Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
Bern– Mehr als fünf Wochen nach den
Parlamentswahlen zeichnet sich eine klei-
ne Revolution im politischen System der
Schweiz ab. Nach ihrem spektakulären Er-
folg vom 20. Oktober wollen die Grünen
bei den Bundesratswahlen am 11. Dezem-
ber antreten. Das hat die Fraktion am ver-
gangenen Freitag entschieden. Als Kandi-
datin für das siebenköpfige Regierungs-
gremium stellen sie ihre Parteipräsidentin
Regula Rytz auf, die am Tag zuvor ihre Be-
reitschaft zur Kandidatur erklärt hatte.
Bei der Wahl des Bundesrats, die immer
in der ersten Session nach den Parlaments-
wahlen stattfindet, gilt die ungeschriebe-
ne Regel, dass Bundesräte, die ihr Amt wei-
ter ausüben wollen, auch wiedergewählt
werden. Rücktritte und Ersatzwahlen er-
folgen in der Regel während der Legislatur,
nicht im eigentlichen Wahljahr. Abwahlen
sind nicht vorgesehen. Auch diesmal wol-
len alle sieben Bundesräte weitermachen.
Für die Grünen bedeutet das, dass sie eine
Kampfkandidatur wagen – in der Schweiz
ein höchst seltenes Ereignis.
Dahinter stehen allerdings auch außer-
gewöhnliche Zahlen: Noch nie seit der
Einführung des Verhältniswahlrechts im
Jahr 1919 hat eine Partei so viele Sitze im
200-köpfigen Nationalrat hinzugewonnen
wie die Grünen – 17 Mandate. Auch im Stän-
derat, der kleinen Kammer mit insgesamt
46 Sitzen, haben die Grünen mit fünf Man-
daten so viele wie noch nie geholt. Die Zuge-
winne haben die Ökopartei zur viertstärks-
ten politischen Kraft gemacht. Was aus
deutscher Warte wenig spektakulär klingt,
ist für ein politisches System wie das
schweizerische bedeutend. Denn in der
Eidgenossenschaft herrscht Konkordanz:
Alle wichtigen Parteien des politischen
Spektrums werden in die Regierungsar-
beit und damit in den Bundesrat eingebun-
den. Die Aufteilung der Sitze folgt seit sech-
zig Jahren der sogenannten Zauberformel:
Je zwei Sitze für die drei stärksten Partei-
en, ein Sitz für die viertstärkste Kraft. Rein
rechnerisch hätten die Grünen also erst-
mals Anspruch auf einen Sitz – nur: welche
Partei muss dann zurückstecken?
Diese Frage beschäftigt die politische
Schweiz seit Wochen. Denn nicht nur die
Gewinne der Grünen sind historisch. Insge-
samt zeigt das Wahlergebnis, dass die Zau-
berformel nicht mehr so richtig funktio-
niert: Zwar ist die rechtskonservative SVP
mit mehr als 25 Prozent Wähleranteil nach
wie vor stärkste Kraft, niemand macht ihr
ihre zwei Sitze streitig. Doch sowohl die so-
zialdemokratische SP als auch die liberale
FDP, die beide je zwei Bundesräte stellen,
haben bei den vergangenen Wahlen ver-
loren, sie liegen mit knapp 17 respektive
15 Prozent nur noch wenige Prozentpunk-
te vor den Grünen. Auf Platz fünf folgen
schließlich die Christdemokraten (CVP).
Die Mittepartei hat zwar nur 11,4 Prozent

Wähleranteil, dafür ist sie stärkste Kraft
im Ständerat. Dass die CVP zugunsten der
Grünen aus dem Bundesrat fliegt, verlangt
deshalb kaum jemand.
Obwohl der Fall also alles andere als klar
ist, haben die Grünen bereits entschieden,
auf wen ihre Kampfansage zielt: Sie wollen
den FDP-Mann Ignazio Cassis aus dem
Bundesrat kegeln. Der derzeitige Außenmi-
nister gilt als der schwächste Bundesrat.
Ihm werden Fehler bei den Verhandlungen
mit der EU vorgeworfen, linke Politiker kri-
tisieren außerdem seine Nähe zu umstritte-
nen Schweizer Konzernen wie Glencore
oder Nestlé. Zwar ist die Kritik an dem Tes-
siner Cassis parteiübergreifend zu hören,
doch bislang unterstützt keine Partei offen
den avisierten Traditionsbruch der Grü-
nen. Neben der FDP hat sich auch die SVP
klar gegen Rytz positioniert. Frühestens in
vier Jahren könne man über einen grünen
Bundesratssitz reden, teilte die Partei vor

