Handelsblatt - 01.11.2019

(Brent) #1

Weltklimakonferenz


Santiago nicht, Bonn wohl auch nicht


Nach der Absage der
Klimakonferenz in Chile
mehren sich die Warnungen
vor einem Stillstand in der
internationalen Klimapolitik.

Silke Kersting Berlin


D


ie Reisen waren organisiert,
die Themen gesetzt. Die all-
jährlich stattfindende inter-
nationale Klimakonferenz der Verein-
ten Nationen – in diesem Jahr in San-
tiago de Chile – sollte nicht nur die
Diskussion über einige kritische, bis-
her ungelöste Verhandlungspunkte
des Pariser Klimaabkommens voran-
bringen. Von dem Gipfel sollte auch
die Botschaft ausgehen, dass nur hö-
here Ambitionen weltweit die Erder-
wärmung wirksam bremsen können.
Nach Chiles Entscheidung, auf-
grund der massiven Unruhen in dem
südamerikanischen Land die für De-
zember geplante Conference of the
Parties (COP) abzusagen, mehren
sich jetzt die Warnungen vor einem
Rückschlag in der internationalen Kli-
mapolitik. Ob und wohin diese wich-
tigste Klimakonferenz des Jahres
möglicherweise verschoben wird,
wird derzeit geprüft. Auch Bonn,
Standort des Klimasekretariats der
Vereinten Nationen, ist im Gespräch,
dürfte aufgrund des geringen zeitli-
chen Vorlaufs für diese Großveran-
staltung mit mehreren Tausend Teil-
nehmern aber unrealistisch sein. Die
zweiwöchige Konferenz sollte bereits
am 2. Dezember beginnen.
„Die Klimapolitik kann sich keine
Unterbrechung leisten“, mahnte
Günther Bachmann, Generalsekretär
des Rates für Nachhaltige Entwick-
lung (RNE), einem Beratungsgremi-
um der Bundesregierung. „Wenn die
Welt die Emissionsminderung schon
nicht im Griff hat, muss wenigstens
die Diplomatie weiter Druck aus-
üben.“ So sollte es in Chile beispiels-

weise um Ozeane gehen, ein lange
vernachlässigtes Thema.
Manfred Fischedick, Vizepräsident
des Wuppertal Instituts, warnte vor
Zeitverlusten. Bei der COP sollten un-
ter anderem die Regeln für die Anre-
chenbarkeit eingesparter Treibhaus-
gasemissionen bei internationalen
Kooperationsprojekten geklärt wer-
den. „Es muss dringend vermieden
werden, dass es zu einer Doppelzäh-
lung kommt und sich sowohl das
Gastgeberland für die Durchführung
von Klimaschutzmaßnahmen als
aber auch das die Maßnahmen finan-
zierende Land den Minderungsbei-
trag zurechnen.“
Zudem sollten die Weichen für die
nächste Klimakonferenz 2020 im
schottischen Glasgow gestellt wer-
den. Die Staatengemeinschaft müsse
ihre Ambitionen deutlich steigern,
um die Auswirkungen des Klimawan-
dels zu begrenzen, sagte Fischedick.
„Dieses wichtige Signal fehlt nun.“

Michael Schäfer, Klimaexperte der
Naturschutzorganisation WWF, warn-
te davor, die COP ausfallen zu lassen.
„Sie muss die letzten Regeln für die
Umsetzung des Pariser Klimaabkom-
mens beschließen.“ Die Entwick-
lungsorganisation Germanwatch
rechnet damit, dass der Klimagipfel
entweder in der Region oder in Bonn
„zeitnah“ durchgeführt werde und
die Agenda nicht wegfalle, sondern
nur verschoben werde. Nur eine
deutliche Kürzung der Agenda wäre
problematisch. Es sei für das notwen-
dige Zusammenspiel von sozialen
und ökologischen Fragen geradezu
symbolisch, dass sich die Unruhen in
Chile an einer Verteuerung des öf-
fentlichen Nahverkehrs und taktlosen
Ratschlägen der Regierung an Pend-
ler entzündet habe, die Verkehrsmit-
tel vor den Stoßzeiten zu nutzen.
Fortschritte in nachhaltige Entwick-
lung halten Umwelt- und Klimaexper-
ten für dringend erforderlich.

