEMELDET

Free download pdf