Kurzem mit – ein Verweis auf ihr eigenes
Schicksal, denn auch die SVP musste mehr-
mals stärkste Kraft werden, bis das Parla-
ment ihr einen zweiten Sitz zugestand. SP
und Grünliberale, eigentlich die natürli-
chen Verbündeten der Grünen, haben
noch nicht entschieden, ob sie Rytz unter-
stützen. Und die CVP ließ am Wochenende
verlauten, dass ihre Fraktion Rytz „mehr-
heitlich nicht wählen“ werde. Allerdings,
so Parteipräsident Gerhard Pfister, wolle
seine Partei eine Grundsatzdebatte über
Konkordanz und Zauberformel anstoßen.
Das Wahlergebnis habe gezeigt, dass die
aktuelle Formel dem Wählerwillen nicht
mehr gerecht werde.
Es spricht also vieles dafür, dass dem
eigentümlichen politischen System der
Schweiz eine Wende bevorsteht. Politiker
und Medien werfen derzeit die unter-
schiedlichsten Ideen zur Reform des Bun-
desrats in den Raum, eine Erhöhung der
Sitzzahl ist ebenso im Gespräch wie eine
Abkehr vom Konkordanzsystem. Die meis-
ten Beobachter gehen allerdings davon
aus, dass am 11. Dezember zunächst alles
beim Alten bleibt. Abwarten sollte man
trotzdem. Das Schweizer Parlament hat
schon ein paar Mal gezeigt, dass es, bei
aller Liebe zur Stabilität, auch für Überra-
schungen in letzter Minute gut sein kann –
etwa bei der Abwahl von SVP-Bundesrat
Christoph Blocher. isabel pfaff

Moskau– Der russische Präsident Wladi-
mirPutin hatte sich lange bitten lassen, be-
vor er dem Treffen in Paris zustimmte. Da-
bei hatte sich Gastgeber Emmanuel Ma-
cron über Monate bemüht, den roten Tep-
pich auszurollen. Doch wenn Putin nun am


  1. Dezember nach Paris reist, um im „Nor-
    mandie-Format“ über die Ostukraine zu
    sprechen, dann nicht wegen Macrons ver-
    ständnisvoller Worte, sondern aus einem
    einzigen Grund: Es ist für ihn die beste Ge-
    legenheit, seine Interessen durchzusetzen.
    Schon vor dem Gipfel hatte Putin Bedin-
    gungen für ein Treffen gestellt. Der ukrai-
    nische Präsident Wolodimir Selenskij soll-
    te die Steinmeier-Formel bestätigen, die ei-
    ne Art Fahrplan für eine Lösung des Kon-
    flikts festlegt und in Moskau anders inter-
    pretiert wird als in Kiew. In Paris möchte
    Putin Selenskij auf seine Auslegung festna-
    geln: Demnach soll es zuerst Lokalwahlen
    in den von prorussischen Separatisten be-
    setzen Gebieten in der Ostukraine geben.
    Erst danach will er über andere Dinge ver-
    handeln, etwa die Kontrolle über die Ost-
    grenze zu Russland. Die hätte Selenskij
    aber gerne vor den Wahlen zurück.
    Denn bisher ist unklar, wie in den um-
    kämpften Gebieten sichere Abstimmun-
    gen ablaufen könnte. Und wie in den Volks-
    republiken Donezk und Lugansk, die mili-
    tärisch und wirtschaftlich von Russland ab-
    hängen, ein fairer und freier Wahlkampf
    stattfinden soll. Deswegen ist die Grenzfra-
    ge für Kiew wichtig. Am Wahlabend soll
    laut Steinmeier-Formel ein Sonderstatus
    für die Volksrepubliken gelten, aber nur
    vorläufig. Erst wenn die Wahlbeobach-
    tungsmission ODIHR die Abstimmung als
    insgesamt fair und frei bestätigt, sollen Do-
    nezk und Lugansk als autonome Regionen
    in die Ukraine integriert werden.
    Die Kontrolle über die Grenze werde
    Russland sicher nicht Kiew überlassen,
    sagt der russische Außenpolitik-Experte
    Wladimir Frolow: „Nur an Truppen der
    Donbass-Separatisten, gekleidet als lokale
    Miliz mit Ukraine Flagge an den Grenzpos-
    ten“ – also an Kräfte, die Moskau selbst be-
    einflusst. Wahlen könnten die jetzigen
    Machthaber legitimieren. Die Volksrepu-
    bliken würden als autonome Gebiete der
    Ukraine lediglich umfirmiert. Genau das
    befürchten Kritiker der Steinmeier-For-
    mel: Dass sie Moskau ein Hintertürchen
    lässt, die Gebiete mit internationalen Se-
    gen unter russischer Kontrolle zu halten.
    Auf seinem Weg nach Paris geht Putin
    davon aus, dass sich seine Verhandlungs-
    partner aus der Ukraine, Frankreich und
    Deutschland dringender eine Lösung wün-
    schen als er. Selenskij hatte den Frieden
    zum Wahlversprechen gemacht. Das Ziel
    von Macron und Bundeskanzlerin Angela
    Merkel bestehe darin, „egal welches, aber
    ein Abkommen zwischen Putin und Selens-
    kij zu erreichen“, analysiert Sergej