Proteste in Chile:
Weltklimakonferenz
abgesagt.

imago images/Le Pictorium


Reduzierung der Treibhausgase


Erste Klimaklage ohne Erfolg


Kann man Staaten gerichtlich
zum Klimaschutz zwingen?
Nein, urteilt das Berliner
Verwaltungsgericht.

Heike Anger, Silke Kersting Berlin


E


inen „Sonnenbrand-Apfel“ hat-
te Biobauer Klaus Blohm aus
dem Alten Land in Niedersach-
sen mit in das Berliner Verwaltungsge-
richt gebracht. Hier, in der Verhand-
lung zur ersten Klimaklage gegen die
Bundesregierung, sollte die von der
Sonne schwarz verkohlte Seite des Ap-
fels belegen, dass der Kläger durch
den Klimawandel seine Existenz-
grundlage bedroht und seine Grund-
rechte verletzt sieht. „Wir brauchen
Hilfe“, wandte sich Blohm an den Vor-
sitzenden Richter Hans-Ulrich Marti-
cke. „Ich bitte inständig, der Regie-
rung das beizubringen.“ Doch das Ver-
waltungsgericht wies am Donnerstag
die Klage der insgesamt drei Bauernfa-
milien und der Umweltorganisation
Greenpeace als unzulässig ab: Es fehle

den Klägern an der Klagebefugnis.
Die Kläger hatten der schwarz-ro-
ten Regierung vorgeworfen, nicht ge-
nug zur Reduzierung des Treibhaus-
gas-Ausstoßes zu tun und so das
selbst gesteckte Ziel, die Emissionen
bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich
zu 1990 zu senken, zu verfehlen.
Das Klimaziel war bisher aber nicht
in einem Gesetz festgeschrieben, son-
dern in einem „Aktionsprogramm Kli-
maschutz 2020“, den nur das Kabi-
nett beschlossen hatte. Das jüngst ver-
einbarte Klimapaket, an dessen
Umsetzung derzeit der Bundestag ar-
beitet, zielt auf das Jahr 2030 – dann
sollen es 55 Prozent weniger Treib-
hausgase sein als 1990.
„Der Beschluss der Bundesregierung
zum Aktionsprogramm sei eine politi-
sche Absichtserklärung, enthalte aber
keine rechtsverbindliche Regelung mit
Außenwirkung, auf die sich die Kläger
berufen könnten“, entschied nun das
Gericht. Daraus ergebe sich keine
Pflicht zum geforderten Handeln.
Damit folgten die Richter der Argu-
mentation der Bundesregierung. Diese

hatte geltend gemacht, es handele sich
beim Klimaschutzziel um den „Kernbe-
reich exekutiver Eigenverantwortung“,
in den die Gerichte nicht eingreifen
dürften. Die Kläger würden eine
„grundlegende Einflussnahme“ auf Re-
gierungshandeln fordern und wollten
die Klimaschutzziele auch für die Zu-
kunft festschreiben. Dies sei unzulässig.
Auch einen Eingriff in die Grund-
rechte sah das Berliner Verwaltungs-
gericht nicht. Die Kläger hätten nicht
ausreichend dargelegt, dass die Maß-
nahmen der Bundesregierung zum
Klimaschutz völlig ungeeignet und
unzulänglich gewesen seien.
In der Verhandlung hatte der Vor-
sitzende Richter vorgerechnet, dass
2020 wohl eine Reduzierung um 32
statt 40 Prozent erreicht und das Kli-
maziel erst drei Jahre später erfüllt
würde. Das genüge nicht „für die An-
nahme, die bisherigen Maßnahmen
seien völlig unzureichend“, hieß es
im Urteil. Wegen der grundsätzlichen
Bedeutung wurde die Berufung gegen
das Urteil zum Oberverwaltungsge-
richt Berlin-Brandenburg zugelassen.