Markow, Politikwissenschaftler und Ex-
Duma-Abgeordneter vor dem Treffen.
Zwar haben Macron und Merkel stets be-
tont, an den Sanktionen festzuhalten.
Doch Macron ist Putin zuletzt entgegen ge-
kommen, hatte ihn vor dem G7-Gipfel im
August auf seiner Ferienresidenz empfan-
gen und ein Umdenken in den Beziehun-
gen zu Russland gefordert. In einem Inter-
view mit demEconomistäußerte er viel Ver-
ständnis für Putins Lage. Für diesen, sagt
Macron im Interview, sei der Deal von 1990
nicht respektiert worden, es habe keine „Si-
cherheitszone“ gegeben. „Sie haben ver-
sucht bis zur Ukraine zu gehen, und er woll-
te dem ein Ende setzen.“ Mit „sie“ meint

Macron die EU, die Russland als Trojani-
sches Pferd der Nato betrachte. Im Inter-
view zeigt Macron, dass er bereit ist, Putins
Sicht der Dinge nachzuvollziehen. Und Pu-
tin hoffe nun, dass er Selenskij mit Hilfe
Macrons in einen schlechten Deal für die
Ukraine zwingen kann, sagt Experte Fro-
low. Oder, falls Selenskij nicht darauf ein-
geht, ihm die Schuld daran zu geben, dass
das Minsker Abkommen nicht erfüllt wird.
Dann könnte Putin argumentieren, Sankti-
onen seien nicht mehr gerechtfertigt.
Insofern haben Macrons Bemühungen
Putin vielleicht doch nach Paris gelockt.
„Putin und Macron brauchen einander“,

schrieb etwa Andrej Kortunow, Direktor
des russischen Rats für internationale An-
gelegenheiten, vor dem Treffen im August.
„Wladimir Putin hat heute keinen passen-
deren Gesprächspartner in Europa als den
französischen Präsidenten.“ Auch über des-
sen Befund, die Nato sei „hirntot“, hat man
sich in Moskau sicher gefreut. Ob das Bünd-
nis „tot oder lebendig“ sei, könne man in
Russland nicht entscheiden, witzelte Putin-
Sprecher Dmitrij Peskow. „Wir sind keine
Pathologen.“ Macrons These, dass Putin
keine bessere Alternative habe als eine
Partnerschaft mit Europa, wird man in
Moskau anders sehen. Tatsächlich hat Pu-
tin in Syrien gezeigt, wie viele Möglichkei-
ten er hat, im Alleingang in Konflikte einzu-
greifen. Russland sehe sich heute nicht
mehr als Europas östlichsten Punkt,
schreibt Dmitrij Trenin vom Moskauer Car-
negie Center. Sondern als „große und unab-
hängige geopolitische und strategische
Einheit auf globalem Level.“
Dass Putin der EU so entgegen kommt,
wie Macron es hofft, ist unwahrscheinlich.
Es gibt genügend Kräfte im Kreml, die je-
den europäischen Einfluss fernhalten wol-
len. Gleichzeitig drängen wirtschaftliche
Kräfte auf eine Normalisierung der Bezie-
hungen. Auch deswegen fährt Putin nach
Paris, hat er Gefangene mit der Ukraine
ausgetauscht, beschlagnahmte Kriegs-
schiffe zurückgeben, den Teilrückzug pro-
russischer Truppen ermöglicht. Putin hat
nichts dagegen, die Beziehungen zu Euro-
pa zu verbessern, solang er es zu seinen Be-
dingungen tun kann. silke bigalke

von jonas schreijäg, nino seidel
und ralfwiegand

Bremen– Der zum zweiten Mal nach Liba-
nonabgeschobene Ibrahim Miri erhebt
schwere Vorwürfe gegen die deutschen
Behörden. Jahrelang hatte der 46-Jährige
offenbar ohne gültige Passdokumente in
Bremen gelebt, nun lagen den libanesi-
schen Behörden allem Anschein nach doch
Dokumente vor, die eine Einreise Miris
nach Libanon möglich machten. Gegen-
über Reportern des NDR und derSüddeut-
schen Zeitungsagte Miri in einem via
Whatsapp geführten Interview: „Ich glau-
be, diese Papiere wurden gefälscht. Und es
ist viel Geld geflossen an die libanesischen
Behörden, die mich hier aufgenommen
haben.“ Auf eine entsprechende Anfrage
teilte das Bundesinnenministerium mit,
die für die Abschiebung erforderlichen
Dokumente seien von den libanesischen
Behörden ausgestellt worden; darüber hin-
aus lägen „keine Erkenntnisse“ vor.


Miri, 46, war in der Nacht von Freitag
auf Samstag abgeschoben worden. Es war
bereits die zweite Abschiebung des mehr-
fach vorbestraften Mannes innerhalb ei-
nes halben Jahres. Am 10. Juli hatten Spezi-
aleinsatzkräfte ihn schon einmal noch vor
dem Morgengrauen in seiner Wohnung ab-
geholt, per Hubschrauber nach Berlin ge-
bracht und von dort in einem Learjet nach
Libanon fliegen lassen.
Doch Ibrahim Miri war im Oktober wie-
der da. Seine Rückkehr nach Bremen hatte
in der Bundespolitik große Empörung aus-
gelöst. Der CDU-Politiker Philipp Amthor,
Mitglied des Innenausschusses des Bun-
destags, etwa sagte: „Es kann nicht sein,
dass so ein Clan-Chef den Rechtsstaat an
der Nase herumführt.“ Auch die vom SPD-
Senator Ulrich Mäurer geführte Bremer
Innenbehörde und Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) fühlten sich provo-
ziert, weil Miri ein striktes Einreiseverbot
missachtet hatte. Seehofer ließ die Grenz-
kontrollen verschärfen, Mäurer Miri in Ab-
schiebehaft nehmen.
Die Angelegenheit war fortan Chefsa-
che. Auf Seehofers Geheiß wurde der neue
Asylantrag von Miri, der 1973 in Beirut ge-
boren ist, aber sowohl nach seinen als auch


nach Angaben der libanesischen Behörden
nie Staatsbürger Libanons gewesen sein
soll, von der Nürnberger Zentrale des Bun-
desamts für Migration und Flüchtlinge
(Bamf) bearbeitet – und schließlich als „of-
fensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Auf
Anfrage teilte das Bamf mit: „Aufgrund sei-
ner öffentlichkeitswirksamen und politi-
schen Relevanz hat das Bundesamt dieses
Verfahren prioritär behandelt.“
Nun ist Ibrahim Miri, den die Bremer
Innenbehörde ein „einflussreiches Mit-
glied einer Großfamilie“ nennt, den Politi-
ker und Medien hingegen als Chef eines
Clans bezeichnen, irgendwo in Beirut „ge-
strandet“, wie er NDR und SZ sagte – und
fühlt sich in großer Gefahr. Angeblich trach-
ten ihm zwei Familien nach dem Leben, aus
Rache. „Die deutschen Behörden wissen
das auch, was passiert: Entweder werde ich
verschleppt oder umgebracht. Was anderes
wird nicht passieren.“ Deshalb sei er auch
gegen den Rat seines Anwalts nach der ers-
ten Abschiebung im August zurückgekehrt.
Miri ist ein Mitglied der gleichnamigen
Großfamilie, die vor allem in Bremen, aber
auch in anderen deutschen Großstädten
ansässig ist. „Einige Mitglieder der Familie
sind seit Jahren als Straftäter in Bremen
auffällig und werden auch in Zusammen-
hang mit Verfahren der organisierten Kri-
minalität gebracht. Andere der weitver-
zweigten Familie leben dagegen straffrei
oder unauffällig“, teilt die Bremer Innen-
behörde auf Anfrage mit.
Ibrahim Miri lebte eher weniger unauf-
fällig. Zuletzt war er wegen „bandenmäßi-
gen unerlaubten Handeltreibens mit Be-
täubungsmitteln in nicht geringer Menge“