Wir sehen
nicht völlig
unzureichende
Maßnahmen.
Hans-Ulrich Marticke
Vorsitzender Richter am
Verwaltungsgericht Berlin

porte in die größte Volkswirtschaft
am Golf seit Jahren sinken. Die Ein-
fuhren von Autos nach Saudi-Arabien
haben sich von mehr als 800 000 im
Jahr 2015 auf weniger als 400 000
Fahrzeuge voriges Jahr halbiert. Die
2018 erstmals erhobene Mehrwert-
steuer lässt die Lebenshaltungskos-
ten erheblich steigen und senkt die
ohnehin niedrige Sparquote.
Finanzminister Al-Jadaan verbrei-
tet auf dem Investorenforum den-
noch Optimismus: „Ich schlafe sehr
gut und schaue nicht einmal täglich
auf den Ölpreis“, witzelt er. Die Visi-
on 2030 wolle die Abhängigkeit von
der volatilen Ölpreiskonjunktur ja
eben beenden. Sein Land schaffe das
dank seiner „sehr starken fiskali-
schen Basis“.
Der Umbau trägt tatsächlich erste
Früchte: Saudi-Arabien ist im „Ease
of Doing Business“-Ranking, einer Er-
hebung der Weltbank über die Inves-
torenfreundlichkeit, um 30 Plätze auf
Rang 62 vorgerückt. Die Bauindustrie
habe bereits wieder auf Wachstum
umgeschaltet, sagt der Finanzminis-
ter. Tourismus und Technologie -
firmen wüchsen deutlich. Zudem
verzeichne sein Land ein zehnpro-
zentiges Wachstum bei Auslands -
investitionen im Königreich.


6 000 Konferenzbesucher
Der Kronprinz braucht das Vertrauen
ausländischer Investoren ebenso wie
eine Stabilisierung der Öleinnahmen,
um seine Vision Wirklichkeit werden
zu lassen. Deshalb ist die Investoren-
konferenz, die das Land zum dritten
Mal pompös in Riads Ritz-Carlton
und dem königlichen Kongresszen-
trum abhält, so zentral für ihn. Kon-
zerne wie Samsung, Credit Suisse,
HSBC, Mastercard und Dow sind die
strategischen Partner. Mit 6 000 Teil-
nehmern ist das Forum größer als in
den Vorjahren. Ein wichtiges Zeichen
für Prinz Mohammed, soll es doch
zurückkehrendes Investoreninteresse
bekunden. 2018 hatten gleich nach
der brutalen Ermordung des opposi-
tionellen Bloggers Jamal Khashoggi
im saudischen Konsulat in Istanbul
viele CEOs internationaler Konzerne
und Banken ihre Teilnahme in Riad
abgesagt.
Auch in diesem Jahr bleiben viele
deutsche Firmen der Konferenz fern.
Ebenso wie die CEOs bekannter Fir-
men aus dem Silicon Valley. Rolf
Najork, Geschäftsführer der Robert
Bosch GmbH, der auf der Bühne die
Chancen von Industrie 4.0 präsen-
tierte, gehörte zu den Ausnahmen.
Siemens-Chef Joe Kaeser hatte kurz-
fristig abgesagt. Auch die Deutsche
Bank, die am Aramco-Börsengang
teilhaben will, schickte nur den Chef
Middle East.
Die Industrie ist weniger promi-
nent vertreten als Finanzwelt und
Politik, mit Topmanagern von Gold-
man Sachs und Citigroup, HSBC und
Credit Suisse. Auch Weltbankchef
David Malpass, die US-Finanz- und
-Energieminister Steven Mnuchin
und Rick Perry, Indiens Premier Na-
rendra Modi und Brasiliens Staats-
chef Jair Bolsonaro sprechen hier
über die Zukunft. Mnuchin lobt den
erwarteten Börsengang des weltgröß-
ten Ölkonzerns Saudi Aramco als ei-
ne „großartige Möglichkeit“ zur Ent-
wicklung des Kapitalmarkts. Mindes-
tens 40 Milliarden Dollar soll der IPO
in einer ersten Phase im Dezember
einbringen. Mit dem Erlös soll der
Umbau des Landes vorangetrieben
werden. Gelingt er nicht, rücken die
Visionen des MbS ein Stückchen nä-
her Richtung Luftschloss.


Wirtschaft & Politik
WOCHENENDE 1./2./3. NOVEMBER 2019, NR. 211^13

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