2014 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jah-
ren verurteilt worden, die er größtenteils
auch absitzen musste. Nach Einschätzung
der Behörden sei er „eindeutig der organi-
sierten Kriminalität“ zuzuordnen. Miri hin-
gegen bestreitet, dass es einen kriminellen
„Miri-Clan“ gebe. Miri sei „ein Nachname
wie Meier“. Das Monster, das öffentlich aus
ihm gemacht werde, sei er nicht: „Ich bin
ein normaler Mensch.“
Ibrahim Miri beteuert, er habe sein Le-
ben ändern wollen. Tatsächlich hatte ihm
die JVA Bremen eine günstige Sozialpro-
gnose gestellt: Er hatte sich für eine ver-

hältnismäßig geringe Resthaftzeit von we-
niger als vier Monaten unter eine vierjähri-
ge Bewährung stellen lassen, seine Lebens-
gefährtin erwartet in Kürze ihr zweites
gemeinsames Kind, er hatte vor seiner ers-
ten Abschiebung einen festen Arbeitsplatz

und wollte Bremen verlassen. „Ich hab
Straftaten begangen, ich will das auch
nicht verneinen“, sagte Miri jetzt gegen-
über SZ und NDR, aber er habe das Milieu
längst verlassen, das habe er auch den ent-
sprechenden Stellen in Bremen gegenüber

versichert. Er verstehe, wenn sich Behör-
den und Öffentlichkeit schwer damit tä-
ten, ihm eine weitere Chance zu geben.
Aber „ich kann mich nur beweisen, wenn
man mir die Chance gegeben hätte“. Für
Miris Anwalt Albert Timmer ist an seinem

Mandanten ein symbolischer Akt voll-
zogen worden. „An Herrn Miri sollte ein
Exempel statuiert werden“, sagte Timmer
SZ und NDR. Der Staat habe zeigen wollen,
dass man auch Personen, die aus Libanon
stammen, deren Staatsangehörigkeit unge-
klärt ist und die schon lange in Deutsch-
land leben und straffällig geworden sind,
abschieben könne: „Das sollte am Beispiel
von Herrn Miri gezeigt werden, das hat
man auch gezeigt.“ Da hätte es nicht mehr
ins Konzept gepasst, wenn Miri plötzlich
keine Gefahr mehr dargestellt hätte. Ein
generalpräventives Interesse habe gegen-
über persönlichen Interessen von Miri und
dessen Familie überwogen: „Und das ist
aus meiner Sicht rechtsstaatlich bedenk-
lich“, so Rechtsanwalt Timmer.
Die Bremer Innenbehörde wies den Vor-
wurf als „abwegig“ zurück. „Es geht nicht
darum, an Einzelnen ein Exempel zu statu-
ieren, sondern kontinuierlich und gezielt
ausländische Straftäter abzuschieben“,
hieß es auf Anfrage. Für Fälle wie den von
Miri sei im Mai eine spezielle Ausländer-
behörde eingerichtet worden.

Ibrahim Miri
saß zuletzt in Bremen
in Abschiebehaft (oben im
Bild der Gefängnistrakt
des Polizeipräsidiums),
nachdem er nach einer
ersten Abschiebung im
August nach Deutschland
zurückgekommen war.
Miri ist mehrfach
vorbestraft, das
Archivbild links zeigt ihn
2012 vor Gericht.
FOTOS: DPA, EPA-EFE/SHUTTERSTOCK

6 HF3 (^) POLITIK Mittwoch,27. November 2019, Nr. 274 DEFGH
Im vergangenen Sommer empfing Frankreichs Präsident Macron mit seiner Frau
Brigitte den russischen Amtskollegen Wladimir Putin (r). FOTO: JULIEN/POOL AFP/DPA
Zauberformel auf Prüfstand
In derSchweiz könnte der Bundesrat reformiert werden
Wenn’s sein muss
Russlands Präsident setzt beim Ukraine-Gipfel auf seine gute Verhandlungsposition
Regula Rytz, Partei-
chefin der Grünen,
tritt bei den Bundes-
ratswahlen am 11. De-
zember an. Im Okto-
ber konnte ihre Par-
tei bei der Parla-
mentswahl deutlich
zulegen.FOTO: ANTHONY
ANEX/KEYSTONE/DPA
Per Learjet
nach Libanon
Der abgeschobene verurteilte Straftäter Ibrahim Miri
wirft deutschen Behörden Manipulation vor
„Es ist viel Geld geflossen
an die libanesischen Behörden“,
behauptet Miri
Die Bremer Innenbehörde
weistdie Vorwürfe als
„abwegig“ zurück
Istanbul– Türkische Staatsanwälte
lassen im Zusammenhang mit dem
Putschversuch vor mehr als drei Jahren
erneut nach Dutzenden angeblichen
Terrorverdächtigen fahnden. Insge-
samt suchten Sicherheitskräfte am
Dienstag in mehreren Provinzen nach
162 Menschen, wie die staatliche Nach-
richtenagentur Anadolu berichtete. Bis
zum Mittag waren demnach bereits
mindestens 75 Menschen in Haft. Den
Gesuchten würden Verbindungen zur
Bewegung um den islamischen Predi-
ger Fethullah Gülen vorgeworfen. Die
türkische Regierung macht Gülen für
den Putschversuch von 2016 verantwort-
lich. Sie wirft ihm auch vor, staatliche
Institutionen wie die Armee oder Justiz
gezielt infiltriert zu haben. dpa
Wien– In einer Sondersitzung zur Casi-
no-Austria-Affäre im österreichischen
Parlament haben sich die Parteien am
Dienstag einen heftigen Schlagab-
tausch geliefert. SPÖ-Chefin Pamela
Rendi-Wagner forderte eine „scho-
nungslose Aufklärung“ darüber, ob im
Gegenzug für die Ernennung des FPÖ-
Politikers Peter Sidlo zum Finanzvor-
stand der Casinos AG dem daran betei-
ligten Glücksspielkonzern Novomatic
Vorteile in Aussicht gestellt worden
seien. Sie forderte die Einsetzung eines
parlamentarischen Untersuchungsaus-
schusses. Die früheren Koalitionspart-
ner ÖVP und FPÖ gingen zum Gegenan-
griff über und griffen die SPÖ wegen
deren Beziehungen zur Glücksspielbran-
che an. FPÖ-Fraktionsschef Herbert
Kickl sprach von einem „konstruierten
Skandal“. Die Grünen rechneten vor
allem mit der FPÖ ab, die Neos sehen
die ÖVP beteiligt. pm  Seite 4
Washington –US-Außenminister Mike
Pompeo hat China zur Freilassung der
„willkürlich festgenommenen“ Uiguren
aufgefordert. Peking müsse seine „dra-
konische Politik“ der Unterdrückung
der muslimischen Volksgruppe been-
den, forderte er am Dienstag. Die Ent-
hüllungen dazu entsprächen den zuneh-
menden Beweisen, dass Peking mit
Masseninternierungen der Uiguren
Menschenrechtsverletzungen begehe.
Am Sonntag hatte das Konsortium In-
vestigativer Journalisten (ICIJ), darun-
ter dieSüddeutsche Zeitung,Dokumen-
te veröffentlicht, die von der Kommunis-
tischen Partei Chinas stammen und
Anleitungen zur massenhaften Internie-
rung der Uiguren in der Provinz Xinji-
ang enthalten. dpa, sz
Putin hat in Syrien
gezeigt, wie er im Alleingang
in Konflikte eingreift
Festnahmen in der Türkei
Schlagabtauschim Parlament
Pompeo: Uiguren freilassen
AUSLAND

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